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Was ist das für eine Welt,

bei der ZACKBUM nicht weiss, in welche wir in zehn Tagen zurückkehren.

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist.
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschliesst!

An die Nachgeborenen. Bertolt Brecht, 1938

Es geschieht, was wir uns nicht vorstellen konnten. Manche hatten eine Vorahnung, aber la réalité dépasse la fiction, wie Niklaus Meienberg selig zitierte. Nicht die Welt ist übergeschnappt, also nicht mehr, als sie es ohnehin war. Aber an den mächtigsten Schalthebeln der Macht sitzt ein Mad Man, ein gekränkter Narzisst, so viel mal gescheitert, dass ihm schlichtweg alles zuzutrauen ist.

Als er wie ein Berserker mit presidential orders alles zu übersteuern versuchte, was Checks and Balances in den USA seit vielen Jahren einigermassen im Gleichgewicht hält, sahen das einige als erfrischenden Neuanfang nach der Agonie eines senilen Greises, der zwar nicht mehr ganz Herr seiner Sinne und Wahrnehmung war; vielleicht gaga, aber nicht verrückt.

Nun kommt der grosse Baumeister, der nichts als Trümmer hinterliess. Gescheiterter Grössenwahn, noch schlimmer als seine reine Form.

Die Annexionspläne für Grönland und Panama, nötigenfalls mit Waffengewalt. Der moderne Big Stick («ich liebe das Wort Zölle»), die sofortige Amnestie für die Kriminellen, die das Capitol stürmten, um die demokratische Bestätigung seines Nachfolgers zu verhindern.

Und nun der völlig irre Plan, den Gazastreifen wie ein gigantisches Immobilienprojekt zu schaukeln, wo nicht Mieter, sondern die Bewohner ihrer Heimat rausgeschmissen werden. Wohin mit ihnen? Ach, das wird sich schon ein «gutes, frisches, schönes Stück Land» finden, irgendwo im Nirgendwo.

Es gibt seit dem Zweiten Weltkrieg durchaus wackelige supranationale Institutionen, ein Völkerrecht, eine Deklaration der Menschenrechte. Alles Stückwerk, unvollkommen. Aber zumindest der Versuch, unbeschränkte Macht zu begrenzen. Und den Rechtsstaat, auch nicht über jeden Zweifel erhaben. Aber unsere letzten Bollwerke gegen Willkür, Faustrecht, Barbarei.

Nun ist der neighborhood bully wieder zurück. Nicht nur aus eigener Kraft. Sondern auch, weil seine Gegner sich in woken Korrektsprech-Transgender-Wahnsinn verlaufen hatten, nur lachhafte Alternativen zu bieten im Stande waren.Wer in Biden oder Harris valable Gegenkandidaten sah, ist mindestens so plemplem wie der grösste Lümmel aller Zeiten (Grölaz). Der sich selbst als Dealmaker sieht, dabei zieht er eine Spur der Verwüstung durch sein Geschäftsleben, hat anderen Milliardenverluste beschert, ist selbst nur mit Hilfe einer Anwaltriege und dem merkwürdigen Justizsystem der USA dem Knast bislang entgangen.

An seinen Taten zerschellen alle Worte, jegliche Vernunft schleppt sich verwundet vom Schlachtfeld der Lufthoheit über die öffentliche Meinung. Man bekommt wieder einen tiefen Einblick in die Abgründe der Dummheit, wenn man die viel zu vielen liest und hört, die so tun wie der Besitzer eines kläffenden Köters, der seine Zähne bleckt, während er sagt: er will doch nur spielen, und ich habe ihn an der Leine.

Der Mann hat erst angefangen, und wie die Welt aussieht, wenn er in knapp vier Jahren abtritt, wagen wir uns nicht vorzustellen. Die Fantasie reichte auch nicht dazu aus. Welches Genies bedürfte man, um die passenden Bilder, Metaphern dafür zu finden. Stattdessen Gewäffel und wortvolles und fassungsloses Erstaunen.

Niemals war es so offensichtlich, dass wir Wortkünstler, wir eingebildeten Intellektuellen mit unseren Kriegstänzen um verlöschende Feuer der Rationalität zwar mit grossem Tamtam auf die Resonanzkörper der Multiplikatoren hauen. Warnen, raten, mahnen und labern – aber völlig wirkungslos sind. Eine Zierleiste, die sich selbst zu wichtig nimmt und um das Eingeständnis mit Selbstbetrug herumbiegt, dass sie die Oberhoheit über den Diskurs hätte. Dabei sind wir wie Schmeissfliegen, die über einem grossen Haufen Scheisse summen, dabei sogar viele in Lohn und Brot stehen.

Oder einen kleinen Blog betreiben. Mit keiner anderen Letztbegründung als: Schreibzwang. Es macht Spass, aber das lässt nach.

Eine regelbasierte Ordnung, die es dem Menschen erlaubt, das zu suchen und zu finden, was er für sein kleines Glück hält. Die Abwesenheit von Gewalt, Unrecht, eine Kraft, die die Macht in die Schranken weist und ihr die Begründung verweigert: ich bin stark, du bist schwach, was willst du gegen mich. Ist das zu viel verlangt?

Nie war das vollkommen, so viele Male wurde es aufgebaut, um wieder zerstört zu werden. Die grosse Hoffnung der Menschheit, das langsame Voranschreiten auf dem schmalen Weg der Vernunft durch dunkle Nacht, die nächste Generation steht auf den Schultern der vorhergehenden, das Paradies kann von dieser Welt sein. Davon träumte der Marxismus und so viele mehr. Die Aufklärung, el siglo de las luces, das Jahrhundert des Lichts, wie das nicht nur der grosse Poet Alejo Carpentier nannte. Montesquieu (nur geteilte Macht ist gezähmt), Voltaire, Diderot, die grosse Französischen Revolution, die zuerst festlegte, dass jeder Mensch unveräusserliche Rechte habe, nur weil er Mensch ist, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung zuvor, die den pursuit of happiness, das Streben nach Glück, zum Menschenrecht ernannte.

Und die grosse Oktoberrevolution, angeführt von einem Jahrhundertgenie namens Lenin. Und wie endete das alles. In Terreur, im Stalinismus. Wenn die Tugend den Absolutheitsanspruch erhebt, l’ami du peuple, der zu seinem schlimmsten Feind wird, ist sie nicht minder schrecklich als jede diktatorische Herrschaft. Ihre Adepten sind noch heute unter uns, die Inquisitoren der zweifellosen Rechthaberei.

Also ist die Geschichte doch wohl wie ein Rad. Es dreht sich unablässig am Ort, was hinaufkommt, geht wieder darnieder, ewiglich. Wie es das Genie Shakespeare in seinen Königsdramen beschrieb, die eine zeitlose Gültigkeit haben wie kein Werk danach.

So kann man gut klugscheissen, wie es schon so viele zuvor vergeblich taten. Karl Kraus, Kurt Tucholsky, Egon Erwin Kisch, Lincoln Steffens, Carl von Ossietzky und so viele mehr, die Ahnengalerie wie Schatten an der Wand. Die Philosophen mit ihren Welterklärungen, von Platon über Kant, Hegel bis Habermas. So voller kluger Gedanken, so viel Reflexion über das Selbst als sich erkennendes Subjekt und Objekt und sein Verhältnis zur Wirklichkeit.

So gültige Sitze wurden gefunden und sind verweht, wirkungslos: Das Unrecht, das dem Einzelnen widerfährt, ist eine Bedrohung für alle.

Letztlich ist es doch so, wie es Tucholsky vor seinem Ende beschrieb:

Die religiösen Welterklärung auf der Suche nach Sinn und Halt, voller leerer Versprechungen, immer endend in einer degenerierten Pfaffenkaste, die es sich hier Wohlergehen lässt und die Gläubigen auf die Verheißungen eines Jenseits vertröstet. Und wer nach dem Tod erwachte, müsste schmerzlich erkennen: es kommt nichts nachher.

Wenn die Worte alle werden und nur hohl verwehen, hilft einzig der Rückgriff auf einen, der es, soweit es uns gegeben ist, in Gedanken fasste.

Gegen Verführung

Laßt Euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.
Der Tag steht in den Türen,
ihr könnt schon Nachtwind spüren:
Es kommt kein Morgen mehr.

Laßt Euch nicht betrügen!
Das Leben wenig ist.
Schlürft es in vollen Zügen!
Es wird Euch nicht genügen,
wenn Ihr es lassen müßt!

Laßt Euch nicht vertrösten!
Ihr habt nicht zu viel Zeit!
Laßt Moder den Erlösten!
Das Leben ist am größten:
Es steht nicht mehr bereit.

Laßt Euch nicht verführen
Zu Fron und Ausgezehr!
Was kann Euch Angst noch rühren?
Ihr sterbt mit allen Tieren
und es kommt nichts nachher.

