Die alte Tante NZZ kann’s halt doch. Nicht immer, aber öfter.
Vielleicht ist es das Elend der übrigen Schweizer Medien, angeführt von Tamedia, wo man von jeder neuen Sparwelle hofft, dass sie die Richtigen hinausspült. Denn die Stimmung im Laden hat – nicht nur wegen der Chefredaktion – Bodenkontakt.
Die NZZ hat schwer Schlagseite, was den Ukrainekrieg, die USA und den Schweizer Finanzplatz betrifft. Aber daneben setzt sie immer wieder Glanzlichter; manchmal so gehäuft, dass ZACKBUM nicht anders kann, als ein Loblied in nz,nz,nz-Dur zu singen.
Alles in einer einzigen Ausgabe eines hundskommunen Dienstags versammelt, das ist schon ein starkes Stück. Da hätten wir eine würdige Würdigung von Hugo Loetscher, der auch unser Freund, Gesprächspartner und Begleiter in Nächten war, wo man in seiner Klause an der Storchengasse ab und an das Fenster öffnen musste, weil wir uns in den Zigarettenrauchschwaden kaum mehr sahen.

Hier umarmt ihn freundschaftlich Stefan Zweifel, erinnert an den Intellektuellen Loetscher, den Meister des treffenden Bonmots. «Die Schweiz ist ein Land, in das man immer wieder gerne zurückkommt», sagte er, denn Loetscher liebte die Schweiz, so sehr, dass es ihn in die Welt hinaustrieb, um immer wieder zurückzukehren. Er brachte uns die unendlichen Weiten der lateinamerikanischen Literatur nahe, viele Jahre vor der grossen Welle, als nicht einmal Gabriel García Márquez wirklich bekannt war. Von Alejo Carpentier oder Jorge Luís Borges und all den anderen ganz zu schweigen.
Loetscher war der Dritte im Dreigestirn Max Frisch (den er nicht mochte) und Friedrich Dürrenmatt (den er sehr mochte). Dass dessen Witwe, die Karikatur einer Dichtergattin, ihn wegen seiner Beschreibung des Begräbnisses als wär’s ein Stück des Verblichenen einklagte, selbst dem konnte er genügend Skurrilität abgewinnen, um ein herrliches Essay zu verfassen.
Dann das Interview mit dem Islamismus-Experten Gilles Kepel. Ein Must-Read für alle, die verstehen wollen, was die Studentenproteste antreibt, welche Entwicklung der Islam nimmt, wie er auf unsere Gesellschaft einwirkt. Und dazu eine messerscharfe Analyse der fatalen Mitschuld Netanyahus am aktuellen Desaster im Nahen Osten: «Im Zweiten Weltkrieg hat François Mauriac gesagt: «Ich liebe Deutschland so sehr, dass ich mir zwei davon wünsche.» Genauso hat es Netanyahu mit den Palästinensern gehalten: Er liebt sie so sehr, dass er die Hamas gefördert hat, um die PLO zu schwächen. Es war die Regierung Netanyahu, die den heutigen Hamas-Führer Sinwar 2011 begnadigt hat – man hat Hunderte Islamisten freigelassen gegen einen israelischen Soldaten. Sinwar hatte zwanzig Jahre gesessen und war bekannt für seine Radikalität. Er hat im Fernsehen schon vor dem 7. Oktober zu Morden aufgerufen, mit Beilen und Metzgermessern. Er sollte im Gazastreifen die Macht übernehmen.»

Natürlich sitzt Kepel mit seinen Ansichten zwischen allen Stühlen, aber nur dort ist heutzutage der Ort, wo noch Erkenntnisforschung betrieben wird und keine Inzucht in Gesinnungsblasen.
Selbst das Interview mit Marc Bodin (der wie Martin Suter weiss, wie wichtig der Wiedererkennungswert ist, daher immer die gleiche Frisur, der gleiche Dreitagebart und der gleiche AD-Look) hat seine Momente der Geistreichelei.

Denn wer, wenn nicht ein Werber, wüsste, wie man ein Sprachfeuerwerk anzündet und kleine Bonmots herabregnen lässt. Allerdings vermisst man hier etwas das kritische Hinterfragen. Denn Bodins Redesign des «Blick» mit Regenrohr und unverständlichen Kästchenlogos ist zumindest zweifelhaft. Oder wie ZACKBUM ausführlich begründete: misslungen und grottenschlecht.
Vielleicht wäre auch die Frage erlaubt gewesen, wie viele Pleiten Bodin eigentlich schon hingelegt hat; ZACKBUM kommt da mit Zählen nicht ganz nach. Das hätte einen der «führenden Kreativköpfe des Landes» nicht kleiner gemacht, aber runder und vollständiger. Denn reine Siegergeschichten gibt es nur in der Werbung, nicht im wirklichen Leben.
Manchmal sagt eine Karte mehr als tausend Worte:

Blau eingezeichnet sind die Länder, die am Bürgenstock teilnahmen und das windelweiche Schlusscommuniqué unterzeichneten. Orange Teilnehmer, die nicht unterschrieben. Und grau alle Länder, die nicht dabeiwaren. Wer da von einem Erfolg faselt, dem kann man nur diese Karte zeigen und sagen: sonst noch Fragen?
Und wo, ausserhalb der NZZ, liest man ein solches Porträt über den neuen Präsidenten Indonesiens?

Sogar eine saftige Crimestory hat die alte Tante auf Lager:

Damit trocknet die NZZ sogar den «Blick» ab, der mit all seinen Heads, Chiefs, Chefs und Führern so etwas exklusiv haben sollte.
Dann reisst es die Karikatur raus, denn Benedict Neffs Kulturpessimismus ist zwar flott geschrieben, enthält nun aber nur Spurenelemente neuer Gedanken:

Ein wirtschaftlicher Hintergrund nach den Wahlen in Südafrika; wer bringt sowas sonst?

Selbst die Medienkritik der NZZ hat mal wieder Hand und Fuss. Es geht um die «Washington Post», das Spielzeug des Milliardärs Jeff Bezos. Als der das Traditionsblatt 2013 aus seiner Portokasse für 250 Millionen Dollar kaufte, schrien die einen Zeter und Mordio. Die anderen gaben ihm eine Chance, die er auch nutzte. Schon 2016 schrieb die WaPo wieder schwarze Zahlen – und positionierte sich als Sturmgeschütz gegen Trump.
Und nun das. Obwohl das Blatt, das für Transparenz einsteht, seit dem Übergang in private Besitzerschaft keine Zahlen mehr veröffentlicht, geht aus einer internen Präsentation hervor, dass sich die Zahl der Online-Besucher (Unique Visitors) schlichtweg halbiert haben soll. Von 100 auf 50 Millionen im Monat.
Das ist nicht dramatisch, das ist ein Desaster.

Köpferollen, Sparmassnahmen. Und der Ruf von Bezos als Geschäftsmann mit goldenem Händchen ist auch havariert. Vor allem, weil nicht nur die Konkurrentin NYT davonzieht, der Niedergang der WaPo also nicht in einem allgemeinen Trend liegt.
Und schon sind wir auf der letzten Seite 32 mit dem begnadeten Porträt Loetschers mit der ikonischen Fotografie des Schriftstellers.

Bildzitat aus der NZZ.
Nun könnte ZACKBUM eine Zwiebel hacken oder den «Tages-Anzeiger» durchblättern. Das Resultat wäre das gleiche …