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Feiges Filmfestival

Was für ein Wackelpudding ist Christian Jungen.

Es gibt einen Dokumentarfilm über «Russians at War». Festivaldirektor Jungen hatte noch vor Kurzen getönt: «Filme sollen zu Diskussionen anregen. Und wir verstehen diesen Film als Antikriegsfilm.»

Die russisch-kanadische Filmemacherin Anastasia Trofimova hatte während sieben Monaten russische Soldaten im Ukrainekrieg begleitet. Sie sagt, es handle sich dabei um eine menschliche Momentaufnahme von Soldaten, die sich in einem sinnlosen Krieg befinden; sie selbst verurteile die Invasion als ungerecht und illegal.

Der Streifen war bereits an den Internationalen Filmfestspielen von Venedig gezeigt worden – ohne Zwischenfälle. In Toronto war seine Vorführung allerdings zunächst wegen Drohungen abgesagt worden.

Am Zurich Film Festival (ZFF) laufen zudem zwei Dokumentarfilme, die die ukrainische Seite zeigen. Alleine die unverschämte Intervention eines Sprechers der ukrainischen Regierung hätte in einem Land, in dem Meinungsfreiheit hochgehalten wird, scharfe Zurückweisung erfahren müssen:

«Wir fordern die Organisatoren des ZFF dringend auf, die Reputation des Festivals nicht durch die Aufführung von «Russians at War» zu ruinieren. Das ist ein Propagandafilm, der Kriegsverbrechen weisswäscht. Wirkliche Russen sind Invasoren, Kriegsverbrecher und Vergewaltiger. Das zu überdecken macht jeden zum Komplizen.»

Dagegen hielt zunächst der pseudomutige Jungen, dass er sich auf ein «veritables Filmfest mit Substanz und Glamour» freue. Wer sich den Trailer der Dokumentation anschaut, sieht, dass es sich um alles andere als einen Jubel-Propagandafilm handelt. Er zeigt etwas, was ukrainischen Kriegsgurgeln und ihren dümmlichen Apologeten in der Schweiz nicht in den Kram passt: russische Soldaten als Menschen.

Am Donnerstagabend dann die Kehrtwende: «Die Sicherheit unseres Publikums, der Gäste, Partner und Mitarbeitenden steht für das ZFF an oberster Stelle.» Daher wird die Aufführung abgesagt, die angekündigte Podiumsdiskussion mit der Regisseurin, zu der auch der ukrainische Botschafter in der Schweiz eingeladen wurde, ebenfalls. Die Regisseurin wird nicht in die Schweiz reisen.

Das heisst also, dass die Leitung des ZFF einknickt, wenn Antidemokraten und Feinde der Meinungsfreiheit nur genug Lärm machen. Da hierzulande niemand den Film gesehen hat, kann keiner sich eine Meinung darüber bilden, ob es russische Propaganda sei oder nicht. Aber das ist nicht einmal entscheidend.

Entscheidend ist: in Russland und in der Ukraine herrscht Zensur. Kann von Meinungsfreiheit und freier Meinungsbildung keine Rede sein, werden oppositionelle Meinungen unterdrückt, auch mit drakonischen Mitteln. So hat das ukrainische Kulturministerium die Regisseurin Trofimova zu «einer Bedrohung der nationalen Sicherheit» erklärt. Echt jetzt?

In der Schweiz ist das anders. Im Gegensatz zur EU kann man hier auch Russia Today weiterhin empfangen, und das ist gut so. Wer mündige Staatsbürger für so blöd hält, dass sie sich von russischer Staatspropaganda einseifen liessen, sägt an den Fundamenten einer freien Gesellschaft. Wer einen Dokumentarfilm als «russische Propaganda» kritisiert, wie das auch Schweizer Journalisten tun, ohne ihn gesehen zu haben, ist ein Dummkopf und sollte die Lizenz zum Schreiben verlieren. Das wäre mal eine sinnvolle Zensur.

Immerhin schreibt die NZZ, deren Abgesandter nach Venedig den Film offenbar gesehen hat: «Dass sich das ZFF mithin gezwungen sah, die Filmvorführung zu streichen, ist erschreckend.»

Schon der ukrainische Botschafter in Deutschland benahm sich dermassen unmöglich, dass er von seinem Posten abberufen werden musste. Was sich hier die ukrainische Regierung erlaubt, ist ebenfalls unerhört und müsste sowohl vom ZFF wie auch von der Zürcher Regierung genauso scharf beantwortet werden.

