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Wolkenschieberei

Klima-Urteil und kein Ende.

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) hat bekanntlich die Schweiz verurteilt. Geklagt hatten sogenannte Klima-Senioren; sie seien in ihren Menschenrechten verletzt, weil die Schweiz nicht genügend fürs Klima tue.

Das wurde natürlich als grosser Sieg für alle Klimabesorgten und Klimaretter gefeiert. Allerdings auch scharf kritisiert, zur bösen Überraschung der Verantwortlichen auch von einer grünen, ehemaligen Bundesrichterin, die kein gutes Haar an dieser Entscheidung und an anderen, bspw. über das Racial Profiling, liess.

Dann hat die Rechtskommission des Ständerats nachgedoppelt. Mit zehn zu drei Stimmen verabschiedete sie die Aufforderung an den Bundesrat, er solle die Gremien des Europarats darüber informieren, «dass die Schweiz keinen Anlass sieht, dem Urteil des Gerichtshofes vom 9. April 2024 weitere Folge zu geben». Denn die Anforderungen des Urteils seien bereits durch die Schweiz erfüllt.

Diese Kommission wird vom SP-Ständerat Daniel Jositsch präsidiert, der sehr zum Ärger seiner Partei diesen Beschluss nicht nur mit herbeigeführt hatte, sondern auch öffentlich vertrat.

Ping und pong. Aber damit ist die Partie noch nicht zu Ende. Nun mischt sich auch Andreas Zünd ein, der Schweizer Richter am EGMR, der dieses Urteil mitgetragen hat. «Es gibt keine Möglichkeit, ein Urteil des EGMR einfach nicht umzusetzen», sagt er zu «20 Minuten».

Auch wenn ZACKBUM einem so hohen Richter nur ungern widerspricht: doch.

Sicherlich wäre es diplomatischer, aber auch unredlich, wenn die Schweiz sagen würde, dass sie selbstverständlich das Urteil furchtbar ernst nimmt und alles in ihrer Macht Stehende tun werde, um das Urteil buchstabengetreu umzusetzen. Voller Respekt für den weisen Ratschlag der Richter in Strassburg, die eine erstaunliche Verbindung zwischen Menschenrechten und Klima hergestellt haben.

Niemals käme  ZACKBUM mit seinem Redaktor, der ehemaliger Kettenraucher ist, auf die Idee, seine Menschenrechte durch Passivrauchen verletzt zu sehen. Oder durch Abgase im Strassenverkehr. Oder durch den Furz eines Mitmenschen in einem geschlossenen Raum.

Aber ZACKBUM gesteht: wir sind keine Richter und verfügen demnach auch nicht über diese Sachkompetenz.

Allerdings: all dieses Gedöns ist reine Wolkenschieberei. Denn ausser vielleicht ein paar roten Köpfen, dem Ansteigen des Blutdrucks bei einigen Politikern und Richtern und dem schon verklungenen Triumphgeschrei der Senioren: nichts wird geschehen.

Einfach nichts.

Nach dem Regen scheint die Sonne. So ist’s, so wird es sein.

Wenn Gutmenschen empört sind

Dann keilen sie ohne Rücksicht auf Verluste aus.

Fabian Renz ist entsetzt. Das ist er häufiger. Dann wird er jeweils ziemlich demagogisch und primitiv. Nun muss ihn besonders getroffen haben, dass nicht nur eine grüne Ex-Bundesrichterin, sondern auch der Rechtsprofessor Daniel Jositsch das Klima-Urteil von Strassburg für übergriffig hält.

Das hat die Rechtskommission des Ständerats mit breitem Mehr bekundet, aber das hätten sie besser nicht getan. Denn Renz in seinem Zorn ist fürchterlich. Der «Leiter Analyse und Meinungen» hat’s nicht so sehr mit Analyse, dafür ausgesprochen mit Meinung.

Zunächst holt er nostalgisch Anlauf, früher sei auch im Stöckli alles besser gewesen. Aber: «Dieses Goldene Zeitalter ist lange vorüber, das Niveau seither merklich gesunken. Für einen vorläufigen Tiefpunkt hat diesen Dienstag nun die ständerätliche Rechtskommission gesorgt.»

Ihre «Erklärung» – Achtung, Nase zuhalten – «schöpft kräftig aus den populistischen Sickergruben». Da fragt man sich zunächst, ob Renz weiss, was eine Sickergrube ist. Eher nicht, aber macht nichts.

Renz ist nicht nur entsetzt, sondern auch fassungslos: «Nun ist man zunächst einmal versucht, die «Erklärung» der Kommission als Jux abzutun.» Wenn man das liest, ist man versucht, diesen Holzhammerkommentar als schlechten Jux abzutun. Aber bei einer Verbreitung von über einer Million? Langsam hat Renz nun Betriebstemperatur erreicht – und überschritten:

«Leider ist das Papier aber doch mehr als ein Jux … Botschaft mit maximalem Schadenspotenzial … dass man Entscheide demokratisch legitimierter Institutionen fallweise ignorieren darf … leichten Angriffszielen für Populisten aller Couleur, die sich nicht an den Rechtsstaat gebunden fühlen … Alternative ist das Faustrecht … sondern diese Renitenz sogar lauthals in die Welt hinausposaunen will: Es ist einfach nur beschämend.»

Der arme Jositsch wird zum «agilen Zeitgeistsurfer», der dazu beitrage, «die Legitimität des EGMR zu untergraben».

Renz profitiert davon, dass er offensichtlich keine Ahnung von Rechtssprechung hat. Und vom EGMR. Aber auch das macht ja nix. Es ist müssig, ihm die wohldurchdachten Argumente der Kritiker dieser absurden Entscheidung zu wiederholen, das interessiert Renz null. Er galoppiert lieber mit dem Denkfehler weiter, dass die kompetenten Kritiker die Legitimität dieses Gremiums untergrüben. In Wirklichkeit ist es der Gerichtshof selbst, der sich selbst ermächtigt, in ungehöriger und inakzeptabler Form in die Rechtssprechung souveräner Staaten einzugreifen; nicht mehr rechtlich abgestützte Urteile fällt, sondern damit Politik machen will. Nicht zum ersten Mal.

Darauf reagiert dann die Politik. Nicht die Politiker sind übergriffig, das Richtergremium ist’s.

Selbstverständlich hat auch Renz das Recht, sich öffentlich zum Deppen zu machen. Aber es ist schon auffällig, dass sogar die «Süddeutsche», deren Inhalte ja von Tamedia fleissig übernommen werden, zu einem besonnenen Kommentar fähig ist, was das Beantragen von Haftbefehlen für mutmassliche Kriegsverbrecher betrifft.

Dagegen schreibt Renz aus der Jauchegrube der rechthaberischen Arroganz. Dass er jeden Anstand vermissen lässt, geschenkt, so sind halt Gutmenschen, wenn sie auf dem Kriegspfad unterwegs sind. Aber dass eine solche Primitivpolemik eines Wutbürgers an allen Kontrollinstanzen vorbei ins Blatt kommt, verstärkt die Zweifel an der Kompetenz der Chefredaktion von Tamedia, das Organ einigermassen auf Kurs zu halten.