Schlagwortarchiv für: Essay

Applaus für Eva Illouz

Pflichtlektüre, nicht nur für Linke.

«Solche Ansichten untergraben die wichtigsten normativen Ideale des Westens – Meinungsfreiheit, Emanzipation, Trennung von Staat und Religion -, indem sie sie als eine blosse Taktik des Westens darstellen, den Rest der Welt dominieren. Und sie berauben die Linke jeder normativen Verankerung und machen es der Linken unmöglich, im Namen der unabdingbaren Gleichheit aller Menschen Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung zu bekämpfen

Manchmal ist es wunderbar, die eigenen Vorurteile nicht bestätigt zu sehen. Eine jüdische Soziologin publiziert einen Essay bei Tamedia, das kann ja nicht gutgehen. So ZACKBUMs vorschnelles Urteil. Dann der Beginn der Lektüre mit langen Zähnen und der Bereitschaft, bei jedem dumpfbackigen Unsinn sofort aufzuhören.

Stattdessen ist das eine konzise, intelligente Abrechnung mit solchen Positionen, denen nicht nur Linke anhängen. Das Grundübel dabei besteht hierin:

«Es gab eine Zeit, in der wir mehrere Werte gleichzeitig zu vertreten in der Lage waren: Gleichheit und Freiheit, Antirassismus und Meinungsfreiheit, Vielfalt und Toleranz. Das momentane politische Klima – insbesondere im linken Spektrum – hat sich drastisch verändert. Wir sind jetzt dazu angehalten, uns für ein Lager zu entscheiden: zwischen dem Kampf gegen Islamophobie und dem Kampf gegen Antisemitismus. Zwischen tugendhafter Zensur und freier Meinungsäusserung. Zwischen den Menschen in Gaza und dem Existenzrecht Israels.»

Wer nicht Israeli oder Palästinenser, wer nicht Jude oder Moslem ist, ist ein Zuschauer im wohlbehüteten und -beheizten Salon auf einer der letzten Inseln der (mehr oder minder) freien Debatte. Bezeichnet er sich als Intellektueller, wäre es seine Aufgabe, einen intelligenten Beitrag zur Debatte zu leisten. Daran scheitern die meisten; sogar solche, denen man das vorher zugetraut hätte.

In diesem düsteren Jammertal der regredierenden Dampfplauderer, die ihre Sprachmächtigkeit und ihr mit pseudogewichtigen Phrasen aufgepumpte Diskurse dazu missbrauchen, Wortwolken zu verschieben und Nebelwände zu errichten, ist das Essay von Eva Illouz ein Lichtstrahl. Es ist, als ob der dürstende Wanderer in der Wüste der peinlichen Schändlichkeiten unerwartet auf die Oase mit kühler Quelle stösst.

Denn ist es nicht so: «Im Wettbewerb der Opfer behauptet jedes Lager auf unerträgliche Weise, nur die eigenen Opfer zählten

Illouz möchte nicht nur theoretisch bleiben, sondern ihren Ansatz mit Beispielen untermauern. Dabei greift sie etwas in die Geschichte zurück. Der Kristallisationspunkt ihrer Kritik trägt einen Namen. Judith Butler ist das Paradebeispiel einer begabten Intellektuellen, die auf hohem Niveau auf fürchterliche Abwege geraten ist.

«In einem Buch mit dem Titel «Is Critique Secular?» stellt Butler die «westlich geprägten» Ideen der Trennung von Staat und Religion sowie der Meinungsfreiheit infrage und verurteilt beide als ungeprüft übernommene westliche Normen. Autorinnen wie diese behaupten, Säkularismus und freie Meinungsäusserung diene ausschliesslich dazu, dass die Menschen im Westen an einer Identität festhalten könnten, die ihnen ermöglicht, andere (Muslime) als Fundamentalisten zu bezeichnen

Die bittere Schlussfolgerung von Illouz: «Die Linke hat ihre Leitwerte verraten, was eine doktrinäre Spaltung unvermeidlich und notwendig macht.» Denn Muslime sind Fundamentalisten, die Trennung von Staat und Religion sowie die Meinungsfreiheit sind die Fundamente unserer Zivilisation, die sie mittelalterlichen Staaten überlegen macht. In denen eine Ideologie herrscht, die sich auf Ansichten und Meinungen von Beduinen bezieht, die vor vielen Jahrhunderten in einer ganz anderen Welt lebten, und sie zur absoluten Richtschnur für alle Entscheidungen überhöht. Das geht einher mit wirtschaftlichem Elend, der Unterdrückung der Frau, von Ayatollen, Taliban und anderen Wahnsinnigen diktatorisch regierten Unrechtsstaaten, in denen freie Meinungsäußerung ein Fremdwort ist.

Wer Kritik am Islam als Ausdruck postkolonialer Überheblichkeit missversteht, scheitert schon an der Erklärung eines banalen Widerspruchs: in unseren aufgeklärten Gesellschaften (in den wenigen, die es noch gibt) ist eine Kritik an der Kirche, am Papst, an Jesus, an all ihren Symbolen und Dogmen, jederzeit und auch mit blasphemischer Schärfe möglich. Die gleiche Kritik an Allah oder seinem Propheten ist in der dunklen Mittelalterwelt nicht nur unmöglich, sondern ein todeswürdiges Verbrechen. Schlimmer noch, die Anhänger dieser absolutistischen, irrationalen Weltsicht versuchen sogar, solche Kritiken bei uns zu verbieten. Das würde die religiösen Gefühle von Korangläubigen verletzen, und es gibt genügend dumme westliche Intellektuelle, die auf diese Scharade hereinfallen.

Dabei wären linke Positionen im Kampf gegen aufkommende üble Tendenzen von rechts dringend nötig in der Schlacht um die öffentliche Deutungshoheit. Aber: «Ihre Doppelstandards, der Mangel an gesundem Menschenverstand, die Verleugnung der Grundwerte, für die in Europa in den vergangenen 200 Jahren gekämpft wurde, und die endlosen paranoid-selbstkritischen Schleifen der Linken lassen sie in den Augen vieler grotesk und unverlässlich erscheinen.»

