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Was kostet der Mensch?

Ein Menschenleben ist nicht in Geld aufzuwiegen. Leider Quatsch.

Absolute Wahrheiten sollte man Gläubigen überlassen. Denn wo Zweckrationalität, Logik und Erkenntnis herrschen, gibt es sie nicht.

Absolutes ist sowieso immer bedenklich. «Alles für», «vorwärts im Sinne von», «niemals, immer, auf ewige Zeiten», wer solche Sprüche klopft, ist potenziell gefährlich.

Das gilt besonders heute, in den garstigen Zeiten einer bislang erfolglosen Bekämpfung einer Pandemie. Wer schüchtern nach den Kosten, Folgekosten und Schäden durch drakonische Massnahmen fragt, wird schnell zurecht gestutzt: wie könne man wagen, den Wert eines Menschenlebens in Franken ausdrücken zu wollen.

Menschenverachtend, zynisch, neoliberal, oder wie Dummschwätzer Lukas Bärfuss formuliert: «In einem Teil des rechtsnationalen Spektrums herrscht die Vorstellung, dass Corona den helvetischen Organismus durchputzt.»

Vielen Corona-Kreischen, die sich mit Forderungen nach Lockdowns, nach der wiederholten Paralysierung der Wirtschaft und Gesellschaft überschlagen, sind die Folgeschäden und -kosten schnurzegal. Das muss uns doch ein Menschenleben wert sein, ist ihr Totschlagargument.

Hat nichts mit einem Menschenleben zu tun …

Auch Banker werden schnell emotional

Auch Zahlenmenschen, die normalerweise nicht zu Gefühlsduseleien neigen, rasten schnell aus, wenn es um die Berechnung des Werts eines Menschenlebens geht. Das konnte ZACKBUM gerade austesten, mit der Frage nach den Kosten der Corona-Bekämpfung, drüben auf «Inside Paradeplatz».

Da überschlägt sich jeweils der Kommentator. Natürlich ist die grosse Mehrheit voller Lob, wie es sich gehört. Aber nehmen wir einen anonymen Kritiker, weil der so schön wäffelt:

«Eine Krankenkasse kann nur prüfen ob eine Behandlung wirtschaftlich und Zweckmässig ist, das ist grossmehrheitlich auch alles im Tarif abgelegt, es gibt praktisch keine Individualentscheide. Das KVG ist Deckungsidentisch.

Diese Diskussion steht uns eben allen noch bevor, entgegen Ihrer Behauptung kann die KK eben gerade nicht Entscheiden das dem 90 Jährigen kein neues Hüftgelenk mehr eingesetzt wird, er hat Anspruch darauf auch wenn er 3 Monate später stirbt.»

Zunächst ein schönes Beispiel dafür, dass Kommentarspalten nicht gerade zur Steigerung des Niveaus beitragen (ausser auf ZACKBUM, versteht sich). Dann sehen wir über eine etwas rumpelige Beherrschung der deutschen Sprache hinweg. Und konzentrieren uns auf den Inhalt.

Unbezahlbar oder mit zugemessenem Wert?

100’000 Franken, dann ist Schluss

Dem Absolutismus, dass ein Menschenleben unbezahlbar sei, stehen ganze Tabellen entgegen, die den Wert jedes Körperteils (bzw. dessen Verlust) genau beziffern. Schliesslich ist auch hier der Verursacher eines Schadens haftbar. Kostet der einen Finger, ein Bein, die Niere, das Augenlicht oder die geistige Gesundheit: alles berechenbar, alles in Franken und Rappen umrechenbar.

In einem häufig zitierten Bundesgerichtsurteil von 2012 kamen die obersten Richter zum Schluss, dass in einem spezifischen Fall eines 70-Jährigen eine Therapie für 400’000 Franken nicht von seiner Krankenkasse übernommen werden musste. Maximal 100’000 Franken lägen drin, entschied Lausanne.

Der Wert eines Menschenlebens, wird es schuldhaft beendet, bemisst sich schlicht und einfach nach dem dadurch entstehenden Verdienstausfall. Unter Vermutung der abgekürzten Lebenserwartung, Qualifikation, Vorerkrankung, Alter usw.

Das ist nun kein Einzelfall oder Ausdruck zynischer Richterlogik. Im Gegenteil, it’s the law in der Schweiz. Denn falls keine schwierigen Entscheide getroffen würden, zahlten wir wohl doppelt so hohe Krankenkassenprämien, was auch all den Gutmenschen, die jede Monetarisierung eines Menschenlebens entrüstet ablehnen, auch nicht recht wäre.

Chemisch gesehen sind wir knapp 24 Dollar wert …

In diesem Zusammenhang kann man nur immer wieder auf einen ausgezeichneten Artikel einer ehemaligen Bundesrichterin hinweisen, die als Mitglied der Grünen nicht im Verdacht stehen kann, neoliberaler Menschenverachtung anzuhängen.

Brigitte Pfiffner stellt klar:

«Mediziner, Krankenkassen, Gerichte müssen genau diese Fragen – sprich: Kosten-Nutzen-Erwägungen im Zusammenhang mit Leben und Tod – praktisch täglich beantworten

Dann führt sie Bundesgerichtsurteile an, in denen die Kostenübernahme verweigert – oder befohlen wurde. Denn: «Gesetz und Rechtsprechung stellen bei medizinischen Behandlungen stets Kosten-Nutzen-Überlegungen an. Das Krankenversicherungsgesetz schreibt nämlich vor, dass drei Kriterien – Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit – gleichberechtigt zu prüfen seien. Eine Kostenobergrenze sieht das Gesetz nicht vor.»

Wirtschaftlichkeit, das gilt auch bei allen anderen staatlichen Massnahmen. So ist das Kriterium für die Errichtung einer Lawinenverbauung, in welchem Verhältnis die Kosten mit der Anzahl der potenziell geschützten Menschenleben stehen, also mit deren kumuliertem Wert.

Seherische Fähigkeiten der Autorin

Man muss erwähnen, dass dieser Artikel Anfang Mai 2020 erschien. Als es sich abzuzeichnen begann, dass die Bekämpfung der Pandemie nicht nur mit der Benützung von Schutzmasken durchgeführt wird, sondern dass es auch drakonische Beschränkungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens geben wird.

«Wie hoch darf der Preis für die Stilllegung der Wirtschaft sein, um die aktuelle Pandemie zu bekämpfen?»

Geradezu seherisch mutet die Schlussbemerkung der alt Bunderichterin an:

«Zu welchem Preis also erkaufen wir uns bei der Corona-Krise eine nicht bezifferbare Lebensverlängerung?

Wenn es so ist, dass viele Todesfälle wegen oder mitbedingt durch Vorerkrankungen eintraten, relativiert sich die Gefährlichkeit von Covid-19. Wenn es so ist, dass die allermeisten der infizierten Personen eher leichte Krankheitsverläufe aufweisen, relativiert sich die Gefährlichkeit auch aus diesem Grund.

Mit anderen Worten: Bei einer zögerlichen Aufhebung des verordneten wirtschaftlichen Stillstandes – der anfänglich seine Berechtigung hatte – bestünde je länger, desto stärker ein Missverhältnis zwischen Nutzen und Kosten der Schutzmassnahmen.»

Es gibt Artikel, die gültig bleiben – und denen auch fast anderthalb Jahre später nichts hinzuzufügen ist. Man muss nur jede Gelegenheit beim Schopf packen, sie wieder in Erinnerung zu rufen

Oder ist das Leben etwas raunend Mystisches?