Brecht

 

 

«Blick» spinnt, reloaded

Kreisch, heul, jammer. Boulevard mit anderen Mitteln.

Simplifizieren und dann einen Wumms drauf. Das ist das Rezept für Billig-Boulevard. Kann man machen, wenn man’s kann. Denn es ist ein schmaler Grat, eine feine rote Linie zwischen erlaubten Krachern und demagogischer Hetze.

Die überschreitet «Blick» in jüngster Zeit mehrfach. Zuerst das unsägliche Meinungsstück von «Ausland-Reporter» Samuel Schumacher. Er behauptet, zur «Verteidigung unserer Werte» in der Ukraine sollten Gesetzesbrecher, die sich dort als Reisläufer betätigen, nicht bestraft, sondern dekoriert und mit Denkmälern geehrt werden. Denn dort rümpfe man «ob des helvetischen Abseitsstehens ohnehin schon die vom dreijährigen brutalen Angriffskrieg zertrümmerte Nase». Wenn die Gedanken entgleisen, fährt die Sprache ins Unterholz. Und wird die Neutralität als unnützer Ballast über Bord geworfen.

Neu legt der «Redaktor News» Daniel Jung noch einen drauf. Der zeigt schon im Titel, was primitive Polemik ist: «In den Klauen der Populisten: Wie Europa «vertrumpt»». Ein übles Stück Hetze, abgezeichnet aus dem Bilderbuch der Demagogie. Alle für solche Zwecke geeigneten Triggerwörter sind vorhanden:

«Klauen, Rechtspopulisten, rechtspopulistische Kanzler, Rechtspopulisten, gefährden, Postfaschistin, rechtsextremistischer Verdachtsfall, einer der ältesten rechtspopulistischen Parteien Europas, europäische Rechtspopulisten, Spaltung verschärft, Rechtspopulisten vorerst noch stärker werden».

 

Immerhin gab’s dann einen Anfall von Scham: Aus den Klauen wurde «Populisten an der Macht». Aber immer noch ein Sammelsurium von billigen Schlagwörtern, die repetitiv dem Leser eingehämmert werden. Auffällig auch die völlige Absenz von Logik und innerem Zusammenhang. Wie Europa nun «vertrumpt» (und was das sein soll): hinter dem dummen Spruch gähnende Leere. Was «Rechtspopulisten» eigentlich sein sollen, Sendepause. Ob so unterschiedliche Figuren wie Meloni, Weidel, Orban oder Kickl über den gleichen Kamm geschert werden können: blankes Nichts als Antwort.

Immerhin leiht sich Jung, mangels eigener Fähigkeit, die einzige Erklärung für dieses angebliche Phänomen vom «Wall Street Journal»: «Der Rechtsruck wird durch die Ängste der Arbeiterklasse in Bezug auf die Wirtschaft und die Einwanderung angeheizt – sowie durch die zunehmende Ermüdung bei Themen wie Klimawandel und Identitätspolitik.»

Ängste der Arbeiterklasse? Lustig, dass das Hoforgan des modernen Kapitalismus einen altmodischen Ausdruck des marxistischen Vokabulars bemüht. Was allerdings richtig ist: wenn die regierenden Parteien immer mehr die Interessen breiterer Schichten der Bevölkerung nicht vertreten, eine verpeilte Energie- und Umweltpolitik beispielsweise in Deutschland zum industriellen Niedergang und nicht zuletzt zur Existenzkrise der Automobilindustrie führt, dann ist es doch kein Wunder, dass der Wähler ranzig wird und nach Alternativen Ausschau hält.

Es ist ja nicht so, dass die Amis Trump gewählt haben, weil sie blöd sind oder ihn ganz toll fänden. Sie haben Trump gewählt, weil die Alternative, ein seniler Biden oder eine unbeliebte und blasse Harris noch schlimmer waren. Sie wählen in Deutschland auch nicht Alice Weidel und die AfD, weil die Partei so überzeugende Lösungen anbietet. Sondern weil das zerbrochene Trio Scholz/Habeck/Lindner krachend versagt hat.

Wer einen Kinderbuchautor über Jahre als Wirtschaftsminister wüten lässt (bitte nicht einklagen), der muss sich doch nicht wundern, wenn ihm die Wähler weglaufen. Wer als grüne Partei sämtliche Prinzipien verrät, nach einer gescheiterten Energiewende wieder auf Gas und Kohle setzt, als ehemalige pazifistische Partei zur Ansammlung von Kriegsgurgeln verkommt, der muss sich auch nicht wundern, dass er unwählbar wird.

Während Jung all diese Wählerreaktionen, die ihm nicht passen, als «vertrumpen» denunziert, mangels Argumenten das Wort «rechtspopulistisch» bis zum Erbrechen wiederholt, demaskiert er sich selbst als etwas Übles: als Antidemokrat, dem die Ergebnisse freier Wahlen einfach nicht in den Kram passen. Er wäre doch niemals auf die Idee gekommen, nach der Regierungsbildung von Roten und Grünen mit freundlicher Hilfe der FDP in Deutschland zu schreiben, dass sich das Land nun in den «Klauen» dieser Parteien befände; in den Klauen von Scholz und Habeck und Baerbock.

Eine Klaue ist ein scharfer, normalerweise schmaler und gebogener Nagel an der Zehe eines Tieres. Krallen können zum Kratzen, Greifen, Graben oder Klettern geeignet sein.

Was ist von einem Schreibtischtäter zu halten, der Politiker, die von beachtlichen Prozentzahlen von Wählern an die Regierung gebracht werden, mit Klauen versieht? Sie also vertiert. Wer das mit Menschen tut, früher war auch gerne das Bild von Ratten im Schwang, bräuchte mindestens einen Sensibilisierungskurs. Oder eher eine Abmahnung. Oder einen Tritt in den Hintern für diese Sittenverluderung. Stattdessen suhlt er sich in seinem Gesinnungssumpf und findet sich ganz toll.

Gaga gegen gröwa

Biden gegen Trump. Das ist wie Pest gegen Cholera. Aber repräsentativ für so vieles.

Immerhin hat die EU solche Probleme nicht. Da wird die von Alt-Bundeskanzlerin Merkel ins Amt gehievte Ursula von der Leyen problemlos wiedergewählt. Trotz Affären über Affären, trotz Fehlprognosen über Fehlprognosen. Wohl nach der Devise: eine dysfunktionale EU wird am besten durch eine dysfunktionale Chefin repräsentiert.

In den USA gibt es immerhin eine Wahl. Aber was für eine. Der amtierende Präsident verwechselt Selenskyj mit Putin und vergisst den Namen seines Verteidigungsministers. Der ehemalige Präsident behauptet, er werde sämtliche internationale Konflikte beenden und lügt wie gedruckt, sobald er den Mund aufmacht.

Präsident Biden hat die Unterstützung der Auslandchefs von Tamedia und NZZ verloren; daran hat er schwer zu knabbern. Kandidat Trump kann sich dagegen der unverbrüchlichen Unterstützung von Roger Köppel erfreuen («Der Auferstandene»), wenn Köppel nicht gerade die sauberen Strassen und vollen Regale («Schweizer Käse und andere Delikatessen») von Moskau lobt.

Der eine Kandidat ist offensichtlich gaga, der andere grössenwahnsinnig. Beide haben einen Wackelkontakt zur Realität.

Möglicherweise wird Biden noch vor der Zielgeraden der offiziellen Nominierung ausgewechselt. Daran knüpft die «alles, nur nicht Trump»-Journaille ihre allerletzten Hoffnungen, nachdem sie noch vor Kurzem Biden als letzte Hoffnung hochgejubelt hatte. Trump wollte den Geläuterten und Gemässigten geben, konnte es aber nicht lassen, von seinem Redemanuskript abzuweichen und unverständliche Lobeshymnen auf Hannibal Lecter zu singen, den psychopathischen Menschenfresser im «Schweigen der Lämmer».

Die Welt spinnt im Grossen, die Welt spinnt im Kleinen. Der Tagi veröffentlicht eine Untersuchung, in welchen Quartieren das Sterberisiko erhöht sei – «wegen der Hitze». Die NZZ veröffentlicht das «Porträt eines politischen Genies» – über Trump. CH Medien haben den Blick fürs Wesentliche: «Trump bekommt keinen Kuss von seiner Frau».

«Blick» hat keine Antworten, nur Fragen: «Nach riesiger IT-Panne: Wer zahlt für die immensen Schäden?» «Bringt die Juso-Initiative Steuererhöhungen für alle?» «Warum bis du gegen Fleischersatzprodukte?»

Der «Spiegel» glänzt wieder einmal mit einem geschmackvollen Cover:

Ach, und dann wird die Ukraine mit russischen Bomben und guten Ratschlägen aus dem Westen überschüttet, sollen die Ukrainer gefälligst für unsere westlichen Werte verrecken, das sind sie unseren Sandkastengenerälen und Kriegsgurgeln und Sesselfurzern in den Redaktionen schuldig.