Jungen ist es gelungen, den Ruf des ZFF mit leichter Hand zu ruinieren. An der Einladung eines Roman Polanski wird festgehalten, aber ein Dokumentarfilm wird zensiert, wenn genügend Rüpel dagegen protestieren, wenn es gar Drohungen gibt? Überlässt man also dem Pöbel die Entscheidung, was wir anschauen dürfen und was nicht?

Diese Drohungen richten sich nicht in erster Linie gegen das ZFF. Sondern gegen die Meinungsfreiheit. Feige einzuknicken, das ist unehrenhaft, unanständig und desavouiert Jungen als Windfahne ohne Rückgrat.

Nach dieser erbärmlichen Vorstellung müsste er eigentlich seinen Rücktritt erklären. Was er aber nicht tun wird. Das Publikum sollte sie eigentlich mit Buhrufen und Pfiffen quittieren und unter Protest den Saal verlassen. Was es auch nicht tun wird, denn dabei könnte man ja das Cüpli verschütten oder den Auftritt auf dem grünen Teppich versauen. Anstatt sich im Glanz von Hollywoodstars zu sonnen, sollte die Stadtpräsidentin Corine Mauch und jeder Politiker, der sich am ZFF rumtreibt, seine Missbilligung ausdrücken. Was keiner tun wird.

Und wo bleibt der Protest der mutigen Mannen (und Frauen) von Tamedia, vom «Blick», von CH Media?

Erbärmlich.

Unerhört! – im falschen Film?

So geht Pluralismus in der Meinungsbildung.

Am Freitag war die Premiere des Dokumentarfilms «Unerhört!». Gedreht hat ihn Reto Brennwald, immer noch bekannt als «Arena»-Dompteur.

Es sei ihm um eine anwaltschaftliche Perspektive gegangen, stellt er klar. Eigentlich hat er jedoch eine viel bessere Begründung. Nachdem er selbst in der Beurteilung der getroffenen Massnahmen, im Widerstreit der Meinungen immer unsicherer geworden ist, machte er das, was er kann: einen Film.

Dass man das speziell hervorheben muss, ist schon ein Armutszeugnis für den Elends-Journalismus der heutigen Tage.

Allgemeine Verunsicherung kocht hoch

Selbstverständlich gibt es auch seriöse Quellen zur Thematik, selbstverständlich kann jeder in Eigenverantwortung entscheiden, was und in welchen Dosen er zum Thema Corona zu sich nehmen will, wie Comedian Stefan Büsser zum Missfallen von Teilen des Publikums bei der Podiumsdiskussion richtig festhielt.

In der Kakophonie der veröffentlichten Meinungen kocht eine allgemeine Unsicherheit, Angst, Zukunftsangst hoch, bis hin zu den üblichen Dummheiten über Weltverschwörung, dunkle Mächte im Hintergrund.

Voller Saal bei der Premiere des Dokumentarfilms

Wie gross das Bedürfnis nach anderen Blickwinkeln ist, zeigte sich daran, dass die Samsung-Halle in Dübendorf voll war – so voll, wie es unter den aktuellen Corona-Massnahmen möglich ist. Bei 950 Teilnehmern regelten die Veranstalter den Ticketverkauf ab. Es erscheint aber durchaus möglich, dass sogar die maximal 5000 Plätze hätten gefüllt werden können.

Veranstaltet wurde der Anlass von coronadialog.ch. Das ist eine Plattform, die vom Unternehmer Marcel Dobler (Digitech) ins Leben gerufen wurde. Das Publikum war, um es höflich auszudrücken, animiert und emotional. Es wurde geklatscht und bravo gerufen, wenn im Film von den Protagonisten heftige Kritik an der offiziellen Corona-Politik geübt wurde.

Es wurde gepfiffen und gebuht, wenn andere Meinungen vertreten wurden, so vom ehemaligen «Mister Corona» Daniel Koch. Der kam nicht nur im Film vor, sondern wagte sich anschliessend bei der Podiumsdiskussion in die Höhle der Bettvorleger-Löwen.

