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Courage

Der Name ist Courage. Zivilcourage. Schon mal davon gehört?

Liebe Gemeinde, heute wollen wir den besinnlichen Sonntagstext dem Begriff Zivilcourage widmen. Damit wird dieser Bürgermut vom Mut auf dem Schlachtfeld abgegrenzt. Angeblich soll ihn der deutsche Kanzler Otto von Bismarck als einer der Ersten verwendet haben:

«Mut auf dem Schlachtfelde ist bei uns Gemeingut, aber Sie werden nicht selten finden, dass es ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt.»

Woran fehlt es denn auch in der Schweiz ganz achtbaren und auch weniger achtbaren Leuten? Einfach das, was der «Beobachter» schon lange mit seinem «Prix Courage» auszeichnet? Also ganz allgemein Menschen, die bereits sind, ihre Komfortzone zu verlassen, umd sich für eine von ihnen so empfundene gerechte Sache einzusetzen.

Der Handelnde ist bereit, dafür Nachteile in Kauf zu nehmen, die Macht zu Reaktionen zu provozieren, setzt sich für andere ein, kämpft gegen Ungerechtigkeit, für allgemeine Werte, die er in Gefahr sieht.

Von Mut zu Zivilcourage

Der Applaus ist hier nicht so sicher wie bei einem mutigen Passanten, der unter Einsatz des eigenen Lebens ein Kind vor einem herbeibrausenden Lastwagen rettet. Denn wenn der mit Zivilcourage ausgestattete Mitmensch sich für «falsche» Ziele einsetzt, bekommt er kaum Lob, nur Nachteile und meistens auch eine gesunde Portion Häme ab.

Interessant ist zunächst auch, dass in Frankreich – man merkt halt den Unterschied zwischen einer Geschichte mit gelungener Revolution oder ohne – die Bürgertugend entweder als «courage civil» daherkommt, womit der «Mut zum eigenen Urteil» gemeint ist, oder als «courage civique», ganz allgemein staatsbürgerlicher Mut.

Aber schon die Verwendung des Begriffs Tugend zeigt, dass das alles etwas aus der modernen Zeit gefallen ist. Auch hier findet eine Entwertung von Begrifflichkeiten statt. Ein Daumen hoch unter einem beliebigen Aufruf auf Facebook wird schon von vielen als Ausdruck besonderer Zivilcourage empfunden.

Auch Schule schwänzen und sich an sogenannten «Fridays for Future» zu versammeln, weil «Sundays for Survival» nicht so knackig daherkommt und Sonntag sowieso Freizeit ist, gilt bei vielen als ganz starker Ausdruck von Zivilcourage.

Fast schon im Sinne von Gandhi oder Martin Luther King wird gehandelt, wenn man sich mit gesenktem Haupt niederkniet, und als privilegiertes weisses Kid grölt: «Black Lives matter». Um dabei mit dem neusten iPhone ein Selfie für Tiktok zu schiessen, wobei darauf geachtet werden muss, dass die neusten Markensneakers auch scharf im Bild zu sehen sind. Wozu hat man sonst 350 Franken dafür ausgegeben.

Völlig pervertiert ist der Begriff Zivilcourage dann, wenn aus geliehenem Leiden vermeintlich mutige Forderungen abgeleitet werden. Am besten ein Bekenntnis. Ein Bekenntnis zur Verwicklung in die Sklaverei. Ein Bekenntnis gegen den Mohrenkopf. Dabei werden auch gerne Begriffe wie «Zeichen setzen» verwendet. Steigerbar zu «deutliches Zeichen», noch besser: «deutliches Zeichen der Solidarität». Kostet nichts, schadet nichts, nützt nichts, aber der Zeichensetzer fühlt sich deutlich gebessert, geläutert, ist erfüllt von edlen Empfindungen.

Zivilcourage ist immer Schwimmen gegen den Mainstream

Zivilcourage im nicht pervertierten Sinn hat immer etwas damit zu tun, dass man sich nicht auf eigenen Vorteil bedacht für etwas einsetzt. Oft auch für etwas, ohne das man selbst bequem und problemlos leben könnte. Mutig wird Zivilcourage dann, wenn man weiss, dass man gegen den Mainstream rudern wird.

Entweder einen Meinungsmainstream, dann setzt es Shitstorms und sonstige Beschimpfungen ab. Oder aber, man fordert die Macht heraus, kämpft also beispielsweise gegen eine grosse Bank, Big Pharma, eine transnationale Bude, die täglich mehr Geld für Heerscharen von Anwälten und PR-Managern ausgibt, als der bürgermutige Mensch im ganzen Jahr verdient.

