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Das Terrain wird planiert

War da nicht mal was von «alle wollen Geld vom Staat»?

Gleich vier Schreibkräfte wirft die «SonntagsZeitung» in die Schlacht, um zu barmen:

«Armutsbetroffene wissen oft nicht, dass sie eine Verbilligung bekommen könnten.» Gilt man als herzlos und von sozialer Kälte beherrscht, wenn man sich fragt: echt jetzt, zu dumm dafür?

Wenn Arthur Rutishauser halt mal nicht aufpasst … Der spiesst dagegen den armen Schweizer Aussenminister Cassis auf: «Das ist europapolitischer Selbstmord», donnert er ihm entgegen. «Anfängerfehler … man kann sich nur wundern, warum sich Cassis dies antut … Himmelfahrtskommando».  Zack.

Aber gleich nebendran wird das Terrain für die nächste Attacke auf Steuergelder eingeleitet: «Wir haben kein Leben mehr», dürfen hier Betroffene jammern, die kaum mehr die Krankenkassenprämien zahlen können. Ein perfekt inszenierter Sozialporno, mit Fallbeispielen und allen Schikanen. Und wer die Message dann immer noch nicht kapiert hat, bekommt noch das Erklärstück «Das müssen Sie zur Prämieninitiative wissen».

Also eigentlich nichts, ausser, dass sie ein paar Milliarden kostet, geschickt auf den Mittelstand gezielt ist (die wirklich Armen – ausser, sie sind zu blöd – bekommen ja bereits Prämienverbilligungen) und dass schon ein MWST-Prozentchen mehr 3,2 Milliarden Franken in die Staatskasse spült. Also wer ja sagt zur 13. Rente, wieso sollte der hier nein sagen?

Was steht denn sonst noch so in der SoZ? Riesen-Symbolbilder, zum Beispiel:

Ist das wenigstens ein reales Opfer der Telefonbetrüger? I wo, das ist ein Getty Images Archivbild, der Ausdruck völliger fotografischer Beliebigkeit, reine Platzverschwendung.

Dann führt uns die SoZ weit weg, ganz weit weg. Genauer auf die Insel Gross Nikobar, zu den dort wohnenden Shompen. Hä? Doch, doch, wenn Sie von den Andamanen noch nie etwas gehört haben, direkt unter dieser Insel liegen die Nikobaren, darunter Gross Nikobar. Hier will Indien sein Hongkong hinklotzen, und da sind die Shompen ein wenig im Weg. Gilt man als herzlos und von interkultureller Kälte beherrscht, wenn man dazu sagt: schlimm, aber was genau geht uns das an?

Etwa so viel wie die Ansicht des «Ökonomen und Glücksforschers» Mathias Binswanger: «Die 13. AHV-Rente wird das Glücksgefühl der Rentner kaum steigern.»

Nichts Gehaltvolles im Blatt? Doch, glücklicherweise gibt es noch Bettina Weber. Die spuckt der Feierveranstaltung «Weltfrauentag» kräftig in die lila Betroffenheitssuppe: «Das mit der Solidarität ist so eine Sache, und das mit der weiblichen Solidarität erst recht. Denn die ist keineswegs so international, wie das die Gesänge an den Demonstrationen gerne glauben machen: Es kommt schon sehr darauf an. Für die Israelinnen, die am 7. Oktober von Hamas-Terroristen verschleppt wurden und seit Monaten unter grauenhaften Bedingungen gefangen gehalten und misshandelt werden, gilt die Anteilnahme zum Beispiel nicht. Es gab am 8. März jedenfalls nicht haufenweise Demos, die ihre Freilassung forderten, es gab auch keine Plakate und keine Sprechchöre.»

Ganz im Gegenteil, weiss Weber: «Vielmehr wurden etwa in Lausanne jene Frauen, die es versuchten, daran gehindert, aggressiv angegangen, bedroht und beschimpft. Während die Menge «Free Palestine!» skandierte, seien die verschleppten Jüdinnen mit Schimpfnamen verhöhnt worden, berichten geschockte Teilnehmerinnen.»