Das viel grössere Geschlachte im Sudan, in Äthiopien, in Mianmar  interessiert keinen. Falsche Weltgegend, falsche Hautfarbe, keine strategischen Interessen, keine Rohstoffe.

Ach, und der Tagi trauert, dass Zürich erspart blieb, Millionen Steuergelder für das Fest einer Hupfdohle auszugeben.

Dann lässt der «Blick» ansatzlos auf den früheren BaZ-Redaktor und nachfolgend «Nebelspalter»-Mitarbeiter Daniel Wahl (lustigerweise dort nicht im Impressum aufgeführt) einprügeln, ohne dessen Namen zu nennen:

Wieso Lukas Lippert vom «Beobachter» diese alten Kamellen nochmals aufwärmt, nur weil in Deutschland der Prozess gegen die Rollator-Revolutionäre von den verpeilten «Reichsbürgern» stattfindet, man weiss es nicht.

Die völlig haltlose Tamedia übernimmt von der «Süddeutschen Zeitung» einen Kommentar von Marlene Knobloch: «Wie meinen «Retro»»?» im Original, «Noch jemand wach im Marketing» in der Kopie. Darin rezykliert Knobloch zunächst sämtliche Klischees, die Hänschen klein so über Marketingfuzzis haben kann («köpfen Cremantflaschen, trinken literweise Kaffee, brüten bis tief nachts vor Stehschreibtischen»).

Um dann die neue Kampagne von Adidas zu köpfen. Die preist einen neuen Sneaker, der im Design an Olympia 1972 erinnern soll, mit dem Model Bella Hadid an. Na und? Na, die werde von ihren Fans als «Palestine Queen» gefeiert, sei aber mit einem goldenen Löffel im Mund in den USA geboren worden.

Dann wird Knobloch ziemlich ausfallend: «Was sie nicht daran hindert, ihre über 60 Millionen Follower auf Instagram exzessiv über Palästina zu unterrichten, historisch falsche Landkarten eines angeblich existierenden palästinensischen Staates zu teilen, ausserdem KI-generierte Bilder, die angeblich Rafah darstellen sollen, und auf Demos «From the River to the Sea» zu brüllen

Womit für Knobloch völlig klar ist: «Bella Hadid als grosse Antisemitin zu entlarven, ist gar nicht zwingend nötig.» Deshalb tut sie es auch nicht, das Reizwort «Antisemit» für jeden Kritiker Israels reicht ja schon. Fehlen darf auch nicht: «Adidas sind die Anfangsbestandteile des Gründervaters Adolf Dassler, der mit seinem Bruder und Mitfirmengründer Rudolf Dassler 1933 in die NSDAP eintrat.» Was hat Knobloch für einen Lösungsvorschlag? «Man hätte angesichts der Geschichte, der sensiblen Weltlage auch einfach ein jüdisches oder israelisches Model fragen können

So wird ein simpler Turnschuh zum Schlachtfeld von Antisemitismus, Erinnungen an das Dritte Reich und die braune Vergangenheit des Adidas-Gründers. Wie blöd und primitiv wäre es, gegen die Verwendung eines jüdischen Models zu polemisieren, wenn das nicht die Kriegsverbrechen, die Israel im Gazastreifen begeht, verurteilen würde?

Übrigens ist Adidas bereits eingeknickt und hat Hadid aus den Anzeigen entfernt. Wie darf man das nennen? Erfolgreichen Rufmord? Denunziationskampagne? Antipalästinismus?

Die Welt verliert sich in Nebensächlichkeiten, die Medien japsen ziel- und haltlos durch die Weltgeschichte und haben eine mehr als selektive Weltsicht, kümmern sich am liebsten um Pipifax, der dem beschränkten intellektuellen Niveau, den oberflächlichen historischen und wirtschaftlichen Kenntnissen der Redaktoren entspricht.

«World gone mad», sang Bob Dylan. Sagten wir auch schon. Zweit für eine Sommerpause, demnächst.

 

Bibbern mit Biden

Früher gab es Journalismus über den Tag hinaus.

Heutzutage bringt jeder neue Tag eine neue Meinung der Journaille. Brutal exekutiert sie das auf zwei aktuellen Themengebieten.

Das eine ist der Ukrainekrieg. Gurgeln wie der unsägliche Georg Häsler. Der rasselt mit einem völlig veralteten Begriff von Kriegsführung durch die Spalten der NZZ. Beschimpft das Festhalten an der Neutralität und glasklaren Rüstungsexportgesetzen als Ausdruck davon, ein «unzuverlässiger Partner» zu sein, gibt widersinnige militärische Ratschläge und hofft und prognostiziert ständig die Niederlage Russlands.

Wie andere Kriegskreischen auch. Ein mit Steuergeldern finanzierter ETH-Militärschwätzer prognostizierte schon den Zeitpunkt der russischen Niederlage. Im November. Allerdings 2022.

Dass man mit einer Prognose mal danebenliegen kann, das ist okay. Wenn man aber ständig ins Gebüsch fährt, dann wieder auftaucht, das Gegenteil verzapft und so tut, als ginge einen das dumme eigene Geschwätz von gestern nichts an – das ist nicht vertrauensbildend beim Publikum.

Das hat zwar ein Kurzzeitgedächtnis, aber für blöd verkaufen lässt es sich dann doch nicht. Obwohl es das vielleicht nicht punktgenau festmachen kann, fällt dem Medienkonsumenten doch auf, dass die Prognose- und Analysefähigkeit der grossartigen Korrespondenten und Koryphäen in den Massenmedien sehr überschaubar geworden ist. Wie es gerade wieder bei der Berichtserstattung über die französischen Wahlen offenkundig wurde.

Aber noch frappanter ist dieses haltlose Benehmen bei den US-Präsidentschaftswahlen. Der Grundkonsens ist auch hier völlig klar: Himmelswillen, Donald Trump darf auf keinen Fall nochmals Präsident werden. Dass rund die Hälfte der US-Stimmbürger anderer Ansicht zu sein scheint, das ist unfassbar für diese Journaille. Nach wie vor konzentriert sie sich auf die Ansichten von Eierköpfen von New York bis Boston, mit gelegentlichen Abstechern nach San Francisco und Los Angeles. Dass der entscheidende Teil der USA dazwischen liegt, das sind halt die Fly-over-Bundesstaaten, bewohnt von hinterwäldlerischen Waffen- und Religionsfanatikern, die doch schon Claas Relotius so punktgenau beschrieb.

Aber wie auch immer, damit Trump nicht gewinnt, muss ja sein Gegenkandidat gewinnen. Und da hat die Journaille nun ein grobes Problem. Denn der Amokgreis bringt immerhin seine One-Liner und Lügen stammelfrei über die Lippen, wirkt unter seiner lachhaften Frisur und seiner orangen Schminke entschieden vitaler als sein Gegenpart, der senile Greis Joe Biden.

Der ist noch knapp in der Lage, eine Rede ohne zu stolpern vom Teleprompter abzulesen, wie aufatmend und lobend erwähnt wird. Aber wenn seine Performance beim TV-Duell seiner normalen geistigen Aufnahmefähigkeit entspricht, ist er dann geeignet, das wichtigste und mächtigste Amt der Welt auszuüben? Noch weitere vier Jahre?

Da bricht nun Heulen und Zähneklappern aus. Am lautesten heult und klappert mal wieder Christof Münger von Tamedia. Der Auslandchef ohne Ausland und ohne Verstand, lobhudelte noch vor Kurzem Biden als einzige und notwenige Lichtgestalt in den Himmel, die eine Wahl Trumps verhindern könne, und legte dessen Wahl dem US-Stimmbürger dringlich ans Herz. Ob der das vernommen hat, ist allerdings zweifelhaft.

Aber inzwischen fordert Münger bereits ultimativ den Ersatz von Biden, der Mann muss weg, damit ein frischer Kandidat das Schlimmste, also Trump, verhindern kann. Damit ist Münger natürlich nicht alleine. In den Tagen nach dem desaströsen TV-Duell nahm die Journaille seismographisch jedes Zittern innerhalb der demokratischen Partei wahr und auf. Mögliche Ersatzkandidaten wurden genannt und abgeklopft auf ihre Tauglichkeit. Von einzelnen Forderungen nach Rücktritt Bidens schwollen laut ihnen die Stimmen der «Biden muss weg»-Politiker zum Chor an.

Aber nun das. Kaum hat der senile Greis eine Rede ohne Katastrophe zu Ende gebracht, machen sie nochmals auf dem Absatz kehrt. Lobhudeln einen «kämpferischen Biden», Tamedia findet unterhalb von Taylor Swift und Fussball-EM sogar noch Platz für ein «Biden hält kämpferische Rede». Nur der «Blick» hat das (noch) nicht mitbekommen und stellt lieber die Frage: «Wie heiss wäschst du deine Wäsche?» Hat der Journalist zu heiss gebadet, fragt man sich.

