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Lob des Gujers

Der Mann kann denken. Und schreiben. Selten, heutzutage.

Wenn heute ein Editorial erscheint, dann wird geistiges Kleingeld unter die Leute gebracht. Raphaela Birrer, Patrik Müller, Reza Rafi, plus die Zwergenschar der Reichsverweser von Kopfblättern der grossen Medienkonzerne («Blick» kann man ja nicht mehr ernst nehmen): meistens im Sinne des Konzerns Gehampeltes. Nicht mal für den Tag geschrieben. Schneller vergessen als gelesen.

Oder erinnert sich jemand an ein einziges dieser Editorials? Eben.

Bei Eric Gujer sieht das etwas anders aus. Beansprucht er am Samstag den Platz oben in der NZZ, dann kommt durchaus etwas Lesenswertes heraus, wird der Leser auf eine andere Flughöhe mitgenommen. Zum einen, weil der Mann geschliffen schreiben kann. Das unterscheidet ihn schon mal von den gestolperten, sich verhaspelnden, unter erkennbarem Zeitdruck geschriebenen Werken seiner Kollegen.

Dazu hat er einen Bildungsrucksack, der wohlgefüllt ist; ein zweiter Unterschied, auch wenn Rafi, der Gerechtigkeit halber sei’s erwähnt, manchmal erstaunliches Wissen aufblitzen lässt.

Und schliesslich bemüht er sich in einer Tageszeitung, den Blick über den Tag hinaus zu erheben. Daraus entstehen dann Editorials wie «Torheit ist in der Politik normal».

Gujer beschäftigt sich mit der durchaus interessanten Frage: «Warum agieren die Inhaber hoher Ämter so oft in einer Weise, die der Vernunft und dem aufgeklärten Eigeninteresse zuwiderläuft?» Zur Beantwortung nimmt er das Buch der amerikanischen Historikerin Barbara Tuchman zu Hilfe: «Die Torheit der Regierenden».

Es ist schon vor vierzig Jahren erschienen, also bevor die meisten Kindersoldaten in den Newsrooms auf der Welt waren. Ihre Schlussfolgerungen: «Als Gründe nennt Tuchman Selbstüberhebung, Unfähigkeit, Dekadenz oder Starrsinn, kurz: das Mängelwesen Mensch. Gegen Torheit ist niemand gefeit. Nur weil wir künstliche Intelligenz besitzen, ist die natürliche Intelligenz nicht gewachsen.»

Dann lässt Gujer eigenes Wissen aufblitzen und salbt seinen Rückgriff in die Geschichte mit leichter Ironie: «John Adams, der zweite Präsident der Vereinigten Staaten, erklärte: «Während alle anderen Wissenschaften vorangeschritten sind, tritt die Regierungskunst auf der Stelle; sie wird heute kaum besser geübt als vor drei- oder viertausend Jahren.» Die Einsicht gilt von Troja bis Trump. Der 47. Präsident der Vereinigten Staaten ist keine Ausnahme, keine Monstrosität in sonst so aufgeklärten Zeiten. Er ist eine historische Konstante. Wem das zu fatalistisch klingt, der mag sich damit trösten, dass die Welt trotzdem nicht zugrunde gegangen ist.»

Dann dekliniert Gujer die Begrifflichkeit durch; Torheit sei keineswegs ein Privileg der Populisten oder von Menschen mit niedrigen Absichten wie Trump. Auch Lichtgestalten wie John F. Kennedy ritten die USA verblendet in den Vietnamkrieg, während ein Schurke wie Richard Nixon ihn beendete. Zudem nützt das Gegenteil, nämlich vernünftige Entscheidungen treffen, auch nicht unbedingt.

Wie Kanzler Schröder erfahren musste, der zwar die Wirtschaft reformierte, zum Dank dafür aber abgewählt wurde.

Gujers Conclusio, um es gewählt zu formulieren, verdient es, vollständig zitiert zu werden:

«Politische Torheit basiert nur selten auf schlichter Dummheit oder Borniertheit. Sie ist die Folge eines Kalküls, das Chancen und Risiken abwägt, auch wenn es am Ende irrig ist. Politik entsteht im Wechselspiel zwischen den Emotionen der Regierenden und denen der Regierten. Da verspricht die Unvernunft nicht selten mehr Ertrag als die Vernunft. Die Herrschenden handeln im Augenblick. Die wenigsten besitzen eine echte Strategie, die auch den übernächsten Spielzug vorhersieht. Der Historiker hat es da einfacher als der Politiker. Er ist der Prophet der Vergangenheit und nicht der Spielball der Gegenwart

Der Historiker als der Prophet der Vergangenheit, alleine dafür verdient Gujer ein anerkennendes Kopfnicken und eine leichte Verbeugung. Mindestens.

Ist die SoZ auch ein Flieger?

Schauen wir mal, was das Vorbild der NZZaS so macht.

Die Anrisse auf der Front – nun ja. Eine Hiobsbotschaft für Nestlé vom unermüdlichen Arthur Rutishauser. Das macht immerhin schön wumms. Noch mehr ADHS, nun ja. Was sagt da Spezialist Constantin Seibt dazu? Will man ein grosses Interview mit Simon Ammann lesen, der nun nicht in erster Linie für seine intellektuellen oder verbalen Fähigkeiten berühmt ist?

Aber weiter unten wird’s dann sonntäglich. «Antisemitismus: Schwere Vorwürfe gegen Juso», «Beschimpfungen werden zum Volkssport», da kommt Stimmung auf. Die lassen wir uns auch nicht durch den obligaten Putin verderben: «Auch Putin hält das nicht mehr ewig durch». Sehr wahr, schon alleine, weil auch er nicht ewig leben wird.

