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Schlichtweg bravo

Dass wir so eine Schlagzeile auf der Front der NZZ noch erleben dürfen …

Wie sich die Zeiten doch ändern. Im Kalten Krieg schrieben in der NZZ die kältesten Krieger gegen die rote Gefahr an. Gegen Fünfte Kolonnen in der Schweiz, gegen alles, was nach Kommunismus roch. Unermüdlich warnten die NZZ-Redakteure, sahen hinter jeder roten Rose eine Verschwörung, die den Bestand der Schweiz bedrohte.

Und jetzt das.

Die NZZ überlässt den angestammten Platz von Eric Gujer dem Wirtschaftsredaktor Gerald Hosp, der verdienstvollerweise ein paar Dinge zurechtrückt.

Zunächst liefert er den heute obligatorischen Obolus ab, wenn man einen Shitstorm dauererregter Gutmenschen vermeiden möchte:

«Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist eine Tragödie. Er bringt menschliches Leid in enormem Ausmass und gewaltige Zerstörungen mit sich. Die wirtschaftliche Grundlage der Ukraine wird ausgehöhlt.
Russland ist der Aggressor, das steht fest. Der russische Staat solle auch für die Schäden zahlen, wird zu Recht gefordert

In diesem Sinne hat der US-Kongress ein Gesetz verabschiedet, das «den Präsidenten dazu ermächtigt, russisches Staatsvermögen in den USA beschlagnahmen zu lassen.»

Wunderbar, endlich, da jubiliert Volkes Stimme. Recht geschieht’s dem Putin-Regime, genau, reich, Russe, das reicht schliesslich auch für Beschlagnahme von Vermögenswerten. Super, dass das in den USA nun auch endlich auf russisches Staatsvermögen angewendet wird. Da müssen dann die europäischen Marionetten, Pardon, die EU-Länder schleunigst nachziehen, und wo bleibt die Schweiz?

Aber was schreibt Hosp denn da?

«Wenn die Gelder direkt eingestrichen würden, würde dies die in den Entwicklungs- und Schwellenländern weitverbreitete Ansicht verstärken, dass sich der Westen nur um das Völkerrecht schert, wenn es ihm gerade passt. Der Vorwurf der Heuchelei und des Diebstahls wäre schnell bei der Hand, zumal die USA und die EU-Staaten nicht direkt mit Russland im Krieg sind. Eine Enteignung der russischen Gelder ist deshalb ein Fehler. Was wäre der Unterschied zum Vorgehen Russlands, ukrainische Weizenfelder zu plündern

Aber was denn, hat nicht auch der Europarat beschlossen, dass einem «Kompensationsmechanismus» konfiszierte Gelder russischer Privatpersonen, Unternehmen und des russischen Staates zur Verwertung übertragen werden sollen?

Auch da setzt Hosp ein Fragezeichen: «Gleichzeitig gilt es laut Europarat, «die Prinzipien des Völkerrechts aufrechtzuerhalten und die privaten Eigentumsrechte zu respektieren». Das ist der springende Punkt. Es ist mehr als nur zweifelhaft, dass dies erfüllt werden kann.»

Dann weist er auf etwas hin, was im Furor schnell vergessen geht:

«Laut dem Völkerrecht gilt prinzipiell Immunitätsschutz: Staaten können nicht einfach auf das Vermögen eines anderen Landes zurückgreifen, was Verlässlichkeit auf internationaler Ebene bringt.»

Und dann zieht er nochmals die feine rote Linie, wo rechtlich noch knapp Haltbares in Illegales umschlägt: «Der Westen reagierte auf die russische Invasion mit einer Blockade von Notenbankgeldern, was zwar auch ungewöhnlich war, aber diesen Vorgaben entspricht. Eine Konfiskation und Weiterverwendung würde aber bedeuten, dass die Massnahme nicht mehr umkehrbar ist, das Geld wäre weg.»

