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Endspiel der Demokratie

Wenn die Volksvertretung übergangen wird.

Das Parlament beschliesst, die Regierung führt aus. So sollte es sein. Die Regierung beschliesst, das Parlament hat nichts zu sagen. So ist’s neuerdings in der Schweiz.

Es ist ein Skandal. Ein Sündenfall. Etwas Unerhörtes. Aber kaum einer regt sich gebührend auf. Der Bundesrat hat unter Anwendung der wackeligen Rechtsgrundlage «Notrecht» insgesamt 259 Milliarden Franken ins Risiko gestellt.

Der Bundesrat hat hektisch, übereilt, überfordert die Credit Suisse an die UBS verscherbelt. Ohne Alternativen wirklich zu prüfen. Es war beschämend, zwei inkompetente Bundesräte, einen desinteressierten Nationalbankpräsidenten, eine nichtssagende Figur der Bankenaufsicht FINMA und das Paar Plisch und Plum von der CS am 19. März auf der Bühne zu sehen.

Sprechpuppen, dominiert von Colm Kelleher, dem übermächtigen VR-Präsidenten der UBS. Er herrscht über eine Bank, deren Bilanzsumme doppelt so gross ist wie das BIP der Schweiz, die Summe aller in einem Jahr hergestellten Werte. Nirgendwo anders auf der Welt steht ein solch riesiger Dinosaurier in einem Land. Dass es vor der Finanzkrise eins zwei noch grössere gab, spendet keinen Trost.

Die beiden Bundesräte, alle sieben Bundeszwerge, hätten dem UBS-Boss auch gleich die goldenen Schlüssel der Schweiz überreichen können. Von jetzt an muss jede Sitzung der Landesregierung mit den bangen Fragen beginnen: Wie geht es der UBS heute? Wie ist das werte Befinden von Kelleher? Ist seine Laune gut, der Stuhlgang befriedigend, der Nachschub von irischem Whiskey sichergestellt?

Allerdings kann eine überforderte Finanzministerin, teuer, aber parteiisch beraten von einer Anwaltskanzlei, die gleichzeitig die Interessen der UBS vertritt, einen Fehlentscheid treffen. Glücklicherweise gibt es in einer Demokratie Korrekturmöglichkeiten.

Denn eigentlich ist es so, dass die Regierung dazu da ist, vom Parlament beschlossene Gesetze und Richtlinien auszuführen. Walten besondere Umstände, gibt es die Möglichkeit, dass die Regierung vorprellt, handelt, um dann im Nachhinein die Zustimmung des Parlaments zu erbitten. Handelt die Regierung klug und nachvollziehbar, ist das eine reine Formsache.

Da der Bundesrat weder klug, noch nachvollziehbar handelte, verweigerte das Parlament seine Zustimmung zu den getroffenen Vereinbarungen. Das ist sehr peinlich für die Regierung; im Normalfall müsste sie nach einer solchen Ohrfeige zurücktreten. Nun werden in der Schweiz die Bundesräte einzeln gewählt und bilden eine Kollegialregierung. Also müsste die verantwortliche Finanzministerin Karin Keller-Sutter zurücktreten.

Das hat sie offenbar nicht einmal in Erwägung gezogen. Aber noch schlimmer: sie und die Landesregierung haben vor der Parlamentsdebatte erklärt, dass eine Zustimmung im Nachhinein erwünscht, eine Ablehnung bedauerlich – aber völlig wirkungslos sei.

Hier muss der Staatsbürger einen Moment innehalten, rot anlaufen und vor Wut fast explodieren. Wozu haben wir ein Parlament als oberste Entscheidungsinstanz – wenn es schlichtweg keine Rolle spielt, ob es ja oder nein sagt?

Es war ein demokratisches Trauerspiel, als eine Bundesrätin wie eine Sprechpuppe ihre unbefriedigenden Argumente vortrug, wieso der Beschluss richtig gewesen sei und – natürlich – alternativlos. KKS zeigte keinerlei Bereitschaft, dem Parlament in irgendeiner Form entgegenzukommen. Das war die pure Arroganz der Macht, das deutliche Signal: ihr könnt machen, was ihr wollt, ist mir doch egal.

Nachher zu sagen, dass der Bundesrat dieses «Signal» sehr ernst nehme, ist an Heuchelei kaum zu überbieten. Wir nehmen das sehr ernst, aber gleichzeitig pfeifen wir drauf.

Das Parlament selbst hat sich allerdings auch nicht mit Ruhm und Ehre bekleckert. Der sinnvolle Vorstoss, die verbleibenden vier Übersaurier in beherrschbare Einzelteile zu zerlegen, wurde von der SP in der vorberatenden Kommission versenkt – er hatte in der SVP den falschen Absender.