Dann sollte sich Beat Balzli wirklich mal das Editorialschreiben von Kollega Rutishauser zur Brust nehmen; so macht man das. Eine feine Gerade in die Fresse von allen, die zwei Schweizer Stahlwerke mit Steuergeldern unterstützen wollen. Die machen Miese im Multimillionenpack. Wegen den üblichen Management-Fehlentscheidungen, wegen der Krise der Automobilindustrie – und weil Stahl anderswo schlichtweg billiger hergestellt werden kann.

Und da sollen nun ein paar Millionen Steuerfranken alles herumreissen? Lachhaft, meint Rutishauser, und recht hat er. Dass gleichzeitig ein «Velopionier aus Huttwil» die Schraube macht und 150 Mitarbeiter entlässt, da rufe niemand nach Staatshilfe, obwohl das doch schon rein ökologisch sinnvoller als ein Stahlwerk sei. Feine Klinge, sauber durchargumentiert, ein Highlight des Sonntags.

«Ritalin für alle Fälle», das ist allerdings so ein Aufregerthema aus dem Stehsatz, oder aus dem Truckeli: wenn mal wieder wirklich tote Hose ist

Aber schon nimmt die SoZ wieder Fahrt auf: «Stefan Raab treffen und Velo fahren: Die neuen Luxus-Jobs der ehemaligen EU-Unterhändler». Der ziemlich lange Titel sagt schon ziemlich viel, die Story ist aber auch ziemlich gut und fies. Einfach mal recherchieren, was eigentlich aus den insgesamt sechs Diplomaten geworden ist, die «in den Verhandlungen mit der EU innerhalb von zehn Jahren verheizt» wurden. Sehr schön.

Dann werden den Juso Antisemitismus-Vorwürfe um die Ohren gehauen, und der Parteileitung ihr Schweigen dazu. Das kann ZACKBUM aber erklären: Cédric Wermuth schämt sich gerade, dass er ein Mann ist, und versucht, jegliche Gewalt abzulehnen. Mattea Meyer schämt sich nicht, dass sie kein Mann ist, hält aber die Massenvergewaltigung von Jüdinnen durch islamistische Terrororganisationen für nicht der Rede wert. Und die Juso-Chefin Mirjam Hostetmann hüpft sowieso von einem Fettnapf in den nächsten.

Bettina Weber hingegen nimmt den beleidigten deutschen Wirtschaftsminister und Kanzlerkandidaten Habeck (ja nicht Schwachkopf nennen, niemals nicht) zum Anlass, mal allgemein übers Beleidigen und Anzeigen zu schreiben.

Oben links ist übrigens der Beweis, dass diese Anzeige Habecks nicht so eine gute Idee war. Aber wer Wirtschaft nicht kann, der kann auch sonst nix (ui, ist das einklagbar?).

Vielleicht als Warnhinweis für unsere Verkehrsteilnehmer: der «Fick dich»-Zeigefinger ist auch strafbar, im Fall. In der Schweiz gibt es immerhin jährlich 12’000 Anzeigen wegen Beschimpfung. was nicht gerade wenig ist. Irgendwie typisch: in Deutschland steht die Beleidigung von Politikern unter verschärfter Strafe, in der Schweiz müssen sie sich viel mehr gefallen lassen. So darf man bekanntlich bislang ungestraft (Berufung läuft noch) den SVP-Nationalrat Andreas Glarner als «Gaga-Rechtsextremist» beschimpfen.

Wie Weber berichtet, will die Schweizer Strafverfolgungsbehörde allzu wildem Anzeigen nun einen Riegel schieben. Wer Beschimpfung rechtshängig machen will, muss für die Bemühungen der Staatsanwaltschaft einen Kostenvorschuss leisten, in Zürich beispielsweise bis zu 2100 Franken. In England hingegen kann bereits das Gefühl, «Hass» erfahren zu haben, für eine Strafuntersuchung reichen.

So, nun aber das, worauf wir alle gewartet haben. Was ist in der Schweiz denn strafbar? Bitte sehr:

«Dumme Siech, blöde Sau, dumme Kuh, Schizo, Wichser, Arschloch, Idiot, Fick dich, Halsabschneider, Betrüger, Pädo, gestreckten Mittelfinger zeigen, Vogel zeigen.
«Totsch», «Huhn» und «Ich ficke deine Mutter» würde Monika Simmler (Strafrechtsprofessorin, Red.) als «Grenzfälle» bezeichnen, «Nazi» und «Fascho» hingegen als üble Nachrede.»

Die Liste ist natürlich unvollständig und die Strafbarkeit kontextabhängig. ZACKBUM gesteht, dass wir etwas perplex sind, dass den Vogel zeigen strafbar sein kann.

Selbst Christoph Gurk von der SZ, den wir schon tadeln mussten, liefert ein launig-lustiges Stück über die Präsidentschaftswahlen in Uruguay ab. Die Besonderheit dort: der Wahlkampf findet ohne Gehässigkeiten statt. Das ist sicherlich auch dem genialen José Mujica zu verdanken. Der ehemalige Guerillero gewann 2009 die Präsidentschaftswahlen und war dann politisch und menschlich ein Vorbild, das durchaus an Nelson Mandela heranreichte.

Die Demokraten in den USA lecken die Wunden und fangen mit dem «wer ist schuld?»-Spielchen an, vermeldet Urgestein Martin Suter. Dann, kein Blatt ist fehlerlos, sinkt das Niveau aber deutlich, denn Rico Brandle hat niemand Besseren als den HSG-Fehlprognosen-Professor Ulrich Schmid als Interviewpartner ausgesucht, um das Thema Putin am Köcheln zu halten. Da ist vielleicht das Riesenaufmacherfoto symbolisch richtig gewählt:

Schattenboxen mit Schattenrissen in Schwarzweiss, so könnte man das Interview zusammenfassen.