Was bedeutet nun die Entscheidung der USA? «Dadurch wird die Einsicht genährt, dass auf internationaler Bühne das Recht des Stärkeren noch mehr zunimmt als ohnehin schon.
Nun gibt es aber das Problem, dass nur rund zwei Prozent der weltweit gesperrten russischen Staatsgelder in den USA liegen. Rund 200 Milliarden liegen in der EU, «genauer gesagt: bei der zentralen Verwahrungsstelle Euroclear in Belgien».

Und hierzulande?

«Für die Schweiz sind aber aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und des Eigentumsschutzes weder Konfiskationen wie in den USA noch die Verwertung der Erträge wie in der EU ein gangbarer und wünschenswerter Weg. »

Und dann weist die NZZ noch auf einen Präzedenzfall aus dem Jahr 2021 hin: «Die USA konfiszierten nach dem chaotischen Rückzug aus Afghanistan die Währungsreserven der Zentralbank des Landes, was wenig Beachtung fand.»

Man muss diesen Kommentar so ausführlich zitieren, weil er so erfrischend ist wie eine Oase in der Wüste der alle Prinzipien eines Rechtsstaats vergessenden Krakeeler, die Konfiszieren der beschlagnahmten Gelder und ihre Verwertung für die Ukraine fordern. Ohne zu merken, dass sie damit etwas Fatales tun.

Ein Rechtsstaat kann sich mit allem Recht gegen unrechte Handlungen zur Wehr setzen. Dazu ist er legitimiert. Verwendet er aber selbst rechtsstaatlich fragwürdige Methoden – nach der Devise «der gute Zweck heiligt auch böse Mittel » – dann begibt er sich auf eine ganz schiefe Bahn, an deren Ende er sich selbst mehr schadet als demjenigen, der Unrecht tut.

Zu dieser einfachen Erkenntnis sind immer weniger Kommentatoren in der Lage.

Wumms: Constantin Seibt

Während sein Magazin abserbelt, erklärt er der Welt, wie sie zu sein hat.

Was ellenlange Buchstabenreihen betrifft, überlässt Seibt inzwischen das Feld den Google-Erklärern. Aber die grosse Welt beraten, das ist immer noch sein Ding. Die kleine Welt der «Republik», sozusagen ein Minikosmos, um diesen Kalauer nicht vorbeischwirren zu lassen, das interessiert ihn inzwischen weniger.

Aber dafür die ganz grossen Fragen. Da zitiert Seibt, zusammen mit dem offenbar noch existierenden Oliver Fuchs, einen gewissen Lawrence Freedman. Lawrence who? Nun, ein Militärhistoriker im Ruhestand mit viel Zeit.

Obwohl Seibt ansonsten doch für Differenzierung ist, die dann zu ellenlangem Gelaber führt, meint er hier: «Zeit also für eine Bilanz in Schwarz-Weiss. Wegen der Kürze. Aber auch, weil Schwarz-Weiss es in diesem Fall genau trifft.» Also Freedman treffe es genau, stimmt Seibt begeistert zu. Was?

«Das grosse Verdienst der Ukraine und ihres Präsidenten Selenski war nicht nur die Entschlossenheit im Überlebens­kampf, sondern auch die klare Botschaft dabei: Es geht um alles – Faschismus oder Demokratie.»

Wenn es angeblich um alles geht, ist auch alles erlaubt: «Es geht um alles. Sogar diesen Herbst in der Schweiz. Bei der Frage, was zu tun ist – Enteignen der Oligarchen­gelder, humanitäre Hilfe, Änderung des Waffenausfuhr­gesetzes –, gibt es für wählbare Politikerinnen nur eine Antwort: alles.»

Womit sich Seibt aus dem rationalen Diskurs verabschiedet hat und zum antidemokratischen Amok denaturiert ist. Mit seherischen Fähigkeiten, die jedem fundamentalistischem Sektierer eigen sind:

«Deshalb ist der Krieg in der Ukraine ein globaler Krieg: Er spielt sich weltweit in der Innen­politik ab. Man sieht die Spaltung überall: Es gibt die offen Autoritären wie Trump, Bolsanaro, Orbán – oder in der Schweiz Roger Köppel. Und dann die Linken wie Lula, Wagen­knecht und nicht wenige deutsche und amerikanische Intellektuelle: die ein Leben lang überall den Faschismus kommen sahen – und jetzt, da er da ist, ihn nicht sehen.»

