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Versteckspiel

Ist Anwältin Zulauf Mittelsperson oder nicht?

«Bitte nehmen Sie zu Kenntnis, dass ich Falschaussagen zu meiner Person mit einer Zivilklage beantworten werde.»

Eigentlich war der Anlass nicht sonderlich erheblich. ZACKBUM verfügte über Informationen, wer die ominöse «Mittelsperson» sei, die das Dossier von sich beschwerenden Frauen von dem Amt für Gleichstellung zur «Republik» getragen hatte. Und wie es sich im seriösen Journalismus gehört, wollten wir Rechtsanwältin Rena Zulauf Gelegenheit zur Stellungnahme geben.

Vor allem hätte uns interessiert, ob Zulauf hier mandatiert war und wie der Begriff «See only» auf dieses Dossier geriet. Schliesslich wollten wir noch wissen, ob Zulauf das Dossier an den SRF-Journalisten Salvador Atasoy weitergereicht habe.

Antwort: «Ihre Annahme und/oder die kolportierte Annahme ist falsch. Weder wurde mir ein Dossier von belästigten Damen zugespielt, noch habe ich dieses bzw. ein solches Salvador Atasoy weitergereicht.»

Da bekannt ist, dass Zulauf zwar nicht allzu häufig erfolgreich, aber gerne und schnell klagt, liessen wir es auf sich beruhen.

Nun ist es aber dem Chefredaktor Marcus Hebein des «Schweizer Journalist» gelungen, diese Behauptung rechtsfest zu machen. Also konfrontierte auch er die Anwältin damit. Ihre irritierende Antwort:

«Ich bin einigermassen irritiert, dass mich jemand bei Ihnen als Mittelsperson nennt, Sie mir aber nicht sagen, wer diese Person ist, und sich diese Person auch nicht mir gegenüber outet.» Und weiter: «Solcherlei ,Spiele‘ mache ich nicht mit; sie sind unlauter und haben mit korrektem Journalismus nichts zu tun. Schade!»

Nachdem sie hier offenbar darauf verzichtet, mit rechtlichen Schritten zu drohen, sollte man sie als diese «Mittelsperson» bezeichnen, will sie nun etwas, von dem sie wissen müsste, dass es absurd ist. Dass ein Journalist ihr gegenüber seine Quelle offenlege, bevor sie sich dazu äussere. Das bezeichnet der «Schweizer Journalist» zu Recht als «bizarr».

Auch Hebein hätte gerne gewusst, was es mit der «See only»-Klausel auf sich habe, von der die «Republik»-Chefetage behauptet, dass sie ihr wochenlang die Hände gebunden habe und sie zur Untätigkeit verdammte.

«Auch wären wir daran interessiert gewesen, welche „Forderungen“ denn die Anwältin an die „Republik“ im Zuge der Information über die Fälle gestellt habe, welche Schritte denn von der „Republik“- Leitung erwartet wurden», schreibt Hebein weiter.

Das sind tatsächlich entscheidende Fragen. Denn nicht nur der Fall selbst – mögliche sexuelle Belästigung von Mitarbeiterinnen der «Republik» durch einen prominenten Reporter –, sondern auch die Handhabung durch die «Republik»-Führung hat dazu beigetragen, dass das Online-Magazin der guten Denke und Lebensart in eine durchaus existenzbedrohende Krise geraten ist.

Dabei spielt Zulauf offensichtlich eine wichtige Rolle. Es ist auch nicht klar, ob sie nun die Anwältin der sich beschwerenden Frauen ist oder eben nur eine Botin, die sich so die Option offenhalten wollte, von der Botin zur Rechtsvertreterin zu werden.

Wäre das so, hätte Zulauf einen dicken Nagel in den Sargdeckel über der «Republik» eingeschlagen. Denn das Rumgeeier, bis dort die Teppichetage überhaupt in die Gänge kam, den Vorwürfen nachzugehen, lastet schwer auf deren Glaubwürdigkeit.

Bizarr ist allerdings, dass eine Medienanwältin meint, ein Vorgang, für den es zahlreiche Zeugen und Beteiligte gibt, liesse sich unter dem Deckel halten.

Mit Klagedrohungen ist sie schnell zur Hand, aber auf eine erneute Möglichkeit zur Stellungnahme reagierte sie diesmal nicht – schweigen.

Dabei wären Antworten auf diese Fragen durchaus von öffentlichem Interesse:

In der aktuellen Ausgabe des «Schweizer Journalist» werden Sie als die Mittelsperson identifiziert, die das Dossier an die «Republik» überbracht hat. Mir gegenüber hatten Sie das abgestritten und mit Klage gedroht.