Aber Weber geht noch ein paar Schritte weiter: «Mental Load, Care-Arbeit, Doppelbelastung, Vereinbarkeit. Man fragt sich, warum das allesamt exklusiv weibliche Probleme sein sollen – und ob damit nicht uralte Geschlechterklischees zementiert werden.»

Weitere Müsterchen weiblicher Heuchelei?

«In Saudiarabien gilt die Todesstrafe, kaum ein anderes Land verhängt sie so häufig, und vor allem herrscht Geschlechter-Apartheid, denn Frauen brauchen einen Vormund und für alles die Erlaubnis wie ein kleines Kind vom Papi. Das hinderte die Sängerin und Feministin Alicia Keys aber nicht, dort am 8. März ihren «Women-to-Women»-Talk zu veranstalten. Es passte ja auch terminlich grad so gut, denn einen Tag später gab sie ein Konzert in Jeddah – vor den Mannen des Formel-1-Zirkus. Keys sagte über ihre Veranstaltung, es sei «inspirierend, sich mit wunderbaren Frauen auszutauschen, um grenzüberschreitende Narrative zu diskutieren».»

Fulminanter Höhepunkt der Abrechnung mit weiblicher Verlogenheit: «Der 8. März heisst Weltfrauentag. Zumindest war das mal so. Neuerdings aber sollen Frauen und Queers gemeinsam auf die Strasse gehen. Mit vereinten Kräften sei man stärker, wird argumentiert. Ist ja schon recht. Bloss haben doch die Queers schon den Christopher Street Day und die Pride. Und wenn nun der Frauentag als eine Art Sammelbecken für alle möglichen Opfer des Patriarchats herhalten muss, sagt man den Frauen das, was man ihnen seit Jahrhunderten sagt: Nehmt euch nicht so wichtig, jetzt habt euch doch nicht so, macht mal Platz, wir haben im Fall auch noch ein Anliegen. Deswegen ist ja oft nicht einmal mehr von «Frauen» die Rede, sie verschwinden im Begriff «Flinta» (Female, Lesbian, Intersex, Non-Binary, Trans und Agender).»

Von da an geht’s wieder bergab:

Und bergab:

Echt jetzt? Bewusstes Atmen? Achtsames Schlafen? Sich einmitten beim Pinkeln? Kopfkratzen entspannt? Meditatives blinzeln? Geradeauslaufen ist gesund?

Und was ist dann mit der Lektüre der SoZ? Macht die krank? Fördert Magengeschwüre? Lässt das Portemonnaie leiden? Betäubt den Verstand? Wir bitten um Aufklärung und atmen bis dahin bewusst durch.

Wenigstens scheint die Sonne

Denn bei der Lektüre der Sonntagspresse braucht es einen Aufsteller.

Also mal ehrlich, liebe Rumpf-Chefredaktion der NZZaS: Dass es statt vier kleine Negerlein nur noch zwei sind, das kann doch kein Grund hierfür sein. Ein pseudosauglattes Foto von Michael Steiner zu einem ernsten Thema. Ein gähnend langweiliger Aufwasch zu den Rülpsern, die die UBS beim Verdauen der CS von sich gibt. Immer schön um die schwache Bundesrätin Karin Keller-Sutter herumgeschrieben, die hier krachend versagte und dem Steuerzahler möglicherweise Milliardenzahlungen aufbürdete. Aber sie ist in der FDP.

Und dann noch «Heikler Rohstoffdeal»: eine angefütterte, einseitige Story voller Fehler. Da reicht es noch knapp, dem Hodler-Sammler Christoph Blocher ans Bein zu pinkeln. Erstaunlich, dass Anfang September das Sommerloch immer noch nicht die Hand vor den Mund hält beim Gähnen.

Dann noch sicher als Aufreger geplant ein Interview mit Jacqueline Badran, die wunschgemäss Ruppiges sagt, aber auch Unsinniges, wie es halt so ihre Art ist. Und Wirtschaftsprofessor Aymo Brunetti, der seine richtige, aber auch nicht neue These nochmals spazierenführen darf, dass eine Rettung der Monsterbank UBS die Schweiz an den Rand des Staatsbankrotts führen könnte. Was sich jeder ausrechnen kann, der die darin involvierten Zahlen anschaut.

