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Der Raiffeisen-Mann mit Vergangenheit

76 Prozent Ja für den nächsten VR-Präsidenten von Raiffeisen Schweiz. «20 Minuten» zählt nach.

Thomas A. Müller hat eine Vergangenheit. Hoffentlich hat er auch eine Zukunft.

Glanzresultat ist anders. Sandra Lathion bekam fast 95 Prozent aller Stimmen bei ihrer Wahl in den Verwaltungsrat. Dabei ist die Multi-Rätin (Swisscom) gerade von ihrem Mandat bei der Walliser Kantonalbank zurückgetreten, um bei Raiffeisen wohl mehr Geld zu verdienen.

Müller hingegen sass schon im VR von Raiffeisen; eigentlich war es ein Ding der Unmöglichkeit, dass er nicht gewählt würde. Obwohl er sich artig «für das in mich gesetzte Vertrauen» bedankt, ist eine Dreiviertelmehrheit zwar kein Schlag ins Gesicht, aber doch ein kräftiger Klaps auf die Finger.

Hier ist sich «20 Min» sicher: «Mit 70 Prozent gewählt».

Denn innerhalb von Raiffeisen waren sich einige Genossenschafter nicht so sicher, ob Müller der richtige Mann für den Posten ist. Bei der Bank ist man verständlicherweise etwas empfindlich, was mögliche Probleme betrifft. Der Schönwetter-Kapitän Rüegg-Stürm trat mitten im Vincenz-Sturm schlagartig zurück, nachdem er zuvor selbst die absurdesten Spesenrechnungen von Pierin Vincenz durchgewinkt hatte. Als HSG-Professor für gute Firmenführung, eine Lachnummer.

Nachgezählt? Hier sind’s 76 Prozent.

Sein Nachfolger wiederum stolperte über eine Liebesaffäre, erlegt durch die rachsüchtige verlassene Geliebte. Auch CEO Gisel, der für das beste Jahresresultat aller Zeiten gesorgt hatte, wurde kurz vor der damaligen Bestätigungswahl abgeschossen.

Abschussversuch über die «SonntagsZeitung»

Das versuchte man nun auch wieder bei Müller. Gewehr bei Fuss steht für solche Aktionen immer der Oberchefredaktor von Tamedia. Arthur Rutishauser zitierte fleissig in der «SoZ» aus ihm zugespielten Dokumenten, die ein schlechtes Licht auf Müller in seiner Zeit bei der Bank J. Safra Sarasin werfen. Noch als Sarasin hatte die Basler Privatbank zuvorderst bei Cum/Ex mitgespielt. Eine Trickserei, mit der alleine der deutsche Fiskus um Milliarden geprellt wurde.

Müller hatte damals eine führende Position in der Bank, wusste aber natürlich von nichts. Lukas Hässig vom Finanzblog «Inside Paradeplatz» versuchte, Müller noch in die Pleite des deutschen Windreich-Imperiums zu verwickeln. Aber der Besitzer des Konkurs gegangenen Offshore-Stromproduzenten liess im Interview nichts auf Müller kommen.

Dann gab es noch seine Zeit bei der Swiss Life, als sogenannte Versicherungswrapper dazu dienten, Schwarzgelder einzupacken und somit verschwinden zu lassen. Auch davon wusste Müller natürlich nichts, und die Versicherung kam mit vergleichsweise harmlosen 70 Millionen Dollar Busse in den USA davon.

Hat der Mann mit Vergangenheit auch eine Zukunft?

Also ist Müller ein Mann mit Vergangenheit. Aber welcher 56-jährige Banker hat die nicht, wenn er schon einige Jährchen auf dem Finanzplatz Schweiz mitspielt. Nun sollte der VRP der drittgrössten und systemrelevanten Bank kein Frühstücksdirektor sein, sondern die Grundzüge von Strategie, Ausrichtung und zukünftiger Entwicklung bestimmen.

Von Rüegg-Stürm war diesbezüglich nie etwas zu hören, er überliess das Feld vollständig dem Starbanker Vincenz, der schliesslich einen wesentlichen Anteil am unaufhaltsamen Aufstieg von Raiffeisen hatte. Lachappelle versuchte es in seiner kurzen Zeit mit der Wiederbelebung des alten One-Bank-Modells, mit dem schon Lukas Mühlemann bei der CS krachend auf die Schnauze gefallen war.