Bibbern mit Biden. Der Mann muss weg. Der Mann muss bleiben. Russland muss verlieren. Trump auch. Die Rechten sowieso. Entwicklungshilfe ist gut, die SVP (meistens) schlecht. Der Klimawandel schlägt fürchterlich zu, alternative Energien sind die Lösung. Es wird auch und gerade in der Schweiz diskriminiert, ausgegrenzt, wenn es vielleicht keine Rape Culture gibt, dann aber sexualisierte Gewalt aller Orten.

Nur wer sprachsensibel alle Vergewaltigungen und Verhunzungen der deutschen Sprache mitmacht, ist ein guter Mensch.

So etwa lautet das Weltbild, das Selbstverständnis und der missionarische Auftrag einer überwältigenden Mehrheit von Gutjournlisten, die der Welt mit ihrem leuchtenden Beispiel ein Zeichen setzen wollen. Ach, auch gegen unnötige Flugreisen, wohlgemerkt. Ausser, es geht um die eigenen Ferien auf den Malediven.

Ein solch verpeiltes, verlogenes Pack schreibt seinen eigenen Untergang herbei und gibt allen und allem die Schuld daran. Nur nicht sich selbst. Nicht zu fassen, aber wahr.

 

«Blick» gaga

Im Frühling spriessen auch Journalisten ins Kraut.

Man nehme: einen Zeitungsbericht aus dem fernen Ausland, zitiere den brav und demontiere ihn anschliessend im eigenen Artikel.

Fertig ist ein klassisches Boulevard-Stück, obwohl der «Blick» doch gar nicht mehr Boulevard sein will. Dabei kann er doch, wenn er will:

Das ist genialisch, perfekter Boulevard. Jede Menge Teaser schon im Titel. Porno, Musk, Indianer. Wunderbar, mehr davon.

Aber leider, leider: «Lassen die Demokraten Biden fallen?», diesen Fragetitel versteckt «Blick+» sogar hinter der Bezahlschranke. Wollen wir ihn uns plussen?

Das «Wall Street Journal» zitiere ein paar Politiker, die den US-Präsidenten Joe Biden als leicht bis schwer senil beschreiben. «So murmle er unverständlich, schliesse die Augen, verspreche sich und verwechsle Personen», zitiert Guido Felder das WSJ.

Nun kommt das pädagogische Stück. Wir führen den Leser eng auf Mann durch die wichtigsten Fragen. Wunderbar. Dazu gehört, ob das WSJ, eine der grössten, seriösesten und angesehensten Zeitungen der Welt, die einen Ruf zu verlieren hat, auch «seriös» sei. Auch die nächste Frage ist putzig: «Wie reagiert Joe Biden?» Gar nicht natürlich, hat vielleicht den Artikel des WSJ nicht verstanden oder gemeint, es gehe nicht um ihn.

Aber Scherz beiseite, so geht’s weiter. «Wie realistisch ist es, dass Biden ausgetauscht wird?» Völlig unrealistisch, aber schön, haben wir gefragt. Logische Folgefrage: «Wer würde Biden ersetzen?» Da kommen die üblichen Verdächtigen, angeführt von der farblosen Vizepräsidentin, die als Grüssaugust auf den Birkenstock geschickt wird, während Biden lieber mit George Clooney und Julia Roberts zusammen ist. Verständlich, so senil kann er doch nicht sein.

Schliesslich, logo: Hätte ein Biden-Ersatz gegen Trump eine Chance? Besser als der «Blick» könnte es auch ZACKBUM nicht formulieren: «Ein Wechsel käme einem Himmelfahrtskommando gleich

Sonst noch was? Doch, Claudia Brühwiler, USA-Expertin an der Uni St. Gallen, macht bei dem Gaga-Stück mit und will sich offenbar für etwas mediale Aufmerksamkeit den Ruf ramponieren. Sie lässt sich von den Alumni der HSG so anpreisen: «Claudia Franziska Brühwiler ist die meistgesuchte Forschende der HSG».

Allerdings zählen die Alumni unter den «neusten öffentlich zugänglichen Publikationen» von Brühwiler als jüngste Werke ein Stück in der NZZ und eines im «Schweizer Monat» auf. Von 2021, respektive 2020.

Man fragt sich: warum macht Brühwiler bei einem solchen Stunt mit? Man fragt sich auch: warum muss das Blatt mit dem Regenrohr im Logo seinen Ruf weiter ramponieren? Ist der Führungskopfsalat mit Chiefs und Heads und Chefs, ist überhaupt die oberste Chefetage nicht schon schlimm genug?

Der Fall Prigoschin

Ein genauerer Blick auf seine Feinde und mögliche Mordmotive. Und nein, der Täter ist nicht der, den Sie vielleicht vermuten!

Von Felix Abt

Joe Biden reagierte auf die Nachricht von Prigoschins Tod mit der Aussage: «Es gibt nicht viel, was in Russland passiert, hinter dem Putin nicht steckt«, und insinuierte damit, dass der russische Präsident der Anstifter für die Ermordung des Chefs der russischen privaten Söldnerarmee PMC Wagner war. Ein amerikanischer Präsident kennt sich sicher aus in aussergerichtlichen Exekutionen, da dies zu seinem eigenen Aufgabenbereich gehört. Die letzte Tötung, von der wir wissen, dass dieser Oberbefehlshaber dafür verantwortlich ist, war die Ermordung einer unschuldigen zehnköpfigen Familie in Kabul durch einen US-Drohnenangriff.

Das Urteil vieler im Westen wurde sofort nach Bekanntwerden der Nachricht gefällt, reflexartig, ohne Klärungen und Untersuchungen abzuwarten und ohne über mögliche Täter und Motive nachzudenken.

Der Spiegel ist durchaus repräsentativ für die Leitmedien im deutschsprachigen Raum. Und wenn er nicht gerade Lügen à la Relotius verbreitet, dann zumindest dümmliche antichinesische oder antirussische Propaganda, einschliesslich einer Verschwörungstheorie, in der zwangsläufig der pöhze Putin die Hauptrolle spielt.

Warum sollte man sich also nur auf eine Partei, die Russen und Putin, konzentrieren, wenn Prigoschin viele Feinde hatte? Dass Prigoschins gescheiterte Meuterei zu einer tiefen Kluft mit Putin und dem russischen Staat führte, ist unbestritten.

Eine Chance für Prigoschins Feinde

Aber gerade diese Tatsache könnte viele seiner Feinde zu der Überzeugung gebracht haben, dass Prigoschin sehr verwundbar war, weil er nicht mehr unter dem Schutz des russischen Staates stand und die russischen Behörden möglicherweise keine Massnahmen ergriffen, um seinen Tod zu rächen. Wäre das nicht ein Anreiz, eine willkommene Gelegenheit, auf die seine Feinde schon lange gewartet hatten, um Prigoschin loszuwerden?

Die Affäre wird vielleicht nie ganz aufgeklärt werden, vor allem bei jemandem wie Prigoschin, der einen Grossteil seines Lebens im Verborgenen verbracht hat, und wir werden vielleicht nie ein vollständiges Bild von den Geschehnissen bekommen, und die Hintermänner sind vielleicht nicht zu fassen.

Dennoch sollten wir tun, was westliche Politiker und ihre Medienpartner nicht tun:

Ein Blick auf die möglichen Mörder und ihre Motive

Bevor wir mögliche Verdächtige überprüfen, sollten wir die Möglichkeit eines Unfalls in Betracht ziehen, der nicht völlig ausgeschlossen werden kann: Das Embraer-Flugzeug von Prigoschin war alt und wurde vom Embraer-Flugzeughersteller aufgrund westlicher Sanktionen schlecht gewartet und gepflegt. Prigoschin und seine Befehlshaber waren sicherlich leichtsinnig, als sie dieses Flugzeug gemeinsam flogen. RT berichtete, dass Prigoschins Pilot nach einer Impfung an einer Herzmuskelentzündung litt und erwähnte die Möglichkeit, dass ein Herzinfarkt den Absturz verursacht haben könnte. In Anbetracht der Tatsache, dass viele Menschen ihm den Tod wünschten, ist es wahrscheinlicher, dass sein Tod durch einen Mord als durch einen Unfall verursacht wurde.

Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Absturz durch eine Luft-Luft- oder eine Boden-Luft-Rakete verursacht wurde. Die Explosion wurde wahrscheinlich durch eine Bombe an Bord verursacht.