Und dann hat es noch den üblichen Tiefpunkt von und mit Peer Teuwsen. Diesmal in Form eines Interviews mit dem «Sexualstrafrechtler» Yves Georg zum Medienskandal Rammstein und Vorverurteilung. Georg who?  Nun, der sei Partner in einer Hamburger Kanzlei, in der auch der Anwalt arbeite, der damals Jörg Kachelmann verteidigt habe.

Das ist ungefähr so, wie wenn man einen TV-Zuschauer als Royal-Experten interviewt, weil der die Krönung von Charles vollständig angeschaut hat. Aber schön, dass sich auch Georg seine fünf Minuten Ruhm in der NZZaS abholen kann. Neues hat er nicht zu berichten, und im eigenen Haus räumt Teuwsen natürlich auch nicht auf. Denn die Frage an den «Sexualstrafrechtler» wäre doch nahegelegen, was der davon hält, dass die NZZ den Rammstein-Sänger mal kurzerhand zum «Täter» machten und tiefschürfende Überlegungen anstellte, welche Machtstrukturen im Macho-Rock-Business so herrschten.

Also gut, also schlecht, dann halt die «SonntagsZeitung»:

Oh je. «Ohne BH ist das Leben schöner». Das wussten wir Männer schon immer. Und Sergio Ermotti musste nicht lange nachdenken, wem er das obligate Interview gewährt … Das zeigt dann, dass selbst der ausgewiesene Kenner Arthur Rutishauser auf Granit beisst, wenn er den Formulierungskünsten von Corporate Communication ausgeliefert ist. Und im Vorfeld offensichtlich heikle Themen wie der 16-Milliarden-Abschreiber ausgeschlossen wurden. Aber immerhin, ein Satz von Rutishauser ist einen Lacher wert. Auf die bissige Rückfrage von Ermotti, ob er wirklich so denke (dass der Riesengewinn von 25 Milliarden nicht der UBS, sondern dem Staat gehöre), sagt Rutishauser: «Ich denke nicht, ich stelle Fragen.» Das wollen wir mal nicht zu wörtlich nehmen.

Dann darf echt gelacht werden, dafür zuständig ist mal wieder Sanija Ameti. Denn die Grünliberalen fällten den weisen Entscheid, sie auf den fast aussichtslosen Listenplatz 18 bei den Nationalratswahlen zu setzen. Das kann Ameti natürlich nicht einfach so schlucken: sie sei sich halt gewohnt, sich mehr beweisen zu müssen als andere. Warum? «Viele Menschen mit Migrationshintergrund ergeht es so.» Das ist natürlich ein knallharter Vorwurf an die Grünliberalen: hinterer Listenplatz wegen Migrationshintergrund? Oder ist es einfach so, dass Ameti kein einziges Fettnäpfchen auslassen kann?

Dann kommt ein weiteres heikles Thema, bei dem die SoZ sogar leicht ins Stottern gerät: «Der Davoser Tourismus-Chef beklagte sich kürzlich über das Benehemen orthodoxer Juden.»

Dann will Bettina Weber wohl den nächsten Shitstorm der woken Gesinnungspolizei auslösen: «Fast alle in der Schweiz berufstätigen Ausländerinnen arbeiten weniger häufig Teilzeit als die Schweizerinnen.» Apropos, ein Bericht darüber, dass nicht nur ein ukrainischer Vizeverteidigungsminister wegen Korruption im Knast sitzt, sondern auch der Verteidigungsminister selbst höchst korrupt zu sein scheint, das dürfte alle tapferen Verteidiger der ukrainischen Sache doch ein wenig irritieren.

Ach, und sollen wir uns wirklich nochmal über die Autoseite lustig machen, auf der der BMW i7 (Topmodell ab schlappen 234’930 Franken) angepriesen wird?

Ach, da gibt’s doch noch ein Blatt, das von einem Mikrophonständer verantwortet wird. Nein, diese Ladung hat gereicht, um ZACKBUM reif für einen Platz an der Sonne zu machen.

 

 

 

Selbstkritik? Niemals

Sich in Frage stellen: was ist das, wie geht das, warum nur?

Dass Journalisten Mimosen sind, neben anderen unangenehmen Eigenschaften jeglicher Selbstreflexion völlig abhold, das ist bekannt.