Auch bei Zivilcourage ist der Schritt vom Erhabenen ins Lächerliche kurz und klein. Ein gutes Kriterium, ob es mutige oder lächerliche Zivilcourage ist, ist die Konkretheit der Forderung oder des Anliegens. Wer die Welt, das Klima retten will, gegen den Krieg ist, auch etwas gegen den Hunger hat, ist meistens lächerlich.

Wer sich für das Allgemeinwohl um sich herum einsetzt, an seinem Arbeitsplatz kämpft, die soziale Ächtung der Nachbarn in Kauf nimmt, genau weiss, dass er mit Schweigen davonkäme, aber trotzdem aufsteht und seine Meinung öffentlich hören lässt: das sind Beispiele von Zivilcourage, die meistens nicht lächerlich ist.

Ach, und bevor Nora Zukker fragt: Bertolt Brecht hatte die Courage, aus Grimmelshausens «Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche» sein Theaterstück «Mutter Courage und ihre Kinder» zu machen. Trotz des kommunistischen Autors und der darin enthaltenen Kritik am Kapitalismus als Ursache vieler Kriege hatten viele Theaterregisseure den Mut, es aufzuführen.

Heute ist es eher vergessen, von den Spielplänen verschwunden, viele Nachgeborene fragen: Was ist denn das, und wer ist Brecht, und was ist Courage?

Mehr Zivilcourage, bessere Gesellschaft

Verallgemeinernd kann man sagen, dass das Vorhandensein von Zivilcourage in einem direkten Zusammenhang mit dem Wohlergehen einer Gesellschaft steht. Ist Zivilcourage nur schwach ausgeprägt, ist es für Unterdrückerregimes einfacher, sich an der Macht zu halten. Beherrscht Untertanengeist die Menschen, die fraglose Akzeptanz von Autoritäten, dann ist es leichter, Willkür und Ungerechtigkeit herrschen zu lassen.

Viele, die Zivilcourage zeigen, erleben das Urteil der Geschichte, falls man überhaupt von ihnen Notiz nimmt, nicht mehr. Sie können zum abschreckenden Beispiel eines fehlgeleiteten Aufrührers werden, denn man völlig zu Recht sanktionierte, stigmatisierte, vielleicht sogar liquidierte. Oder aber, es ist ein unerschrockener Kämpfer gegen Unrecht entstanden, ein neuer Gandhi, ein Mandela, einer der wenigen Lichtgestalten in der Geschichte, die sich vor allem durch eines auszeichneten: persönlichen Mut und Unbeugsamkeit.

Oder wie sagte Georges Danton so richtig auf die Frage, was denn einen Revolutionär auszeichne: Um zu siegen,

«messieurs, il nous faut de l’audace, encore de l’audace, toujours de l’audace».

(2. September 1792) Mut und Courage.

 

 

Die Walliserkanne des Wahnsinns

Ein neues Beispiel der Verluderung der Medien. Allerorten.

Die News ist schnell erzählt. Die Wirte einer Kneipe im Wallis weigern sich, die Zertifikatspflicht bei ihren Gästen zu kontrollieren. Sie werden mehrfach ermahnt, dann wird ihnen das Lokal geschlossen, der Eingang verbarrikadiert. Als sie dennoch weiter Gäste empfangen, werden sie verhaftet und in U-Haft genommen.

Daran kann man natürlich tiefschürfende Ansichten über Widerstand, Verhältnismässigkeit, Eskalation oder Schuld anschliessen. Oder man kann sich lächerlich machen.

Das gelingt eigentlich allen medialen Beobachtern bestens. Hubert Mooser gerät auf «Weltwoche Daily» in Wallungen:

«Man hört die Schreie der Betroffenen, als diese von den Beamten mit Härte überwältigt werden.»

Er hatte nicht nur sein Hörrohr nahe an der «wildwest-reifen Szene»: «wie Schwerverbrecher, gewaltiger Image-Schaden, wer hat diese überrissene Polizei-Aktion angeordnet?»

Eine Joyce Küng legt noch nach: «Jedes Fünkchen Widerstand gegen die Bekämpfungsmassnahmen einer Krankheit mit einer Überlebenschance von 99,7%, stellt sich als störend dar. Wie sonst soll die Behörde die Verordnungen rechtfertigen, wenn renitente Demonstranten ständig auf die Verhältnismässigkeit hinweisen?»

Der Boulevard hingegen legt sein Ohr an Volkes Mund: «Über die Verhaftung der Wirte am Sonntagmorgen sei der Grossteil der Einwohner und der Gastronomen erleichtert, meint ein Zermatter zu Blick.»