Prigoschin hatte ein aussergewöhnliches Leben mit vielen Aktivitäten, die oft umstritten und gewalttätig waren und ihm viele Feinde einbrachten, die als Täter betrachtet werden könnten:

Es könnte das Ergebnis eines internen Machtkampfes innerhalb der PMC Wagner gewesen sein. Harte, rücksichtslose Männer, die aus allen möglichen Gründen extrem wütend auf Prigoschin waren und sich auch durch die Organisation der Meuterei angegriffen fühlten, könnten Rache genommen haben. Sie kannten seine Reisepläne und könnten sein Sicherheitspersonal infiltriert und eine Bombe platziert haben.

Freunde und Familien von gefallenen Wagner-Soldaten hätten sich für die Zehntausenden von Männern rächen können, die, wie Prigoschin zugab, in die Schlacht geworfen wurden und dort starben. Selbst das russische Verteidigungsministerium (und Putin) waren entsetzt über die Art und Weise, wie er es tat (weshalb die russische Regierung im Februar 2023 die Rekrutierungsverfahren änderte und Prigoschin nicht mehr erlaubte, Gefangene zu rekrutieren, und die Rekrutenausbildung verlängern musste). Viele dieser Personen haben einen kriminellen, gewalttätigen Hintergrund und sind möglicherweise wütend darüber, dass er den Tod ihrer Angehörigen und Freunde verursacht hat. Kriminelle Netzwerke könnten sich an Wagners gewandt haben, um eine Bombe im Flugzeug anbringen zu lassen.

Andere Menschen in Russland: Einige Oligarchen sympathisierten mit Prigoschin und seiner Meuterei. Nachdem die Meuterei gescheitert war, wollten sie ihn möglicherweise zu ihrer eigenen Sicherheit loswerden, um nicht entdeckt zu werden. Möglicherweise haben sie Wagners korrumpiert und ihn ermorden lassen.

Unmittelbar vor dem Absturz seines Flugzeugs in der Nähe von Moskau war Prigoschin in Afrika. Dort traf er mit Regierungsvertretern aus der Zentralafrikanischen Republik zusammen, denen er Sicherheitsunterstützung zusicherte.

Er traf auch sudanesische Milizenführer, die gegen die sudanesische Regierung kämpfen, und beriet sich mit Regierungsvertretern aus Mali. In seinem letzten Video, das er während seines Aufenthalts in Afrika aufnahm, erklärte er, dass er den Afrikanern helfen wolle, das Joch des Westens abzuschütteln.

Die stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland warnte die afrikanischen Regierungen vor einer Zusammenarbeit mit Wagner. Die Vereinigten Staaten sprachen sich auch gegen die Anwesenheit Wagners in Belarus aus. Prigoschin wollte den Einfluss Russlands in Afrika ausweiten und überschritt damit eine von den Vereinigten Staaten gesetzte rote Linie. Die USA hatten also auch ein Motiv, ihn loszuwerden, und mit der grössten und ausgefeiltesten Geheimdienstorganisation der Welt wären sie auch in der Lage, eine solche Aktion zu organisieren, wie sie es in der Vergangenheit getan haben.

Frankreich sieht seinen Einfluss in Westafrika schwinden und ist umso besorgter über den Einfluss Wagners und hatte daher ein Motiv, Prigoschin ebenfalls zu töten, auch wenn es im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten möglicherweise nicht über die Möglichkeiten für eine solche Operation innerhalb Russlands verfügt.

Prigoschin mag in Afrika einige mächtige Freunde gehabt haben, aber er hatte auch einige ernsthafte Feinde, da er mit allen möglichen zwielichtigen Gestalten zu tun hatte, darunter auch mit Leuten aus dem Blutdiamantengeschäft, die ihn möglicherweise aus eigenen Gründen loswerden wollten.

Präsident Selensky bestritt, irgendetwas mit dem Tod Prigoschins zu tun zu haben. Aber sein Wort könnte genauso viel wert sein wie seine Behauptung, Russland habe Polen mit einer Rakete angegriffen, die polnische Bürger getötet hat, obwohl es sich um eine ukrainische Rakete handelte. Auf der ukrainischen «Myrotvorets«-Attentatsliste war Prigoschin ein prominentes Ziel. Andriy Yermak, Leiter des Büros von Präsident Selenky, und Mykhailo Podolyak, Berater von Selensky, haben in der Vergangenheit erklärt, dass sie Prigoschin in die Hölle schicken wollen. Die Ukraine hat auf eigene Faust eine Reihe von Russen auf russischem Boden ermordet. Diese Operationen waren ziemlich raffiniert. Sie hätten das Motiv und die Fähigkeit, Prigoschin innerhalb Russlands zu töten.

Allein der Zeitpunkt und die Umstände sprechen gegen ein Motiv des Juristen Putin

Jeder Medienkonsument weiß, dass Putin ein ehemaliger KGB-Offizier war. Weniger bekannt ist, dass er in St. Petersburg Jura studiert und einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften hat. Diejenigen, die ihn näher kennen, wissen, dass er vorsichtig ist, vielleicht ein Teil des Juristen Putin, und berechnend. Selbst wenn er Prigoschin loswerden wollte, würden der Zeitpunkt und die Umstände gegen ein solches Vorgehen sprechen. Immerhin hat Putin grosse Anstrengungen unternommen, um einen reibungslosen BRICS-Gipfel mitzuorganisieren und den BRICS-Ländern zu versichern, dass Russland stabil ist. Prigoschins Flugzeug samt Piloten und Besatzung mitten auf dem BRICS-Gipfel öffentlich in die Luft zu jagen, macht keinen Sinn. Wäre Prigoschin zu einem späteren Zeitpunkt ums Leben gekommen, beispielsweise bei einem Hinterhalt von Terroristen in Afrika, die vom russischen FSB finanziert wurden, hätte niemand eine russische Beteiligung vermutet, und die Peinlichkeit für den Kreml wäre vermieden worden. Aber wenn die russischen Behörden Prigoschin aus dem Weg räumen wollten, wäre es naheliegend gewesen, ihn der Korruption zu bezichtigen, da dies zweifellos ein wesentlicher Bestandteil seines Geschäftsmodells war.

Sicherlich hatte auch die militärische Führung ein Hühnchen mit Prigoschin zu rupfen, der sie oft öffentlich beleidigt hatte. Aber ohne die Zustimmung des Präsidenten hätten sie wohl kaum eine solche Operation organisiert. Ausserdem gehörten Wagners militärische Befehlshaber wie Utkin, der mit Prigoschin im Flugzeug saß, Berichten zufolge immer noch dem russischen Militärgeheimdienst GRU an. Und wenn es sich um einen Enthauptungsschlag gegen PMC Wagner handelte, wäre er wahrscheinlich von einer ausländischen Macht durchgeführt worden, die von der Anwesenheit ihrer militärischen Führer an Bord des Flugzeugs wusste und sie ins Visier nahm.

Professor Albert Stahel, Experte für Verschwörungstheorien — seine eigenen!

Ausserdem stellte Prigoschin keine Bedrohung für Putin dar. Nach einer schrecklich gescheiterten Meuterei würde er keine weitere wagen. Nach seinem Tod beschrieb Putin Prigoschin als einen Geschäftsmann, der für sich selbst und für das Gemeinwohl gute Ergebnisse erzielte, wenn Putin ihn darum bat. Putin spielte darauf an, dass Prigoschin zwar sehr egoistisch, aber nicht staatsgefährdend war. Da Prigoschin seine Abmachung mit Putin einhielt und fortan als Teamplayer agierte, bestand keine Notwendigkeit, ihn aus dem Weg zu räumen. Putin hatte also kein zwingendes Motiv.

Sonntags-Zumutung

ZACKBUM trifft die SoZ. Aua.

Es gab Zeiten, und die liegen noch nicht so lange zurück, da wäre so ein Cover als schlechter Scherz vom Tisch gefegt worden:

 

Ein für Tamedia-Verhältnisse sexistisches Aufmacherbild zu einem Thema, aus dem das Sommerloch so gross gähnt, dass man als Leser Schiss bekommt, hineingezogen und verschlungen zu werden.

Daneben gleich dem Zielpublikum noch eins in die Fresse: Benzin muss und soll doch teurer werden, verstärkte Beimischung von «Biotreibstoff» ist doch eine gute Sache, bis die Schweiz dann völlig CO2-frei wird.

«So wird der Garten attraktiv für Vögel», eine Wahnsinns-Schlagzeile – für die «Tierwelt». «Heisse Liebe, wie die Sonne unser Verhalten beeinflusst». Tut sie das? Und wieso wussten wir das die vergangenen 30’000 Jahre nicht?

Dann kommt eine Doppelseite nach der Devise: fällt der Redaktion trotz Kopfkratzen gar nichts ein, dann machen wir doch ein paar Statistiken. Die gelingen dann besonders gut, wenn man selbst und willkürlich die Auswertungskriterien festlegt. Dann kommt man auch zu Wunschresultaten:

Zudem weiss die SoZ: «Auf einer Skala von – 10 (links) bis + 10 (rechts) befindet er sich mit einem Wert von 10.0 am äussersten rechten Rand.»