Werden Sie nun gegen den «Schweizer Journalist» rechtlich vorgehen?

Wenn nicht, wieso haben Sie es bei mir mit Klagedrohung abgestritten, gegenüber Marcus Hebein dann nicht mehr?

Sie haben mit der Begründung, dass Sie zuerst die Quelle wissen wollten, jegliche weitere Stellungnahme gegenüber Hebein verweigert. Ist Ihnen der Begriff Quellenschutz nicht geläufig?

Dem «Schweizer Journalist» ist es gelungen, in einer Ihrer Rechtsschriften den ominösen Begriff «see only» aufzuspüren, der offenbar sehr ungebräuchlich ist. Also haben Sie diesen Begriff auf das Dossier gesetzt?

Das Amt für Gleichstellung hat mir schriftlich bestätigt, dass er nicht von ihm stammt, die «Republik», dass er auf dem Dossier stand, als es von der Mittelsperson Zulauf ausgehändigt wurde. Haben Sie eine Vermutung, wie er dorthin gekommen sein könnte?

 

Journalismus. Deutsch. Gut.

Ich habe mir «Die Zeit» gekauft. Hätte ich nicht tun sollen.

Was für ein Format. 56,5 auf 39,5 cm. Aufgeklappt gar 79 cm breit. Keine Lektüre in der S-Bahn zur Stosszeit. Aber der Inhalt entspricht dem Format: übergross.

Vielleicht ist die Ausgabe vom 2. September 2021 ein absoluter Höhepunkt des Schaffens der «Zeit»-Redaktion. Auf jeden Fall sind das bestens investierte Fr. 8.50. Wenn man bedenkt, dass für nicht viel weniger Geld beispielsweise die Schweizer Samstags- und Sonntagszeitungen den Leser mit ihrem Flachsinn belästigen, wird’s einem ganz anders.

Schon die beiden Frontkommentare zu möglichen Bündnissen nach den deutschen Parlamentswahlen (was für ein schlanker Titel: «Nein», zu einer Koalition mit den Linken): reines Lesevergnügen. Der zweite ist ein Essay zum Thema «Dummes Geld». Zum Problem, dass immer mehr Firmen als Grossaktionäre Fonds haben, die keinerlei Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen wollen – und können.

Oder wie das der Autor auf den Punkt bringt: «70 gegen 13’000.» An so viel Unternehmen ist der weltgrösste Fondsanbieter BlackRock beteiligt; überwacht wird das von 70 Mitarbeitern.

Es gibt noch etwas zu Afghanistan zu sagen

Dann zwei Seiten zu Afghanistan; wer meinte, hier sei nun wirklich alles gesagt worden, wird eines Besseren, Intelligenteren belehrt. Die nötigen Kontakte zu den Taliban im Zusammenhang mit fundamentalistischem Terrorismus werden ausgeleuchtet. Die interessante Frage beantwortet, wieso Frankreich für ein Mal nicht am «Debakel» in Afghanistan bis zum Schluss beteiligt war. Sondern schon vor Monaten damit begann, eigene Kräfte und afghanische Helfer auszufliegen.

Wofür die Regierung dann von NGOs kritisiert wurde. Die Vorhersagen von einer nahenden Katastrophe seien «ohne Zweifel überzogen», die Gefahr «nicht akut», schimpfte noch am 17. Mai die NGO «Afrane». Der rechtzeitige Rückzug sei «das falsche Signal», die Bevölkerung könne den Eindruck gewinnen, Frankreich gebe das Land auf. So kann man sich täuschen.

Dann eine Seite intelligente Abhandlung der Frage, ob der Westen in Afghanistan wirklich «gescheitert» ist, ob der Abzug nicht auch eine Chance biete, von der «wir können militärisch überall eingreifen und die Demokratie herbeischiessen»-Haltung abzurücken. Nebenbei ist der Essay illustriert mit dem wohl bedrückendsten Foto des Abzugs. Die US-Soldatin Nicole Gee hält ein afghanisches Kind in den Armen und betrachtet es mit so freundlicher Zuneigung, im Widerspruch zu ihrer Kriegsausrüstung. Wenige Tage später stirbt sie beim Terroranschlag am Kabuler Flughafen.

Zwei mal Nicole Gee: Wenn Humanes auf Brutales trifft.