Dann kommt die unsanfte Landung nach all den Höhenflügen: der «Fokus» mit dem Interview mit einem Skispringer. Gähn und Abflug.

Dann sucht man vergeblich nach der Sitzmarke «Sponsored Content», dargeboten von der Vereinigung der Paartherapeuten:

Riesen-Symbobild, Riesenankündigung, dann eine Riesenportion heisse Luft von Professor Guy Bodenmann, «Paartherapeut, er ist Autor diverser Bücher» und nicht zu Vergessen der Erfinder von «Paarlife», einem Programm zur «Stärkung von Paarbeziehungen». Wow, wie der das geschafft hat, hier anderthalb Seiten Gratiswerbung zu kriegen?

Will ZACKBUM etwas dazu sagen, wenn auf einer Seite Jacqueline Badran und Markus Somm salbadern? Nein dazu will ZACKBUM nichts sagen.

Hierzu eigentlich auch nichts, solange Männer keine Rasierzulage kriegen und mit dem Chef nicht über Potenzprobleme sprechen dürfen:

Vielleicht wäre die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit oder Kinderkrippen am Arbeitsplatz dringlicher. Aber nach einem Streichelzoo zu rufen, das ist entschieden weniger anstrengend.

Echt schockiert ist ZACKBUM aber über diese Schlagzeile:

«Penisverschönerung»? Als Vergrößerung für zu kurz Gekommene, okay. Aber den Pimmel verschönern lassen? Da wollen wir gar nichts Genaueres wissen.

Dann der schonungslose «ich führe meine Mami vor»-Report: «Wie es ist, seine Mutter bei einer Dating-App anzumelden». Hoffentlich ist nun die Mama von Sophie Kobel echt sauer auf ihre Tochter.

Also alles in allem solide Handarbeit, mit einigen Tiefen, aber auch Glanzlichtern. So gestärkt, machen wir uns nun an die NZZaS.

 

 

Für Frustrierte

Es fehlt noch die NZZaS selbst. Auch da musste ZACKBUM durch.

Es ist immer ein Kopfzerbrecher. Was macht man mit Redaktionsschluss Samstagabend, wenn am Dienstag die Präsidentschaftswahlen in den USA stattfinden?

Vor acht Jahren hätte man noch fröhlich den Wahlsieg von Hillary Clinton prognostiziert. Aber diesmal ist man aus Erfahrung vorsichtig geworden und und will nicht einfach auf Kamala Harris setzen. Also was tun? Grübel. Also Trump ist sicher der grössere Aufreger als Harris. Somit ist er gesetzt.

Fehlt nur noch die Titelstory. Nach hirnerweichendem Brainstorming kam die NZZaS auf diese grossartige Idee:

Blöd nur: beides weiss man nicht. Das wird dann auf den Seiten 2 bis 5 ausgebreitet. Um die leichte Inhaltsleere zu überspielen, wird mit Riesenfotos gearbeitet. Allerdings hatte es dennoch Platz für ein weiteres der gefürchteten Editorials von Beat Balzli. Also wenn schon mal ein Chefredaktor öffentlich darum gebeten hat, ihn endlich von seiner Aufgabe zu entbinden, dann er.

Kann man es besser machen, wenn man die Leser schon im ersten Satz abschrecken will, als so? «Was würden Psychologen als Erstes über Bundesräte sagen? Dass sie am Ende auch nur Menschen sind.» Eine Hammererkenntnis, ein Hammereinstieg, der Hammer.

Hat Balzli noch weitere Weisheiten auf Lager? Aber immer: «Schweigen gehört zur Staatsräson wie Rivella zum Skifahren.» Rivella dankt, aber was soll das? Nun, der SVP-Bundesrat Albert Rösti hat doch erkennen lassen, dass er eher für Trump sei. Pfuibäh, sagt Balzli: «Unabhängig von der Frage, ob man als Demokrat dem Feldherrn der Capitol-Stürmer öffentlich huldigen sollte, muss sich ein Bundesrat Kommentare zu ausländischen Wahlen verklemmen.» Nimm das, du Schwätzer. Aber wie wäre es, wenn sich Balzli wenigstens weitere Editorials verklemmen würde?

Nun kommen wir zu einem ordnungspolitischen Zwischenruf zuhanden des AD der NZZaS. Wir haben es schon bemängelt, wir tun’s nochmal:

Das ist doch einfach grauenhaft. Oben links klebt verschämt in Grossbuchstaben die NZZ am Sonntag. Rechts ebenfalls in Grossbuchstaben und viel grösser die Rubrik. Daneben dann die Seitenzahl, nochmals in einer anderen Grösse. Drunter zwei verschiedene Titelschriften und eine Gaga-Illustration. Also wenn man mit dem Layout ausdrücken will: Leser, leck mich, dann so.

Aber immerhin, man reizt die NZZ nicht ungestraft:

Nachdem das Selbstverteidigungsministerium sich wie ein Wald voll Affen über die Berichterstattung über das opulente Beratungshonorar einer Pensionärin aufregte, die NZZ übel beschimpfte, bleibt nun die NZZaS am Ball und stochert weiter in die verborgene Welt der üppigen Beraterverträge der Landesregierung hinein.