Aber eigentlich hätte ihm die SoZ am liebsten eine + 11 gegeben …

Aber, oh Schreck, es ist immer noch Platz frei im Blatt, was tun?

«Der Sozialpsychologe untersucht»; solche Untersuchungen sind normalerweise der Rettungsanker im Boulevard, wo die absurdesten Korrelationen hergestellt werden. «Glatzenträger haben weniger Sex» oder so. Da will neuerdings die SoZ nicht abseits stehen, dabei ist es erst Anfang Juli. Wie sich das Blatt bis in den August durchhangeln will? Den zahlenden Leser erwartet ein echter Belastungstest.

Hat das Blatt noch etwas ausgelassen? Ja, natürlich, den Beitrag zu «wenn Wünschen helfen würde»:

Das wäre natürlich eine Weltsensation erster Güte. Worin besteht die denn? Wenn Aliens landen und uns neue, ungekannte Energiequellen schenken? Fast. Der GLP-Präsident Jürg Grossen ergreift die Chance beim Schopf, dass in der verzweifelten Suche nach Storys jede Furz-Idee punkten kann. Apropos, gegen seinen Vorschlag war die Furz-Idee von Peter Bodenmann mit den Solarpanels in den Alpen geradezu seriös und konkret.

Nach langfädiger Einleitung im Interview rückt Grossen dann mit seiner Furz-Idee heraus:

«Die sicherste Lösung für Saisonspeicher in der Schweiz ist die sogenannte Power-to-Liquidto-Power-Technologie. Sie funktioniert so: Statt als Gas speichert man den Strom in Flüssigtreibstoffen, die man im Winter wieder verstromen oder für den klimaneutralen Flug- und Schwerverkehr nutzen kann. Die heute bestehenden Tanklager würden reichen, um den für den Winter benötigten Vorrat zu speichern. Diese Treibstoffe sind vergleichsweise einfach zu handhaben.»

Selbst der SoZ fallen dazu aber eine ganze Reihe von Killerargumenten ein: «Diese Technologie steckt aber noch in den Kinderschuhen, ist nicht marktreif und bis jetzt ineffizient: 85 Prozent der Energie gehen verloren.»

Das räumt Grossen auch grossmütig ein: «Ganz so schlimm ist es nicht, aber die Technologie hat heute leider tatsächlich noch einen niedrigen Wirkungsgrad.» Aber: «Ich bin zuversichtlich, dass die Speicherung von Strom als Flüssigtreibstoff in den kommenden Jahren marktreif wird.»

Also schon wieder einer, der die Energieversorgung der Schweiz in einem Wolkenkuckucksheim betrachtet. Aber, sonst wäre es ja nicht die GLP, obwohl er eigentlich gegen AKW ist, hält sich Grossen auch hier alle Optionen offen: «Gegen eine neue Generation von Reaktoren, bei denen das Problem des radioaktiven Abfalls gelöst ist und die kein Sicherheitsrisiko darstellen, würde ich mich nicht wehren

Allerdings verrät er uns nicht, wie denn das Problem des radioaktiven Abfalls gelöst werden könnte.

Wir fassen zusammen: Unter einem Brüller-Titel schrumpft die «sicherere, besserer und günstigere Lösung» auf den Vorschlag zusammen, eine völlig unausgereifte Technologie mit einem Wirkungsverlust von 85 Prozent als Garantie für die zukünftige Stromversorgung der Schweiz anzubieten. Wenn’s als Satire gemeint ist, kann man das so stehenlassen.

Schon kommen wir zum nächsten Brüller:

Das ist tatsächlich ein Skandal. Was Autor Cyrill Pinto aber zu erwähnen vergisst: die SoZ gehörte zuvorderst zu den Organen, die eine allumfassende Maskenpflicht und das sofortige Anlegen von ausreichenden Reserven, von Käufen, koste es, was es wolle, lautstark befürwortete und somit die Hysterie um das Maskentragen ankurbelte. Um dann kleinlaut und kleingedruckt einzuräumen, dass deren Wirkung inzwischen allgemein und selbst von damaligen Befürwortern bezweifelt wird.

Aber auch nur ein maskierter Hauch von Selbstkritik? Niemals.

Selbst für eine Sommerloch-Ausgabe ist dann dieser Artikel schon starker Tobak:

Nichts gegen Tiere, aber: muss sich mit solchen Meldungen der Aufenthalt des SoZ-Redaktors Cyrill Pinto in Cherson amortisieren? Und hat er von dort aus, während er mit einer Hand einem Hund die Ohren kraulte, den Artikel über die Maskenvernichtung geschrieben?

Aber immerhin, das Urgestein Martin Suter löckt noch etwas gegen den Stachel und gegen die Einheitsmeinung, die von der «Süddeutschen» in die Tamedia-Organe schwappt, dass das, was Trump getan habe, dann im Fall noch viel schlimmer sei:

Wie der Skandal um den Präsidentensohn zuerst ignoriert, dann kleingeschrieben wurde und wird, kein weiteres Ruhmesblatt für den einseitigen Blasenjournalismus, auch bei der fremdbestimmten Tamedia.

Im «Fokus» (kaum ein Gefäss ist dermassen auf den Hund gekommen wie dieses) versprüht die SoZ nun etwas Sozialneid:

Da muss es doch der urbanen, grün-woken Leserschaft der SoZ glatt die vegane Butter vom Vollkornbiogipfeli blasen. Okay, der Mediensprecher von «Renovate Switzerland» sieht das vielleicht entspannter und würde sich nie vor einem Ferrari auf die Autobahn kleben. Vor allem, wenn er zuerst damit hingefahren ist.

Einsamer Lichtblick ist wie meist Peter Schneider:

Auch Rico Bandle zeigt keine Scheu vor der Gefährdung seines Arbeitsplatzes, indem er begründet und belegt nachweist, wieso jegliche Behauptung, die SVP sei noch weiter rechts als die AfD, ins Reich der Fantasie gehört, bzw. eine polemische Propagandalüge ist, ein typischer Fall von Fake News.

In der «Wirtschaft» geht’s aber gleich wieder ins Sommerloch:

Eine völlig zeitlose Geschichte, die man gestern, heute oder morgen bringen kann; Newswert null. Dass sich die EU um ein Verbot bemüht, ist ungefähr so spannend wie der Farbe an der Wand beim Trocknen zuzuschauen.

Auch das Sammelgefäss (um es nicht Abfalleimer zu nennen) «Leben & Kultur» wartet mit News auf, ohne die wir problemlos durch den Sonntag kommen:

Meiner Treu, Jeff Bezos von Amazon hat sich für teures Geld scheiden lassen und eine viel jüngere Geliebte. Dass er deswegen muskulöser und breitschultriger als auch schon rumläuft, so what, kann man nur sagen. Aber wenn man auch hier verzweifelt eine ganze Seite füllen muss, was man halt nicht nur mit einem Riesenfoto des neuen Schwarzenegger schafft …

Es bleibt dem Leser auch hier nichts erspart: «8 Tipps für Restaurants mit sommerlichem Flair und lauschigen Freisitzen». Schlimmer ist eigentlich nur, wenn Christian Seiler schnippelfreie Tipps für verantwortungslose vegane Mamis mit Kleinkind im Arm gibt.

Geht’s noch blöder? Immer:

DER Schauspieler Pine lief KÜRZLICH nicht irgendwo, sondern in Mailand BARFUSS. Wahnsinns-News. Ob er auch keine Unterhosen trug oder fluchte, als er in einen Hundehaufen trat, ist leider nicht übermittelt. Das sind die Berichte, die wir dringend brauchen, wenn wir uns beim Gähnen den Unterkiefer ausrenken wollen (he, das wäre mal ein Nutzwert-Artikel: «richtig gähnen, wir liefern die Anlässe und die Anleitung»).

Schliesslich noch «Warum manche Menschen ständig zu spät kommen». ZACKBUM hat da eine schlagende Theorie: weil sie beim Lesen der SoZ oder des Tagi weggeschnarcht sind.

Immerhin, die Auto-Seite präsentiert diesmal nicht einen 300’000-Franken-Sportwagen, sondern den Togg. Hä? Na, den «SUV Togg T10X, das erste türkische E-Auto». Immerhin merkt der Autor kritisch an: «Ob man aber bei uns ausgerechnet auf einen türkischen SUV wartet, sei mal dahingestellt.» Das muss er so säuseln, schliesslich füllt er eine Seite damit. ZACKBUM hingegen kann kurz und knapp die richtige Antwort geben: nein.

