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Sohohohntag

Die gnadenlos subjektive Presseschau.

Die SoZ hat sich diesen Sonntag als Lautsprecher eines Antidemokraten disqualifiziert. Also strafen wir ihr sonstiges Schaffen mit Ignoranz.

Die «NZZamSonntag» überrascht mit einer nicht ganz taufrischen, aber mutig umgesetzten Kunst-Aktion: Sprayer Nägeli lebt und sprayt das Blatt voll. Das ist so schräg und mutig, dass wir es bei einer Verneigung bewenden lassen. Denn auch sonst, siehe Belfast, ist der Inhalt mehr künstlerisch als nachrichtlich. Ausser im Beitrag von Zoé Baches, die vor Augen führt, was genau es bedeutet, wenn eine weitere Person (oder Firma) auf der ominösen Sanktionsliste der USA landet.

Also bleibt ja nur der «SonntagsBlick», seufz. Der probiert’s auf dem Cover auch mit etwas Künstlerischem:

Kannst du etwas nicht fotografieren, lass es zeichnen. Etwas armselig, aber immerhin, ein Aufreger. Dafür danken wir auch von Herzen, denn Chefredaktor Gieri Cavelty widmet den Arbeitsbedingungen bei der Migros-Tochter Digitec Galaxus sein Editorial, eingeleitet mit dem Thema, ob der orange Riese nun Alkohol direkt in seinen Filialen verkaufen sollte oder nur über Denner und andere Anhängsel. Dabei verwendet er nicht ein einziges Mal das Wort Ukraine; Zeichen und Wunder.

Dachte ZACKBUM, bis wir zur Seite 27 vorstiessen. Denn was ist dort? Genau, ein Kommentar von Cavelty über – den Krieg des Unrechtsregimes. Nein, er meint nicht die Türkei. Auch nicht Saudi-Arabien. Er meint Russland.

Aber immerhin, man soll auch loben können, der Bericht über die Arbeitsbedingungen bei Versandhändlern wie Digitec Galaxus ist aufrecht. Die Enthüllung, dass das Schweizer Farbfernsehen im Suchen nach vorzeigbaren Feministinnen deren rechtsradikale Wurzeln übersah, sehr schön.

Auch die Berichterstattung, dass unsere Nationalratspräsidentin sich nicht scheut, nach Kiew zu reisen, um ihre «Solidarität» auszudrücken und ein Zeichen zu setzen, sich aber auch nicht scheut, sich neben der aserbaidschanischen Parlamentspräsidentin fotografieren zu lassen und sie mit warmen Worten im Nationalrat zu begrüssen, ist aufrecht.

Ob’s den drei Eidgenossen im Hintergrund den Magen gekehrt hat?

Denn was soll’s, dass Aserbaidschan einen schmutzigen Krieg gegen Bergkarabach führte. Mit Streubomben, Kriegsverbrechen und allem. Aber, wo ist das schon wieder? Wer ist das? Ist doch alles weit weg, keine Kameras dort, wozu dorthin reisen oder gar ein Wort drüber verlieren. Denn wie sagt Irène Kälin so unnachahmlich einfältig: «Bei aller berechtigten Kritik muss man sehen, dass es nach Kriegsende auch positive Signale gibt.» Na dann. Das sieht nach grossem Bahnhof für den russischen Parlamentspräsidenten aus, wenn der Krieg in der Ukraine beendet ist.

Eher peinlich ist dann das traditionelle Wohlfühlinterview mit dem abtretenden Swisscom-Chef Urs Schäppi. «Ich habe nichts vermasselt», darf der schon im Titel-Quote behaupten, und dann badet er in Zuckerwatte-Fragen. Pleiten, Pech und Pannen? Netzausfälle, nicht funktionierende Notrufnummern? Ach je, kleine Probleme gibt’s doch überall.

Wenn der Schleim aus dem Blatt tropft …

Noch ein launiges Foto mit Schäppi neben Spiderman, und tschüss.

Ganz blöd für das People-Blatt war natürlich, dass der Sieger des Eurovision Song Contest bis Redaktionsschluss nicht feststand. Nicht einmal, dass die grosse Schweizer Hoffnung Markus Bear («Bearenstarker Auftritt», Titelscherz lass nach) es nur auf den vorletzten Platz schaffte. Mit nicht allzu viel Wagemut hätte der SoBli doch die Ukraine zum Sieger ausrufen können. Im schlimmsten Fall wäre das eine Ente geworden, im besten hätte die Konkurrenz gestaunt und die Leserschaft applaudiert.

Nun müssen wir alle ganz stark und mutig sein. Warum? Darum:

Nein, die Weltlage ist trübe genug, wir haben ein Einsehen mit unseren Lesern und ersparen ihnen die Exegese des Schwurblers Lukas Baerfuss. Wir lassen es kommentarlos bei einem Zitat bewenden. Sein Thema ist die Streichung des Wörtchen «besonders». Dagegen haben im Vorfeld viele protestiert; wieso soll es Bärfuss dann nicht im Nachhinein nochmals tun? Nützt zwar nix mehr, aber ist ein Anlass, grimmig zu schauen und Nonsens zu verzapfen:

«Der wichtigste zeitgenössische Schweizer Schriftsteller», laut SoBli. Eine Beleidigung für die wirklich wichtigen.