Es gibt Zweifel an der Verhältnismässigkeit

«Blick» berichtet allerdings auch von den Erlebnissen eines nicht unbekannten Augenzeugens, des Gastrounternehmers Mario Julen, der sich als Vermittler angeboten habe und deshalb beim Polizeieinsatz vor Ort gewesen sei: ««Im Rudel ging die Polizei auf die Familie los, mit Fäusten und Schuhen — und zwar ohne Vorwarnung.» Die Familie habe sich zunächst nicht gewehrt. Trotzdem sei Mutter Nelly «zusammengeschlagen», dem Sohn Ivan «die Schulter ausgerenkt» und dem Vater Andreas in den «Nacken geschlagen worden», beschreibt der Einheimische den Einsatz. «50 Polizisten» seien dabei gewesen, die auch ihn dann weggedrängt hätten. »

Das wiederum macht die Polizei ranzig: «Wir distanzieren uns in aller Form von diesen Vorwürfen. Der Einsatz der Polizei lief verhältnismässig ab. In diesem Zusammenhang prüfen wir derzeit, rechtliche Schritte einzuleiten.»

Zuvor hatten die Medien die Staatsorgane harsch kritisiert; so keifte der «Walliser Bote»: «Der Staat darf sich nicht von einem renitenten Wirt auf der Nase herumtanzen lassen. Man muss Härte zeigen.»

Harte Sache, für den «Walliser Bote».

Auf der anderen Seite zeigt Nicolas A. Rimoldi, wie man sich lächerlich machen kann und der eigenen Sache Schaden zufügen: «Die Schweiz nimmt politische Gefangene! Das wird nicht geduldet. Ich fahre also nun erneut von Luzern nach Zermatt. Das Mass ist voll!» «Freiheitshelden, Opfer der Behördenwillkür, Zermatter Mauer», japst er noch, und: «Ich würde es nicht verurteilen, würden unerschrockene Bürger mit schwerem Gerät die Mauer zerstören.»

Er meint damit die Betonblöcke, die die Behörden nicht sehr elegant vor den Eingang des Lokals gewuchtet hatten, als ihr Schliessungssiegel an der Türe immer wieder aufgebrochen wurde.

Man kann’s auch literarisch sehen

Die NZZ hingegen nimmt Zuflucht zur Literatur, stellt den Vorgang in «vier Akten und einem Epilog» dar: ««Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / den Vorhang zu und alle Fragen offen.» (Bertolt Brecht, «Der gute Mensch von Sezuan»)» Das nennt man wohl Verfremdung im Sinne des epischen Theaters.

Ausgerechnet mit Brecht: die alte Tante NZZ.

Auch der «Schweizer Bauer» steht den Ereignissen nicht unkritisch gegenüber:

«Weggesperrt» hört sich nicht freundlich an.

Anschliessend, Überraschung, sagen Politiker dies und das, kritisieren und fordern, verlangen und postulieren.

Schliesslich wagt sich noch Edgar Schuler von Tamedia an einen Kommentar. Der Mann, das muss man ihm nachsehen, war dazu verurteilt, mit Salome Müller, der Sternchen-Fee, den NL des Tagis herauszugeben und musste sich schwer zusammenreissen, damit er nicht auch als Beispiel für die fürchterlich demotivierende, sexistische und diskriminierende Schreckensherrschaft der Tamedia-Männer herhielte.

Scharf beobachtet: Die «Walliserkanne» sei nicht das Rütli.

Aber nun ist er befreit und darf ungehemmt his master’s voice geben. Denn Tamedia findet bekanntlich Corona-Skeptiker jeder Art bescheuert und tut alles dafür, dass das verschärfte Corona-Gesetz angenommen wird.

Dafür ist jedes Borderline-Verhalten sehr willkommen. Als ob eine Walliser Wirtefamilie einen entscheidenden Beitrag dazu leisten würde, mit ja oder nein zu stimmen, wenn es darum geht, ob ein Gesetz in Kraft treten soll, von dem ein renommierter Verfassungsrechtler in der NZZ sagt:

«Das demokratisch gewählte höchste Organ des Bundes hat mit dem Covid-19-Gesetz und seinen Änderungen zwei wichtige Artikel der Bundesverfassung missachtet und die schweizerische Demokratie grob beschädigt.»

Dabei handelt es sich nicht um einen Walliser Wirt, sondern um Andreas Kley, Professor für öffentliches Recht, Verfassungsgeschichte sowie Staats- und Rechtsphilosophie an der Universität Zürich. Aber das ist Kommentarschreibern wie Schuler schnurz.