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Als der Tagi angebräunt war

In letzter Zeit verwandelt sich der «Tages-Anzeiger» in ein Frühwarnsystem vor dem Faschismus.

Im Sport, in der Politik sowieso, fast überall und jederzeit, der Tagi kann nicht häufig genug vor braunen Zeiten warnen. Kein Anlass zu nichtig; wenn der Möchtegern-Schriftsteller Lukas Bärfuss zu einer seiner wirren und holprigen Reden zur Zeit ansetzt, dann titelt der Tagi: «Die Nazis sind nie weggewesen».

Offensichtlich hat er solche Andeutungen auch zu häufig Richtung SVP, Donald Trump oder gar Roger Köppels «Weltwoche» gemacht. Also schlug das Magazin zurück. Titelgeschichte «Hitlers Schatten über dem Tages-Anzeiger». Hier blättert Christoph Mörgeli genussvoll durch die Berichterstattung der 30er-Jahre und findet Absonderliches bis Widerliches. Artikel von Adolf Hitler und anderen Nazi-Grössen, mehr als bedenkliche eigene Positionen, eher übel.

Aber kein Anlass für den antifaschistischen Tagi von heute, die eigene Vergangenheit nochmals aufzuarbeiten. Denn das sei schon längst geschehen. Im Wälzer «Medien zwischen Geld und Geist», 1993 zur Feier 100 Jahre Tages-Anzeiger erschienen. «Der Artikel der «Weltwoche» enthält keine Informationen darüber hinaus», teilt die Tagi-Kommunikationschefin persoenlich.com auf Nachfrage mit.

18 Seiten über den Tagi in braunen Zeiten

Das hätte sie vielleicht besser gelassen. Obwohl die damalige Festschrift weder beim Tagi selbst, noch digital vorhanden ist, ist dem Rechercheur natürlich nichts zu schwör. Der 530 Seiten dicke Wälzer ist antiquarisch für zwei Franken erhältlich. Offensichtlich hielt und hält sich das Interesse in überschaubaren Grenzen.

Darin findet sich tatsächlich ein Kapitel «Die Bewährungsprobe des Nationalsozialismus». Garantiert völlig unparteiisch schlängelt sich hier der langjährige Tagi-Redaktor Hugo Wild durch diese Thematik. Sicherlich kann man in einer Jubelbroschüre keine brutalstmögliche Abrechnung mit dem Verhalten des Tages-Anzeigers in den braunen Jahren erwarten.

Aber die grosse Milde, die Wild hier walten lässt, vermisst man doch heutzutage, wenn der Tagi bei allem, das rechts von der SP steht, tendenziell immer mit dem Faschismusverdacht zur Hand ist. Ein Seite-1-Artikel von Hitler aus dem Jahr 1931? Nun ja, auch Mussolini durfte mehrfach seine Positionen erläutern. Aber natürlich auch Winston Churchill, US-Präsident Herbert Hoover, usw.

Milde und Verständnis im Nachhinein

Genauso verständnisvoll begegnet Wild der lange gepflegten Abstinenz des Tagi, Taten oder Untaten Hitlers zu verurteilen. Oder er hoffte schon damals, dass viele Leser sich gar nicht mehr an diese Zeiten erinnerten. So zitiert Wild kommentarlos die Schlagzeile vom 2. Juli 1934: «Hitler unterdrückt eine Meuterei gegen das Dritte Reich». So logen die Nazis die brutale Ausschaltung der Führung der SA um, als «Röhm-Putsch», obwohl der SA-Chef gar keinen geplant hatte. Sondern mit rund 100 weiteren SA-Chargen liquidiert wurde, weil er Hitler zu mächtig war.

Als Höhepunkt seiner «Kritik» räumt Wild ein, dass ein Artikel vom 1. August 1933 im Tages-Anzeiger, der das «Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses» «nahezu kritiklos referiert» hatte, das sei «heute, wo man von der späteren (!) Dämonisierung der ganzen Rassenlehre weiss, tatsächlich nicht leicht zu verstehen». Ausser diesem kleinen Verständnisproblem und der Lüge, dass die Nazi-Rassenideologie damals gar noch nicht bekannt gewesen sei, sieht Wild eigentlich keinen Anlass zur «Aufarbeitung».

Alles kalter, brauner Kaffee?

Also alles alter Kaffee, längst eingestanden, erledigt, bewältigt? Im Gegenteil; Mörgeli hat tatsächlich einige Argumente, die diese Reaktion als Schutzbehauptung, als Ausdruck völligen Desinteresses an der eigenen Vergangenheit, erscheinen lassen.

Alleine schon ein paar weitere Zitate, die Wild wohlweisslich unter den Tisch fallen lässt, zeigen einen recht angebräunten Tagi: Das leider misslungene Attentat auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller sieht das Blatt als «Fügung des Schicksals». Zum Blitzkrieg gegen Frankreich 1940 fällt dem Tagi ein: «Die militärische Leistung der Deutschen zwingt uns Achtung ab.» Und den Überfall auf die Sowjetunion sieht der Tagi applaudierend als «Kreuzzug gegen den Bolschewismus».

Zudem verliert das Tagi-Werk kein Wort über weitere familiäre Verstrickungen in das Deutsche Reich. Die Erbengemeinschaft, der auch Berta Coninx-Girardet angehörte, mit derem Geld Otto Coninx den Tagi erworben hatte, bot dem deutschen Regime an, ihm ihr sogenanntes Feuerschlösschen bei Bonn als Gauführerschule der NSDAP zu überlassen. Für zehn Jahre kostenlos, versteht sich, unterzeichnet mit «Heil Hitler».

Keine wohlfeile Kritik an Früherem, aber an Gegenwärtigem schon

Es wäre wohlfeil, mit dem heutigen Kenntnisstand über solche Missgriffe, Fehler, Verirrungen oder schlichtweg Opportunismus herzufallen. Wem aber das F-Wort so leicht in die Tastatur gerät, wer so häufig und gerne mit dem Zeigefinger wackelt und da und dort und aller Orten Gebräuntes denunzieren will, der kann sich sicherlich nicht mit der faulen Ausrede, das sei doch alles schon bekannt und aufgearbeitet, der eigenen Vergangenheit entziehen. Ausser eben als Wendehals, personifiziert im ehemaligen Chefredaktor Res Strehle.

Aber auch heute, oder gerade heute, gibt es genügend Journalisten bei Tamedia, gegen die Tartuffe als blutiger Anfänger erscheint. Aber vielleicht kennt den nicht einmal die neue Literaturchefin Nora Zukker.