Soweit die beeindruckende Analyse. Gibt es Hoffnung, Auswege, sinnvolle Alternativen? Am Ende des Essays merkt man, dass Illouz mit halber Kraft ein «trotz alledem» dagegenstellen will, um nicht reine Depression zu hinterlassen: «Das einzig Konstruktive wäre jetzt, wenn Juden und Araber, die in Demokratien zusammenleben, aus eigener Kraft ein Bündnis eingingen, und zwar ohne die Hilfe einer Linken, die sich heute allein im Bereich von Paranoia und Ausgrenzung hervortut

Das wäre eine Alternative. Ob sie möglich ist oder wird – es muss bezweifelt werden. Aber welche Hoffnung bleibt sonst, bei diesem Zustand – nicht nur der linken – Intellektuellen. Immerhin: wer sich bis heute vergeblich fragte, wie es sein konnte, dass sich beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs so viele zuvor zurechnungsfähige, intelligente öffentliche Stimmen, die mit differenzierten Analysen und funkelnden Essays auffielen, in dumpfe Kriegsgurgeln, in Hurra-Patrioten, in Befürworter von Geschlachte und Gemetzel verwandelten, der bekommt heutzutage angesichts der Ukraine und des Nahen Ostens bestes, schlechtestes Anschauungsmaterial geliefert. ZACKBUM will das der Einfachheit halber in Zukunft den Somm-Effekt nennen.

 

Verschlimmbessert

Die «Berner Zeitung» klappert nach.

Nachdem eine «erfahrene» Journalistin unbelegte Vorwürfe über Diskriminierung und Rassismus am Gurtenfestival kolportiert hat, wofür sie vom Kommentarschreiber kräftig kritisiert wurde, will sich die «Berner Zeitung» weiter lächerlich machen.

Die Kommentarfunktion klemmte sie zunächst kommentarlos ab und spülte auch alle bereits publizierten Meinungsäusserungen der Leser. Das sei leider «aus technischen Gründen» nicht anders möglich. Aber immerhin wurde versprochen, dass man dem Thema Rassismusvorwürfe weiter nachgehe. Da denkt der Leser an eine Recherche, an den Versuch, endlich den Mitgliedern des Kollektivs «Café Révolution» eine Aussage zu entlocken, was denn genau passiert sei.

Auch ZACKBUM hat sich mit dieser Frage an die dort versammelten Frauen gewendet – keine Antwort. Beim erfolgreichen Crowdfunding über 30’000 Franken hatte das Kollektiv noch getönt: «Ist die letzte Etappe erreicht, können wir Dir im café révolution ein umfangreiches kulturelles Programm anbieten: Lesungen, Schreibworkshops, Yogasessions, Filmabende, Konzerte, Kunstaustellungen – the sky is the limit! Die Events sollen sozialkritische Themen aufgreifen und das Bewusstsein für diese Themen schärfen. Damit kommen wir unserer gesellschaftlichen Verpflichtung nach und bauen Brücken.»

Ein Blick auf die angepriesenen «Events» ist aber ernüchternd; es herrscht weitgehend – wenn der Begriff nicht rassistisch konnotiert gelesen werden kann – tote Hose:

Aber die BZ macht’s noch schlimmer, denn Ane Hebeisen ergreift dort das Wort. Pardon, er schreibt ein «Essay». Auch so ein Begriff, der völlig verludert ist. Das war mal ein brillanter Versuch, intellektuell hochstehend zu einem bedeutenden Thema etwas Wichtiges, Erkenntnisförderndes zu sagen.

Heute ist ein Essay in der BZ ein «ich mein› halt auch mal was und holpere das schriftlich vor mich hin». Hebeisen ist einschlägig bekannt, er rumpelte schon gegen das Rammstein-Konzert in Bern: «Die kruden Fakten zuerst: Die beiden Rammstein-Konzerte in Bern am Samstag, 17., und Sonntag, 18. Juni, werden – Stand heute – stattfinden … Aber auch auf ganz praktische Fragen gibt es bislang keine Antwort. Etwa auf jene, ob man sich sein Ticket zurückerstatten lassen kann, wenn man jetzt keine Lust mehr auf ein solches Konzert hat.»

Aber nun gar ein «Essay». Woran überhebt sich Hebeisen? Zunächst beschreibt er liebevoll die Tätigkeit dieses Kollektivs: «Die Einnahmen dieser Spenden kamen heuer dem Café Révolution zu, einem Begegnungsraum, in dem sich People of Color zum Thema Rassismus austauschen können, wo Lesungen oder Diskussionen stattfinden.»

Aber auch ihm wollte das Kollektiv nicht mal «auf mehrmaliges Nachfragen weitere Erklärungen abgeben». Es bleibt also dabei: leere Behauptungen von Diskriminierungen und Rassismus. Ein Hohn für alle wirklichen Opfer, die es natürlich gibt. Aber statt ein Essay über diesen eklatanten Missbrauch zu schreiben, behauptet Hebeisen: «Aus dessen Umfeld war später zu erfahren, dass wiederholt das N-Wort gefallen sei, dass Becher vor die Füsse der Einsammlerinnen geworfen wurden, mit der Aufforderung, sie sollten sich die Spende verdienen. Es sind Teller gegen den Stand geflogen, und mindestens eine Person soll angespuckt worden sein.»

Beweise, Belege, Videos gebe es allerdings nicht. räumt der Essayist ein. Keine Videos an einem Musikfestival, wo es mindestens so viele Handys wie Besucher gibt? Aus dieser Nicht-Tatsache macht Hebeisen dann flugs ihr Gegenteil: «Tatsache ist: Es muss eine Stimmung geherrscht haben, welche die Frauen dazu bewog, lieber auf Einnahmen des Standes zu verzichten, als länger an diesem Festival zu bleiben.»

Das ist keine Tatsache, sondern eine Beschreibung der unverständlichen und unbegründeten Reaktion des Kollektivs. Dass sie auf die Einnahmen verzichteten, stimmt auch nicht, sie mussten nur nicht mehr selbst sammeln.

