Wirtschaft-Journis haben keine Ahnung
Wer Arbeitsplatzsicherung betreibt, macht Sport oder Wirtschaft.
Sport ist noch einigermassen einfach. Da muss das Runde ins Eckige, ist Djokovic im Zweifelsfall ein Corona-Leugner, und sonst muss man nur das Vokabular und die Resultate im Griff haben. Die einzige Gefährdung besteht darin, dass KI diese Berichterstattung problemlos übernehmen kann.
Wirtschaft ist nicht ganz so einfach. Bereits beim Lesen einer Bilanz oder der Beantwortung der trivialen Frage, ob das Eigenkapital unter Aktiven oder Passiven aufgeführt wird, scheitern die meisten sogenannten Wirtschaftsjournalisten.
Ihnen hilft lediglich, dass grosse Unternehmen oder Banken ihnen mundgerecht und artikelfertig Wordings liefern, die sie einfach übernehmen können. Der eigene Name drüber oder drunter, fertig ist die «Analyse».
Erschwerend kommt noch hinzu, dass auch die Medienhäuser ihren Finanzbedarf bei einer Bank regeln müssen. Und da wäre es doch irgendwie blöd, wenn man die öffentlich in die Pfanne haut, während der Besitzerclan gerade einen neuen Kredit verhandelt.
Da hilft dann weitgehende Freiheit von Kenntnissen ungemein. Nehmen wir die aktuelle Debatte darüber, ob die UBS mehr Eigenkapital braucht oder nicht.
Die UBS meint überraschungsfrei: oder nicht. Das hat einen einfachen Grund. Eigenkapital liegt im Normalfall blöd rum, generiert keine Rendite. Deshalb hasst der Banker Eigenkapital, denn es ist nicht bonusrelevant.
Zudem haben die Geldhäuser den einfachen Begriff Eigenkapital in einen unverständlichen Dschungel von Begrifflichkeiten verwandelt. Hartes, eigentliches, Tier 1 bis x, bedingtes, wandelbares, so oder so oder anders gemessenes, die Idee ist, dass eigentlich niemand mehr kapiert, wie viel wirkliches Eigenkapital die Bank hat.
Dabei wäre es doch ganz einfach: natürlich müsste die UBS mehr Eigenkapital haben. Dass sie sich dagegen wehrt, ist der klarste Indikator, dass sie es braucht. Zur Debatte steht der Peanutsbetrag von zusätzlich 20 Milliarden Franken, bei einem Bilanzvolumen von 1717 Milliarden Dollar im Jahr 20223.
Ebenfalls 2023 verfügte die UBS über ein Eigenkapital von 78 Milliarden Dollar. Das ist eine Eigenkapitalquote von lachhaften 4,54 Prozent. Zusätzlich 20 Milliarden wären 1,16 Prozent obendrauf. Zum Grölen.
Ein Alleinstellungsmerkmal wäre, wenn die UBS ein Eigenkapital von 20 Prozent hätte, wie es von vielen ernstzunehmenden Fachleuten gefordert wird. Ds wären dann allerdings 343,4 Milliarden.
Was ist eigentlich der Sinn von Eigenkapital? Ganz einfach, es ist ein Puffer in Krisenzeiten. Es ist noch etwas anderes. Gesundes Eigenkapital schafft Vertrauen. Vertrauen ist aber die Grundlage des Banking. Das Problem dabei: Banker quatschen gerne von Vertrauen, aber Massnahmen, die ihren Bonus oder ihr exorbitantes Gehalt schmälern könnten, hassen sie wie die Pest.
Also labern sie von Morgen bis Abend von Vertrauen als wichtigstem Asset, als Grundlage jeder Kundenbeziehung, als existenziell für jede Bank. Aber das sehen sie als Soft Factor; geht es um konkretes Untermauern dieses Vertrauens, kneifen sie.
Neben dem Eigenkapital gibt es einen zweiten wichtigen Faktor in einer Krise. Die Liquidität. Bei einer Bilanz von 1700 Milliarden würden selbst 343 Milliarden schnell verpuffen, wenn ein Bank Run einsetzt; also viele Kunden gleichzeitig ihr Geld abziehen wollen.
Aber Liquidität lässt sich, im Gegensatz zu Eigenkapital, in Krisen schnell beschaffen. Dafür steht im Ernstfall die Notenbank («whatever it takes») bereit. Oder eben auch nicht, wie der Fall Lehman Brothers bewies. Diese Zockerbude erfüllte – wie die Credit Suisse – bis zuletzt alle regulatorischen Anforderungen ans Eigenkapital. Aber der Lender of last Resort, eben die staatliche Notenbank, weigerte sich, mit Liquidität auszuhelfen.
Also ging Lehman bankrott, der Startschuss zur Finanzkrise eins 2009.
Aber zurück in die Gegenwart. Die UBS ist die einzige Bank auf der Welt, die gleich zweimal vor dem Abgrund gerettet werden musste. Das erste Mal, als sie sich grauenhaft im US-Immobilienmarkt, im Derivatezoo durchgedrehter Investmentbanker, verspekuliert hatte. Und das zweite Mal, als die US-Steuerbehörden ihre Eier quetschten und ultimativ die Auslieferung von Kundendaten forderten – oder sonst wird der Stecker rausgezogen.
Zweimal rettete der Staat. Das erste Mal mit Milliardengarantien, das zweite Mal mit dem Schleifen des Bankgeheimnisses.
Vor über einem Jahr servierte der UBS der Staat die Credit Suisse, ihren letzten Konkurrenten, auf dem Silbertablett zum Schnäppchenpreis von 3 Milliarden Franken. Das ergab einen Sondergewinn von 24 Milliarden in einem Quartal bei der UBS. Zudem wurden ihr Kredite in der nominalen Höhe von 17 Milliarden Dollar geschenkt, indem die per Federstrich auf null abgeschrieben wurden. Was weltweit eine Klagewelle gegen den Schweizer Staat ausgelöst hat.
Und diese UBS, mit den beiden Führungsfiguren Ermotti und Kelleher, die vor Wichtigkeit und Aufgeblasenheit kaum geradeaus laufen können, motzt nun öffentlich dagegen, dass sie ihr Eigenkapital minimal erhöhen sollte.
Dafür müsste sie von jedem Wirtschaftsjournalisten, der auf drei zählen kann und etwas Ehre im Leib hat, täglich gemassregelt, beschimpft, kritisiert werden.
Nur: das liest man nicht täglich. Aus zwei Gründen. Die meisten Wirtschaftsjournalisten kapieren selbst solch einfache Zusammenhänge nicht. Und wer es kapiert, wird gerne von einem Vorgesetzten darauf hingewiesen, dass es jetzt nicht so eine gute Idee sei, die letzte international tätige Schweizer Bank zu beschimpfen, die das Medienhaus gerade für eine neue Investition in Asien oder Afrika brauche.
Man kann das Ganze auch als banalen Schwanzlängenvergleich interpretieren. Zum Wettkampf angetreten sind der Bundesrat, die Bankenaufsicht FINMA, die Schweizerische Nationalbank und die UBS. Wer gewinnt? Die Vergangenheit deutet auf einen klaren Sieger. Und nein, es ist keine staatliche Institution.