Der hebt zu seiner üblichen Schlussapotheose an:

«Während an jenem schönen Maitag das Parlament in Bern das Gemeinwohl vergass (als es der Streichung zustimmte, Red.), verteidigten die Menschen in der Ukraine es mit ihrem Leben.»

Teil dieser Verteidigung ist übrigens eine Pressezensur, die der russischen in nichts nachsteht …

Talibanisierung: streiten verboten

Die Überlegenheit freier Gesellschaften lässt sich mit einem gefährdeten Wort erklären: offen debattieren.

Die grösste Gefährdung für eine der ältesten Demokratien der Welt geht weder von der grummeligen SVP, noch von linken Maulhelden aus. Schon gar nicht von Taliban, und auch nicht von einem Virus. Nicht einmal von fundamentalistischen Genderschützern. Sondern von der Gefährdung der freien Debatte.

Wobei alle diese Fanatiker auf ihre Art einen Beitrag zu dieser Gefährdung leisten. Denn die Gefahr erhebt überall ihr hässliches Haupt. Am deutlichsten ist diese Fratze auf den sogenannten sozialen Plattformen sichtbar.

Es ist ein Beweis dafür, dass zu grenzenlose Freiheit in Willkür, Übergriffigkeit, Verblödung und Elend ausartet. Eigentlich könnten auf Facebook, Twitter & Co. Debatten wie noch nie in der Geschichte der Menschheit stattfinden. Über alles und mit allen. Tabufrei, offen, dank Anonymität auch angstfrei vor Repressionen.

Man könnte mit allen kommunizieren oder mit Gleichgesinnten. Man könnte Stärke durch Zuspruch, Erkenntnisgewinn durch Widerspruch gewinnen. Man könnte Welterklärungen abrufen, dank Universalsprachen wie Englisch oder dank Simultanübersetzungsprogrammen mit Menschen kommunizieren, die tausende von Kilometern entfernt in ganz anderen Lebensumständen denken und sprechen.

Man könnte sich selbstbewusst und mit Respekt vor den Ansichten des Andersdenkenden begegnen. Man könnte jeden Tag eine Bereicherungsstunde abhalten, in der man versucht, Einblicke in alle fast 200 Länder dieser Erde zu gewinnen. In Traditionen, Kulturen, Mentalitäten, ins Andere.

Stattdessen sind diese Plattformen, allen voran Twitter, versumpft, verschlammt, unerträglich geworden. Der Stammtisch, die Rechthaberrunde zu später Stunde und mit durch Alkohol gelösten Zungen, die «jetzt rede ich, und du gibst mir recht»-Monologe haben sich ins Digital-Virtuelle erhoben. Dort verpesten Ego-Shooter die Luft, rotten sich Quadratschädel zu Mobs zusammen.

Wer ist stolz darauf, Teil eines Shitstorms zu werden?

Debatte und Widerspruch als einzige Möglichkeit zum Erkenntnisgewinn ist ihnen fremd, geradezu widerwärtig. Ihre Denkperversion zeigt sich darin, dass sie sogar heimlich oder offen stolz darauf sind, Bestandteil eines Scheissesturms zu werden. Ohne eine Sekunde darüber nachzudenken, was diese Bezeichnung aus ihnen selbst macht.

Ihre bedingten Reflexe funktionieren besser als beim pavlowschen Hund. Läutet irgendwo in ihrer Nähe das Glöcklein einer artfremden, abweichenden Meinung, sabbern und kläffen sie los, verbellen den Eindringling, empfinden es als grössten Erfolg, wenn er von der Meute weggebissen wurde.

Leider beschränkt sich dieses Phänomen des Rückfalls in voraufklärerische Zeiten nicht nur auf das geistige Prekariat, das in den asozialen Medien die Klowände des Internets vollschmiert.

Auch in den sogenannten Qualitätsmedien herrscht inzwischen ein Groove, an dem Torquemada seine helle Freude hätte (Kindersoldaten: Namen googeln). Selbsternannte Klein- und Grossinquisitoren verteidigen hier den rechten Glauben gegen Ungläubige. Mit einer Verve, die erschauern lässt. Denn von den fundamentalistischen Irren in Afghanistan unterscheidet sie eigentlich nur, dass sie ausser Maulheldentum und Beherrschung der veröffentlichten Meinung keine Macht haben.

Moderne Worttaliban fäusteln auch in der Schweiz

Hier geht es gegen «Impfgegner», «Coronaleugner», mit einem Wort: verantwortungslose Volldeppen. Selbst das halbstaatliche Portal «blue news» entblödet sich nicht, hier eine immerhin «nicht ganz ernstgemeinte» Typologie aufzublättern, von «Die Fiebrigen»  bis zu den «Verschwörungstheoretiker*innen». Nebenbei: alleine am Gebrauch des Sprachverhunzungswerkzeugs Gendersternchen entfachen sich Sprachkriege, moderne Kreuzzüge gegen Unmenschen und Sexisten.