Dann folgen zwei Seiten Artikel zu den Grünen und der CDU. Basierend auf langjährigen Kenntnissen, Wahlkampfbegleitung, fundierter Beschreibung; Analyse statt Meinung. Wenn man vor allem Schweizer Gazetten liest, hält man so etwas gar nicht mehr für möglich. «Historisch wird handlich, und die Klimakrise schrumpft zum technischen Projekt.» Präziser hat kaum jemand das Problem der grünen Kanzlerkandidaten auf den Punkt gebracht.

Und unter all den Verabschiedungen von Angela Merkel ragt «Die Methode Merkel» auch wie ein intellektueller Leuchtturm heraus.

Wer die Probleme Polens mit dem Rechtsstaat und einer unabhängigen oder parteitreuen Justiz verstehen will, muss die Reportage «Nahkampf um den Rechtsstaat» lesen. Weil es noch eine Reportage von vor Ort ist, und weil Kenntnis und Wissen dahinterstecken.

Überragend dann die Aufmacherstory des «Dossier» der «Zeit»

All das verblasst aber gegen den Inhalt des «Dossier». Ein ehemaliger US-Folterknecht von Guantánamo wird mit seinem damaligen Opfer zusammengebracht. Dahinter steckt eine jahrelange Reportage. Die Initialzündung war der Wunsch des ehemaligen Gefangenen Mohamedou Slahi, seinen damaligen Peiniger kennenzulernen – um ihm zu vergeben.

«Die Zeit» spürte diesen Mr. X auf – bis heute ein gebrochener Mann, der nicht verwinden kann, was er als gehorsamer Soldat im Dienst seiner Regierung tat. Er ist heute noch überzeugt, dass sein damaliger Gefangener ein manipulativer Terrorist ist, dem er dennoch Unrecht angetan hat.

Opfer (links) und Täter. Oder Sieger und Verlierer?

Die beiden Schicksale, die Suche nach der Wahrheit, nach Wahrheiten, das sind journalistische Sternstunden auf drei Seiten. Da verschmerzt man leicht, dass im anschliessenden «Schweiz»-Split zwei Klimaforscher interviewt werden.

Im Feuilleton wird die Eröffnung eines Museums in seiner Geburtsstadt Rimini zum Anlass genommen, des gigantischen italienischen Filmemachers Frederico Fellini zu gedenken. Wie das nur ein Autor tun kann, der dessen Werk auswendig kennt, von «Amacord» zu «La Strada» springen kann, natürlich «La Dolce Vita», dabei so vieles weglassen muss im filmischen Schaffen dieses Ausnahmegenies, das wie wohl kein anderer die italienische Seele und ihre Entwicklungen, Verwicklungen verstanden und auf die Leinwand gebracht hat.

Auch wenn man selbst Fellini-Fan ist, bietet der Artikel Neues und Interessantes. Dann noch ein Interview mit Slavoj Zizek. Das ist nun meistens ein Selbstläufer, aber man muss auch beharrlich intelligente Fragen stellen, um den eher mürrischen Geist zu Hochformen auflaufen zu lassen.

Auch darüber, dass man sich bei Veränderungen an eigenen Texten nicht so anstellen soll, denn die sollten «eine solide Grundlage haben» die Eingriffe überlebt. Schlagfertige Frage am Schluss: «Gilt das auch für dieses Interview?» Schlagfertige Antwort:

«Ja, drucken Sie, was Sie wollen. Mir egal, ich will das auf keinen Fall vorher noch mal sehen!»

Es gäbe noch so vieles zu erwähnen

Dabei haben wir den Wirtschafts– und Wissensbund noch gar nicht erwähnt, auch nicht das Special «Entdecken», ein wunderbares Gefäss, dazu noch das «Magazin», neben dem seine schmalbrüstigen Schweizer Namensvetter eigentlich aus Anstand Selbstmord begehen sollten.

Kann man meckern? Aber immer. Die Lektüre hat den halben Arbeitstag kaputt gemacht. Denn statt Nötiges, aber Unwichtigeres zu tun, legte man sich einfach mit der «Zeit» in die Sonne und wurde von ihr erleuchtet, zumindest erhellt. Sicherlich bereichert.

Aber eben, welch schmerzliche Rückkehr in die Niederungen des eidgenössischen Schaffens. Man sollte sich die Lektüre solcher Blätter (auf Englisch gibt es auch noch ein paar) nur in homöopathischen Dosen gestatten. Sonst wird man Opfer einer typisch deutschen Krankheit, die all die nicht befällt, die eher selten von des Gedanken Blässe angekränkelt werden: Weltschmerz.