Hofberichterstattung
Tamedia fällt in mittelalterliche Gebräuche zurück.
Dieses Gehampel steht zuoberst beim Tagi online. Man muss es mit Humor nehmen. So ist beispielsweise auf dem Foto, das die weiterschüttende News begleitet, «Kamala Harris ist am Flughafen Zürich gelandet», einzig ein Edelweiss-Flieger zu sehen. Handelt es sich da neuerdings um Sparmassnahmen der US-Regierung, die der Bedeutung von Harris entsprechen? Schliesslich ist die Businessclass von Edelweiss durchaus zu empfehlen.
Dann findet sich immer irgend ein «Historiker», hier den Titularprofessor Sacha Zala, der Gewünschtes absondert. Laut Wikipedia hat er eine USP: «Zala wird von den Massenmedien oft zu historischen Themen um Auskunft angefragt, und zwar in mehreren Sprachen, die er alle fliessend spricht: neben seiner Muttersprache Italienisch Deutsch Schweizerdeutsch, Französisch und Englisch.»
Hier meint der Professor: «Die Konferenz baut sehr hohen Druck auf Russland auf». Ach ja? Weil bedeutende Länder wie Palau, Benin oder die Elfenbeinküste daran teilnehmen, wirklich bedeutende wie China, Brasilien oder Indien nicht oder mit zweitrangigem Personal?
Edgar Schuler versteigt sich zu einer Ferndiagnose des russischen Präsidenten: «Der Kremlchef wirkt nervös: Am Freitag legte er einen eigenen Friedensvorschlag vor.» Sicher ist es auch ein Ausdruck seiner Nervosität, dass Russland zu einem Forum der BRICS-Staaten eingeladen hat. Dafür erwartet Moskau über 5000 Teilnehmer aus 126 Ländern. Ätsch.
Und schliesslich, jetzt wird’s echt heikel, denn ZACKBUM will keinesfalls sich dem Vorwurf aussetzen, zu diffamieren: Raphaela Birrer schreibt einen Leitartikel, Pardon, Leitartikel: «Amherd und Cassis beweisen Mut».
Schon der erste Ton sitzt schief, sozusagen eine Dissonanz wie beim Martinshorn: «Oben auf dem Berg, da wird heute Geschichte geschrieben.» Und siehe, Cassis und Amherd steigen mit einer neuen Gebotstafel vom Berg herab.
Aber solche Erwartungen an die Geschichtsschreibung muss Birrer gleich dämpfen: «Ein Erfolg ist sie bereits, wenn sie den Friedensprozess zumindest anstösst. Ein zählbares Resultat ist schon, wenn sich die anwesenden Staaten auf eine gemeinsame Schlusserklärung einigen können.»
Selbst wenn das gelingen sollte: der Inhalt dieser Schlusserklärung ist offensichtlich völlig wurst, wichtig ist: es gibt sie. Wir wollen nicht höhnen, sonst trifft uns auch noch der Bannstrahl Birrers: «Über solch angeblich ambitionslose Ziele wurde hierzulande in den vergangenen Monaten viel gehöhnt. Und kleinlich wurde jeder vermeintliche Misserfolg von Bundespräsidentin Amherd und Aussenminister Cassis bewertet».
Kleinlich, vermeintlich? Keine einzige wichtige Macht (Europa und Japan ausgenommen) nimmt mit erstklassigem Personal oder überhaupt teil, das zu kritisieren soll kleinlich sein? Nein, noch schlimmer:
«Die Kritik ist aber in mehrfacher Hinsicht unredlich. Sicherlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn der Aggressor Russland und dessen Verbündeter China auch am Tisch gesessen hätten. Aber es ist das Wesen der Diplomatie, dass sie auf kleine Schritte statt grosser Würfe setzt. Wer dies negiert, kann auch direkt für einen Entscheid auf dem Schlachtfeld votieren.»
Was nicht nur Tamedia unablässig tut, nebenbei. Aber immerhin, auch hier krebst Birrer mutig wieder zurück: «Sicher, Amherd und Cassis machten Fehler».
Dann schwingt sich Amherd noch zu allgemeinen Bemerkungen auf, und da ist sie, jetzt wird’s ganz heikel in der Formulierung, nun, intellektuell deutlich gefordert. Oder sagen wir, ZACKBUM hat ja nichts mehr zu verlieren, überfordert:
«Innenpolitisch leben Amherd und Cassis damit das Konzept einer Neutralität, die nicht gleichgültig ist. Einer Neutralität, die den proaktiven Einsatz für den Frieden und für das Völkerrecht höher gewichtet als die klinisch gleiche Distanz zu beiden Kriegsparteien. Sie nehmen den Ärger Russlands in Kauf. … Oben auf dem Berg, da werden hoffentlich auch die Weichen für eine zeitgemässere Schweizer Neutralität gestellt.»
Also wenn in diesem Trümmerhaufen einer unergiebigen Konferenz, an der nicht einmal beide Konfliktparteien teilnehmen, weil sich die Schweiz von der Ukraine diktieren liess, dass Russland gefälligst wegzubleiben habe, eine zeitgemässe Schweizer Neutralität entstehen soll, dann aber gute Nacht, liebe Eidgenossen; hört doch einfach auf, Euch als neutral zu bezeichnen.
Das wäre mal eine originelle Weichenstellung.