Schlagwortarchiv für: Daniel Strassberg

Kampf um den Leser

Die NZZaS unter neuer Leitung. Wie schaut’s aus?

Beat Balzli hat sein erstes Heft abgeliefert. Man kann von aussen schwer beurteilen, wie begeistert Redaktion und Leserschaft sind. Die Primadonnen der NZZaS werden Balzli in erster Linie danach beurteilen, wie sehr er ihnen Privilegien, Spesenkonto und Hobbys lässt. Für sie ist zu befürchten: das ist nicht seine Absicht.

Denn offiziell ist er angetreten, um die digitalen Kanäle besser zu bespielen. Davon hat er aber keine grosse Ahnung. Hingegen in der Aufgabe, die Payroll abzuschmelzen, die zunehmende Zusammenlegung von NZZ und NZZaS möglichst ohne grosse Geschrei voranzutreiben, und inhaltlich das im Interregnum ziemlich aus dem Leim gegangene Blatt wieder auf Kurs zu bringen, da muss er Pflöcke einschlagen. Sonst ist er so schnell wieder weg wie sein Vorgänger.

Nun ist Balzli beim «Spiegel» und anderswo durchaus gewohnt, mit intriganten und renitenten Mitarbeitern umzugehen; mal schauen, wie ihm das hier gelingt.

Immerhin, einen kleinen Akzent hat er bereits gesetzt. Die idiotische Artsy-Fartsy-Gestaltung des Covers mit verschenktem «Weissraum» hat er abgeschafft. Nun ist die Front wieder normal geworden. Rechts und oberhalb des Titels ein paar Anrisse, Foto-Story und vier textlich angerissene Artikel, plus weiterhin ein Zitat, was nun meistens nicht sehr erhellend ist.

Hier kommt gleich erschwerend hinzu, dass Balzli zwei neue Kolumnisten verpflichtet hat. Den «Politgeograf» Michael Hermann, von dessen Gequatsche selbst Tamedia genug hatte. Dazu noch «Avenir Suisse»-Chef Jürg Müller. Also der Verantwortliche dafür, dass dieser Think Tank immer weniger ernst und wahrgenommen wird. Na ja.

Und, der Inhalt? Kinder als Zankapfel bei Scheidungen. Sagen wir mal so: wenn man auf ganz ganz Nummer sicher gehen will, überhaupt nichts falschmachen, aber riskieren, dass der Leser Wiederholungsfaktor zehn verspürt, kann man das machen. Sonst nicht.

Aufmacherstory: «Die Achse des Bösen». Sagen wir mal so: mit diesem Begriff ist schon ein US-Präsident auf die Schnauze gefallen. Nun baue Teheran «mit seinen alten Partnern Putin und Erdogan» plus noch die Chinesen an einer neuen, grossen Front. «Diese richtet sich nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen den Westen.»

Da richtet Petra Ramsauer mal das Schlachtfeld ein, also den Sandkasten. «Flächenbrand im Nahen Osten … militärische Drohkulisse, auf die Teheran derzeit setzt …» Zwickmühle, diagnostiziert Ramsauer: «Greift Teheran ein, droht die «Achse des Widerstandes» militärisch zerschlagen zu werden – mit riesigen Kosten. Eilt Iran der Hamas aber nicht entschieden zu Hilfe, zerbröselt diese Achse.»

Aber, das Schreckensszenario: «Neben Russlands Präsident Wladimir Putin zeigen sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und auch Chinas Staatschef Xi Jinping zum politischen Schulterschluss mit Iran bereit.» Fehlen eigentlich nur noch Nordkorea und Kuba in dieser bösen Achse.