Brennwalds Erfahrung als Moderator

Hier konnte Reto Brennwald seine ganze Erfahrung als Moderator ausspielen, das war auch dringend nötig. Denn auf dem Podium war eine gut ausgewählte Gruppe versammelt: Daniel Koch, Hans-Ulrich Bigler, Chef des Gewerbeverbandes, Stefan Büsser, Comedian, der sich wie Marco Rima schon pointiert geäussert hatte, und Christoph Schmidli, Hausarzt.

Das Dokumentarfilmerglück wollte es, dass Brennwald den Film Ende September fertiggestellt hatte; er umfasst die Aktualität bis Ende August, als sich die Indikatoren der Pandemie auf einem sehr niedrigen Stand eingepegelt hatten. Er greift in die Debatte ein zu einem Zeitpunkt, als wieder die gleiche Stimmung herrscht wie vor dem ersten Lockdown.

Aus den Reaktionen des Publikums kann man schliessen, dass kaum Zuschauer anwesend waren, die sich ohne feste Meinung einfach mal über eine andere Sicht informieren wollten. Dadurch bekam der Abend etwas Selbstreferenzielles. Ein – im Übrigen auf hohem Niveau gedrehter und geschnittener – Film liefert Bestätigung in Bild und Ton, mit Protagonisten und Antagonisten, mit Fragen und Zahlen.

Weiterhin kindisches Niveau der Debatte

Dass wie zu erwarten war in vielen Medien seine Einseitigkeit am Tag danach kritisiert wurde, zeugt vom weiterhin in weiten Teilen kindischen Niveau der Debatte. Ebenso, dass trotz wiederholter Bitten der Veranstalter, sich an die Vorschriften zu halten, kleinere Teile des Publikums demonstrativ ihre Mundmasken auszogen. Was natürlich wie gewünscht entsprechendes Bildmaterial für Kritiker des Abends lieferte.

Auch während der Podiumsdiskussion zeigte sich, dass zumindest ein harter Kern der Anwesenden keinesfalls an einem Dialog interessiert ist. Reto Brennwald musste mehrfach seine ganze Erfahrung und Autorität einsetzen, um Daniel Koch zu ermöglichen, fertigzusprechen.

Da benahm sich ein Teil des Publikums wie Donald Trump bei der ersten TV-Debatte mit Joe Biden. Auch die abschliessende Fragerunde aus dem Publikum zeigte das ganze Spektrum von Besorgnis, Verunsicherung und aggressiver Kritik an den Massnahmen und natürlich an Daniel Koch. Für einmal wirkte hier sogar seine unerschütterlich ruhige Art nicht einschläfernd, sondern etwas beruhigend.

Zum Beispiel die frühere Stimme des Volkes, der «Blick»

Und nun? Nachdem wir das dumme Gewäffel des Tagi-Chefredaktors schon abgehandelt haben, nehmen wir heute den «Blick». Der Oberchefredaktor Christian Dorer hat eine klare Meinung: «Handeln! Sie! Jetzt!» Moderndeutsch mit drei Ausrufezeichen garniert. Denn: «Eine Katastrophe wäre es, wenn die Menschen auf den Gängen der Spitäler sterben würden.»

Mit solchen Szenarien wurde die Bevölkerung schon vor dem ersten Lockdown geschreckt. Und wie sieht die Berichterstattung über den Event in Dübendorf aus? «Ausgebuhter Mister-Corona Koch und nicht überall Masken bei Premiere von «Unerhört!»: Corona-Skeptiker haben ihren grossen Abend».

Schon an diesem Titel sieht man, dass die Debatte weiterhin aus dem Schützengraben heraus geführt wird. Da ich selbst anwesend war, frage ich mich, an welchem Anlass denn die «Blick»-Journalisten waren.

Brennwald und coronadialog sind schon einen Schritt weiter

Denn was man auch immer von diesem Dokumentarfilm und den Reaktionen des Publikums halten mag: Hier sind die Veranstalter von coronadialog.ch und Reto Brennwald eindeutig einen Schritt weiter: Sie bringen schlichtweg eine andere Sicht ein, und vor allem: sie wollen Dialog, Diskussion, Meinungsbildung im Austausch von Argumenten. Ein kleiner Teil des Publikums wollte das nicht. Die Duopolmedien in der Schweiz, CH Media und Tamedia, sowie der «Blick» wollen das auch nicht.

Übrigens, wer sich selber eine Meinung bilden will: Noch an diesem Abend hat sich Reno Brennwald entschieden, am Montag den Film auf YouTube zu stellen, wo ihn sich jeder gratis anschauen kann.