Wie es sich für ein Boulevardblatt gehört, packen «Blick» und «SonntagsBlick» gleich die grobe Keule aus. Der SoBli-Chefredaktor entblödet sich nicht, Impfgegnern zu unterstellen, sie unterstützen damit die Pandemie («Die Impfgegner machen mit dem Virus gemeinsame Sache».) Der Vergleich zum Mittelalter, wo Seuchenzüge auch damit erklärt wurden, dass Juden die Dorfbrunnen vergiftet hatten, liegt nahe.

Deswegen:

«Der Freak» nach «Blick». Karikatur zum Kotzen.

Das ist so ziemlich das Übelste, was seit «Juden canceln»-Simone Meier in letzter Zeit in der Schweiz verbrochen wurde. Diese Karikatur soll den «Freak» zeigen. Der sonst für alles Gute und Edle kämpfende «Blick»-Journalist Reza Rafi schreibt mit der Klosettbürste als Erklärung:

«Hier reden wir von einem Sammelbecken für Outlaws, Aussteiger und Abgedriftete: Der völkisch denkende Arzt, die radikalisierte Kapitalismusgegnerin und der Goa-Veteran mit halluzinogenen Spätfolgen sind nur drei Beispiele. Typischerweise ist der Angehörige dieser Kategorie männlich, bewegt sich in einer weltanschaulichen Käseglocke und hat sich die vorherrschende Gesellschaft, ihre Politiker und Medien zu Feinden erklärt. Auch pathologische Fälle werden beobachtet.»

Man soll mit der Nazi-Keule vorsichtig hantieren, aber das unter eine Karikatur zu schreiben, die eine Kreuzung zwischen dem «Stürmer»-Juden und dem Komiker Marco Rima darstellt, das ist schon unerhört. Dass es diesen «Freaks» gelungen ist, innert kürzester Zeit mehr als 100’000 Unterschriften unter ein Referendum gegen die Corona-Gesetzgebung zu sammeln, erweckt offenbar den Ingrimm der staatlich subventionierten Medien der Schweiz.

Wieso bleiben Sanktionen, ein Aufschrei aus?

Bedenklich: der Aufschrei aller sonst immer schnell Empörten und Erregten blieb aus. Wählt die SVP ein schwarzes Schaf zur Illustration ihrer Absichten, kriegt sich eine Empörungsmeute kaum mehr ein. Aber hier? Wird der durchdrehende Chefredaktor eingefangen, korrigiert? Wird der verantwortliche Redaktor sanktioniert, entlassen? I wo, sie stehen doch auf der «richtigen» Seite, da ist dann alles erlaubt.

So stirbt die Freiheit scheibchenweise. Die Denkfreiheit, das Salz in der Suppe, der Motor jedes Fortschritts. Wo Aberglaube und Glaubensdoktrinen herrschen, herrscht Mittelalter, Elend und Dumpfheit. So wie in allen islamisch kontrollierten Ländern. Sie mögen dank Rohstoffen reich sein – was aber immer nur von einer korrupten Oberschicht unter Beteiligung des Klerus abgeschöpft wird –, aber sie sind zu Elend, Stagnation, Rückschritt und Untergang verurteilt.

So war das auch in Europa, als die christliche Kirche mit dem Leichentuch der Glaubensdoktrinen jeden Fortschritt erstickte. Aber hier und heute in der Schweiz darf doch noch alles gesagt werden? Selbst diese Haltung wird schon ironisiert, kritisiert, als Freipass für schädliche – soll man sagen volksschädliche – Meinungen von Aluhutträgern, von Freaks halt.

Inquisitorische Rechthaberei erhebt das hässliche Haupt

Es ist eine Perversion der Geschichte, dass vor allem linke Kreise, also die Urenkel der Aufklärung, die Enkel der Kämpfer für Meinungsfreiheit und offene Debatten, zu Vorkämpfern für Sprechkontrolle, Gedankenpolizei und inquisitorischer Rechthaberei werden. Während sie zunehmend die Oberhoheit über die Diskurse verlieren, verkrampfen sie sich immer mehr in einem Sprachfanatismus.

Der äussert sich in erster Linie darin, dass nicht mehr Meinungen als falsch kritisiert – und argumentativ niederdebattiert werden. Sondern dass hinter Standpunkten Haltungen denunziert werden. Nicht mehr: «Wer das sagt, liegt falsch, weil». Sondern: «Wer das sagt, ist». Hier kann man nach Belieben Hetzer, Rechtsradikaler, Rassist, Faschist, Fremdenfeind und alles Schlimme der Welt einsetzen.

Es liegen Welten zwischen Afghanistan und der Schweiz. Noch.

«Die Freiheit führt das Volk an»: wäre heute zu sexistisch.