Dann nochmal eine Spitzenleistung des Geeiers. Denn Gordana Mijuk möchte auch noch etwas zu Trump sagen, weiss aber, dass sie spätestens am Dienstag von der Aktualität eingeholt wird. Also dann so:

Wer war’s, dąs ist immer eine gute Frage, wenn die Rückkehr des Gottseibeiuns lediglich «real scheint». Und übrigens, wie die Zusammenlegung von zuvor getrennten Bünden grafisch gelöst wurde, grauenhaft.

Herausragend, eben Sonnen- und Schattenseiten – dann wieder der Bericht von Mirko Plüss über die Erfassung von Gesichtsdaten. Nicht nur von staatlichen Stellen; jeder kann mittels der Gratis-Software Pimeyes selbst geschossene Fotos im Internet verifizieren und nachschauen, wenn er da zufällig geknipst hat. Beunruhigend.

Die Kultur hat einen Aufmacher, der an Originalität und Brisanz kaum zu überbieten ist:

Bundesrat Parmelin fotografiert den Blumenstrauss im Bundesratszimmer. Wahnsinn. Seit sieben Jahren. Unglaublich. 300 Blumenbilder habe er gesammelt, Cool. Erzählte er der «Schweizer Illustrierte». Eigentlich genug Stoff für eine Kurzmeldung. Aber wie pumpt man das auf eine Seite auf? Na, indem Linus Schöpfer Locken auf der Glatze dreht. Ferdinand Hodler, van Gogh, Renoir, holländische Blumenmaler, Oscar Wilde, Fischli/Weiss, Georgia O’Keeffe, und dann ist endlich, endlich die Seite gefüllt. Bleibt nur die Frage: Wieso die Anspielung im Titel auf die «Fleurs du Mal»?

Bei aller Geistreichelei kommt Baudelaire doch gar nicht vor.

Aber dann auch hier die gute Nachricht: es ist vorbei.

Drei Facetten eines Gesamteindrucks. Das Magazin «Z», das «NZZaS Magazin» und schliesslich das Hauptblatt NZZaS. Wenn man ein Fazit ziehen will: Himmel, hilf. So kann das wirklich nicht ungestraft weitergehen. Hier ist einiges aus dem Leim gegangen, dürfen sich Schreibkräfte in einer Art austoben, dass es eine Unart ist.

Dabei gibt es doch ab und an Glanzpunkte. Aber sie flackern unsicher in Düsternis, im Wirken einer Redaktion, die ausser Rand und Band geraten ist. Ist es einmal so weit gekommen, kann nur ein neuer Chef wieder für Ordnung sorgen.

Oder aber, die Lieblingsthese von ZACKBUM; God Almighty Eric Gujer lässt das Blatt absichtlich verkommen, damit er es umso leichter selbst übernehmen kann und völlig in seinen Machtbereich eingliedern. Mit dem Schlachtruf: da musste durchgegriffen werden.

Nur: wie lange zögert er noch?

Zwei Flughöhen

Vielleicht sollte Reza Rafi keine Editorials mehr schreiben.

Wir besichtigen den Tatort. Er verteilt sich auf zwei Schauplätze. Zunächst dieser hier:

Als hätte Rafi nicht ausgiebig, häufig und unter der Gürtellinie gegen Fremdenfeinde, Rassisten, Isolationisten, gegen die Feinde alles Kulturfremden, mit einem Wort gegen die SVP gewäffelt. Aber vielleicht ist das nun seine Abbitte.

Allerdings beginnt er etwas dunkel: «Unser nördliches Nachbarland darf kein zweites Frankreich werden.» Leider löst er auch in seinem Editorial nicht auf, wodurch Deutschland denn zu einem zweiten Frankreich werden könnte, und was dann los wäre.

Aber gut, er repetiert die Bluttat von Solingen und erklärt dem ungebildeten Leser, was der Duden unter dem Wort Schock versteht. Vielen Dank dafür. Dann rhabarbert er Bekanntes: «Es ist die Vielfalt der westlichen Länder, von denen Fundamentalisten profitieren.» Phänomenale Erkenntnis. Schliesslich erinnert er den Staat an seine wichtigste Aufgabe:

«Bevor wir über Themen wie Gleichberechtigung, Kulturförderung, Kindererziehung oder Datenschutz debattieren können, müssen wir die Gewissheit haben, dass im Café, am Bahnhof oder an der Chilbi kein Irrer mit dem Messer auf uns losgeht

Leider, leider: diese Gewissheit kann kein Staat garantieren. Also was soll das dann? Auch die nächste Erkenntnis von Rafi ist Geeiertes: «auf der einen Seite zieht eine mit Blindheit geschlagene Szene jeweils reflexartig «gegen rechts» durch die Strassen. Auf der anderen Seite lauern Putin-Parteien wie AfD oder «Bündnis Sahra Wagenknecht», die bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen nächsten Sonntag ein glanzvolles Resultat erwarten.» Putin-Parteien wie AfD oder BSW? In welcher Welt lebt der Mann?

Aber der Platz eines Editorials ist beschränkt; so wie der Inhalt. Deshalb muss er sich in die Schlusskurve legen. Und was macht  ein Chefredaktor eines Blatts, das ganz sicher nicht in deutschen Regierungskreisen gelesen wird? Er erteilt Ratschläge: «Bundeskanzler Olaf Scholz hat gestern angekündigt, mit «aller Härte des Gesetzes» gegen den Terror vorzugehen. Er wäre gut beraten, nicht bloss Lippenbekenntnisse von sich zu geben

Gut beraten, diese Worthülse hat sich Rafi von seinen deutschen Kollegen abgeschaut. Und welchen Ratschlag hat er denn auf Lager:

«Gefragt sind eine strikte Einwanderungspolitik, die erfolgreiche Integration aller Migranten und die Repression jeglichen Gewaltpotenzials.»

