Auf den ersten und zweiten «Blick»
Die E-ID und die unabhängige Berichterstattung: auf klarem Kollisionskurs.
Wenn die Nachfrage nachlässt, gibt’s Rabatt. Ein altbekanntes Prinzip, angewendet im ältesten Gewerbe der Welt – wie auch von Medien. Leider gibt es eine weitere Gemeinsamkeit.
So wie jede käufliche Dame auf Wunsch oder zur Kundenbindung behauptet, dass der jeweilige Benutzer der tollste Hengst sei, dem sie jemals begegnete, gibt jedes Medienhaus markige Geräusche von sich, dass bezahlter Inhalt und redaktionelle Leistung nichts miteinander zu tun hätten, deutlich getrennt seien, das eine niemals das andere beeinflusse.
Gleichzeitig wurde ein ganzer Zoo von Werbeauftritten erfunden, der nichts anderes im Sinn hat, als diese Grenze zu verwischen.
In den guten alten Zeiten war klar: Wenn links das Inserat des Detailhändlers steht, dass Schweinefleisch diese Woche besonders günstig sei, und rechts ein redaktioneller Beitrag, dass wissenschaftliche Studien erwiesen hätten, dass der regelmässige Verzehr von Schweinefleisch gegen Herzinfarkt, Inkontinenz und Krebs wirke, sahen da nur sehr naive Leser keinen Zusammenhang.
Dass das meiste, was über Kosmetika, Reisen, Autos oder Shoppingtipps erscheint, weder selber bezahlt, noch ausgewählt wurde, ist altbekannt. Unsichtbar, aber auch sehr wirksam sind sogenannte Partnerschaften. Also Bank XY zahlt einen grossen Batzen an das Folkfestival, ausgerichtet von Zeitung YZ. Da versteht es sich von selbst, dass spätestens der Chefredaktor einem unverständigen Journalisten klarmacht, dass es überhaupt keine gute Idee sei, etwas Kritisches über Bank XY zu schreiben.
Die Publireportage in immer neuen Kleidern
Von der anderen Richtung her arbeitet all das, was früher schamvoll Publireportage genannt wurde. Also eine Werbung, die so nahe wie möglich an den redaktionellen Inhalt heranrückt. Aufmachung, Typo, Layout, Look and Feel, alles möglichst ähnlich.
Weiterhin ist das Prinzip das gleiche, Reportage ist nix, und Publi bedeutet schlichtweg: da hat einer dafür bezahlt, aber auch hier gibt es immer wieder neue Wortschöpfungen. Native Ad ist so eine, wenn der bezahlte Inhalt in ein möglichst werbefreundliches Umfeld gestellt wird.
Das machen inzwischen alle, von der NZZ abwärts. Aber der «Blick» legt schon noch einen Zacken zu, wie es sich für den Boulevard gehört. Denn zufälligerweise ist der CEO und Mitbesitzer Marc Walder der Gründer und Präsident von «digitalswitzerland».
Das ist ein Zusammenschluss von rund 140 Firmen, die die Schweiz zum «digitalen Hub» machen wollen.
Der digitale Hub und die digitale ID
Trotz Lockdown und damit der Unmöglichkeit, gross Abstimmungskampf zu betreiben, nähert sich der nächste Abstimmungssonntag mit grossen Schritten. Da steht im Schatten der Debatte über das Burkaverbot auch die Frage, ob die Schweiz eine E-ID haben will oder nicht.
Jetzt wird es einen Moment typisch schweizerisch filzig. «digitalswitzerland» hat sich zu einem Who’s who der Schweizer IT-Branche, Banken, Versicherungen und Grossfirmen gemausert. Hier sind fast alle dabei, die CS, die UBS, Swiss Re, die Post, unvermeidlich Ruedi Noser, dazu der CEO der NZZ – und der CEO der «Swiss Sign Group», Markus Naef.
Dann muss man nur noch wissen, dass Swiss Sign mit der Swiss ID schon einen Riesenflop gelandet hat. Und natürlich dabei wäre, wenn wie vom Bundesrat gewünscht die Ausstellung der neuen E-ID von Privatfirmen übernommen wird. Obwohl die E-ID kein Pass sein soll und zur zweifelsfreien Identifikation im Internet dienen, ist das Misstrauen in der Bevölkerung gross, was die Datensicherheit betrifft, bzw. was mit den Daten passiert, die der Hersteller lagern muss, um allfälligen Missbrauch nachvollziehen zu können.
Die Abstimmung steht auf der Kippe
Die Abstimmung steht auf der Kippe, leichte Vorteile für die Gegner. Höchste Zeit, dass der Ringier-Verlag richtig Gas gibt. Damit keine Missverständnisse aufkommen: In jedem Medienorgan (ausser ZACKBUM.ch) gibt es natürlich inhaltliche Vorgaben. Der Chefredaktor der NZZ, wenn er nicht gerade am Fasten ist, würde einen Arzt rufen, sollte ein Redaktor auf die Idee kommen, in der alten Tante eine Lanze für die Abschaffung des Privateigentums zu brechen.
So ist das natürlich auch bei Ringier und im «Blick». Ein nettes Wort über Christoph Blocher oder die SVP? Ausgeschlossen. Soweit business as usual. Aber nun ein exemplarisches Beispiel, was passiert, wenn man zu viel Gas gibt.
Zunächst betrachten wir diesen «Artikel», übrigens der jüngste in einer ganzen Serie. «E-ID-Gesetz: Ein Modell für die Zukunft». Kommt täuschend ähnlich wie ein redaktioneller Beitrag daher, aber rechts unten steht «Präsentiert von digital switzerland». Erst, wer draufklickt, könnte die Autorenzeile überlesen: «Das ist ein bezahlter Inhalt, präsentiert von digitalswitzerland». Und, immerhin, als Artikelanfang: «Bei diesem Beitrag handelt es sich um politische Werbung.»
Rollenteilung von Medien und Wirtschaft.
Auf Deutsch: ein bezahltes Inserat, das so ähnlich wie möglich als redaktioneller Beitrag daherkommt. Allerdings muss Ringier happige Preise verlangen. Denn für eine anständige Illustration war offensichtlich kein Geld mehr vorhanden. Anders ist das hier nicht zu erklären:
So sähe es vielleicht nach einem Anschluss an die EU aus.
Die ewige deutsche Erika Mustermann auf einer deutschen ID, ob das in der Schweiz mehr Vertrauen schafft? Aber rein schweizerisch und echt redaktionell ist gleich darunter ein «grosses Interview mit Bundesrätin Karin Keller-Suter». Wobei Interview hier ein grosses Wort ist, näher an der Realität wäre wohl: Wir liefern die Stichworte, Sie dürfen ausholen. Allerdings, auch der «Blick» ist nicht mehr in Höchstform, ein eher merkwürdiges Titelzitat.
Befürchtet Doppelklatsche: Karin Keller-Suter
Wenn irgendwas, was die Gegner angeblich wollten, gescheitert sei, wieso soll das dann ein Grund sein, mit Ja zu stimmen? Wie auch immer, wir freuen uns schon auf die kritischen Beiträge, die sicherlich im «Blick» noch folgen werden.