Dann macht Hebeisen genau das Gleiche wie das Kollektiv. Er behauptet. Er behauptet, in der Kommentarspalte habe «die Stimmung begonnen hochzukochen». Leider kann das der Leser nicht nachprüfen, und auch Hebeisen – in bester Tradition – bringt keinen Beleg. Er behauptet: «Der Grundtenor in der Diskussion: Gegen Rassismus zu sein, sei eine linksextreme, politische Einstellung. Das seien alles Mimosen. Rassismus gäbe es bei uns nicht. Und wenn doch, seien die Betroffenen selber daran schuld

Das mag vielleicht eine fragwürdige, sogar falsche Ansicht sein, angesichts der haltlosen Vorwürfe zudem verständlich, aber Hochgekochtes ist hier nicht zu erkennen. Dennoch behauptet Hebeiesen weiterhin belegfrei: «Herrschte auf der Redaktion zunächst die Haltung, das Café Révolution schade sich selber, wenn es seine Vorwürfe nicht weiter ausführe, kippte die Stimmung bald. In einem derartig feindlichen, gehässigen und polemischen Umfeld würden selbst wir niemandem raten, sich mit Gesicht und Namen zu exponieren

Mit Gesicht und Namen exponieren? Wieso das? Es wurde doch nur verlangt, dass das Kollektiv ein paar Beispiele für seine Behauptung liefere; niemand verlangt, dass das mit «Gesicht und Namen» zu erfolgen habe.

Aber nun wird’s fatal, denn Hebeisen legt sich in die Kurve zu seinem eigentlich Anliegen: «In der Summe gibt es aber eine Ahnung davon, in welch unangenehmem Kraftfeld man sich als Person anderer Hautfarbe in diesem Land immer noch bewegt. In einem Land notabene, in dem die grösste politische Partei gerade beschlossen hat, die Migration als Quell allen Übels zu definieren, und damit zusätzlich einer ausländerskeptischen Enthemmung Bahn brechen dürfte

Enthemmung? Was heisst hier Enthemmung Bahn brechen? Natürlich muss man nicht lange auf das abgelutschte Allerheilwort warten: «struktureller Rassismus». Aber dann will Hebeisen «Klartext» schreiben: «Ja, die Schweiz hat ein Rassismusproblem, weil hier Menschen wegen ihrer Herkunft, wegen ihres Aussehens oder auch schon nur wegen ihres Namens nicht nur von vielen als «störend» empfunden werden, sondern auch tagtäglich Nachteile erfahren

Das mag nun so sein, aber was hat das mit dem Problem zu tun, dass hier ein Kollektiv für medialen Aufruhr sorgt, indem es wilde Behauptungen ausstösst und bislang den wirklichen Opfern von Rassismus damit einen Bärendienst erweist?

Dann wird’s noch einen Moment persönlich-peinlich: «Ich bin seit bald 20 Jahren mit einer afrobrasilianischen Frau verheiratet, die kein grosser Fan ist von sogenannten Safer Spaces für People of Color.»

Den langen Rest des Essays macht sich Hebeisen noch Gedanken, wo denn nun Rassismus beginne, wie man ihm begegnen könne und was es für Lösungsmöglichkeiten gäbe. Auf welchem Niveau? Na, auf dem hier: «Ich zitiere wieder meine Gemahlin: Schwingen wir nicht gleich bei jedem Anfangsverdacht die Rassismus-Keule

Da ist der Leser dann wirklich erschlagen. Ist das in der Gesamtwirkung peinlich. Kommentar kann Tamedia nicht. Reportage auch nicht. Essay ebenfalls nicht. Wofür will dann das Medienhaus überhaupt noch Geld verlangen? Für einkopierte Artikel aus München?

Ach du blödes Ei

Sandro Benini setzt den Tagi-Niedergang fort. Wenn auch auf höherem Niveau.

Vielleicht liegt es an den Kommentaren von Raphaela Birrer, Angela Barandun, Philipp Loser oder Andreas Tobler, dass dem Tagi die Leser in Scharen davonlaufen.

Vielleicht liegt es auch an einer verbohrten Grundhaltung, die Sandro Benini auf einem intellektuell und sprachlich durchaus höheren Niveau zum Ausdruck bringt. In seinem Essay rührt er einiges zu einem unbekömmlichen Brei zusammen.

Er beginnt damit, dass sich die Grenzen zwischen linkem staatlichem Interventionismus und rechter staatlicher Zurückhaltung aufgelöst hätten. Als Beweis führt er diverse Wahlkampfversprechen an, obwohl er wissen müsste, dass hier alle Politiker von links bis rechts so ziemlich alles versprechen.

Allgemeines Geschwurbel widerlegt man am besten konkret. Angesichts der CS-Katastrophe fordert die SVP, dass alle «too big to fail»-Banken in der Schweiz zerschlagen werden sollten, damit genau keine Staatsintervention mehr nötig würde. Lustigerweise wurde diese Motion von den Grünen und zunächst auch von der SP unterstützt, die dann aber auf dem Absatz kehrt machte und sie versenkte. Ist alles ein wenig komplizierter, als Benini es sich zurecht schnitzt.

Aber dieser Fehlstart ist nur die Einleitung zum Hauptthema, der angebliche «Woke-Warnartikel». Unter diesem Oberbegriff subsumiert Benini dann alle Schlagworte von Cancel-Culture, politische Korrektheit, Meinungsdiktatur, Gesinnungspolizei, Tugendterror und vor allem entrüstet er sich darüber, dass von «selbst ernannten» Moralwächtern die Rede sei.

Dabei übersieht er geflissentlich, welche gefährlichen Ausmasse genau diese Haltung, beispielsweise an US-Universitäten, bereits angenommen hat. Die Beispiele sind Legion, wozu sie hier aufzählen. Bücher sollen umgeschrieben werden, Professoren müssen für Äusserungen wie «hallo, China man» um ihre Stelle fürchten, Auftritte an Universitäten müssen wegen Tugendterror abgesagt werden, Rastalockenträger und viele andere werden beschimpft, dass sie damit «kulturelle Aneignung» betreiben würden.

Es gäbe keine nennenswerte Cancel-Culture? Das sollte Benini mal dem Pink-Floyd-Gründer Roger Waters erzählen, dessen Auftritt in Frankfurt gerade gecancelt wurde. Neben anderen. Weil der Mann Meinungen hat, die dem, Achtung, Fake News, Mainstream nicht passen.