Oh je, «die erfolgreiche Integration aller Migranten», und alle Menschen werden Brüder, bevor wir ins irdische Paradies ziehen.

Ganz anders der zweite Tatort:

Hier nimmt Frank A. Meyer mit dem Zweihänder und der feinen Klinge (verbal, nur verbal!) einen seiner Lieblingsfeinde auseinander. Wobei er geschickt über die Bande spielt und den Namen des Aufgespiessten nicht einmal nennt. «Im Fall des Schweizer Publizisten Nachsicht zu üben, verbietet sich, nur seinen Namen zu nennen, wäre schon zu viel der Ehre.»

Was hat der Publizist – wir lehnen uns etwas aus dem Fenster und behaupten, dass sein Nachname mit K beginnt und mit l endet – denn getan? Er habe die Identifikation mit der westlich-amerikanischen Weltordnung als Verhalten von Sklaven bezeichnet. Zudem habe er gesagt: «Beim Thema der westlichen Wertegemeinschaft geht mir in der Hose das Sackmesser auf.»

Da hat der Ungenannte mal wieder einen rausgehauen, und das tat er nicht ungestraft:

«In der freien und offenen Gesellschaft des Westens, unter dem militärischen Schutzschirm der USA, wettern Maulhelden gegen die Nation, die ihnen das Wettern überhaupt erst möglich macht – Beschimpfung, Polemik und Beleidigung gegen die Garanten einer Freiheit, der man sich bedient, um zu beschimpfen, zu polemisieren, zu beleidigen

Dann erreicht Meyer, man macht sich Sorgen über seinen Blutdruck, denn er ist nicht mehr der Jüngste, seine Betriebstemperatur: «Der amerikafeindliche Reflex ist nicht neu. Die USA, eine mit vielen Fehlern behaftete Freiheitsmacht, steht seit je unter politischem Beschuss von Rechts- und Linksextremisten, die zu unterscheiden sich letztlich erübrigt. Es genügt die ebenso volkstümliche wie historische Einsicht: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich

Das nennt man eine rechte (oder linke) Gerade, voll auf die Zwölf. Leider überbeisst Meyer dann, indem er auf einen dunklen Fleck auf der gar nicht weissen Weste der USA hinweist, den Vietnamkrieg, der für seine Generation traumatisch und politisierend war. Aber er fährt mit der Frage fort, was denn wohl wäre, hätten damals die USA (die kaum ein Kriegsverbrechen ausliessen und deren General Westmoreland angesichts der drohenden Niederlage nur mühsam davon abgehalten werden konnte, Atomwaffen einzusetzen), hätten also damals die USA gesiegt?

«Vietnam wäre heute eine freie Gesellschaft, wie Südkorea, wie Taiwan, wie Japan. Es wäre Teil der westlichen Wertesphäre.»

Das ist eine mehr als kühne These, das ein letzter Triumph kolonialistischen Verhaltens diese Wirkungen gehabt hätte. Würde Meyer vielleicht einen Blick auf den Irak werfen, wo die USA bekanntlich gesiegt haben, würde er nicht so einen Unsinn verzapfen.

Aber abgesehen von diesem kleinen Ausrutscher ist das wenigstens eine Polemik auf Niveau, gnadenlos, konsequent formuliert und den Herrn, der leider zu oft schneller schreibt, als er denkt, mit wenigen Handgriffen in den Senkel stellend. Das nennt man Niedermachen vom Feinsten, durchaus auf ZACKBUM-Niveau.

Also hier ein Tadel für Rafi, ein Lob für Meyer.

 

Das Mies-«Magazin»

Ein Schatten, der Schatten eines Schattens von früher.

Die Geschäftsleitung von Tamedia attestiert dem «Magazin» doch tatsächlich «hervorragende Leistungen». Das ist ungefähr so realitätsnah, wie wenn man einen Artikel aus «20 Minuten» für den Pulitzer-Preis vorschlagen würde.

Denn eine der publizistischen Höchstleistungen von Finn Canonica, dem im Feuer stehenden ehemaligen «Magazin»-Chefredaktor, bestand bekanntlich darin, einen eisernen Sparkurs durchzuziehen, den die Mehrheit der Redaktion mit Kündigung beantwortete (freiwillig oder unfreiwillig). Keine eigenen Reportagen mehr, ein paar Kolumnen und billig Eingekauftes. Das wurde die neue Blattmischung.

Wir wollen hier nicht nostalgisch an frühere Glanzzeiten des «Magazin» erinnern, sondern aus gegebenem Anlass einfach die aktuelle Ausgabe anschauen.

Diese Arbeit ist ziemlich schnell erledigt, das Blatt umfasst noch gerade 32 Seiten. Da muss haushälterisch vorgegangen werden, schon seit Längerem ist das Editorial oberhalb des kurzen Inhaltsverzeichnisses reingequetscht.

Diesmal ist es von einer geradezu brüllenden Komik, wenn auch unfreiwillig. Es beginnt mit der Nacherzählung einer Kurzgeschichte von Alfred Döblin, die den Autor zur Selbsterkenntnis führt: «Vermutlich ist das schlechte Gewissen gegenüber den Kreaturen um uns herum, die wir schlechter behandeln, als es unser Weltbild erlaubt, den meisten nicht fremd, mir jedenfalls nicht.»