Wie reagieren nun diese meist schlechtgelaunten Rechthaber, wenn eine Studie über ihr Biotop nachweist, dass Intoleranz, Rechthaberei und Hetze gegen Andersdenkende vor allem in ihren urban-woken Kreisen sehr verbreitet ist?

Übellaunig. So keift eine Karin Hoffsten in der WoZ: «Letztes Wochenende hat sich die «SonntagsZeitung», ambitioniertes Möchtegernleitmedium, wieder intensiv und tendenziös einer wissenschaftlichen Studie gewidmet.»

Da ist einleitend schon alles drin, was linken Qualitätsjournalismus ausmacht. Häme, gallige Abqualifizierung, nachtragende Leberwurstigkeit («wieder») und mangelnde Fähigkeit, den Leser nicht gleich mit vorgefassten Meinungen zu überfallen, bevor die Journalistin überhaupt erklärt, worum es eigentlich geht.

So schwurbelt sie fröhlich weiter: eine Studie sei für «Autorin Bettina Weber froher Anlass, unter dem Titel «Links, urban, gebildet – und intolerant» endlich alles sagen zu dürfen, was man ja bald nicht mehr darf».

Das steht weder im Artikel von Weber, noch behauptet sie das. Man fragt sich immer noch, was den ungebremsten Zorn von «kho» erweckt hat. Aber das will sie immer noch nicht enthüllen, zunächst zitiert sie das Intelligenzblatt «Blick», denn dort habe «Politologe Claude Longchamp richtig(gestellt), die Studie habe «den Wert von affektiver Polarisierung gemessen – und nicht von Intoleranz»».

Das ist nun sehr lustig, denn der Mann mit der Fliege hat in seiner aktiven Zeit als «Meinungsforscher» eins ums andere Mal mit krachenden Fehlprognosen unter Beweis gestellt, dass seine «wissenschaftliche» Sicht durch eine rote Brille nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun hatte. Aber hier stelle er «richtig». Was denn nun?

«Weber unterstellt der Studie aber, es gehe um Toleranz. Eigenwillig interpretiert sie: «Fehlt diese Toleranz, spricht man von affektiver Polarisierung – und im Gegensatz zur politischen Polarisierung ist diese tatsächlich ein Problem.» Sie tut das nicht, weil sie es nicht besser weiss, sondern weil ihr das in ihren links-urban-intoleranten Kram passt. Dass die Schweiz in dieser Studie gar nicht vorkommt, spielt für sie keine Rolle.»

Das ist sehr lustig, dass ausgerechnet in der WoZ der Sonderfall Schweiz beschworen wird. Einsichtiger, Wunder über Wunder, zeigt sich allerdings Arthur Rutishauser in der «SonntagsZeitung». Ihm könnte man zwar vorwerfen, dass er sich vor seine Autorin Weber stellen wolle, was er im Fall des gefeuerten «Magazin»-Chefredaktors noch unterliess. Aber man nimmt ja alles, was gut ist:

«Die scheinbar so souveräne und tolerante Linke muss sich vorwerfen lassen, intolerant geworden zu sein.» Rutishauser gelingt es sogar, im Gegensatz zur WoZ-Keife, den Inhalt der Studie zusammenzufassen: «dass «Linke stärker polarisiert sind als Rechte» sowie die «Polarisierung unter den Anhängern linker und ökologischer Parteien am ausgeprägtesten» sei.»

Fliegengewicht Longchamp durfte nicht nur im Leiborgan intellektueller Linker über Kollega Michael Hermann herfallen, sondern äusserte sich auch im Hoforgan für wissenschaftliche Debatten, nämlich auf Twitter, Pardon auf X, was CH Media prompt nutzte, um dem Konkurrenten Tamedia ans Bein zu pinkeln. Was Rutishauser amüsiert kommentiert:

«Interessant ist die Reaktion derer, die sich angesprochen fühlen. Politologe Claude Longchamp, ein ausgewiesener, nicht mehr ganz junger Linker, wirft Michael Hermann, der Mitglied der GLP ist, in den CH-Media-Zeitungen vor, dass dieser «die Studie schlecht gelesen» habe. Herrmann, der im Artikel der «SonntagsZeitung» zitiert wurde, sagte unter anderem, dass für jene, die in den Augen der Linken zur Kategorie der Bösen oder Unterdrückern zählen, die Regeln der Empathie nicht gelten würden. Nun, die teilweise geharnischten Reaktionen auf Twitter oder auch in der linken «Wochenzeitung» geben ihm und der Studie durchaus recht

