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«Hauptstadt»-Hype?

Mal wieder ein Crowdfunding. Mal wieder Jubel. Allerdings auf bescheidenem Niveau.

Wenn man die Latte tief legt, kann man sie ohne gewaltige Anstrengung überspringen. Das Projekt «Hauptstadt» hat die Latte niedrig gelegt.

Ihr freiwilliger Beitrag für ZACKBUM

Als Markttest, ob es in der Nicht-Hauptstadt Bern einen Bedarf nach einer Alternative zum Einheitsbrei aus dem Hause Tamedia gibt, wirft ein Kollektiv nach nur einem Jahr Brützeit eine Alternative auf den Markt.

1000 Abos sollten es schon sein, damit das Online-Blatt weiterverfolgt wird. Denn existieren tut es noch nicht. Preisvorstellungen hat es hingegen klare:

120 Franken im Jahr ist der Minimal-Obolus, Firmen und Gönner dürfen bis zu 600 Fr. hinlegen. Dann gibt es noch die putzige Möglichkeit

«Ich kann mir das Abo nicht leisten

Hier kann man einen «freien Betrag» wählen, um dabeizusein. Freundlicherweise wird versprochen, dass bei einem Scheitern des Crowdfundings die Einzahlung – minus Transaktionsgebühr – zurückerstattet wird.

Aber eigentlich wussten die Macher natürlich, dass man sich in der Schweiz schon ziemlich blöd anstellen muss, wenn man für ein alternatives Projekt nicht 1000 Zahlungswillige zusammenkratzen kann. Inzwischen (Stand Dienstag) sind es schon knapp 2000; ab dieser Schwelle wird dann sogar noch ein «Ausbildungsplatz» versprochen.

Alle guten Kräfte sind natürlich dabei

Alle guten Kräfte sind natürlich an Bord, selbst der «Hauptstädter» Alec von Graffenried, eigentlich «Stadtpräsident von Bern», liefert mit vielen anderen ein Testimonial ab.

Bei 4000 Abos sei man dann «fast selbsttragend», im Fall. Das wären dann also, machen wir eine Mischrechnung und sagen 200 Franken pro Hauptstädter, im Jahr 800’000 Budget. Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass noch ein paar vermögende Menschen ein Extra-Batzeli springen lassen, damit wäre die «Hauptstadt» sicherlich über der Millionenschwelle.

Das alles ist wunderbar, und ZACKBUM begleitet immer neue Versuche, etwas Qualität und Content in den Medieneinheitsbrei der Schweiz zu werfen, mit grosser Sympathie. Bis wir dann bitterlich enttäuscht werden, wie vom Fehlalarm-Skandalblatt «Republik», das trotz dem grossmäuligen Anspruch, die Demokratie retten zu wollen, einfach zur Selbstbespassungsmaschine von Gesinnungstätern für Gesinnungstäter denaturiert ist.

Heisse Luft oder Heissluftballon?

Aber davon ist die «Hauptstadt» noch weit entfernt; vom Inhalt ist nur eher Wolkiges bekannt: «Die «Hauptstadt» berichtet über die Stadt und die Agglomeration Bern mit ihren 400’000 Einwohner*innen. Neben einem Newsletter, der den Leser*innen das Sortieren der lokalen Nachrichten erleichtert, sind Recherchen, Reportagen und Kolumnen die publizistischen Kernelemente. Die «Hauptstadt» ist werbefrei und verzichtet auf Klick-Journalismus. Wir werden täglich präsent sein, versprechen aber nicht eine bestimmte Anzahl Artikel pro Tag.»

Vielleicht kriegen die das mit der deutschen Rechtschreibung auch noch hin bis zum echten Erscheinen.

Leichter Dämpfer für den Optimismus

Nimmt man die Vorbilder der «Hauptstadt» zur Hand, dann dämpft sich der Optimismus schon deutlich. Es sind ausschliesslich gesinnungsfinanzierte Organe, meist auch noch von reichen Mäzenen alimentiert. Also keinerlei Notwendigkeit, sich mit einem überzeugenden Angebot am Markt bewähren zu müssen, wo einzig Angebot und Nachfrage herrschen, reguliert durch den Preis, der einen Mehrwert für den Käufer beinhaltet.

Falsches Vorbild: Millionengrab «bajour».

Das ist beispielsweise bei «bajour», auch auf der Liste, nicht der Fall. Hier blödelt eine aufgepumpte Redaktion weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit langweilig und ohne Aktualitätsanspruch vor sich hin. Solange der Rubel einer Milliardärin rollt, konkret eine Million pro Jahr, lässt es sich angenehm davon leben, anschliessend wird die Arglist der Zeit beklagt, und Basel ist nach der «TagesWoche» um eine Medienleiche reicher, die nur als am Tropf hängender Zombie überhaupt eine Weile Untoter spielen konnte.

Geht das der «Hauptstadt» auch so? Wir hoffen es inständig nicht. Denn selbstverständlich ist es ein Skandal, dass Tamedia auch dieses Versprechen, «Berner Zeitung» und «Bund» nebeneinander bestehen zu lassen, gebrochen hat. Normalerweise hat jede Hauptstadt in Europa und in Demokratien weltweit mehr als eine Zeitung. Meinungspluralismus und so, das gilt auch für eine Bundesstadt wie Bern.