Vergangenheit (links, rechts), Zukunft (Mitte)? Screenshot CH Media.

Von Müller hört man bislang nur ziemlich ausgelatschte Allgemeinplätze. Die geschätzte Leserschaft gönne sich einen Expresso und kämpfe sich tapfer hier durch:

«Raiffeisen verfügt mit ihrem genossenschaftlichen Geschäftsmodell und ihrer einzigartigen Kundennähe über eine ausgezeichnete Basis, ist operativ gut unterwegs und hat mit der Gruppenstrategie die Weichen für die Zukunft gestellt. Es gilt, den erfolgreich eingeschlagenen Weg weiterzugehen und Raiffeisen im Sinne unserer Kundinnen und Kunden sowie Genossenschafterinnen und Genossenschafter weiter voranzubringen.»

Wer noch wach ist: um eine Zukunft zu haben, muss Müller da doch gewaltig nachlegen. Modernisierung der Bank, Digitalisierung, Zukunft des Hypothekarmarktes, auf dem Raiffeisen Nummer eins ist, Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen St. Galler Zentrale und den selbstbewussten rund 200 Genossenschaftsbanken, Einhaltung aller Compliance-Vorschriften einer systemrelevanten Bank, da liegen einige Brocken vor ihm.

Ob er den Weg freimachen kann oder eine weitere Übergangslösung sein wird, das wird sich in den nächsten Monaten entscheiden, wenn er seine wolkigen Worte zum Antritt mit Inhalt füllen muss.

Zumindest eine Gefahr besteht wohl kaum. Einen Firmen-Privatjet wird Müller nicht benützen.

Affäre Lachappelle: das Ende

Verfahren eingestellt, alle Vorwürfe haltlos. Das ist das Ende eines Medienskandals.

Den VR-Präsidenten von Raiffeisen kostete er den Job, Guy Lachappelle wurde persönlich schwer beschädigt. Die Journalistenmeute zieht weiter.

Weder Tamedia noch CH Media noch Ringier konnten widerstehen. Eine aussereheliche Beziehung, die ausser Kontrolle geraten war. Eine rachsüchtige Ex-Geliebte, die den Banker mit Strafverfahren überzog und die Medien kräftig anfütterte.

Es erschienen Dutzende von Artikeln über diesen Fall. Herausragend wie meist Arthur Rutishauser, der Oberchefredaktor von Tamedia, und Pascal Hollenstein, die publizistische Leiter nach unten von CH Media.

Jetzt vermeldet das «Tagblatt»:

««Sämtliche Anschuldigungen haben sich als haltlos erwiesen», teilte Lachappelles Anwalt am Dienstag mit. Der Staat übernehme die Kosten des Verfahrens

Auf dem Höhepunkt der Affäre, als Lachappelle seinen Rücktritt bekannt gab, feuerte Rutishauser eine ganze Tamedia-Seite ab. Dabei wird ein höchst privater E-Mail-Verkehr im Faksimile der Öffentlichkeit präsentiert. Damit wurde Tamedia angefüttert, diese Mail schickte das Medienhaus an Lachappelle mit der inquistorischen Forderung um Stellungnahme.

Rutishauser gnadenlos: «bleiben Fragen offen».

Lachappelle sah keinen anderen Ausweg mehr als Rücktritt. Dennoch trat Rutishauser in einem Kommentar nach, mit der üblichen Nummer: «Trotz Rücktritt bleiben Fragen offen». Die Frage, ob es wirklich Berichterstatterpflicht sei, mit einem privaten Mailaustausch, der einem zugesteckt wurde – von wem wohl? – hausieren zu gehen, beantwortete er nicht. Wäre auch unstatthaft für einen Konzern, der regelmässig gestohlene Geschäftsunterlagen ausschlachtet und die Hehlerware als Leaks oder Papers verkauft.