Bolsonaro heisst der Mann übrigens, vielleicht sollte die «Republik» dem Overhead noch ein paar weitere Korrektoren hinzufügen.

Aber glücklicherweise erledigt sich das Problem Seibt demnächst von selbst. Wenn die Demokratie rettungslos verloren ist, weil die «Republik» den Sargdeckel über ihrem Millionengrab zumacht.

 

Schwarzer Tag für Schwarzenbach

Justizverbrechen von Fall zu Fall.

Am Beispiel des Geldverwalters und Kunsthändlers und Besitzers des Hotels Dolder Grand lässt sich sehr schön das Funktionieren eines Rechtsstaats aufzeigen.

Urs Schwarzenbach bewegte grössere Geldsummen. Ob das eigenes Geld ist oder er, wie viele vermuten, einfach der Strohmann für den Scheich von Brunei ist, was soll’s. Die flüssigste Methode, heutzutage grössere Beträge herumzuschieben, ist der Kunsthandel. Dort werden seit Jahren Mondpreise für Kunstwerke bezahlt.

Die sind gleichzeitig leicht transportierbar, ein Gemälde kann man rollen und in eine Pappröhre stecken. Und in seinem Privatjet mitführen. Genau das tat Schwarzenbach regelmässig, und dafür wollte die Zolldirektion 11 Millionen für Kunstwerke, die Schwarzenbach am Zoll vorbeigeschmuggelt hatte.

Das zahlte er nicht, erhob auch Beschwerde gegen Zahlungsbefehle. Das führte dann zur spektakulären Aktion, dass im Dolder Grand vor staunenden Gästen diverse Kunstwerke abgehängt und beschlagnahmt wurden. Zum Schluss unterlag Schwarzenbach vor dem Bundesgericht.

Das ist ihm nun auch in zwei Verfahren gegen die Kantonalzürcher Steuerverwaltung passiert. Schon zuvor wurde er zur Nachzahlung von 40 Millionen Franken verurteilt. Darauf kommen nun noch weitere 120 Millionen. Plus Zinsen. Plus die Verfahrenskosten von insgesamt 290’000 Franken. Plus Anwaltskosten.

Ein kleines Sparpotenzial gäbe es höchstens bei seinem Sprecher. Es braucht eigentlich keinen Katastrophen-Sacha Wigdorovits, um auf Anfrage zu knirschen: «Herr Schwarzenbach bedauert, dass das Bundesgericht seinen Argumenten nicht gefolgt ist, und ist mit diesem Urteil nicht einverstanden.»

Das ist sein gutes Recht, so wie es sein Recht war, seine Ansicht durch alle Gerichtsinstanzen zu verteidigen. Was dazu führte, dass erst jetzt ein Steuerfall abgeschlossen ist, der die Zeit von 2005 bis 2013 betrifft. Langsam mahlende Mühlen.

Zweierlei Recht?

Ganz anders sieht es allerdings aus, wenn man über zwei Eigenschaften in der Schweiz verfügt. Einen russischen Nachnamen und bedeutende Vermögenswerte. Dann funktioniert der Rechtsstaat so: mit seinem russischen Nachnamen kommt der Besitzer in irgendwelchen Reichen-Listen vor. Gerne genommen werden die Aufstellungen der Zeitschrift «Forbes». Ist das so, genügt das, allenfalls noch ergänzt durch einen fotografischen Beweis, dass der Russe irgendwann einmal im gleichen Raum wie Wladimir Putin war, damit er auf eine Sanktionsliste der USA kommt.

Ist das der Fall, müssen alle Finanzhäuser, Firmen und Geschäftspartner blitzartig auf Distanz zu diesem Russen gehen. Gleichzeitig wird diese Sanktion von der EU übernommen, was bedeutet, dass sie automatisch auch von der Schweiz übernommen wird. Ein schönes Beispiel nebenbei, dass die automatische Übernahme ausländischer Rechtsentwicklungen mehr als problematisch ist. Denn die Schweiz hat keinerlei Möglichkeit, sich eine eigene Meinung über die Rechtmässigkeit dieser Sanktion zu bilden.