Allerdings meint er mit der Klage, «dass wir zu anderen gemein sind, obwohl wir doch eigentlich das Beste wollen», nicht die Zusammenarbeit auf der Redaktion. Sondern diese Ausgabe nimmt sich (wieder einmal) die alte Frage vor, wie es denn wäre, wenn Tiere «ähnliche Rechte besässen wie wir Menschen». In Basel scheiterte vor Kurzem eine entsprechende Initiative krachend; in ihrem Umfeld wurde diese Frage ausreichend diskutiert.

Hier schreckt aber die Autorin offenbar nicht vor einem geschmacklosen Vergleich zurück: «Jene, die den Gedanken (an Tierrechte, Red.) lächerlich finden, erinnert Svenja Beller an einen Gerichtsprozess in England vor 250 Jahren, als vor einer ungläubig lauschenden Zuhörerschaft ein Richter erstmals einem Sklaven Personenrechte zusprach

Dieser Stuss wird hier vor einer ungläubig lesenden (und zahlenden) Kundschaft dargeboten.

Auf Seite 4 kolumnieren dann Philipp Loser und Nadine Jürgensen. ZACKBUM weiss sich des Applauses seiner Leser sicher, wenn wir darüber einfach kein Wort verlieren. Oder doch, nur ein Satz: «Wir drei Gründerinnen von elleXX sind allesamt auch Mütter.» Inzwischen darf hier jeder (und jede) Schleichwerbung für alles machen …

Dann kommt Kochkenner Christian Seiler zu Wort. Der hat auch schon in so ziemlich alles ausser in einen Michelin-Reifen gebissen, also fällt ihm nur noch eine Verneigung vor der Sardelle ein, «diesem ebenso ungewöhnlichen wie unterschätzten Schwarmwesen».

Dann kommt wie angedroht die Verneigung vor dem Tier (das eine Seite vorher noch gewissenlos gefressen wird). Aber Beller weiss: «Schon bald werden wir zurückblicken und uns dafür schämen.» Nimm das, Christian.

Auf der Ebene Illustration erreicht das «Magazin» Tiefen, die zuvor nicht für möglich gehalten wurden. Es serviert seinen Lesern nämlich einen Rüssel. Auf einer ganzen Seite:

Rüssel eines unbekannten, wohl rechtlosen Elefanten (Screenshot «Magazin»).

Über 8 Seiten erstreckt sich diese Tier- und Leserquäleri, nur kurz unterbrochen von der neckischen Frage «Porsche oder Ferrari?». Mit dem nochmals ganzseitigen Schlussbild kann sich ZACKBUM jeden weiteren Kommentar ersparen:

Da greift sich selbst der Schimpanse an den Kopf (Screenshot «Magazin»).

Die gute Nachricht zwischendurch: mit dem Interview zur Frage «Wie hält man das weltweite Artensterben aus?» sind wir bereits halb durch. Auch hier schaffen ganzseitige Bilder wenigstens Luft für den geplagten Leser:

«Wenn ein Baum gestorben ist, trauern dann die anderen Bäume um ihn?»
Original-Bildlegende …

Auch die nächste Bildlegende hinterlässt tiefe Spuren beim Leser: «Die Bäume verdursten, und wir schauen weg. Ist der Mensch in Bezug auf Pflanzen und Tiere ein Soziopath?» Vielleicht sollten sich diese Frage mal Tamedia-Mitarbeiter über sich selbst stellen …

Noch ein Interview mit den beiden Gutmenschen Milo Rau und Wolfgang Kaleck. Dem Leser schlafen schon beim Titel beide Füsse ein: «Sie wollen nicht weniger, als die Welt verändern». Wie fängt der Text an? «Krieg, Ausbeutung, Ungerechtigkeit sind die grossen Themen …» Spätestens hier schliessen sich die Augen den Füssen an.

Auf Seite 30 eifert dann Max Küng den anderen Kolumnisten nach. Da es keinen neuen Pfister-Katalog zu betexten gibt, schreibt er über das Velofahren. Genau, diese «Zahlenpoesie» ist viel besser als Schäfchenzählen.

Wobei, es lockt noch das Kreuzworträtsel der unverwüstlichen Trudy Müller-Bosshard. Aber dann hat das «Magazin» ein Einsehen mit den Lesern. Halt, nicht ganz, mangels Inserenten prangt auf der Rückseite ein Eigeninserat des Hauses, das sich nun auch nicht jedem Leser erschliesst:

ZACKBUM ist sich sicher: das ist eine heimtückische Kritik am «Tages-Anzeiger». Der schreibt offensichtlich von Montag bis Samstag Unbegreifliches, was dann erst am Sonntag erklärt werden kann.

So gemein …

Wumms: Gieri Cavelty

Vorsicht, im roten Bereich drehender Chefredaktor.

Eigentlich ist Gieri Cavelty ein Häuptling ohne Indianer. Deshalb muss der SoBli-Chef umso kräftiger seine Federn schütteln und sich aufplustern bis zum Gehtnichtmehr.

Brille ohne Durchblick: Gieri Cavelty.

Mit seinem letzten Editorial, seiner Spielecke für Frustrierte, hat er einen neuen Rekord aufgestellt. Bereits die Überschrift setzt das Niveau: «Die Schweiz muss Putin zum Terroristen erklären.» Nun aber mal im Ernst, lieber Herr Cavelty: muss sie das? Weil Sie es sagen? Geht’s auch ein Nümmerchen bescheidener?

«Mit der Mobilisierung hat Putin den Krieg endgültig nach Russland geholt, jetzt muss er seine Untertanen bei Laune halten. Zum Beispiel mit Drohnenterror gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine.»

«Diktator Putin» halte seine Untertanen mit Drohnenterror bei Laune? Weiss der Mann eigentlich, was er da schreibt? Aber Russland ist fern, und dort halten Caveltys verbale Blutgrätschen niemanden bei Laune, weil man ihn schlichtweg nicht zur Kenntnis nimmt.