Von dem auch bei Tamedia seitenweise betriebenen Sprachwahnsinn, dem Gendersternchen, der inkludierenden Sprache, der Vergewaltigung der deutschen Orthographie und Syntax ganz zu schweigen. Vielleicht sollte sich Benini mal kundig machen, welchen Unsinn sein Kollege Andreas Tobler dazu schon publiziert hat – bei Tamedia. Auch Benini widerlegt sich selbst in seinem Pamphlet, weil er seine woken Reflexe nicht im Griff hat:

«Es stimmt, dass Wörter, die vor kurzem noch selbstverständlich waren (wie das N-Wort), heute tabu sind – zu recht.» Was meint er damit? Nigger, Neger, Nazi? Wieso kann er das Wort nicht ausschreiben? Ist es plötzlich toxisch geworden, vergiftet es den Leser?

Mit diesem Unsinn ist er nicht alleine. Konkretes Beispiel: in einer angeblich wissenschaftlichen Studie über die Verwendung des historisch unbelasteten Wortes «Mohr» schreiben die «Wissenschaftler» doch tatsächlich «M***», also sie verwenden den zentralen Begriff ihre Untersuchung gar nicht. Grotesk. Kein Wort der Sprache kann «tabu» sein.

Der Kampf um die Verwendung des Wortes Mohr als Hausbezeichnung wird in Beninis Tagi so dümmlich wie den geschichtsvergessenen Sprachreinigern zustimmend begleitet und kommentiert, nebenbei.

Was all diesen Sprachreinigern nicht auffällt: erstens ist die Sprache nicht die Wirklichkeit, sondern unser Mittel, sie zu beschreiben. Zweitens ist Sprachreinigung etwas zutiefst Diktatorisch-Faschistisches. Orwellsche Diktaturen wollen Begriffe verbieten, nationalsozialistische Sprachreiniger wollten das arische Deutsch von der Verschmutzung durch jüdisches Untermenschentum befreien.

Wer heute noch von «Tabu»-Wörtern spricht und das sogar begrüsst, steht knietief in diesem braunen Sumpf postfaschistischer Sprachreinigungsversuche. Sie gäbe es nicht? Sie gibt es innerhalb und ausserhalb von Tamedia. Vielleicht mal den Leitfaden, das Sprachreglement der ZHAW durchlesen. Vielleicht mal die diktatorischen Anwandlungen vieler Inhaber von völlig überflüssigen Gender-Lehrstühlen zur Kenntnis nehmen.

Wieso fällt einem bei diesen Zensurversuchen immer der Islam ein, der jede Abbildung Allahs und seines Propheten bei Todesstrafe verbietet? Genau wie deren angebliche Beleidigung durch kritische Worte. Vielleicht sollte Benini mal Salman Rushdie fragen ob Cancel-Culture existiert oder nicht. Ach, das sei dann bloss im fundamentalistischen Islam der Fall? Abgesehen davon, dass der seinen Anschlag im freisten Westen verübte: kennt Benini wirklich keine Dichterlesungen in Deutschland oder der Schweiz, die unter Polizeischutz stattfinden? Vielleicht sollte er auch mal mit Andreas Thiel sprechen.

Vielleicht will Benini aber einfach auch nicht aus seiner Gesinnungsblase (Achtung, auch so ein verdorbenes Wort) in die frische Luft heraustreten. Bloss reine Idiotie hingegen ist die Verwendung von Formulierungen wie «Publizisten und Politikerinnen». Der Versuch der Vermeidung des generischen Maskulins führt zu einem grammatikalischen Blödsinn.

All diese Anstrengungen, Indianerspiele, Winnetou, angeblich «verletzende» Textstellen zu «reinigen», widerspiegeln einen voraufklärerischen Sprachwahn, führen direkt zurück ins Mittelalter der kirchlich vorgeschriebenen richtigen Auslegung des angeblich geoffenbarten Wortes. Absurd, dass am Anfang des zweiten Jahrtausends noch solche Rückfälle stattfinden und verteidigt werden.

Nachdem sich Benini mit vielen Beispielen, aber doch kleinem intellektuellem Besteck an diesen Kritiken der Wokeness abgearbeitet hat, kommt er zum Schluss ziemlich abrupt zu seinem eigentlich Anliegen:

«Was die offene demokratische Gesellschaft tatsächlich bedroht, sind nicht die Woken, sondern Rechtspopulisten in Regierungsgebäuden, wie Orban oder noch vor kurzem Trump und Bolsonaro. Indem ein Teil derjenigen, die am lautesten über den Woke-Wahn ablästern, solch autoritäre Figuren verteidigen oder verharmlosen, steuern sie eine realsatirische Fussnote zum Kapitel «Verlogenheit» bei

Lustig, dass Benini sich über Politiker erregt, die allesamt in demokratischen Abstimmungen in ihr Amt kamen. Ob man deren Wirken kritisiert oder verteidigt, hängt schlichtweg von der politischen Position des Autors ab. Was daran eine «Fussnote zum Kapitel «Verlogenheit»» sein soll?

Verlogen sind all die Moralwächter, deren Verhalten ganz einfach dargestellt werden kann. Wenn jemand ein Argument formuliert, ob bescheuert oder bedenkenswert, gehen sie niemals auf das Sachargument ein. Sondern behaupten immer, dass dahinter eine bestimmte, verächtliche Haltung stünde. Genau diese Verwechslung macht Benini auch.

Um die Ärmlichkeit seiner Argumentation zu camouflieren,  zitiert er zwar fleissig Werke und Autoren. In keinem einzigen Falle geht er aber über die Unterstellung gewisser Haltungen oder Ideologien oder Positionen hinaus und ins Konkrete. A sagt B, das ist falsch weil C. Das wäre ein Essay, das den Namen verdient.

Stattdessen schwurbelt Benini pseudogelehrt mit Beispielen aus den vergangenen Jahren, um seine Grundthese zu  belegen, dass die Kritik an Wokeness bescheuert sei, weil es sie gar nicht gäbe.

Dieser Ansatz krankt an zwei Fehlern: natürlich äussert sich Wokeness bis zur Absurdität. Natürlich gibt es vor allem innerhalb von Tamedia einen klaren Kanon von erlaubten und verbotenen Meinungen. Natürlich sind auch hier Sprachreiniger und Sprachdikatoren unterwegs, hier werden von selbst ernannten (!) Sprachwächtern gute Wörter von Pfui-Begriffen unterschieden. Wer Pfuibäh verwendet, ist zudem ein Populist, ein Rechtskonservativer, gerne auch ein Hetzer, auf jeden Fall verlogen.