Man kann Journalismus noch mehr tieferlegen

Ein paar Stufen nach unten ging es mit der Berichterstattung von Hollenstein. Zusammen mit Florence Vuichard meldete er sich im Qualitätsmedium «watson» nach dem Rücktritt zu Wort: «Doch hat Lachappelle am Donnerstag wirklich die ganze Wahrheit gesagt? Zum Buch und zu seiner Ex-Partnerin? Dieser Zeitung liegt sowohl die Klage Lachappelles vor als auch die Klageantwort seiner Ex-Partnerin. Das letzte Dokumente datiert vom April 2021. Beides sind Parteischriften. Doch der Grad der Widersprüchlichkeit ist bemerkenswert.»

Wer hat denn wohl dran gedreht?

Dann zitiert Hollenstein, der ehrenamtliche Lautsprecher von Jolanda Spiess-Hegglin, den «renommierten Medienanwalt Rudolf Mayr von Baldegg», tätig für die Ex-Geliebte, also parteiisch bis zum Abwinken: «Es sei Lachappelle selber gewesen, «der quasi die Figur des Joe für sich annektiert hatte und sich völlig unmotiviert gegenüber mehreren Personen in seinem Umfeld dahingehend geäussert» habe, heisst es in der Klageantwort der Ex-Partnerin. Es sei davon auszugehen, dass es Lachappelle darum gegangen sei, seine Ex-Partnerin «insbesondere an ihrem Arbeitsplatz in Misskredit zu bringen und beruflich und privat zu verunglimpfen und finanziell zu schädigen».»

Audiatur et altera pars? Wer kann denn noch Latein …

Unterste Schublade des Journalismus; «she said, he said», nennt man das, wenn sich ein getrenntes Paar schriftlich fetzt: «Trennung von der Ehefrau, Zusammenzug, öffentliche Auftritte als Paar. Was stimmt? Die Fragen sind persönlich und gehen die Öffentlichkeit im Grunde nichts an. Doch Lachappelle selber war es, der am Donnerstag Intimes an die Öffentlichkeit trug. Zudem sind die Fragen zentral, um den Rechtsstreit um das verbotene Buch der Ex-Partnerin zu beurteilen.»

Das Feigenblatt, um ungehemmt in der Öffentlichkeit schmutzige Wäsche waschen zu können. Um zu den inquisitorischen Fragen zu gelangen: «Was ist wahr an dieser Beziehungsgeschichte, die Guy Lachappelle vor den nationalen Medien am Donnerstag ausgebreitet hat? Was ist unwahr? Und was lässt sich überhaupt beweisen?»

In solchen Fällen wäre es vielleicht zweckdienlich gewesen, ein Grundprinzip des anständigen Journalismus zu beherzigen: der anderen Seite Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Aber doch nicht Hollenstein, das hat eine journalistische Leiter nach unten nicht nötig.

Hätte er das getan, wäre ihm vielleicht auch die Antwort von Lachappelles Anwalt zuteil geworden, wieso an der Rücktrittspressekonferenz auf diese Anschuldigungen der Ex-Geliebten nicht eingegangen wurde:

««Uns liegt die Strafanzeige nicht vor», begründet dies Lachappelles Anwalt, Jascha Schneider-Marfels. Darum habe sein Mandant am Donnerstag nichts dazu sagen können.»»

Tamedia, auch nicht zimperlich im Umgang mit Lachappelle, hatte immerhin den Anstand, nachzufragen.

Aber damit wollte sich Hollenstein sein Schmierenstück natürlich nicht kaputtmachen lassen. Nun haben sich also alle Vorwürfe in Luft aufgelöst, es bleiben keine Fragen mehr offen. Medienbilanz: ein Desaster.

Sogenannten Qualitätsmedien, die gerne eine zusätzliche Steuermilliarde für ihre wertvolle Tätigkeit hätten, unwürdig.

Ein Feigenblatt macht sich toll. An einem Feigenbaum.

Einer geht noch: dafür gibt es den «Blick»

Den Vogel schoss allerdings der «Blick» ab. Zuerst versemmelte er einen Hintergrundartikel, munitioniert von der rachsüchtigen Ex-Geliebten. Dann beschwerte sich der «SonntagsBlick» über das juristische Vorgehen von Lachappelle. Um am Montag im «Blick» eine Entschuldigung des Verlags für diesen Artikel in die Fresse gehauen zu kriegen; der Jammer-Beitrag wurde umgehend gelöscht.