Also alles Gute für die «Hauptstadt». Vielleicht machen wir ja auch von dieser Möglichkeit Gebrauch, ein Abo abzuschliessen:

«Es gibt auch nach Abschluss eines Abos keinen Zwang, die «Hauptstadt» zu lesen. Man kann auch einfach einen jährlichen Beitrag zahlen, damit es den «Neuen Berner Journalismus» überhaupt gibt und unabhängige Journalist*innen den Mächtigen auf die Finger schauen und den Nicht-Mächtigen Gehör verschaffen.»

Wir empfehlen dieses Modell auch anderen Dienstleistern. Zum Beispiel Fitnessclubs. Schliesse ein Abo ab, dann fühlst du dich besser, und andere kriegen neue Geräte zum Trainieren. Superidee.

«Hauptstadt»-Vorbilder: alle mit hohler Hand

Nach dem Arbeitstitel «Neuer Berner Journalismus» ist nun bekannt, dass die geplante Berner Lokal-Onlinezeitung «Hauptstadt» heissen wird.

Von Stefan Millius

Nein, Bern ist nicht die Hauptstadt der Schweiz, so etwas haben wir nicht mal, aber weil das kaum jemand weiss, kann man es machen: Eine Zeitung für Bern so nennen. Bald soll es losgehen mit der «Hauptstadt». Aber vor den Erfolg haben die Götter nicht etwa den Schweiss gesetzt, sondern das Crowdfunding. Für das neue Medium beginnt dieses in wenigen Tagen.

Stand der Dinge am Donnerstag.

Das Portal will der «Berner Zeitung» und «Der Bund» zu schaffen machen, beziehungsweise die Meinungsvielfalt bereichern. Der Fokus gehöre dem Grossraum Bern, jedoch «ohne kleinkariert und provinziell zu werden», wie die künftigen Macher auf der vorübergehenden Webseite neuerjournalismus.be schreiben.

Dort erfährt man auch, wie das aussehen soll. Und zwar ziemlich deckungsgleich mit fast jeder Ankündigung eines neuen Mediums der vergangenen Jahre. Konstruktiv, gemeinnützig, divers, kollektiv und so weiter. Damit weiss man zwar noch nicht, was dereinst in der «Hauptstadt» stehen wird, aber man ahnt, dass es politisch sehr korrekt sein dürfte.

Gemein und nützlich?

Ein Teil des Programms soll die Zusammenarbeit mit anderen jungen Onlinemedien sein, in diesem Fall als «Die Alternativen» beschrieben. Das Wort trifft es im doppelten Sinn, wenn man die Karte konsultiert, auf der die «Hauptstädter» die gewünschten Komplizen der Zukunft aufführt. Einige wie «tsüri», «Republik», «Bajour» oder «Journal B» gehören zu den üblichen Verdächtigen.

Aber: «Baba News»? «Kolt»? «Kultz»? «Lucify»? «Rums»?

Neben fehlender Bekanntheit (und vermutlich Reichweite) ist den meisten dieser kreativ benannten Titel vor allem eines gemein: Sie möchten natürlich gerne finanziell unabhängig werden dank Zuwendungen der Leserschaft, eines Tages ganz bestimmt, das kommt schon noch. Aber vorerst benötigen sie mal die Unterstützung von Geldgebern wie Stiftungen und so weiter. Und das bitte möglichst lange.

Leistung soll sich lohnen? Igitt

Einzelne von ihnen versichern sogar vorbeugend, sich niemals restlos dem schieren Kommerz auszuliefern. «Kolt» beispielsweise hat die jährlichen Werbeeinnahmen freiwillig auf 60’000 Franken begrenzt. Wenn die Mitte Jahr erreicht sind, muss der Anzeigenverkäufer also sechs Monate in den Winterschlaf. Inwiefern die künstliche Eingrenzung der Einnahmen dem Ziel der Meinungsvielfalt einträglich ist, fragt sich.

Ziemlich geschickt hat es «Baba News» gemacht mit einer klaren Positionierung, die gewisse Stellen ganz einfach unterstützen müssen, es geht nicht anders. Das «Online-Magazin für Šhvicer*innen mit Wurzeln von überall» erhält Beiträge von der Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes. Was eine originelle Schreibweise alles auslösen kann.

Im besagten Netzwerk aus «Alternativen» hingegen konsequent nicht aufgeführt sind alle Onlinezeitungsprojekte, die weder auf Crowdfunding noch Stiftungen noch private Mäzene setzen, die sich mit geerbtem Geld einen Platz im Himmel kaufen wollen. Also alle Zeitungen, die davon ausgehen, dass man Geld selbst verdienen muss und sonst keine Existenzberechtigung hat. Beispielsweise die Portal24-Gruppe des Verlegers Bruno Hug oder Primenews.ch in Basel. Da führt man für die Nordwestschweiz lieber Hansi Voigts «wepublish.ch» als Partner auf, das keine Zeitung ist, sondern Zeitungsmachern eine digitale Infrastruktur basteln möchte. Auch «Die Ostschweiz» (dessen Mitbegründer der Autor dieses Beitrags ist) hat keine Aufführung verdient.

ZACKBUM.ch? Ach was, hier wird zwar um Spenden gebettelt, aber nicht allzu aufdringlich.

Erstaunlich, dass man sich als neues Medium konsequent nur an den Vorbildern orientiert, die sich nicht am freien Markt ausrichten und permanent der Gnade reicher Leute ausgeliefert sind.