Sollte Benini wirklich noch Zweifel daran haben, dass es bei Tamedia so zu und hergeht, sollte er sich doch, statt irgendwelche Werke zu zitieren, in die Berichtserstattung über die Pandemie und vor allem über Kritiker an staatlichen Massnahmen vertiefen. Da sollte er sich mal die antidemokratische Haltung seines Politchefs anschauen, der doch tatsächlich forderte, dass endlich zwangsgeimpft werden sollte – ohne jegliche gesetzliche Grundlage.

Das alles wären Themen und Beispiele, denen man durchaus ein Essay widmen könnte. Aber dafür bräuchte es natürlich eine Zivilcourage, die heutzutage kein angestellter Redaktor mehr aufbringt.

Daher gilt auch hier, angesichts eines biblischen Feiertags:

«Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht. Oder wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen! – und siehe, in deinem Auge steckt ein Balken! Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen!»

Oder noch einfacher: wer im Glashaus sitzt, sollte wirklich nicht mit Steinen werfen …

Kornelius: His Master’s Voice

Kriegsgurgel Stefan Kornelius wendet sich ans Schweizer Volk. Tamedia sei Dank.

© Fotografie: Roland Schmid, 13Photo

Der Ressortleiter Politik bei der «Süddeutschen Zeitung» ist der wohl bestvernetzte deutsche Journalist. Mitglied der «Atlantik Brücke», der «Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik», im Beirat der «Bundesakademie für Sicherheitspolitik». Schon vor Jahren wurde dieses Spinnennetz in der Satiresendung «Die Anstalt» kritisch durchleuchtet.

Bei Kornelius kann man sich also immer sicher sein, dass er im Auftrag eines Herrn schreibt. Welcher, ob USA, Deutschland oder ein anderer, das kommt dann von Fall zu Fall darauf an.

ZACKBUM musste sich schon mal mit diesem tobenden Teutonen befassen und kommentierte damals:  Ein schlecht abgehangenes Stück perfider Polemik. Dümmlicher Demagogie. Kriegshetze im knarrenden Kasernenhofton.

Im gleichen Geist, nur bildungstechnisch höhergelegt, meldet sich Kornelius mit einem «Essay zur Kriegsführung» zurück. Hier lässt er zunächst Sun Tsu, von Clausewitz, alte und neue Militärdoktrinen wie das «chicken game» auf die Leser regnen. Auch hier ist er Herr der markigen Töne: «Clausewitz, der Napoleons Russlandheer im eigenen Blut ertrinken sah, versuchte, den Krieg mit Regeln zu systematisieren.»

Und der neuen Erkenntnisse, bislang dachte man immer, Napoleons Russlandfeldzug sei in erster Linie an der Kälte und der russischen Strategie der Raumopferung gescheitert.

Unterwegs in tiefer Ratlosigkeit

Vielleicht liegt es an dieser Verwirrung, dass dann allgemeine Ratlosigkeit bei Kornelius ausbricht: «Sun Tsu, Clausewitz, nuklearer Zweitschlag: Nach aller Erkenntnis der Kriegskunde müsste Putins Armee schon lange besiegt sein.» Da sie das aber offensichtlich nicht ist, sei das «der Augenblick, wo Düsteres dämmert. Wo Ratlosigkeit in den Köpfen rattert wie Eisenbahnachsen auf ukrainischem Gleis. Was passiert hier eigentlich? Welches Jahrhundert schreiben wir? Kann dieser Krieg überhaupt enden? Und wie

Lassen wir die Achsen, die Räder rattern und rollen bis zum Sieg, denn nun wendet sich Kornelius kurz dem Krieg als ewigen Begleiter des Menschen zu. Wobei, ein Psychologe habe nachgewiesen, «dass besonders Soldaten aus friedfertigen und gerechten Gesellschaften eine natürliche Hemmung im Kampf entwickeln.» Während Soldaten aus unfriedlichen und ungerechten Gesellschaften wie Russland natürlich barbarisch vorgehen. Dafür entfaltet Kornelius einiges an Sprachgeklapper:

«Der Angriff gilt Zivilisten wie Uniformierten, und die Invasoren spielen auf der Klaviatur der Gräuel, als hätten sie schon immer gebrandschatzt, geplündert und vergewaltigt. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat keine Armee in Europa derart gewütet. Die Hemmungslosigkeit der russischen Streitkräfte wird gedeckt vom Vernichtungsdrang ihrer Führung. Es ist diese blutige Rohheit, die an die Tradition der Kosaken-Einheiten des zaristischen Russlands erinnert – freie Reiterheere, Krieger-Clans, Männerbünde aus der Steppe, die alle Konventionen des Krieges unterboten und für Grausamkeit im Kampf sorgten.»

Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde der russische Soldat nicht mehr so als vertierter Untermensch dargestellt. Während hier also der Barbar, das unzivilisierte östliche Kriegstier rast und wütet, sehen kriegerische Handlungen der westlichen Führungsmacht ganz anders aus:

«Die USA sind zwar ohne Eroberungsabsicht in den Irak gezogen – aber dennoch gescheitert. Afghanistan war eine gewaltige Anstrengung zur Befriedung und Terrorbekämpfung – das Land hat sich erholt und ist dennoch in die Klauen der alten Kräfte gefallen.»

Geschichtsumschreibung bis zur Lächerlichkeit

Was für ein Unsinn. Die USA fielen völkerrechtswidrig unter dem erlogenen Vorwand, der Irak besitze chemische und biologische Massenvernichtungswaffen, in das Land ein, um die Kontrolle über seine Ölreserven zu bekommen. Dass sie zuvor den Diktator jahrelang im blutigen Krieg gegen den Iran unterstützt hatten, was soll’s. Und Afghanistan? Dort hatten die USA durch die Unterstützung fundamentalistischer Wahnsinniger gegen die Sowjetunion eine Terroristenbrut herangezüchtet, die sich nun gegen ihren Ausrüster wandten.