Aber er wendet sich nun näheren Gefilden zu: «Die Schweiz nimmt im Ukraine-Krieg eine zwielichtige Haltung ein. Im Grunde tut sie so, als ob es diesen Krieg nicht gäbe.»

Eine zwielichtige Rolle, DIE Schweiz tue so, als ob es keinen Ukrainekrieg gäbe? Und nimmt keine Ukraine-Flüchtlinge auf? In welchem Paralleluniversum lebt der Mann, welche Substanzen nimmt er zu sich? Denn auch unser Aussenminister kann es ihm nicht recht machen. Der sei zwar nach Kiew gereist, muss Cavelty einräumen.

Und dann habe er doch tatsächlich auf Twitter geschrieben, «er sei «entsetzt über den Angriffskrieg gegen die zivile Infrastruktur»». Ist doch ein starkes Wort, und zunächst gibt es sogar ein Lob: «Cassis’ Reise nach Kiew war mutig und wichtig.» Aber damit kann es der Wüterich von den Dufourstrasse nicht bewenden lassen. Die Schweiz solle zu noch stärkeren Drohungen greifen: «Beispielsweise, indem sie Putin zum Terroristen und seine Regierung zur illegalen Terrororganisation erklärt

Kleiner Tipp an Cavelty: wenn die Schweiz schon dabei wäre, solche Dummheiten zu machen: wie wäre es mit Saudi-Arabien? Da werden Oppositionelle in der eigene Botschaft geschlachtet, und der Krieg im Jemen ist nicht minder schmutzig. Oder die Türkei, da werden Oppositionelle gefoltert, und der Krieg gegen die Kurden in Syrien ist nicht minder schmutzig. Oder die USA, die setzen auch Drohnen ein, um überall auf der Welt Terroristen zu töten, auch wenn dem schon mal eine Hochzeitsgesellschaft zum Opfer fällt.

Oder, ganz einfach, DIE Schweiz erklärt Cavelty zur persona non grata oder erteilt ihm Schreibverbot. Das wäre endlich einmal ein sinnvoller Beitrag für mehr Frieden auf der Welt.

Hier schreibt der Chef

Geronnener Angstschweiss: Pietro Supino zittert ein «Editorial» hin.

Es war einmal die Trennung zwischen Verlag und Redaktion. Niemals würde der Verleger, Blabla. Redaktionelle Unabhängigkeit, Blüblü. Strikte Trennung, Redaktionsstatut, Blöblö.

Leider gehen die Umlaute aus. Was zu Zeiten von Tettamanti oder Blocher in der «Basler Zeitung» undenkbar war: seit sie zum Tamedia-Imperium gehört, erscheint auch hier – wie in den übrigen Kopfblättern ohne Kopf ein «Editorial». Darunter versteht man gemeinhin einen Leitartikel des Chefredaktors, allenfalls noch des Herausgebers eines Organs.

Hier heisst der Autor Pietro Supino. Vorgestellt wird er als «Verleger und Präsident des Verbands Schweizer Medien». Nebenbei ist er noch Verwaltungsratspräsident der Tx Group. Noch mehr nebenbei ist er der Statthalter und Vertreter seines Coninx-Clans, dem Besitzer der Tx Group. Damit auch dem Besitzer von Tamedia. Damit auch Besitzer von «Tages-Anzeiger», «Basler Zeitung», «Berner Zeitung» und, und, und.

Nun ist Supino überraschungsfrei ein Befürworter des Medienpakets, mit dem auch seinem Medien-Clan viele Millionen Steuergelder ins Portemonnaie regnen sollen. Insgesamt eine Milliarde, das ist auch für Milliardäre kein Pappenstiel.

Nun ist es aber so, dass viel Geld haben und den Tageszeitungsmarkt im Duopol beherrschen, nicht unbedingt mit Wirkungsmacht einhergeht. Vor allem, wenn man sich so bescheuert in der Kampagne für das Medienpaket anstellt. Also zeigen Umfragen, dass das Lager der Neinstimmen ständig Zulauf erhält und auf 57 Prozent angeschwollen ist.

Da spürt man geronnenen Angstschweiss bei Supino: «Die Abstimmung vom 13. Februar ist für die Schweizer Medienlandschaft von existenzieller Bedeutung.» Das anschliessende Geseier ist die Wiederholung des Ewiggleichen, Untauglichen. Nur ein Lachschlager sei herausgehoben: «Unabhängiger Journalismus ist eine Voraussetzung für ein freiheitliches demokratisches Gemeinwesen.»

Schreibt der Besitzer in seinem von ihm abhängigen Medium. Immerhin verzichtet er auf den Begriff Pluralismus. Diesen Lachschlager bietet die unsägliche Tell-Werbekampagne:

Abgesehen davon, dass der arme Willi sich damals weder eine, noch zwei Tageszeitungen ins Ohr steckte (oder waren das damals Hörausgaben, weil Willi vielleicht nicht lesen konnte?): unterschiedliche Meinungen in den 12 Kopfblättern von Tamedia, abgefüllt mit der gleichen Einheitssauce aus Zürich und München? Echt jetzt? Nach dem Editorial des Chefs kommt dann eins mit der Gegenmeinung? Für wie blöd wollen die denn ihre schwindende Leserschaft verkaufen?

 

 

Knigge mit Kick

Die Medien als Benimm-Ratgeber. Ratschläge statt Recherche.

Im Kapitalismus gilt das Leistungsprinzip. Im Prinzip. Sogenannte Qualitätsmedien zeichnen sich dadurch aus, dass sie Eigenleistungen erbringen und dafür Geld verlangen. Im Prinzip.