Der schönste Brüller kommt aber ganz am Schluss; Reisen. Da schimpft zunächst Chris Winteler über durchaus sinnvolle Bestandteile eines Hotelzimmers:

Wieso er zum Beispiel die Bügelvorrichtung weghaben will, erschliesst sich nicht. Entweder kann Winteler auf Spesen seine Kleidung waschen und bügeln lassen, oder er hatte noch nie einen Geschäftstermin, bei dem ein knitterfreier Anzug und ein gebügeltes Hemd durchaus minimale Höflichkeit und Achtung dem Gesprächspartner gegenüber ausdrücken.

Aber das ist noch nicht der Brüller, der kommt vorher (oder nachher, denn als Sparmassnahme wird Reisen ja auf der letzten Seite angeteasert und sollte wohl rückwärts gelesen werden). Die exotische Reiseempfehlung ist diesmal Island. Toller Ökotourismus. Der Flug dorthin dauert auch nur vier Stunden. Flug? Aber ja, das ist doch bekanntlich auch für Klimakleber kein Problem, die fliegen sogar nach Mexiko oder auf die Malediven. Da darf doch der SoZ-Leser wenigstens den Hüpfer nach Island machen. Dauert bloss vier Stunden, ein paar tausend Flugkilometer, das lässt die Gletscher auf Island doch sicher nicht schneller schmelzen.

Wir stellen die Gretchenfrage: Ist das Gebotene Fr. 6.40 wert? Sagen wir mal so: Am 6. Juli 1997 bekam man 104 Seiten für Fr. 2.80. Das war ein Seitenpreis von 2,7 Rappen. Der ist auf aktuell genau 10 Rappen hinaufgeschnellt, der Umfang auf 64 Seiten eingeschrumpft. Ist etwas mehr als die Hälfte den vierfachen Preis wert?

Das würde ja eine Verachtfachung der Qualität, des Inhalts, der komprimierten Fachkompetenz, des Nutzwerts, der Analysequalität bedeuten.

Auch da ist die Antwort einfach und klar: nein.

 

Gegenwahrheiten

«Provozierte» Nato-Erweiterung, «unprovozierter» Ukraine-Krieg, unheimliche «Bedrohung durch China». Teil 1

Von Felix Abt

Manche Behauptungen transatlantischer Politiker und ihrer Medienpartner stellen die Realität auf den Kopf – und würden selbst George Orwell verblüffen.

Eine Szene wie aus einem drittklassigen Mafia-Film: Produzent, Drehbuchautor und Regisseur (links) verlässt mit seinem Hauptdarsteller (rechts) mit gemächlichen Schritten diese orthodoxe Kirche in Kiew (beide sind nicht orthodox), während Sirenen heulen und vor einem bevorstehenden russischen Bombenangriff warnen. Obwohl Moskau vor diesem Besuch von Washington informiert wurde, um einen gefährlichen Zwischenfall zu vermeiden, jubelte „The Independent“, stellvertretend für die kriegslüsternen Mainstream-Medien, begeistert: „Biden trotzt Sicherheitswarnungen und Luftschutzsirenen für einen historischen Moment in Kiew.“ (Foto: Evan Vucci/Keystone)

US-Präsident Biden, westliche Politiker und ihre Medienpartner sind sich einig, dass der Einmarsch Russlands in die Ukraine «unprovoziert» war. Der Präsident des Landes, das für seine zahlreichen unprovozierten Angriffskriege berüchtigt ist, bezeichnete Putin dafür als «Verbrecher». Dass der Krieg in irgendeinem Zusammenhang mit der NATO-Erweiterung stehen könnte, die zur Stationierung nuklearfähiger Raketen in Polen und Rumänien mit einer Flugzeit von weniger als 10 Minuten nach Moskau führte, wird nicht einmal ansatzweise thematisiert. Ebenso wenig wie der Vorstoss der Obama/Biden-Regierung, die Ukraine der NATO einzuverleiben, mit einer 2.000 Kilometer langen gemeinsamen Grenze mit Russland und noch mehr Raketenbasen in der Zukunft. Wenn Kuba eine einzige russische Rakete stationieren würde, wäre das für Washington ein Grund für einen Krieg gegen die Insel; Russland hingegen wird es zugemutet, von zahllosen NATO-Raketen an seinen Grenzen und in seiner Nähe umzingelt zu werden, ohne sich dagegen zu wehren.

Russland hatte Deutschland friedlich wiedervereinigen lassen, nachdem der Westen auf diplomatischer Ebene versprochen hatte, die NATO keinen Zentimeter nach Osten zu verschieben. Darüber hinaus hatten die westlichen Länder 1999 in der Europäischen Sicherheitscharta dem Grundsatz zugestimmt, dass «jeder Staat verpflichtet ist, seine Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten zu stärken.»

Russische Limits ins Lächerliche gezogen

Der ach so vertrauenswürdige Wertewesten scherte sich aber einen Dreck um die Einhaltung von Versprechen und Vereinbarungen mit Russland. Moskau schluckte die große Kröte, als sich die NATO an Russlands Grenzen, nicht nur in Polen und Rumänien, zu einer ernsthaften Bedrohung aufblähte, hielt aber seit Jahren unvermindert an seiner Forderung fest, dass Georgien und die Ukraine unter keinen Umständen NATO-Mitglieder werden dürften. Westliche Politiker und Medien haben diese russische «rote Linie» nie ernst genommen und sie sogar ins Lächerliche gezogen. Spätestens seit den Angriffskriegen der NATO in Jugoslawien, im Nahen Osten und in Afghanistan dürfte sich Russland bewusst sein, dass die NATO nicht einfach eine Selbstverteidigungsorganisation, sondern ein aggressives Kriegsbündnis ist.

Es ist daher wohl kein Zufall, dass die Konsumenten der Mainstream-Medien nie erfahren haben, dass derselbe Joe Biden, als er noch ranghöchstes Mitglied des Ausschusses für auswärtige Beziehungen des US-Senats war, die NATO-Erweiterung als gefährliche westliche Provokation Russlands bewertete und davor warnte, dass sie «eine energische und feindselige Antwort Russlands» hervorrufen würde.

Anstatt diese vorhersehbare Reaktion durch eine Sicherheitsgarantie für Russland zu verhindern, was für alle Beteiligten kostengünstig und schmerzlos gewesen wäre, hat er aktiv dazu beigetragen, sie zu provozieren! Nun, dem ehrlichen Joe Biden ist es hoch anzurechnen, dass er sich als korrupter Politiker geoutet hat, der den Geldgebern zu dienen hat: «Ich denke, Sie sollten nicht annehmen, dass ich nicht korrupt bin. Man braucht eine Menge Geld, um ins Amt zu kommen. Und die Leute mit diesem Geld wollen immer etwas

Konnten Sie zu alledem irgendetwas in Ihrer Zeitung lesen oder aus Ihren TV-Kanälen erfahren? Eher nicht. Man kann also davon ausgehen, dass ein gut geschmierter Senator, der Präsident werden will, zumindest dem Expansionsdrang des allmächtigen militärisch-industriellen Komplexes nicht im Wege steht und deshalb seine Meinung anpasst: Es war also Russland, das provoziert hat! Washington-treue Politiker und Medien haben sofort den Grund für die NATO-Erweiterung nachgeliefert: Im Kreml sitze ein imperialistischer Zar, der sich in einen gefährlichen neuen Hitler verwandelt habe, und deshalb brauche man eine hochgerüstete NATO an möglichst vielen Grenzen Russlands. Wahrlich, der Teufel im Kreml hat die NATO-Expansion provoziert!

32 Jahre dauerte es von der Auflösung des Warschauer Paktes bis zur fast vollständigen NATOisierung Europas – vergleicht man den Zustand des Jahres 1990 mit dem von 2022, dem Jahr des «unprovozierten Angriffskrieges»:

Europa 1990 (Quelle: Bryn Bache | CNBC)

Die obige Illustration zeigt, dass 1990 – dem Jahr 1 nach dem Fall der Berliner Mauer – zur russisch dominierten Sowjetunion die Ukraine, die baltischen Staaten und mehrere andere, inzwischen unabhängige Länder gehörten. Dem Warschauer Pakt, einem ebenfalls von Russland dominierten Bündnis, gehörten sechs Staaten an, die heute ebenfalls alle unabhängig sind.

Und in der nachfolgenden Grafik, sieht man, dass 2022 – also 32 Jahre, seit sich Deutschland wiedervereinigt hat – alle ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten zwischenzeitlich der NATO beigetreten sind. Drei Länder, die früher zur Sowjetunion gehörten – Estland, Lettland und Litauen – sind ebenfalls NATO-Mitglieder geworden.

Europa 2022 (Quelle: Bryn Bache | CNBC)

Wer hat den Ukraine-Krieg wann begonnen?