Die reichlich gelieferten Stinger-Rakten schossen dort nicht mehr sowjetische Kampfhelikopter ab, sondern amerikanische. Zweimal haben die USA ein sinn- und zweckloses Desaster mit unübersehbaren Folgen angerichtet. Die Gräueltaten der angeblich natürlich gehemmten US-Soldaten waren schon hier ohne Zahl, aber überschattet werden sie von dem wohl schmutzigsten Krieg, der in der Neuzeit geführt wurde.

Das Beispiel eines der grausamsten, sinnlosesten und barbarischsten Kriege der Neuzeit lässt Kornelius aussen vor: den Vietnamkrieg. Mehr Bomben als im Zweiten Weltkrieg, unter den Folgen der kriminellen chemischen Kriegsführung mit Agent Orange leiden heute noch Millionen, ohne jemals auch nur einen Cent Wiedergutmachung bekommen zu haben – wenn sie Vietnamesen sind.

Der Krieg wurde auf Laos und Kambodscha ausgeweitet, durchgedrehte US-Generäle wollten sogar Atomwaffen einsetzen, um mit den Schlitzaugen, den Kommunisten in Vietnam fertigzuwerden. Die Kriegsverbrechen der USA waren ohne Zahl – und blieben ungesühnt. Denn nur Verlierer kommen an die Kasse, die Supermacht USA konnte sich aus jeglicher Verantwortung stehlen und auf Urteile von Menschengerichtshöfen pfeifen – man ist ja nicht mal Mitglied bei diesen Organisationen.

Vietnam und Ukraine, viele Parallelen

Die Parallelen zur Ukraine liegen eigentlich auf der Hand. Imperiale Gelüste, die angebliche Eindämmung einer Bedrohung, im Falle Vietnams durch die Dominotheorie: falle ein Land in die Hand des Kommunismus, fielen die umgebenden auch. Im Falle der Ukraine durch die Befürchtung, dass damit die NATO an den Unterleib Russlands heranrücke und andere Ex-Staaten der UdSSR auf ähnliche Gedanken kämen.

Zum Schluss seines ellenlangen Essays rafft sich Kornelius nochmal zum Diskant auf und beginnt mit einer Erinnerung an Vietnam:

«Es war unklar, was den Vernichtungswillen des Präsidenten im Weissen Haus befriedigte. Sicher ist, dass die Suche nach dem Kriegsziel an die Grenze zum Wahnhaften führte. Von dort war es nicht mehr weit zum Tennoismus und dem totalitären Abgrund, dem Asien schon einmal nur knapp entkommen war. Jedenfalls brach dieser Überfall mit den klassischen Vorstellungen der Kriegsführung. Er war zu wahnwitzig dimensioniert, um gelingen zu können. Aber er war unberechenbar genug, um jeden Tag Furcht und Schrecken zu erzeugen.»

Oh, Pardon, unser Fehler. Statt Imperfekt Präsens einsetzen. Ersetzen Sie zudem Präsident mit «Potentat im Kreml»,  den japanischen Tenno durch «Hitlerismus» und Asien mit «Europa». Dann macht es zwar keinen Sinn mehr, ist aber ein Originalzitat.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Noch ein Lichtblick

Natascha Wodin schreibt ein Essay in der WoZ, das Massstäbe setzt.

«Was nutzt den Toten ihr Heldenmut?» Einen solchen Titel muss man sich mal trauen, in den heutigen Zeiten, wo jeder Ex-Pazifist am Schreibtisch im gut geheizten Büro Kriegslüsternes von sich gibt.

Natscha Wodin hat die Biografie für das richtige Mass an Betroffenheit. Ihre Mutter wurde von den deutschen Besatzern im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiterin verschleppt, Mariupol wurde schon damals in Schutt und Asche gelegt. Wodin hat die intellektuelle Kraft, die Klarheit der Sprache und die Unbestechlichkeit einer empathischen Beobachterin, die es für ein gelungenes Essay in all dem Geschrei und Gekreische der heutigen Zeiten braucht.

Sie beginnt mit einer klugen Beobachtung des deutschen Überintellektuellen Alexander Kluge und setzt damit das Niveau für das Folgende. Und ihr eigener Diskurs, ihr Nachdenken über sich, den Krieg, die Zukunft ist dermassen klug und beeindruckend, dass man sich gar nicht recht eine Zusammenfassung traut.

Man muss tief in sich und in die Ereignisse hinabsteigen können, um zu solchen Sätzen zu gelangen: «Das grösste Verbrechen des Kriegs an denen, die ihn überleben, besteht darin, dass er ihnen das Vertrauen ins Leben nimmt.» Das ist von einer elementaren Wucht, wie sie sonst nur die besten russischen Schriftsteller hinkriegten. Die man ja im Westen boykottieren sollte, wenn es nach den hyperventilierenden Intellektuellen ginge. Auch hier ist Wodin gnadenlos und seziert dieses Verhalten mit ihrem klaren Blick:

«Noch nie haben wir uns mit so viel Enthusiasmus selbst gefeiert, noch nie gab es ein solches Feuerwerk an Selbstgerechtigkeit, noch nie waren wir so überzeugt davon, dass wir die Guten sind.»

Wir verneigen uns vor dieser Autorin, die uns, peinliches Eingeständnis, völlig unbekannt war, und auf deren Essay wir erst aufmerksam gemacht werden mussten. Wir schliessen in dieses Lob auch die WoZ ein, die sich im Gegensatz zu den unsäglichen Kriegsgurgeln im Mainstream traut, einen solchen Brocken auf ihre Leser fallen zu lassen. Ein Essay, das in seiner gnadenlosen Wahrhaftigkeit, in seiner subjektiven Objektivität immerhin Hoffnung leuchten lässt, dass es doch da und dort noch intellektuelle Widerstandsnester gibt, die nicht ins Schablonendenken und die ewigen Wiederholungsschlaufen des Immergleichen geraten sind.

Zur Lektüre strengstens empfohlen. Ach, und da die WoZ ja ihre Artikel gratis zur Verfügung stellt: eine kleine Spende nicht vergessen.

Republikanische Spitzenleistung

Die tun was. Für das Geld der Verleger. 66’702 Anschläge. An einem sonnigen Samstag. Wahnsinn. Wenn man nur am Inhalt arbeiten würde …

Es ist wirklich nicht so, dass der «Republik»-Verleger nicht ab und an was für sein vieles Geld kriegen würde, das er in die Rettung der «Republik», Pardon, der Demokratie, steckt. Also zumindest quantitativ gibt es nur zu loben.