Nun ist auch Ramsauer eine externe Kraft aus Österreich, wie Adelheid Wölfl, die in Ex-Jugoslawien wütet. Eigentlich hatte Ramsauer im Mai 2020 ihren Abschied aus dem Journalismus angekündigt, «um sich zukünftig als Therapeutin für Traumata zu engagieren», weiss Wikipedia. Davon hat sie offenbar wieder abgesehen. Nun lägen Kalauer so nahe, dass wir drauf verzichten. Gibt es diese neue Achse des Bösen, ausserhalb der Fantasiewelt von Ramsauer? Schwer zu sagen, ob das therapiert werden muss oder nicht (Pardon).

Aber immerhin, was man sonst nicht so liest, weil alle auf den Gazastreifen fixiert sind: es folgt ein Bericht über die Situation im Westjordanland, wo ja Palästinenser seit Jahren mit illegalen Siedlungen Israels konfrontiert sind.

Verdienstvoll auch eine Reportage aus dem Niger, das wegen des x-ten Militärputschs nur kurzzeitig in den Fokus der Aufmerksamkeit rückte und seither weitgehend vergessen ist. Niger, Sudan, Jemen, Äthiopien, Somalia, Eritrea, wen kümmert’s schon. Immerhin, die NZZaS kümmert sich um Niger (oder Nischee, wie SRF sagen würde).

Die Berichterstattung über Serbien spiesst ZACKBUM in einem Wumms auf. Dann ein launiges Interview mit dem Kamikaze-Bundesratskandidaten der Grünen. Lustig zu lesen, aber nicht wirklich Pflichtlektüre.

Dann ein harsches Wort zum Einstieg in den «Hintergrund». Gordana Mijuk über die Wüsten-WM in Saudiarabien. Gähn. Nicola Brusa über eine lustige Idee eines indischen IT-Unternehmers. Augendeckel, offen geblieben! Michael Hermann mit der Nach-Nach-Nachanalyse der Wahlen. Schnarch. Aline Wanner über KI. Der Beweis, dass KI solche Kolumnen viel besser bespielen würde. Wieso traut sich Balzli nicht, dieses unsägliche Gefäss abzuschaffen? Und schliessliche Patrick Imhasly, der hier dilettieren muss, damit sich im Wechsel mit ihm eine frustrierte Schreiberin austoben darf. Abschaffen! Die folgende Seite «Meinungen»: abschaffen.

Dann das Interview mit dem jüdischen Psychoanalytiker Daniel Strassberg. Der langweilt sonst in der «Republik», nun darf er’s hier tun. Wenn man das schreiben darf, ohne gleich als Antisemit runtergemacht zu werden.

«Wirtschaft», eigentlich die Paradedisziplin von Balzli? Es geht, sagt ZACKBUM wohlwollend, es geht.  «Kultur»? Ein verschrumpelter Essay darüber, dass Serienschauen über Freundschaften vom Pflegen realer Freundschaften abhalte. Hätte man auch auf diesen Satz reduzieren können.

Aber immerhin, Gerhard Mack beweist mit seiner Würdigung der neueröffneten Bührle-Sammlung im Kunsthaus, dass er der einzige ernstzunehmende Kunst- und Ausstellungskritiker der Schweiz ist. Dass Peer Teuwsen eine gute Patti-Basler-Rezension abliefern könnte, wollen wir hingegen nicht behaupten.

Dann fällt der Abschied leicht: «Die Summe aller Frauen, Teil 36». Aufhören. Bitte. Gnade.

 

Inseln des Flachsinns

Ätsch, reingefallen. Mogelpackung.

In Wirklichkeit geht es um die Berichterstattung der «Republik» in den ersten sechs Tagen des Hamas-Massakers in Israel. Insgesamt hat das Qualitätsorgan in dieser Zeit ganze 15 Stücke veröffentlicht. Stücke, weil dazu auch das «Briefing aus Bern», der «7-Uhr-Newsletter» und die Selbstanpreisung des mageren Tagesausstosses gehören. An echten Artikeln sieht’s so aus:

Am 7. 10. rhabarbert Daniel Binswanger über das Thema Krankenkassen. Kann man spülen. Am gleichen Tag macht sich Theresa Hein quälend lange 20’000 A Gedanken über ihr Älterwerden. Welche Lebenszeit das den Leser kostet und wie alt der sich nach der Lektüre fühlt, darüber schreibt sie nichts. Israel? Hamas? War da was?