Zuerst gejammert, dann gelöscht.

Und entschuldigt: «Es war nie die Absicht von Ringier, die Persönlichkeitsrechte von Herrn Guy Lachappelle zu verletzen. Sollte in der Öffentlichkeit ein anderer Eindruck entstanden sein, bedauert dies Ringier in aller Form, weshalb auch die bisherige Berichterstattung zu diesem Thema im Medienarchiv nicht mehr abrufbar ist

Die Ex-Geliebte hat weitgehend ihr Ziel erreicht. Rache via Medien. Lachappelle muss sich fragen, ob sein Rücktritt nicht zu voreilig erfolgte. Aber nach der Affäre Vincenz sah er wohl keine andere Möglichkeit.

Raiffeisen gibt weiter Gutzi

Passend zur Einstellung des Verfahrens hat Raiffeisen nach länglichem Zögern bekannt gegeben, wer denn nun der Nachfolger von Lachappelle werden, den interimistischen VR-Präsidenten ablösen soll. Das VR-Mitglied Thomas A. Müller. Der war früher Finanzchef bei der Basler Privatbank J. Safra Sarasin, dorthin von der Swiss Life geeilt. Angesichts der jüngeren Geschichte dieser Bank kann man sich auf möglichen Spass gefasst machen …

Werfen wir mal die Stichworte US-Steuerstreit, Versicherungswrapper und Cum/Ex in die Runde. Man darf gespannt sein, was Grabungen in der Vergangenheit von Müller ans Tageslicht fördern werden.

Lukas Hässig nimmt auf seinem Finanzblog «Inside Paradeplatz» schon mal Anlauf:

«Are they nuts», sind die bescheuert, so beginnt er vielversprechend seinen Artikel.

Cum-Ex als Hürde für Journis

Mr. Cum-Ex bleibt in Auslieferungshaft in der Schweiz. Alles verstanden?

Der ehemalige deutsche Steuerbeamte Hanno Berger ist der Erfinder eines der wohl grössten Betrugsmodelle in der modernen Finanzgeschichte.

Es ist unter dem merkwürdigen Namen Cum-Ex bekannt geworden. Es dürfte europaweit einen Schaden von über 50 Milliarden Euro angerichtet haben. Zur Kasse gebeten wurde der Steuerzahler, hereingelegt wurde der jeweilige Fiskus.

Die Methode ist schon lange unter dem Namen Dividendenstripping bekannt, aber erst durch Berger und mit Verwendung ganzer Fonds, die darauf aufgebaut waren, bekam der Betrug eine geradezu geschäftliche Dimension. Die Bank Sarasin, heute J. Safra Sarasin, war in der Schweiz führend beim Verkauf solcher Fondsanteile an reiche Kunden, denen Profite von bis zu 20 Prozent versprochen wurden – ohne Risiko, versteht sich.

Unschuldsmiene: Hanno Berger in Zuoz.

Nachdem diese Fonds schon längst implodiert waren und der Gesetzgeber nach vielen Jahren diesem Betrugsmodell endlich 2012 den Riegel geschoben hatte, wurde der Milliardenbetrug von einem Redaktionsnetzwerk 2018 nochmal aufgerollt. Auch die «Republik» war daran beteiligt, und sie gestand damals in heiliger Einfalt:

«Es ist zu kompliziert. Auch uns ging es so: Wieder und wieder haben wir gelesen, wie die Trades abliefen, haben für einen Moment geglaubt, das System durchschaut zu haben – doch wenn wir es ein paar Stunden später in eigenen Worten erklären sollten, war alles futsch.»

Berger hatte sich rechtzeitig vor neun Jahren in die Schweiz abgesetzt und fühlte sich hier vor den deutschen Strafverfolgungsbehörden sicher. Er liess sich sogar weiterhin als Finanzgenie feiern, selbst die «Weltwoche» kroch ihm in einem Porträt auf den Leim und glaubte seinem Geschwurbel, dass es sich bei Cum-Ex einfach um ein Arbitrage-Geschäft handle. Also um das Ausnützen verschiedener Kurse auf verschiedenen Handelsplätzen für die gleichen Wertpapiere. «Die Politik will von ihrem Versagen ablenken!», durfte Berger unwidersprochen schimpfen, wenn er auf die Bemühungen der deutschen Strafverfolger angesprochen wurde, seiner habhaft zu werden.