Samstag, 12. Juni. Zwischen 4.48 h und 5.00 h scheppert es nur so auf der Webseite des Organs der ungepflegten Langeweile. Alles schon wach dort? Eher nicht, das kann man so programmieren, und wozu hat man sich eine schweineteure Insellösung eines CMS geleistet.

Gut, fast 9000 Anschläge werden schon mal verbraucht, um die übrigen 56’000 anzupreisen. Vielleicht ein kleiner Overkill, aber wenn man schon die Tinte nicht halten kann …

Vorsichtige Annäherung an Wortgebirge

Wie wollen wir uns dem Gebirge nähern? Nun, mutig mit der Erstbesteigung des grössten Buchstabenhügels. Wissenschaft und Politik, ein «explosives Verhältnis, wie die Pandemie» zeige. Das ist nun ein Thema, das seit Beginn wissenschaftlicher Forschung beackert, umgepflügt, gesiebt, geschüttelt, gewürgt, kritisiert, exemplifiziert und überhaupt toter als tot geschrieben wurde.

Aber da gilt naürlich auch: wenn alle schon alles darüber gesagt haben, ist das doch kein Grund, dass Michael Hagner nicht auch noch 26’000 Buchstaben drüberstreut. Schliesslich ist er ETH-Professor für Wissenschaftsforschung, und so ein Essay rutscht ihm an einem langweiligen Beamtenvormittag in den Computer.

Er stellt nochmal die grundlegenden Fragen:

«Wie viel Diktat verträgt Forschung? Und wie viel Wahrheit Politik?»

Um dieses Spannungsfeld, wie wir Poststrukturalisten sagen, um diese interagierende Systeme, um mit Luhmann zu sprechen, an einem Beispiel zu exemplifizierne, wie es seit Popper Brauch ist, wärmt Hagner nochmal die Story auf, dass der ungarische Präsident Orbán über die Existenz einer von George Soros gegründeten und finanzierten Uni in Budapest nicht richtig glücklich war.

Oder um es ganz wissenschaftlich wie Hagner auszudrücken: «Es war unvermeidlich, dass die lebendige, über die Grenzen Europas hinaus orientierte Universität ein Pfahl im Fleisch des nationalistischen Minister­präsidenten Viktor Orbán werden würde. Und das keineswegs nur, weil der vom Rechtsaussen­populisten offen antisemitisch attackierte Soros die Institution weiterhin unterstützte.»

Denn, was wollte die Uni? Na, das, was sie «gemäss Universitäts­theoretikern von Wilhelm von Humboldt bis Jacques Derrida tun soll»: lehren und forschen. Bedauerlich nur, dass es die vereinten Anstrengungen von Humboldt (1767 – 1835) und Derrida (1930 – 2004) sowie so vieler Geistesgrössen dazwischen brauchte, um diese Erkenntnis aus den Bergwerken des geistigen Schürfens ans Tageslicht zu befördern.

Können wir irgend eines neuen Gedanken Blässe in diesem Essay erahnen?

  • «Soziologe Robert Merton»
  • «STEM-Fächer»
  • «der Bakteriologe und Wissenschafts­soziologe Ludwik Fleck»
  • Was ist eine Uni? «Eine Gemeinschaft der Forscher beziehungs­weise Dozentinnen, der Studenten und natürlich auch jener, die den Betrieb Tag für Tag ermöglichen. Ohne all diese Angehörigen ist die Universität – nichts.»
  • «War Immanuel Kants durchaus politische Schrift «Der Streit der Fakultäten» nun seine Privat­meinung oder eine Stellung­nahme des berühmten Königs­berger Philosophie­professors?»
  • «renommierte Historikerin wie Ute Frevert»
  • «der Boden für eine neue Differenzierung bereitet: jene von innovations­relevantem und innovations­irrelevantem Wissen, begleitet von einer forcierten Delegitimierung des letzteren».
  • Und dann noch die AfD, die Schweinebacken: «die andere Partei fordert genau das für deutsche Universitäten, was in Orbáns Ungarn gerade passiert: die Gender Studies als akademisch verankerte Disziplin auszumerzen.»
  • Während in der Schweiz die SVP ebenfalls die Axt an die Schweizer Geisteswissenschaften lege.

Irgend ein Anzeichen, dass des Gedankens Blässe über einer neuen Erkenntnis schwebt? Aber nein, damit will der Professor doch den «Republik»-Leser nicht an einem Samstagmorgen vom Beladen des SUV für den Ausflug in die Natur abhalten. Aber immerhin entlässt er uns mit einem Brüller in den Alltag:

«In einer früheren Version haben wir beim Akronym STEM das «M» der Medizin zugeschrieben, richtig ist die Mathematik. Wir bedanken uns für den Hinweis aus der Verlegerschaft.»

Das ist ungefähr so peinlich, wie wenn ein Autojournalist korrigieren müsste: In einer früheren Version habe ich das P in PS dem Pudel zugeschrieben, richtig ist das Pferd.

Von ganz oben nach ganz unten

Steigen wir aus der dünnen Luft höchster Wissenschaftlichkeit in die Niederungen dumpfster Kommentierung der aktuellen Politik:

«Die globale Mindeststeuer für Konzerne steht vor dem Durchbruch. Die Schweiz wird mittun müssen. Schlimm? Im Gegenteil.»

Von wem kann ein solcher Satz sein, an dem schlichtweg alles falsch ist? Genau, da kann es nur einen geben. Die schreibende Schmachtlocke. Der unermüdliche Zeichen- und Fanalsetzer. Der immer grandios alles Besserwisser. Der ewig erhobene Mahn- und Zeigefinger. Der one and only Daniel Binswanger. Was er uns dann mit 10’000 Anschlägen sagen will? Wir sparen uns die sonst verschwendete Lebenszeit.

Dann bliebe noch der 21’000-Riemen

«Obduktion einer vergeigten Kampagne. Wie konnte man eine derart klare Sache nur vermasseln?»

Die Rede ist vom CO2-Gesetz. Mitautor ist das political animal Constantin Seibt. Wollen wir es uns antun, wie er mit einem weiteren Sprachdurchfall einen Artikel vergeigt und vermasselt? Bei dem Wetter, das am Wochenende herrschte? Eben.

