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Eine SRF-Klamotte erster Klasse

Ein SRF-Dok-Film verkauft Altbekanntes neu verpackt.

Vor einigen Tagen strahlte SRF den Dok-Film «Ems-Chemie – die verborgene Geschichte» aus. Und so beschreibt SRF den Film: «Nach Ende des Zweiten Weltkriegs engagierte die Ems-Chemie zahlreiche deutsche Chemiker mit Nazi-Vergangenheit – unter anderem mit Johann Giesen sogar einen verurteilten Kriegsverbrecher.»

Eine heisse, ja verstörende Story. Wer den Film ohne Hintergrundwissen schaut, ist beeindruckt. Autor Hansjürg Zumstein scheint in jahrelanger Recherche Brisantes herausgefunden zu haben. Johann Giesen war während des Zweiten Weltkriegs Direktor beim grössten deutschen Industrieunternehmen IG Farben. Diese unterhielt unweit des Todeslagers Auschwitz eine grosse Fabrik mit Kriegsgefangenen als Zwangsarbeiter. Johann Giesen behauptete immer, er habe von den Zusammenhängen und vom Vernichtungslager Auschwitz nichts gewusst. Trotzdem musste er sechs Jahre ins Gefängnis. Dann holte ihn der damalige Ems-Besitzer Werner Oswald nach Graubünden. Er sollte die Firma in die Zukunft führen. Von der behäbigen Herstellerin von synthetischem Benzin in den Kriegsjahren zur führenden Fabrik für Kunstfasern. Das Unterfangen gelang. Dank viel Know-How aus Deutschand und vielen Forschern aus Ostdeutschland.

So weit, so schlimm. Doch wie Oswald sich in Deutschland bediente, bringt Hansjörg Zumstein scheinbar als neue Recherche. Im Film fällt kein Wort darüber, dass die ganze IG Farben-Story schon vor gut 20 Jahren auf dem Portal onlinereports.ch thematisiert wurde. «Das Spezialchemie-Unternehmen profitierte von Johann Giesen, der in der Nazi-Zeit in Auschwitz tätig war», so die Zusammenfassung jenes umfassenden Textes. Immerhin: Der damalige Co-Autor Lukas Straumann darf im aktuelle SRF-Film auftreten als Historiker. Dafür filmt sich Zumstein quasi selber, wie er analog einem Kriminalistiker mit Pfeilen die Verbindung zwischen Oswald und Giesen aufzeigt und das dunkle Geheimnis mit einem Hakenkreuz kennzeichnet.

Dabei war onlinereports.ch lediglich der Anfang. Noch detaillierter beschrieb vor acht Jahren Martin Kreutzberg das brisante Thema in der WOZ. Hier ein Auszug:

Nach dem Krieg wurde die IG Farben zerschlagen. Nebenbei errangen die USA so in Sachen Nylon eine marktdominierende Stellung. In West- wie in Ostdeutschland wurde versucht, an die alte Erfolgsgeschichte von Perlon anzuknüpfen. In der Kunststoffchemie gab es insbesondere in Ostdeutschland, in Sachsen und Thüringen, moderne Produktionsanlagen. In Schkopau, Leuna und Schwarza ballte sich Fachwissen von Wissenschaftlern und Ingenieuren.

Da erscheint plötzlich, Anfang 1953, die Holzverzuckerungs AG (Hovag) aus Domat/Ems in Graubünden mit einem Konkurrenzprodukt auf dem Weltmarkt: Grilon. Quasi aus dem Nichts. Hergestellt von einer in der Branche unbekannten Firma, aus der zehn Jahre später die Ems-Chemie werden sollte.

Holzverzuckerung hat mit moderner Kunststoffchemie so viel gemeinsam wie eine Dampfmaschine mit einem Laptop. Und nun also Grilon. Ein Wunder. Oder ein Stück generalstabsmässig ausgeführtes Wirtschaftsraubrittertum. Denn seit 1947 hat die Hovag mit einem ehemaligen Naziwissenschaftler zusammengearbeitet, und im folgenden Jahrzehnt wirbt sie in mehreren Wellen Fachleute aus Ostdeutschland samt Produktionsgeheimnissen ab. So entstehen in der Schweiz Milliardenvermögen.

Da wäre also fast die ganze Handlung des SRF-Films zusammengefasst. Nur besser.

Einziger Pluspunkt für Hansjürg Zumstein: Er hat herausgeschält, dass ein damaliger SP-Nationalrat nach dem Weltkrieg eine wichtige Rolle spielte. Robert Grimm setzte sich an höchster Stelle dafür ein, dass Johann Giesen in der Schweiz arbeiten durfte. Trotz seiner Vorstrafe nach der Verurteilung bei den Nürnberger Naziprozessen.

Der gross angekündigte SRF-Film warf medial bisher fast keine Wellen, trotz den Verstrickungen eines SP-Vertreters mit den damaligen Emser Werken. Warum wohl? Vielleicht doch, weil die Kritik nicht ganz so neu ist? Einzig Kulturredaktor Andreas Tobler von der Tamedia nahm den Faden auf. «Blocher geschäftet auch mit Sündern», lautet der Titel seines Artikels. Für Tobler ist klar, Hansjürg Zumstein hat als Erster die Frage aufgeworfen, wie die Ems-Chemie in ihrer Erfolgsgeschichte von Nazi-Chemikern profitierte. Kein Wort, dass SRF nachgekaut hat, was andere längst recherchiert und bewiesen hatten.

Was sagt Hansjürg Zumstein zur Kritik? Via SRF-Medienstelle wehrt er sich: «Die Geschichte wurde nicht vor 20 Jahren durch onlinereport oder Martin Kreutzberg enthüllt, sondern im Jahr 2001 durch die Bergier-Kommission öffentlich gemacht. Darüber hat das Schweizer Radio Fernsehen SRF damals als erstes Medium berichtet.

Die Quelle der Informationen, nämlich die Bergier-Kommission, wird im Dokumentarfilm denn auch prominent erwähnt, ja es treten sogar drei Mitglieder der Kommission im Film auf.

SRF hat aufgrund der Bergier-Information zusätzlich noch Aspekte der Rolle von Robert Grimm neu recherchiert. Und noch eine Zusatzinformation: Lukas Straumann war der Autor des onlinereports. Er tritt im Film prominent auf.»