Ist der Russe so sanktioniert, dann beginnt die Beschlagnahme aller seiner Vermögenswerte, die mit ihm in Verbindung gebracht werden können. Dafür muss er als sogenannter beneficial owner identifiziert werden, also als eigentlich Nutzniesser. Auch das ist nicht immer so einfach, denn reiche Personen neigen ganz allgemein dazu, ihre Vermögen in eher komplizierten Holding- und Truststrukturen aufbewahren zu lassen.

Was übrigens fast immer völlig legal ist. Obwohl die ewigen Schreihälse beim Ausschlachten gestohlener Geschäftsunterlagen, auch als «Leaks» oder «Papers» bekannt, immer insinuieren, dass alleine die Tatsache, im Besitz einer solchen Konstruktion zu sein, automatisch das Verdikt «illegitim» verdiente, das Ersatzwort für illegal, das Einstiegswort zu Schwarzgeld, Steuerhinterziehung, krumme Geschäfte, asozial, verantwortungslos, egoistisch.

Die Beweisumkehr

Nun ist die Sicherheit solcher Konstrukte auch nicht mehr das, was sie einmal war. Also wird die Jacht, die Villa, die Kunstsammlung, der Safe mal beschlagnahmt. Sollte der reiche Russe nicht nur Besitzer davon sein, sondern die Wertgegenstände wider Erwarten auch legal erworben haben, soll er das doch erst mal beweisen.

Es gibt allerdings eine kleine Ausnahme von dieser Regel. Ist der Oligarch nicht nur reich und Putin nahe, sondern spielt er eine wichtige Rolle in der Versorgung Europas mit Rohstoffen, dann hat er (vorläufig) Schwein gehabt. In diesem Fall, und nur in diesem, kommt er auf keine Sanktionsliste.

Man sieht den Unterschied und ist verstimmt. Im Fall Schwarzenbach musste nachgewiesen werden, dass er zu Recht zur Zahlung dieser Summen aufgefordert wurde. Er musste nicht beweisen, dass er in Wirklichkeit unschuldig und nicht zahlungspflichtig sei. Das ganze Prozedere dauerte fast 20 Jahre; erst jetzt sind diverse Summen zur Zahlung fällig.

Im Fall eines russischen Reichen gilt Rechtsstaat pervers. Bei ihm braucht es keinen rechtsgültigen Zahlungsbefehl, es braucht auch keine langwierigen Gerichtsverfahren. Sein Eigentum wird schlank und ratzfatz enteignet. Eigentumsgarantie, Unschuldsvermutung, Recht auf ein ordentliches Verfahren? Ach was, besondere Umstände erfordern besondere Massnahmen. Es gilt die Schuldvermutung; der Beschuldigte soll halt seine Unschuld beweisen, dafür steht ihm der Rechtsweg offen.

Ganz wilde Abenteurer im Rechtsstaat fordern inzwischen sogar, dass diese eingezogenen Vermögen verwertet und der Ukraine ausgehändigt werden sollen. Feuchte Träume kommunistischer Revolutionäre könnten wieder einmal wahr werden. Diesmal nur im Kapitalismus.

 

Eigentum war gestern

Feuchte Revolutionsträume werden wahr. Nehmt den Reichen ihr Geld weg! Heuchelei und Doppelmoral, Part II.

Nach der Oktoberrevolution von 1917 flüchteten viele reiche Russen ins Ausland, auch in die Schweiz. Oftmals konnten sie nur einen kleinen Teil ihrer Vermögen mitnehmen, meistens in Form von Kunstwerken oder Fabergé-Eiern oder Ähnlichem.

Während ihre Besitztümer in Russland enteignet und verstaatlicht wurden, verliessen sich die reichen Russen darauf, dass im Kapitalismus Eigentum respektiert und nicht angetastet wird. Damit hatten sie Recht, und ihre Nachkommen leben zum Teil heute noch in der Schweiz. Angenehm und wohlhabend.