Selbst «Blick TV», das ja eigentlich komatös ist, stemmte am Samstag eine Sondersendung. Wer im Journalismus etwas auf sich hielt, versuchte mit mehr oder minder gelungenen Beiträgen auf dieses Massaker zu reagieren. Bei der «Republik» war’s aber wohl so: 55 Nasen sind natürlich viel zu wenig, um an einem Samstag in die Gänge zu kommen. Und dann war ja Sonntag, auch blöd. Und am Montag, nun ja, da begann man zu brüten, was man denn nun dazu wohl machen könne. So neben den schon ewig vorgesehenen Gähn-Artikeln.

Also erschienen rasend interessant 18’000 A über das «Geschäft mit Wahlprognosen». Gähnfaktor zehn. Aber dann, am 10. Oktober, Dienstag, immerhin, Trommelwirbel, «Die Barbarei der Hamas». Ah, Analyse, Hintergründe, Recherchiertes? I wo, «der Philosoph Daniel Strassberg erklärt, welche Gefühle der Angriff bei ihm auslöst». Wollen wir das wissen? Will jemand wissen, welche Gefühle das bei ZACKBUM auslöst? eben.

Dann 22’000 A über die möglichen Gefahren durch KI. Nun gut, nicht gerade brennend neu, aber immerhin. Allerdings: ist keine Eigenleistung der 55 «Republik»-Nasen, sondern eingekauft. Kann man ja auch nicht gelten lassen.

Dann spricht ein Mann darüber, wie er als junger Mann vergewaltigt wurde. Ist nicht schön für ihn, aber wollen wir das wissen? Eher nicht.

War’s das? Das war’s. Ist das ein Witz? Nun ja, vielleicht, aber ein schlechter. Vielleicht hat die «Republik» ja bis zum Erscheinen dieses Beitrages noch nachgelegt.

Roger Schawinski, quicklebendig wie ein Junger, wiederbelebte sein «Talk Radio».

Die ganze Welt schreibt, spricht, analysiert, behauptet, beschäftigt sich mit dem Überfall der Hamas auf Israel. Und die «Republik»? Veröffentlicht ein besinnliches Stück ihres Hofphilosophen, der tief in sich hineingehört hat. Und sonst: sonst nix. Nada, null.

Ist das peinlich? Das ist so peinlich, dass ZACKBUM nur noch in Ausnahmefällen diesen Totalflop einer Magazins in seiner Berichterstattung berücksichtigen wird. Auch Fremdschämen hat seine Grenzen.

«Paradigmen-Tsunami»

Was ist schlimmer als Dummschwätzen? Klugscheissen.

«Doch was geschieht, wenn die strikte Zwei­geschlechtlichkeit auf dem Müllhaufen der Geschichte landet, wenn die Zerstörung der Umwelt nicht mehr geleugnet werden kann oder nationale Grenzen an Bedeutung verlieren? Was sollen wir mit einer Psychoanalyse anfangen, die theoretisch noch immer auf der Zwei­geschlechtlichkeit beruht? Wohin mit dem Pazifismus und dem Anti­militarismus angesichts der Katastrophe in der Ukraine? Wie soll eine soziale Markt­wirtschaft ohne die Umwelt zerstörendes Wachstum funktionieren

Die «Republik» versteht sich bekanntlich als das Blatt der tiefen Denke, wo in jeder Beziehung die ganz dicken Bretter gebohrt werden. Meistens ohne viel Zuschauer wie bei der unendlichen Google-Serie. Aber das hat noch nie einen «Republik»-Schreiber davon abgehalten, wenig für viel Geld zu tun.