 

 

Präsident Zack-Bumm und Leiter zack-dumm

Christof Münger hat sich ein Essay zu vier Jahren Trump abgerungen.

Als «Leiter TA Ressort International»* ist Münger dafür prädestiniert, Recht zu haben. Oder zumindest rechthaberisch zu sein. Wenn er allerdings schon im Titel seines Essays «Präsident Zack-Bumm» unseren Namen missbraucht, kann man nur hoffen, dass er bum falsch geschrieben hat, um einem allfälligen Plagiatsvorwurf zu entgehen.

Ein Essay war einmal, früher, wohl vor der Geburt von Münger, ein anspruchsvolles und angesehenes Gefäss, in dem sich grosse Geister ein Stelldichein gaben. Heute ist es Münger, der die Bezeichnung auf ihre reine Übersetzung zurückschrumpft: ein Versuch.

Münger marschiert unter der Latte durch

Ein misslungener Versuch; aber während man im Stabhochsprung nochmal probieren darf, wenn man die Latte gerissen hat, marschiert Münger einfach ungebremst unter der Latte durch, versucht dabei nicht mal einen kleinen Hopser.

Was kann man also in einem Essay über vier Jahre Trump über den US-Präsidenten Tiefschürfendes sagen? Er blieb im Amt «entfesselt, ungezügelt, hemmungs- und rücksichtslos».

Geht’s noch essayistischer? Sicher: «Donald Trumps Präsidentschaft gleicht einem real gewordenen Comic mit ihm in der Hauptrolle – als Superheld oder Superschurke, je nach Sichtweise.»

Was an Trump alles gross ist und an Münger nicht

Was für eine Metapher, das Wesen des Präsidenten wortmächtig verdichtet, mit diesem Schuss Selbstzweifel «sie gleicht» ja nur einem Comic, kann sich der Versuchende noch steigern? Locker:

«Bei Trump ist alles «big, big, big», ein permanenter Superlativ, von seinem Penis bis zum Trump-Tower.»

Dort kündigte er seine Kandidatur für die Präsidentschaft an. Nein, nicht mit seinem Penis, in seinem Trump-Tower: «Begleitet hat ihn Melania, seine dritte attraktive Gattin.»

O Schande, da gerät der Essayist doch leicht ins Sabbern und man fragt sich unwillkürlich, ob er selbst wohl keinen Tower hat, keine attraktive Gattin und auch keinen, aber lassen wir das.

So geht das nun wahrlich in Blei gegossene rund 18’000 Buchstaben weiter, dabei erscheint das Essay gar nicht in der «Republik», sondern wird von allen Tamedia-Kopfblättern übernommen.

Münger macht den umgekehrten Trump

Münger gelingt dabei das Kunststück, aber unabsichtlich, daher zählt das nicht, sozusagen den umgedrehten Trump zu geben. Während der alles an sich «big» findet, findet Münger alles an ihm medioker, billig, eigensüchtig, klein. Alles, ausser die Anzahl seiner Lügen: Bislang 20’000 mal, hat Münger von Hand nachgezählt. Ach, nein, hat er die «Washington Post» zählen lassen.

Nur mit anderen Irren kann Trump einigermassen, daher seine Sympathie für den kleinen Dicken mit der merkwürdigen Frisur aus Nordkorea, der zwar auch einen roten Knopf hat, aber Trump hat natürlich den grösseren. «Hier hatten sich zwei gefunden», greift Münger in die Harfe.

Einen Erfolg muss Münger einräumen

Hat er denn überhaupt nichts erreicht in diesen vier Jahren? Nun ja, die diplomatische Anerkennung Israels durch die ersten arabischen Staaten, daran kann Münger nicht vorbeihuschen. Also muss er es in den Schraubstock stecken: Das seien alles arabische Länder, mit denen Israel keinen Krieg geführt habe. Und der Nahostkonflikt sei auch noch nicht gelöst, mäkelt Münger.

Dass Trump hier etwas gelungen ist, an dem all seine Vorgänger scheiterten, selbst der Friedensnobelpreisträger Obama, das würde wohl den Rahmen dieses Essays sprengen.

Aber nicht die Erwähnung, wie garstig Trump die deutsche Bundeskanzlerin abgebürstet und ignoriert habe. Zum Antrittsbesuch gab er ihr nicht mal die Hand, jammert Münger. Was die Schweizer Leser natürlich ungemein interessiert.

Kann man den Gehalt dieses Essays zusammenfassen?

Wir versuchen uns an einer Zusammenfassung dieses Epos. Dabei hilft ungemein, dass sein Inhalt und Gehalt erst unter der Lupe erkennbar wird. Trump ist eine Schande, eine Pfeife, ein Lügner, narzisstisch, unfähig, spuckt immer grosse Töne und liefert nie was. So kondensiert Münger seine vier Jahre Trump-Erfahrungen als nun ja, als Leiter des «TA-Ressort International», was ein Euphemismus ist für «wir nehmen sonst aus den deutschen Artikeln die ß raus und kürzen sie auf Schweizer Längen ein».

Aber immerhin, nach seiner Karriere als Primarschullehrer promovierte Münger als Historiker dann über die Berlin-Krise, «wofür er längere Zeit geforscht hat, u.a. in den USA». Na dann; wer vor vielen Jahren John F. Kennedy sagen hörte «ick bin ein Berliner», der ist geradezu überqualifiziert bei der Beurteilung des aktuellen US-Präsidenten.

Welcher Superheld heisst denn Zack-Dumm?

Nur: Wie erklärt denn der USA-Kenner Münger der Welt und sich selbst, dass rund die Hälfte aller Amis finster entschlossen sind, diesen Totalversager, diese Karikatur eines Präsidenten, diese Comic-Gestalt, wiederwählen zu wollen? Sind das etwa alles Comic-Leser? Und welche Figur in der Galerie der Superhelden heisst denn Zack-Bumm? Aber da bleibt der Essayist leider dunkel und verschwiegen. Schade aber auch.

 

*In einer früheren Version hiess es, Münger sei Co-Leiter des Auslands-Ressorts von Tamedia. Er ist aber der Leiter.