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR und den wildwest-kapitalistischen Zuständen ab Anfang der 90er-Jahre hielten es viele reich gewordene Russen für eine gute Idee, ihre Reichtümer und sich selbst im Ausland in Sicherheit zu bringen. Denn der neue Alleinherrscher Wladimir Putin exekutierte am reichsten Oligarchen ein Exempel, nahm dem fast seine gesamten Besitztümer weg und steckte ihn für ein paar Jahre in ein Arbeitslager.

Das alles überlebte Michail Chodorkowski nur deswegen, damit er als abschreckendes Beispiel Kunde davon geben konnte, dass es keine gute Idee ist, sich dem Machtanspruch Putins in den Weg zu stellen.

Andere Oligarchen starben im Ausland unter merkwürdigen Umständen, wenn sie meinten, aus der Sicherheit des Exils in London kritische Bemerkungen Richtung Putin machen zu können.

Eigentum ist im Westen sicher – oder auch nicht

Aber ob Putin-Sympathisant oder -gegner: alle reichen Russen waren sich sicher, dass hier im Westen Eigentum, Besitz respektiert wird. Dass nicht plötzlich und nach vielen Jahren gefragt wird, wie und wo denn diese Vermögen erworben wurden. Dass der reiche Russe nicht plötzlich auf sogenannte Sanktionslisten gerät. Einfach deshalb, weil er in irgendwelchen Listen von Superreichen auftaucht, einen russischen Nachnamen trägt und zu allem Übel irgendwann einmal mit Putin zusammen fotografiert wurde.

Selbst das muss nicht sein, reich und Russe reicht heutzutage, um sein Geld loszuwerden. Und seine Jacht. Und seine Villa. Und seine Autosammlung. Und seine Fabergé-Eier. Und seinen Aktienbesitz. Dass von einem Tag auf den anderen Konten gesperrt werden und Kreditkarten nicht mehr funktionieren: Kollateralschaden, wenn schon, denn schon.

Nun ist die Begründung der Beschlagnahme bereits recht dünn. Durch Geschäfte in Russland reich geworden, kein öffentlicher Widerspruch an der Invasion der Ukraine, immer noch Firmenbesitz in Russland: reicht. Ausser, der Russe ist zwar reich und Putin-nah, aber er spielt eine gewichtige Rolle im Rohstoffhandel. Dann ist er (vorläufig) noch aus dem Schneider und kann schauen, wie er seine Vermögenswerte rechtzeitig in Sicherheit bringt.

Beschlagnahme und Verwertung und Diebstahl

Beschlagnahme heisst, dass Gelder, Konten, Jachten, Besitztümer dem Zugriff des Besitzers entzogen werden. Aber ansonsten unangetastet bleiben. Nun vermeldet die «SonntagsZeitung»:

«Nächste Woche wird die SP im Nationalrat eine Motion einreichen, die verlangt, dass die Schweiz autonom Gelder von sanktionierten Personen nicht nur einfrieren, sondern «einziehen und einem bestimmten Zweck zuführen kann».

Dass die SP ihren alten Traum noch nicht aufgegeben hat, den Reichen ihr Geld wegzunehmen, um es einer angeblich besseren Verwendung zuzuführen, logo. «Ich unterstütze es, wenn wir die konfiszierten Gelder aus Russland als eine Art Akontozahlung für den Wiederaufbau verwenden.» Dass das der Rechtsanwalt und FDP-Vizepräsident Andrea Caroni sagt, verblüfft hingegen.

Immerhin sieht Caroni noch eine Chance für reiche Russen, diesem Schicksal zu entgehen: «Diesen Leuten müsse man zumindest die Möglichkeit einräumen, sich definitiv von Putin loszusagen, um von den Sanktionslisten gestrichen zu werden.»

Bereue, schwöre ab, sage dich vom Satan los; so forderte das die katholische Kirche im Mittelalter ein, und war der Sünder nicht willig, dann überzeugte ihn die Streckbank oder ins Maul gegossenes glutheisses Blei.