Einfaches Prinzip, aber schwierig zu erklären, wenn man’s nicht kapiert

Das ist kompletter Unsinn. Denn das Prinzip von Cum-Ex ist ganz einfach. Eine einmal gezahlte Steuer wird zweimal (oder noch mehr) zurückverlangt; überforderte Finanzämter haben mitgespielt – und so entstand dieser Milliardenschaden.

Berger stellte sich allerdings auf den Standpunkt, dass das eine völlig legale Abzocke war, nach dem Prinzip: was nicht verboten ist, ist legal und erlaubt. War es natürlich nicht, aber der deutsche Fiskus brauchte viele Jahre und viele überhörte Warnhinweise, um solchen krummen Touren einen Riegel zu schieben. Der Schweizer Steuerbeamte war übrigens viel schlauer als seine europäischen Kollegen. Hierzulande entstand keinerlei Schaden mit dieser Nummer; alle entsprechenden Forderungen wurden von vornherein zurückgewiesen.

Nach langem juristischen Geplänkel wurde Berger nun in Auslieferungshaft gesetzt, sein Haftentlassungsantrag gerade vom Bundesstrafgericht in Bellinzona abgeschmettert. Er ist mit einer weiteren Schlaumeierei gescheitert. Denn sein Anwalt argumentierte, dass die Schweiz ihn nur dann nach Deutschland ausliefern dürfe, wenn die ihm dort vorgeworfenen Taten auch in der Schweiz strafbar seien. Bei einfacher Steuerhinterziehung sei das aber nicht der Fall. Nur handelt es sich natürlich nicht darum, sondern um Betrug.

Also rauschte das Thema wieder mal durch den Blätterwald. Und stellte die armen Journalisten nochmals vor das Problem, das Prinzip von Cum-Ex in einfachen Worten dem Leser erklären zu müssen. Schwierige Sache, wenn man’s selber nicht ganz kapiert hat.

Ein kurzer Querschnitt durch das Gestammel der sogenannten Qualitätsmedien. Einfach macht es sich Tamedia; es übernimmt den Bericht der «Süddeutschen», wo das Problem nur sehr kursorisch abgehandelt wird: «Cum-Ex wird der Steuerskandal genannt, weil die Verdächtigten den Staat beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende betrogen haben sollen.»

Eigenleistung mal wieder null: TAmedia berichtet über Bellinzona aus München.

Andere Qualitätsblätter übernehmen gleich die Tickermeldung von AWP: «Bei den Cum-Ex-Geschäften handelt es sich um Aktiendeals, bei denen allein der deutsche Staat um Milliarden betrogen wurde. Indem Aktien um den Dividendenstichtag herum mehrmals verschoben wurden, wurde vernebelt, wer Anrecht auf eine Steuerrückerstattung hatte. So erstattete der Staat mehrmals eine nur einmal bezahlte Steuer zurück.»

Auf der sicheren Seite: Tickermeldung von AWP bei nau.ch.

Damit geben sich viele Organe zufrieden, darunter cash.ch oder nau.ch. Auch SRF huscht eher oberflächlich über eine Erklärung hinweg: «Cum Ex: Bei Cum-Ex-Geschäften werden Aktien gezielt rund um den Dividendenauszahlungstermin herum mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch mehrfach gehandelt. Der Steuerverwaltung wird nicht klar, wer denn nun die Verrechnungssteuer rechtmässig zurückerhält und zahlt sie mehreren Beteiligten aus.»

Nun ja. Wie entledigt sich die Kathedrale der Wirtschaftsberichterstattung in der Schweiz des Problems? «Die Angeklagten sollen über mehrere Jahre Aktienleerverkäufe um den Dividendenstichtag herum getätigt haben, um vom Finanzamt die Rückerstattung einer Kapitalertragssteuer zu erhalten, obwohl bei der Durchführung der Geschäfte gar kein Steuerrückbehalt stattgefunden hat. Von Cum-Ex-Geschäften spricht man, weil die Aktien dabei teils mit (cum) und teils ohne (ex) Dividende gehandelt werden.» Schreibt die NZZ.

