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Sancta Sanktion

Mainstream jubiliert. Endlich kein Öl mehr aus Russland.

Fast wäre es dem Urteil im Streit zwischen Amber Heard und Johnny Depp gelungen, die Hammermeldung der Woche zu verdrängen: die EU wird kein Erdöl mehr aus Russland importieren.

Da waren sich die Mainstream-Medien einig: das ist ein weiterer, schwerer Schlag für den kriminellen Kreml-Herrscher. Denn bekanntlich hängt vom Erdöl-Export die russische Wirtschaft ab. Und wenn die EU da nach den USA nicht mehr kauft, dann ist Putin doch wohl am Ende, nicht?

Im Kleingedruckten sind allerdings ein paar Feinheiten versteckt. Der Verzicht auf den Import von russischem Erdöl beginnt – Ende 2022. Also in sechs Monaten. Er betrifft zudem nur Erdölimporte per Schiff; was über Pipelines nach Europa rauscht, fliesst weiter. Schliesslich gibt es jede Menge Ausnahmen und Sonderregeln, damit auch Ungarn diesem Boykott zustimmte.

Sonst noch Fragen? Allerdings.Die USA sind bereits mit gutem Beispiel vorangegangen. Nur: sie importierten ganze 3 Prozent Erdöl aus Russland. Das sieht bei der EU etwas anders aus: 25,4 Prozent, fast ein Viertel.

Auf der anderen Seite, wohin exportiert Russland eigentlich? An erster Stelle steht wenig überraschend insgesamt China; fast 60 Milliarden US-Dollar Exporte, 13,4 Prozent des gesamten Volumens. Danach folgen die Niederlande (44,8 Milliarden, gleich 10,5 Prozent), Deutschland (28 Milliarden, 6,6 Prozent) und nach Weissrussland kommen dann nur noch niedrige einstellige Prozentzahlen.

Bei Erdgas sieht das ganz anders aus, aber die EU hat ja Erdölboykott beschlossen. Wie dramatisch sind diese Sanktionen nun für Russland? Kurze Antwort: überhaupt nicht. Denn ein Boykott funktioniert nur dann, wenn sich ihm die meisten Länder der Welt anschliessen.

Im Fall Erdöl sind das bislang die USA und die EU. Ist das ein «maximaler Druck», von dem EU-Ratspräsident Charles Michel schwärmt? Nicht einmal Japan ist bei dieser Boykottmassnahme dabei, von rund 150 weiteren Ländern der Welt ganz zu schweigen. China, Indien profitieren gerne von Sonderangeboten an russischem Erdöl. Selbst wenn der Kreml Preisnachlässe von bis zu 30 Prozent einräumt: angesichts der Verdoppelung des Rohölpreises innerhalb eines Jahres schmälert das die Gewinne nur unwesentlich.

Mit anderen Worten: die Ankündigung eines Erdöl-Boykotts, der in sechs Monaten in Kraft treten soll, nur Schiffslieferungen betrifft, nicht für alle EU-Staaten gleich gilt, ein Boykott, dem sich mehr als 150 Ländern nicht anschliessen, darunter Schwergewichte wie China und Indien, nutzt genau – nix.

Hingegen schadet er bedeutend den Binnenwirtschaften in der EU; sorgt für stramm steigende Energiepreise, wobei natürlich die verarbeitende Industrie, vor allem, was den Benzinpreis betrifft, kräftig Extraprofite absahnt.

Ist das also ein Erfolg, ein weiterer Sargnagel für Russland, eine wirksame Massnahme, den völkerrechtswidrigen und kriminellen Krieg in der Ukraine zu beenden? Nein, es ist ein Witz, ein jämmerliches Zeichen der Uneinigkeit in der EU. Eine Sanktion, die mehr Löcher als ein Sieb hat.

Es ist ein weiteres Trauerspiel der EU, dem sich die Schweiz aber wohl tapfer anschliessen wird, denn sie hat sich verpflichtet, alle EU-Sanktionen sklavisch zu übernehmen. Die Auswirkungen werden die Völker Europas mindestens so hart wie Russland treffen. Nun gibt es Stimmen, die fordern, dass auch schmerzliche Massnahmen ergriffen werden müssen, um den Expansionsdrang Russland oder sein Bedürfnis, die UdSSR wieder aufleben zu lassen, in die Schranken zu weisen.

Das ist im Prinzip sicherlich bedenkenswert. Nur: ausserhalb der Selbstbekundungen der EU-Politiker und ausserhalb der Mainstream-Medien, die das abfeiern, ist jedem analytischen Beobachter völlig klar: das ist reine Kosmetik. Gehampel, wirkungslos und zum Scheitern verurteilt. Verblüffend ist nur, dass das mal wieder so in keinem Mainstream-Medium dargestellt wird. Hier boykottiert man seit einiger Zeit und sehr erfolgreich die Wirklichkeit.