Ukraine ändert die Rechtmässigkeit von Besitz

Zu solchen Methoden greifen aufgeklärte Zeitgenossen natürlich nicht mehr. Sie vergreifen sich ja auch nicht am Körper des reichen Russen, sondern an seinem Eigentum. Das zum Teil mehr als 30 Jahre lang in der Schweiz sehr willkommen war, von Bankern gehegt und gepflegt wurde, von Immobilienmaklern gerne entgegengenommen, und überhaupt die Luxusindustrie in der Schweiz freute sich zusammen mit Hotel- und Restaurantbesitzern, dass neureiche Russen es gerne krachen lassen und klaglos die Folgen bezahlen.

Aber die Ukraine ändert das alles. Fertig Toleranz, so geht das nicht. Wer sein Vermögen im Umfeld eines Unrechtsregimes erworben hat, das zudem einen schmutzigen Krieg führt, dem soll es weggenommen, verwertet und einem guten Zweck zugeführt werden.

Das gilt dann doch hoffentlich für alle, oder nicht? Oder nicht, denn bislang ist kein einziger Fall bekannt, dass einem saudischen Scheich in der Schweiz seine Besitztümer beschlagnahmt oder gar verwertet wurden. Obwohl der sein Geld auch im Umfeld eines Unrechtsregimes erworben hat, das zudem einen schmutzigen Krieg führt, und zwar schon seit acht Jahren im Jemen.

Heuchelei und Doppelmoral im Doppelpack

Wieso wird denn dann beim Scheich nicht der gleiche Massstab angelegt? Gibt es irgendwelche sachdienlichen Hinweise auf Unterschiede zum Oligarchen? Nein, es gibt keinen einzigen. Diese bodenlose Heuchelei und Doppelmoral erklärt sich nur daraus, dass Saudi-Arabien ein Verbündeter des Westens ist, dessen schmutziger Krieg mit milliardenschweren Waffenlieferungen unterstützt wird. Und von dem der Westen noch abhängiger sein wird, wenn tatsächlich ein Ölembargo gegen Russland zustande kommt.

Der wichtigste Grundpfeiler einer aufgeklärten kapitalistischen Gesellschaft wird ohne Not angesägt. Die Eigentumsgarantie ist zwar nicht unbegrenzt, aber Enteignung darf nur nach einem rechtsstaatlichen Prozedere erfolgen. Eigentlich. Beschlagnahmung ist in der Sanktionsgesetzgebung sogar vorgesehen. Aber Verwertung und Wegnahme nicht.

Warum nicht andere auch enteignen?

Sollte das passieren, hätten wir eine absurde Wiederholung der Geschichte. Nur werden diesmal nicht von Russland, sondern von der Schweiz Vermögenswerte reicher Russen geklaut.

Als Sahnehäubchen servieren uns hier alle, die für solche Sanktionen sind und die Enteignung russischer Reicher mit viel Moralinsäure fordern, einen widerlichen Anblick von Doppelmoral, von unterschiedlichen Massstäben. Denn jede Massnahme gegen eine reichen Russen, die nicht auch gegen einen reichen Saudi gerichtet ist, enthält eine Riesenportion an Heuchelei.

Und wenn wir schon dabei sind: wie wäre es denn mit der Enteignung reicher Amis? Solcher, die am schmutzigen Krieg in Vietnam verdient haben, am völkerrechtswidrigen Einfall im Irak. Am völkerrechtswidrigen Eingreifen in Ex-Jugoslawien. Oder gleich, da kämen dann noch Engländer, Franzosen und Deutsche dazu, wieso nicht Enteignung von allen Profiteuren am schmutzigen Krieg im Jemen? Das Land hätte es nach 8 Jahren Gemetzel und Zerstörung auch dringend nötig, etwas Aufbauhilfe zu bekommen.

Es ist leider zu befürchten, dass nicht alle, aber einige russische Reiche einen intakteren moralischen Kompass haben als all diese Politiker in der Schweiz, die populistisch Enteignung, Verwertung und Umnutzung von Privatvermögen fordern.

Kleine Abschlussfrage: Gibt es denn keinen einzigen Schweizer, der von Putins Regime profitiert hat? Den gibt es sicherlich, und wieso sollte der sein Vermögen behalten dürfen?