Im Streubereich von Cum-Ex: die Erklärung der NZZ.

Mal Hand aufs Herz, lieber Leser: kapiert? Könnten Sie den Vorgang kurz nacherzählen? Nein? Zu blöd dafür? Aber nein, ZACKBUM-Leser sind intelligent, daher sind die Erklärungen zu blöd.

In Wirklichkeit ist es aber gar nicht so schwierig

Für Cum-Ex braucht es drei Dinge. Drei Beteiligte, Aktien und einen Zeitfaktor. Aktien werfen Dividenden ab, die werden zu einem Stichtag ausbezahlt. Vorher umfasst der Wert der Aktie ihre Dividende, also spricht man von einer Cum-Aktie, einer mit-Aktie. Nach der Auszahlung verringert sich der Wert der Aktie natürlich, sie ist nun ohne Dividende, also Ex. In Deutschland, um dieses Beispiel zu nehmen, wird auf die Dividende gleich eine Kapitalertragsteuer von 25 Prozent einbehalten. Dafür bekommt der Steuerpflichtige eine Bescheinigung und damit den Anspruch auf eine Steuergutschrift zur Verrechnung.

Nehmen wir also an, Beteiligter A besitzt Aktien im Wert von zwei Millionen. Die werfen 100 000 Dividende ab, davon behält der Fiskus 25 000 und stellt eine entsprechende Bescheinigung aus. Noch dabei? Ist gar nicht so schwierig, wir kommen gleich auf die Zielgerade.

Beteiligter B kauft von Beteiligtem C Cum-Aktien, also diese Aktien vor Ausschüttung der Dividende. Jetzt kommt der kleine Überschlag: C besitzt die Aktien gar nicht, er macht einen Leerverkauf. Nun besorgt sich C von A die Aktien, die sind aber bereits ex, also ohne Dividende und daher nur 1,9 Millionen wert. Also legt C noch 75 000 drauf, und über die fehlenden 25 000 bekommt B ebenfalls eine Steuerbescheinigung, denn er hat ja Cum-Aktien gekauft. Simsalabim, nun gibt es zwei Steuergutschriften über den gleichen Aktienbesitz. Hier kommt noch der dritte Faktor dazu, das Ganze muss möglichst zeitnah um den Ausschüttungstag stattfinden. Dann fallen rechtlicher und wirtschaftlicher Berechtigter kurz auseinander, weil der Leerverkäufer eben leer verkauft, aber auch Besitzer ist, was den Fiskus so verwirrt, dass es zwei Bescheinigungen für einmal Kapitalertragsteuer gibt. Und am Schluss teilen sich A, B und C die Beute.

Eine Variante war die Cum/Cum-Kiste. Hier wurde ausgenützt, dass ausländische Kapitalgesellschaften Kapitalertragssteuern in Deutschland umgehen konnten, indem sie kurz vor der Dividendenausschüttung ihre deutschen Aktien an inländische Besitzer überschrieben. Die konnten dann, im Gegensatz zum ausländischen Investor, die abgeführte Kapitalertragssteuer anrechnen beziehungsweise erstatten lassen. Dann wurde die Aktie samt Dividende zurückgegeben, Ausländer und Inländer teilten sich die Beute. Eigentlich noch kinderleichter als Cum/Ex.

Das Eigenlob muss auch mal sein

Man kann nicht behaupten, dass der «SonntagsBlick» darauf zählt, dass seine Leser schon Vorlesungen an der HSG besucht haben. Abgesehen davon, dass die meisten Professoren dort Cum-Ex auch nicht erklären könnten. Also geht es hier darum, möglichst einfach, aber dennoch richtig und mit wenig Buchstaben die Sache zu erklären. Zum Beispiel so:

Das waren noch Zeiten, als der SoBli sich noch an scharfe Wirtschaftsstorys herantraute:

Hoppla, der Autor kommt ZACKBUM bekannt vor …