Journalistische Eigenleistungen bestehen aus Recherchen, Analysen, dem Herstellen von Zusammenhängen, Aufdecken von Missständen. Auch aus Interviews mit durchdachten Fragen und interessanten Antworten. Im Prinzip.

Da aber Schmalhans Küchenmeister ist, zweimal gegoogelt und einmal geskypt aus der Verrichtungsbox im Newsroom heraus bereits als journalistische Spitzenleistung gilt, greift um sich, was früher ein Randphänomen war. Weil das den Leser eigentlich eher am Rande interessiert: die Meinung.

Vielleicht ist einer der Gründe für die Erfolgsstory von «20 Minuten», dass das Pendlerblatt auf eines konsequent verzichtet: seine Leser mit Meinungen zu beschallen. Natürlich impliziert Auswahl der Themen, Gewichtung und der Spin der Darstellung immer auch Meinung. Aber es gibt keine Kommentare, keine Editorials, keine Leitartikel. Für «20 Minuten» dreht sich die Welt auch weiter, ohne dass sie zurechtgewiesen, eingeordnet, erklärt oder beschimpft wird.

Deshalb ist «20 Minuten» auch in der Tx Group eine eigene Geschäftseinheit. Der ganze Rest des Medienschaffens ist in Tamedia gebündelt. Und hier wird gemeint, was die Spalten hergeben.

Mal wieder ein «Editorial» vom Katheder herab

In einem «Editorial» zieht «Redaktionsleiter» Thomas Speich über die Demonstranten gegen die Corona-Massnahmen her. Immerhin konzediert er ihnen das Recht auf Manifestationen. Er ruft sogar zum Dialog auf: «Gute Argumente finden sich sowohl auf der Seite der Massnahmen-Kritiker als auch auf jener der Befürworter. Wir täten auch gut daran, uns die jeweils anderen anzuhören.»

Bis hierher ist es einfach nur eine banale, daher überflüssige Meinungsäusserung. Aber das ist natürlich nur die Einleitung für eine strenge Zurechtweisung:

«Was aber endlich und endgültig aus der Welt geschafft gehört, ist dieser unselige «Diktatur»-Vorwurf, der gerade an solchen Demos gerne erhoben wird. Das ist reine Polemik, bar jeder Grundlage.»

Nun kann man tatsächlich darüber diskutieren, ob der Vorwurf angebracht ist oder nicht. Es ist allerdings eine altbekannte Tatsache, dass bei Demonstrationen zugespitzt wird. Denn ein Plakat oder sogar ein Transparent hat nur einen begrenzten Platz für eine eher kleine Anzahl Buchstaben.

«Gesundheit vor Profit», fordert die Unia. «Eat the Rich», plakatieren die Linksautonomen. «Die Krise bekämpfen, heisst den Kapitalismus bekämpfen», belehrt ein Transparent, «Nieder die Zäune, hoch die Fäuste» ein anderes. Auch immer wieder beliebt: «Klassenkampf» oder «Proletarier aller Länder vereinigt euch!» oder «Solidarität heisst Widerstand».

Gelebter Widerstand am 1. Mai.

Das ist nur eine kleine Auswahl an Sprüchen, die jeweils zum 1. Mai feilgeboten werden. Über ihre Sinnhaftigkeit kann man ausgiebig diskutieren, am besten bei einem revolutionären Roten in der Roten Fabrik.

Sprüche, Taten, Zuspitzungen, Zensur

Niemand käme allerdings auf die lachhafte Idee, dazu aufzufordern, einige dieser Sprüche aus der Welt zu schaffen. Aber bei Massnahmen-Gegnern fühlt sich der Redaktionsleiter bemüssigt, ihrem Diktatur-Spruch die Knöpfe reinzutun. Denn unsere Landesregierung sei nun nie diktatorisch gewesen. Wer so etwas behaupte, solle sich mal die Philippinen anschauen, da gehe es diktatorisch zu und her.

Klare Ansage mit 13 Buchstaben und einem Satzzeichen.

Woher kommt dieser verbissene Ernst gegenüber einer zugegeben leicht lächerlichen Überspitzung? Ist das die reine Meinungslust? Das Bedürfnis, die Welt ein wenig besser zu machen, indem man ihr Bescheid stösst? Das Angebot eines Dialogs?

Wäre es so, wäre es lediglich lächerlich, so wie die Überspitzung «Diktatur». Leider ist es aber mehr als das. Denn ausser in den Kolumnen des Pausenclowns Markus Somm kommen die Argumente – auf die man doch auch hören sollte – der Massnahmenkritiker bei Tamedia nicht vor. Oder höchstens, um als unwissenschaftlich, fahrlässig, unverantwortlich, gefährlich nahe an Verschwörungstheorien, zumindest weltfremd, ungehörig, absonderlich in die Pfanne gehauen zu werden.

Ist das noch erlaubt?

Der Ersatz von Meldung durch Meinung ist das eine. Der Abschied vom Modell Forumszeitung ist das andere, Schlimmere. Denn während des Endkampfs des medialen Pluralismus, als es sich abzeichnete, dass in allen Grossstädten der Schweiz, mit der einzigen Ausnahme Zürich, nur noch ein Monopolblatt überleben wird, wurde das Mantra gebetet: schon, aber dafür wird in der Basler, Berner, Luzerner, Zuger, Aarauer, St. Galler, Appenzeller Zeitung Platz für Pluralismus sein.

Das war allerdings nur so eine Meinung.

Sturm oder kein Sturm, das ist hier die Frage.