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JSH und die Kinder

Wenn die Eitelkeit siegt, wird’s aschgrau.

Auch Jolanda Spiess-Hegglin will sich ein Scheibchen vom Nachruhm Endo Anacondas abschneiden. Gemeinsames Foto, Erinnerungen an Konzerte. Alles erlaubt. Foto für den Twitter-Account ändern: warum nicht, Endo kann sich ja gegen nichts mehr wehren.

Aber dann wird’s ganz schummerig:

Dafür postet die Kämpferin gegen Hass und Hetze, die Beschützerin aller potenziellen Opfer im Internet, wozu sicherlich auch Kinder gehören, ein Foto von der familiären Fotosammlung. Wir geben es hier so beschnitten wieder, dass man die Kinder nicht erkennen kann (im Original schon).

Dabei wissen inzwischen selbst nicht engagierte Netzkämpfer, dass das Posten von Kinderfotos in jeder Form und in jedem Zusammenhang eine heikle Sache ist. Aber wenn die Eitelkeit siegt …

My oh my

Sein Blues war so gültig, dass wir gar nicht dachten, dass er verstummen könnte.

Wer sich den Künstlernamen Endo Anaconda gibt, kann mit der Sprache spielen wie mit einer Geliebten.

Er hat nichts ausgelassen. Den Schmerz, die Drogen, das verpfuschte Leben, das erfüllte Leben, das pralle Leben.

Er konnte seine Musik reduzieren, weil er selbst so ein barocker Mensch war. Seine Begleitband spielte das Einfache, das so verdammt schwer zu spielen ist.

Er brauchte kein Gehabe und kein Gehampel. Er sang nicht, er lebte seine Lieder.

Er ist gar nicht weg. Sicher nicht. Wir wissen doch, wo er jetzt ist. Natürlich, in Wallisellen. Denn wer es schafft, diesem Unort Seele und Schmerz zu geben, der ist gar nicht weg. Der ist auch nicht in elysischen Gefilden, und schon gar nicht in der Hölle.

Man muss nur darauf achten, wenn man durch Wallisellen fährt. Im Augenwinkel, als Schatten, als übergrosse Gestalt steht da einer, trägt einen Hut, wie ihn sonst nur Leonard Cohen mit Würde anhatte.

Ist gepflegt schlampig angezogen, macht aus jedem Ton ein kleines Kunstwerk, macht aus Asphalt Poesie, aus Asche ein Feuer, aus betoniertem Grauen ein Gedicht. Aus einem Gedicht ein Lied, und das bleibt. Aus Momenten kleine Ewigkeiten machen, aus Vergänglichem Gültiges, das können nur wenige Künstler. So wie er.

Seine Stimme bleibt. Sein Leid, seine Leidenschaft. Weil er nicht sang, sondern sich in seine Lieder hineinwarf. Mit allem, was er hatte. Und damit sein Publikum eroberte. Aber nicht besiegte, sondern bereicherte.

Selbst ein Walliseller wusste nach einem Konzert von Endo, dass Leben Leidenschaft ist. Sehnsucht, scheitern, besser scheitern. Traurig-komisch scheitern, aber damit über sich hinauswachsen. In die Höhen, wo Poesie auf den Schwingen des Liedes fliegt.

Er hat uns alle erhoben, dafür sind wir zutiefst dankbar und bleiben berührt.

6. September 1955,  † 1. Februar 2022.