Sehr lustig ist, dass betroffene Kreise mit ihrer Reaktion genau das bestätigen, was die Studie herausgefunden hat. Keinem dieser verbiesterten, verkniffenen Kämpfern für eine bessere Welt mit mehr Toleranz fällt es auch nur eine Sekunde auf, dass er eigentlich sagt:

Ich toleriere nicht, dass man mich intolerant nennt. Wer das behauptet, muss ausgegrenzt werden. Wer das aus einer repräsentativen und wissenschaftlichen Studie herausliest, muss als Feind des Guten und einer besseren Welt beschimpft werden. Argumente braucht es dafür nicht, denn die habe ich gerade nicht auf Lager.

Das ist etwa so blöd, wie wenn man jemandem vorwirft, ein Trottel zu sein. Worauf der dann trottelig den Vorwurf zurückweist. Indem er sagt: natürlich toleriere ich andere Meinungen. Wenn sie mit meiner übereinstimmen, sonst sind sie ja falsch, daher böse und somit Feinde des Guten.

Aber Toleranz setzt einiges voraus. Souveränität. Den Wunsch nach Erkenntnis. Den Spass an intellektueller Auseinandersetzung. Bildung. Selbstsicherheit. Das Wissen darum, die Wahrheit und Weisheit nicht mit Löffeln gefressen zu haben. Die Fähigkeit zur öffentlichen Einsicht in eigene Fehler und Unzulänglichkeiten.

Also all das, was fast allen Journalisten wesensfremd ist.

Armer Arthur. Obwohl er in seinem Editorial auch die Intoleranz von Rechten kritisiert, wird er sich in seiner eigenen Redaktion damit nicht nur Freunde machen. Es versteht sich von selbst, dass Oberchefredaktorin Birrer dieses heisse Thema weiträumig umfährt. Es handelt sich zwar um ein brennendes Problem im öffentlichen Diskurs, aber es ist halt kein Waldbrand.

 

 

Immer wieder Sonntag

Das übliche Morgengrauen …

Eigentlich wollte ZACKBUM mit der «NZZam Sonntag» beginnen. Aber wir rauschten, ohne durch bemerkenswerte Inhalte aufgehalten zu werden, bis zu Seite 16 durch. Dort lasen wir, dass Patti Basler abtrete. Doch zu früh gefreut: sie macht nur eine überlange Sommerpause. Aber man nimmt heutzutage, was man kriegen kann.

Das ist auch das Motto von Nicole Althaus. Sie erfreut den Leser mit einer bahnbrechenden Erkenntnis des «Verhaltensforschers Joonghwan Jeon von der University of Texas in Austin». Zu der kam er zwar schon 2007, dafür aber als Erster: «Mater semper certa est». Für die wenigen Nicht-Lateiner unter unseren Lesern: «die genetische Abstammung von der Mutter ist sicher, die des Vaters nicht.»

Was Althaus eigentlich sagen will: sofern es zu keiner Verwechslung im Spital kommt, weiss die Mutter, dass das ihr Baby ist. Der Vater so spontan nicht. Es geht hier allerdings nicht um die genetische Abstammung des Vaters, sondern vielleicht darum, dass es einen Gentest bräuchte, um seine Vaterschaft zu beweisen. Oder so. Aber mit bahnbrechend neuen Erkenntnissen ist es eben so eine Sache, da verrutscht die Sprache schon mal gerne. Oder aber, verflixt, es handelt sich hier um Frauensprache, die dem Mann weder genetisch noch sonst wie leicht erschliessbar ist.

Dann kommt eine Story, die sozusagen einen Kontrapunkt gegen den drohenden Hitzesommer setzen will: «Immer mehr Frauen lassen ihre Eizellen einfrieren». Also genauer: in einer Einfrierklinik waren es früher «eine Frau alle paar Monate», nun seien es pro Woche «zwischen fünf bis zehn Frauen». Wenn das mal kein Trend ist.