Daniel Strassberg ist Psychoanalytiker und hat noch ein Philosophiestudium drangehängt. Das qualifiziert ihn dazu, sich über «Nietzsche und Superman. Rousseau und die SVP» zu verbreitern. Diesmal denkt er darüber nach, dass wir uns angeblich in einem «Paradigmen-Tsunami» befänden.

Hier missversteht er nicht nur Thomas S. Kuhn, sondern auch noch gleich Michel Foucault, über den er seine Liz-Arbeit geschrieben hat: «In den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts stellten Kuhn und Michel Foucault beinahe gleichzeitig fest, dass Theorien und Begriffe nur in einem entsprechenden konzeptuellen Rahmen Sinn ergeben – oder um in unserem Bild zu bleiben: Sätze sind nur vor dem richtigen Hinter­grund sinnvoll.»

Also eigentlich hatte sich Kuhn in seinem bahnbrechenden Werk «Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen» mit dem Phänomen beschäftigt, dass es immer ein Weilchen dauert, bis neue Erkenntnisse zum Allgemeingut werden. Selbst nachdem man durchschaut hatte, dass Sauerstoff für Feuer zuständig ist, geisterte die Phlogiston-Theorie lange Zeit weiter herum. Oder die Farbenlehre Goethes, der sich allen Erkenntnissen von Newton verweigerte. Das waren bahnbrechende Gedanken, die nun nicht direkt etwas mit Paradigmenwechseln zu tun haben, wie sie Strassberg versteht. Foucaults Diskursanalyse, die Strassberg hier aus Gründen des Reputationsmanagements (ich kenne dann gleich zwei grosse Denker, gell) dazuquetscht, hat mit Kuhns Paradigmenwechseln nicht wirklich zu tun.

Sobald Strassberg aber das Klimpern mit Namen und Fremdwörtern verlässt, wird’s eher banal: «Natürlich verlängern die Panzer den Krieg. Doch Wagenknecht blendet aus, dass ohne sie die Ukraine längst von der russischen Armee überrollt worden wäre …»

Peinlich wird’s dann, wenn sich Strassberg von banalen Beispielen wieder in die lichten Höhen der Theorie aufschwingen will: «Vieles, woran wir glaubten, gilt nicht mehr, und doch sind wir, von einigen Ausnahmen abgesehen, noch weit davon entfernt, neue Begrifflichkeiten, neue Theorien und neue Glaubens­sätze entwickeln zu können

Blöd nur, dass sich eigentlich in den letzten Jahrzehnten seit Kuhn und Foucault die Erkenntnis- und Diskurstheorie fröhlich weiterentwickelt hat und es keinerlei Anlass gibt, neue Begrifflichkeiten zu entwickeln. Besonders peinlich ist, dass einer der wichtigsten Theoretiker auf diesem Gebiet auch zu diesen verpeilten Pazifisten gehört, die eine Verhandlungslösung und nicht noch mehr Panzer fordern.

Aber vielleicht hat Strassberg das Werk von Jürgen Habermas nicht mehr zur Kenntnis genommen und ist bei Kuhn und Foucault stehengeblieben. Wohl deshalb haut er auch Habermas diesen hier rein: «Aber das Fest­halten an alten pazifistischen Überzeugungen, nur um sich treu zu bleiben, ist kein Argument, das ist höchstens bier­selige Nostalgie.»

Noch schlimmer: «Tatsächlich bilden alte, ausgediente Paradigmen den Kern der meisten alternativ-esoterischen Theorien.» Wir fassen zusammen: Leute wie Wagenknecht, wohl auch Schwarzer, dazu die fast 700’000 Unterzeichner des Manifests, darunter viele bedeutende Intellektuelle, aber auch Habermas hängen inzwischen bierselig alternativ-esoterischen Theorien an.

Wer für so einen ernüchternden Stuss freiwillig bezahlt, sollte sich mindestens psychologisch beraten lassen …