Füttert die Armen!

Eine klare Ansage. Und besser als das Verteilen des Geldes fremder Leut.

Zu den Lieblingsbeschäftigungen aller guten Menschen, die unermüdlich Solidarität einfordern, gegen Diskriminierung ankämpfen, für eine offene Gesellschaft, für Willkommenskultur eintreten, ist das Verteilen von Geld. Nicht vom eigenen, versteht sich.

Entweder mit dem allgemeinen Ansatz: das kann sich doch eine reiche Schweiz leisten. Oder mit dem Ansatz: nur Unmenschen können da zuschauen. Interessant ist dabei, dass es eigentlich immer um das Verteilen von fremdem Geld geht. Sehr, sehr selten um einen eigenen Beitrag.

Denn das persönliche Beispiel, das sollen doch gefälligst andere geben. Am liebsten wird dabei eine Gruppe ins Visier genommen, deren Sozialprestige sowieso nicht sonderlich hoch ist: die Reichen. Entweder die Reichen ganz allgemein oder die furchtbar Reichen.

Wobei unterstellt wird, im erweiterten Sinne des alten Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon: «Eigentum ist Diebstahl». Denn kann grosser Reichtum anders als unrechtmässig, zumindest unmoralisch, sicherlich nicht aus eigener Kraft, sondern durch die Ausbeutung anderer erworben worden sein?

Kann es angehen, dass Leute wie Bill Gates oder Carlos Slim oder gar Warren Buffett jeden Morgen wie Dagobert Duck ein belebendes Bad in ihrem bis an den Rand gefüllten Geldspeicher nehmen, während es so viel Armut, Elend, Hunger, Tod auf der Welt gibt?

Grosse Probleme brauchen grosse Lösungen. Wer solche Forderungen aufstellt, fühlt sich ganz gut dabei:

Allerdings ist das an Dummheit nicht zu überbieten. Also alle Profiteure einer Börsenhausse, vielleicht auch die Pensionskasse des Verfassers, sollen rechtmässig erworbene Gewinne spenden? Wunderbar, und wofür genau?

«Für die Bewältigung der aktuellen Krise».

Wunderbar, welche genau? Die Pandemie-Krise? Die Wirtschaftskrise? Die Denkkrise? Die Klimakrise? Die Regierungskrise? Es gibt leider so viele aktuelle Krisen, dazu noch im In- und Ausland, da darf man doch mal nachfragen. Nehmen wir an, die 115 Milliarden sollen in der Schweiz verpulvert werden. Wie genau soll damit was «bewältigt» werden?

Wäre das nicht unsolidarisch gegenüber den viel grösseren Krisen auf der Welt? Hätten es afrikanische Staaten nicht viel nötiger als wir hier in der Luxus-Schweiz? So viele Fragen, so keine Antworten.

Sollten wir dann für Börsenverluste spenden?

Es ist davon auszugehen, dass der Verfasser dieses Handzettels selbst nicht an der Börse aktiv ist. Auch nicht für eine Firma arbeitet, deren Aktien dort gehandelt werden. Auch keinen kennt, der das tut. Es auch seiner Bank strikt verboten hat, da mitzuspielen.

Um die Dumpfbackigkeit dieses Unsinns deutlich zu illustrieren: wie wäre es denn im umgekehrten Fall? Wenn 115 Milliarden an der Börse oder sonstwie verlorengingen? Müssten wir dann solidarisch diesen Betrag spenden? Um die dadurch ausgelöste Krise bei den Investoren, bei den Reichen zu bewältigen?

Schliesslich, wenn die Frage gestattet ist: welchen Beitrag leistet denn der Autor dieser Forderung zur Bewältigung der aktuellen Krise, was immer die auch sein mag? Als Dichter, Künstler und Performance-Poet, als Rapper kann er sicherlich sein Scherflein beitragen.

Auch wenn das nur aus wohlfeilen Ratschlägen an andere besteht. Auch wenn er nur Geld verteilen möchte, das ihm nicht gehört. Auch wenn er nur die Welt so simpel machen will, dass er sie versteht. Auch wenn dadurch alles unverständlich wird.