Bislang lautete das offizielle und ständig wiederholte Mantra Washingtons, seiner europäischen Vasallen und Medienpartner, dass Russland für das Verbrechen eines völlig «unprovozierten» Angriffskrieges verantwortlich sei, den es im Februar 2022 begann. Jetzt hat NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg das Datum des Kriegsbeginns korrigiert – und bestätigt, was die Konsumenten alternativer Medien schon seit Jahren wissen: Der Krieg begann acht Jahre zuvor, im Jahr 2014, als die demokratisch gewählte Regierung Janukowitsch in Kiew durch einen von den USA unterstützten Staatsstreich gewaltsam abgesetzt und durch eine antirussische Regierung ersetzt wurde, die anschließend hart gegen russische Minderheiten vorging.

Übrigens kann es kein Zufall sein, dass ausgerechnet acht Jahre nach dem Putsch in Kiew, also im Jahr des «unprovozierten» Angriffskrieges Russlands, der entscheidende Beweis für die Beteiligung der USA am Sturz der Regierung in Kiew von YouTube entfernt wurde.

Nach dem Staatsstreich began die NATO sofort mit der Ausbildung und Bewaffnung der ukrainischen Streitkräfte. Das neue, banderistische und russophobe Regime in Kiew nutzte ab 2014 die militärische Aufrüstung und begann noch im selben Jahr mit der Bombardierung der russischsprachigen Zivilbevölkerung im Donbass, was zu Tod und Verwüstung führte. All dies konnten Sie auch nicht aus Ihren Zeitungen oder Fernsehkanälen erfahren.

Fortsetzung folgt.

Wumms: Christof Münger

Gestatten, Münger, militärischer Logiker.

Jetzt hat sich auch noch der Ausland-Chef ohne Ausland von Tamedia zu Wort gemeldet. Christof Münger diagnostiziert knüppelhart:

«Dessen ungeachtet wird im Westen der Ruf nach Verhandlungen wieder lauter. Erhoben wird er vor allem von Putin-Apologeten, beispielsweise von der radikal linken deutschen Abgeordneten Sahra Wagenknecht oder dem radikal rechten Schweizer Nationalrat Roger Köppel – Antiamerikanismus verbindet. Wenn jedoch Exponenten der politischen Pole unisono Verhandlungen mit dem russischen Machthaber fordern, leuchtet die Alarmlampe auf.»

Man kann für Münger nur hoffen, dass er sich nicht ganz im Klaren darüber ist, was das Fremdwort Apologet eigentlich bedeutet. Dann schaltet er die Alarmlampe ab und konstatiert: «Dabei ist es so, dass die meisten Kriege irgendwann am Verhandlungstisch enden

Aber ein doppelter Rittberger ist ihm nicht genug, er legt noch eine Schraube drauf: «Ob und wann dieses Leid zu gross ist, entscheidet jedoch Kiew und nicht irgendeine Politikerin oder ein Strategieexperte im Westen, selbst wenn er Henry Kissinger heisst.»

Das wiederum entscheidet Münger, weil er Münger heisst. Da leider ohne weitere biografischen Angaben oder Eintrag in Wikipedia, weiss man nicht, ob der Mann überhaupt gedient hat und wenn ja, in welchem Rang.

Interessant, wie sich Münger diese «Apologeten» zurechtschnitt. Dass auch der deutsche Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas (der mit der Hasenscharte, wie Kläffer Rafi bemerkte) für Verhandlungen ist, lässt Münger weg, ebenso wie die Mitinitiatorin des Friedensmanifests Alice Schwarzer.

Dieses Leid der Ukrainer wird aber in erster Linie durch westliche Rüstungslieferungen verlängert; sollten die Hauptlieferanten USA, England und Deutschland beschliessen, sie einzuschränken, entscheiden sie, nicht Kiew.

Der US-Präsident Biden habe dabei Grossartiges geleistet, aber obwohl doch Kiew die alleinige Entscheidungsgewalt haben soll, meckert Münger: «Die ukrainischen Streitkräfte dürfen den Krieg nur auf eigenem Territorium führen, strategisch korrekt sozusagen. Das widerspricht der militärischen Logik: Die angemessene Reaktion wäre, jenseits der eigenen Grenzen die Nachschublinien, Munitionsdepots und Treibstofflager des Aggressors zu bombardieren.»

Was dann möglicherweise nahtlos in einen Dritten Weltkrieg münden könnte, aber diese militärische Logik ist dem Spielzeuggeneral Münger offenbar nicht geläufig. Dafür hat er noch einen guten Ratschlag für die Schweiz zur Hand:

«Auch was die humanitäre Hilfe, die grosszügige Aufnahme von Flüchtlingen und den milliardenteuren Wiederaufbau betrifft, sollte sich die Schweiz grosszügig zeigen. Sonst zählt auch sie früher oder später zu den Verlierern dieses Kriegs.»

Die Schweiz als Verliererin des Ukrainekriegs, auf diese Idee muss man erst mal kommen. Das tut man, wenn man eigentlich als Ressortleiter nicht viel mehr zu tun hat, als die ß und andere Germanismen aus den Texten zu pulen. Das engt irgendwie das Blickfeld ein.

Köppel: Mann mit Mission

Die «Weltwoche» ist auf dem Friedenspfad. Haltet ein, ruft sie uns zu.

Es geht um alles. Um Krieg und Frieden. Nein, um Atomkrieg oder Frieden. Wie Roger Köppel schon in der Talkshow mit Roger Schawinski deutlich machte, treibt ihn die Angst vor einem Atomkrieg um. Da er Besitzer, Herausgeber, Verleger und Chefredaktor in Personalunion ist, kann er das in seinem Wochenmagazin auch ausleben. In einer Art, die sich nur in Form einer Fotoromanza darstellen lässt.

«Peace now», die ewige Forderung. So unterstützenswert wie völlig sinnlos. Bedauerlich für die «Weltwoche»: keiner der drei Herren auf dem Bild wird diesen Befehl des Wochenmagazins zur Kenntnis nehmen. Geschweige denn, befolgen.

Selbst wenn er noch durch eine bibelfeste Philosophin untermauert wird.

Eigentlich wurde es auf dem Cover schon in aller knappen Präzision gesagt. Ohne sofortige Verhandlungen drohe ein Atomkrieg. Aber wofür gibt es das Editorial, um es nochmal zu sagen. Nicht besser, aber länger …

Eine sicherlich berechtigte Frage; allerdings vermisst man den gleichlautenden Titel mit dem Namen Putin

Natürlich darf eine Betrachtung auf Metaebene nicht fehlen, dass die in der Aufklärung geborene Idee «universalistischer Menschenrechte» wirklichkeitsfern sei. Dabei ist es wohl die humanste Forderung, die jemals in der Geschichte der Menschheit aufgestellt wurde.

Nachdem die Lobeshymnen auf Truss und Meloni gerade verklungen sind, wird nun der Autokrat, korrupte Opportunist, der nicht zögert, sich auch dem Fundamentalismus in die Arme zu werfen, als «neuer Atatürk» bejubelt. Das ist besonders widerlich, weil Atatürk die Säkularisierung der Türkei bewirkte – die von Erdogan aus reinem Machterhalt wieder rückgängig gemacht wurde. Es ist zwar ein Stabreim, aber ein Bismarck am Bosporus? Der in Syrien genauso verbrecherisch haust wie Putin in der Ukraine? Da verrutschen mal wieder alle Massstäbe im Dienste der Provokation.

Apropos …

Immerhin, ein «Bild»-Redaktor darf in der WeWo aussprechen, was mehr als naheliegend ist. Dass die jüngsten Sabotageaktionen gegen die Infrastruktur auf einen Verantwortlichen hindeuten, der meistens in viel zu grossen Sälen an viel zu grossen Tischen mit viel zu vielen Telefonen sitzt.

Aber damit ist’s mit der Putin-Kritik auch schon gewesen. Neben Selenskij macht natürlich auch der Geisteszustand des greisen US-Präsidenten Sorgen. Schwere Sorgen. Die könnte man sich auch beim 70-jährigen Putin machen …

Eine weitere Spitzenleistung. Ein rudimentär informierter Jungredaktor fragt eine «Oxford-Professorin» ab, die punktgenau ein Buch über die Ukraine publiziert hat. Was Gwendolyn Sasse zur beliebten «Expertin» in Funk und Fernsehen macht. Was auch der WeWo nicht entgangen ist.

Das müsste unter der Rubrik «was macht eigentlich» erscheinen, denn auf die Ansichten des ehemaligen griechischen Kamikaze-Ministers Yaris Varoufakis hat nun wirklich keiner gewartet.

Eine interessante Frage, nachdem die US-Fracking-Industrie in den Seilen hängt …

Und wer’s immer noch nicht kapiert hat, sollte es sich doch nochmal vom US-Publizisten Jeffrey Sachs erklären lassen.

Diese Frage allerdings, diese Frage sollte sich die WeWo-Redaktion auch mal stellen: «Gibt es punkto Selbstbefriedigung Grenzen, kann ein Zuviel schadenZACKBUM war bislang der Überzeugung: nein. Aber wir zweifeln inzwischen …