Nach dem Nein zum Multimilliardendeal gab es kurzzeitig eine Debatte, ob der Bundesrat dennoch die gemachten Zusagen honorieren dürfe und die entsprechenden Vereinbarungen unterzeichnen. Hilflose Versuche, dem Parlament doch noch zu seinem Recht zu verhelfen.

Von der Mainstream-Presse wurde das Nein der Volksvertreter teilweise scharf kritisiert. Das bringe nichts, sei Zwängerei, verunsichere die Märkte, schade dem neuen Übersaurier UBS plus CS. Als hofften sie immer noch auf zusätzliche Steuermillionen, beeilten sich die Medien, vor dem Bundesrat einen Kotau zu machen.

Der Besitzer und Verleger von CH Media (die auch das St. Galler «Tagblatt» herausgibt) orgelte: «Für die Rettung der CS hätte Karin Keller-Sutter statt einer Ohrfeige Standing Ovations verdient». Stattdessen beklagt Peter Wanner ein «unheilvolles Signal», «Selbstprofilierung» sei wichtiger gewesen als «die Übernahme von Verantwortung». Wanner hatte schon verantwortungsvoll eine Flugverbotszone über der Ukraine gefordert und den Einsatz von NATO-Truppen angeregt.

Es ist ein Zeichen von Dysfunktionalität der Medien, wenn der Besitzer mit über 10’000 Anschlägen seine unqualifizierte Meinung in seinen Quasi-Monopolblättern ausgiessen darf – und natürlich traut sich niemand, ihm zu widersprechen, Arbeitsplatzsicherung.

Inzwischen wurden auch die letzten juristischen Zweifel an der Legitimität des Notrecht-Entscheids niedergebügelt, der Bundesrat und seine Helfershelfer wissen die Macht des Faktischen hinter sich. Allerdings hat die Eidgenossenschaft noch eine ganze Latte von Schadensersatz- und Staatshaftungsklagen vor sich, denn klaglos lassen sich keine internationalen Grossinvestoren einfach mal 16 Milliarden Franken auf null abschreiben. Ob das rechtens war, ist zumindest sehr umstritten.

Darauf machten aber zuerst englische Medien aufmerksam, die Schweizer Presse hatte diesen Aspekt, dass das zusätzliche Kernkapital einfach per Federstrich für wertlos erklärt worden war, schlichtweg übersehen.

Es ist offenkundig, dass eine Teilverstaatlichung der CS plus eine unbegrenzte Liquiditätsgarantie durch die Nationalbank, wie sie nicht nur der Überbanker Oswald Grübel forderte, also eine Rettung à la UBS 2009, die beste Lösung gewesen wäre. Begleitet von einer Auswechslung des unfähigen Managements, einer Zerlegung und anschliessendem Börsengang.

Natürlich wäre das möglich gewesen, denn der Niedergang der CS zeichnete sich ja nicht erst wenige Tage vor der fatalen Medienkonferenz am 19. März ab. Selbst notfallmässig eine bessere Führungscrew zu installieren, das wäre bei diesen amtierenden Pfeifen ein Leichtes gewesen. Natürlich kann und soll weder der Bundesrat, noch die SNB eine Privatbank führen. Aber er hätte sie aus der Bredouille führen können.

Stattdessen liess sich der Bundesrat unter Druck setzen und vorführen. Die UBS ist prächtig ausgestattet, mit Liquidität überschüttet und mit einem 9-Milliarden-Risikopolster beschützt.

Aber das ist nicht mal der wirkliche Skandal. Der besteht in einer Beschädigung der Schweizer Demokratie, wie sie ohne Beispiel ist. Wer das Parlament entmündigt, seine Entscheidungskompetenz aushebelt, vergreift sich an den Grundlagen unseres politischen Systems. Es kann übergesetzliche Notstände geben. Dieser war keiner. Es wurde eine Drohkulisse aufgebaut, von der niemand weiss, ob eine schwere Störung des internationalen Finanzgefüges stattgefunden hätte.

Der Bundesrat hat sich mit einer Macht ausgestattet, die ihm nicht zusteht. Empowerment auf ganz spezielle Art. Wer das tut, wer das gutheisst, ist nicht verantwortungsbewusst. Sondern ein Antidemokrat. Nichts rechtfertigt eine solche Beschädigung unserer politischen Institutionen. Es ist ein Sündenfall. Und nicht der erste. Wie viel weitere verträgt die Schweizer Demokratie noch?