Voll im Trend ist auch R. James Breiding. Er will dem harmlosen Leser am Sonntagmorgen einen solchen Schrecken einjagen, dass dem das Gipfeli aus der Hand fällt: «Wie die Schuldenkrise die Welt in den Abgrund reissen könnte». Merke, lieber Leser: Titel die «wie Blabla könnte» enthalten, plus das Wort Abgrund, sind ein klarer Hinweis für: überblättern.

Putzig ist hingegen der Titel «Die Brust versiegt». Also nicht wirklich, industrielle Säuglingsnahrung ist einfach weiter auf dem Siegespfad. Schrecklich ist hingegen diese News: «Vögel meiden die Schweiz». Aber immerhin, der Eieranschlag auf eine «Autorperson» ist der NZZaS keine Zeile wert. Dafür hat sie halt Jan Weiler mit seiner unendlichen Fortsetzungsgeschichte. Also sie ist bei Folge 13 angelangt, kommt einem aber unendlich vor.

Während sich Patti Basler* wenigstens direkt, allerdings früh in die Sommerpause abmeldet, tut das die «SonntagsZeitung» ebenfalls früh, dafür indirekt:

Typisch Tamedia, die wollen einem auch alles vermiesen. Scheint mal die Sonne, wird der fehlende Regen bemängelt – oder die hohen Preise bejammert.

Dann fordert Arthur Rutishauser den Skalp von Barbara Schmid-Federer. Institution Schweizerisches Rotes Kreuz, überfordert, nicht denkbar, dass sie sich noch halten könne. Mal schauen.

Dann kommen wir zu einem Höhepunkt für jeden Schweizer Leser. Das grosse Interview, der Hammer, die Themen, der Gesprächspartner, der Wahnsinn. Boris Herrmann, Nicolas Richter und Robert Rossmann vereinen die guten Kräfte, um den Eidgenossen ein Gespräch zu schenken. Nun sind die Drei im Sold der «Süddeutschen Zeitung» in München, und nicht mal dort interessiert brennend, was der deutsche «Oppositionsführer» (so würde man ihn in Deutschland allerdings nicht nennen) Friedrich Merz so zu sagen hat. Ob er den Geist Adenauers beschwören wolle, wird Merz einleitend gefragt. Wetten, dass kaum ein Schweizer Leser sich für die Antwort interessiert? Überblättern …

Dann weiss Bettina Weber sozusagen Intimes vom frischgebackenen und fehlgestarteten republikanischen Präsidentschaftskandidaten Ron DeSantis, inzwischen schon gerne DeSaster genannt: er höre «nur auf seine Frau». Wahnsinn, da kommt endlich mal einer ohne grossen Beraterstab aus. Oh, DeSantis hat einen grossen Beraterstab? Ach was.

Woran merkt man sonst, dass anscheinend schon Ende Mai das Sommerloch gähnt? Wenn im «Fokus» der Chef-Butler (eine Frau, darf man die heute in der SoZ noch Chef-Butler nennen? Wo bleibt die Genderpolizei? Weiss das Birrer, wieso hat Tobler nicht eingegriffen) des Dolder Grand interviewt wird. Auch hier war das grosse Interview mal eine Institution. ZACKBUM rätselt aber: Chef-Butlerin? Chefin-Butlerin? ChefIn-Butler*? Wo bleiben die Gender-Päpste und -Päpstinnen, wenn man sie mal braucht.

Und so nebenbei. Dieser Gender-Lapsus erinnert doch daran, dass es auch der SoZ scheissegal ist, dass eine leitende Mitarbeiterin über Jahre hinweg von einem Hassmob verfolgt wurde, angeführt von der hasserfüllten Kämpferin gegen Hass im Internet, haarklein aufgezeigt in einer mehrteiligen Serie über interne Chatprotokolle. Aber  Jolanda Spiess-Hegglin ist halt nicht in der SVP

Die Spargelsaison neigt sich so langsam dem Ende zu; höchste Zeit, die jährliche Sommerlochstory zu schreiben: «Wie viel Arbeit wirklich hinter dem Trendgemüse steckt». Hinter? Hm.

Dann will Rutishauser, das Bauernopfer auf dem Kriegspfad, auch noch den Skalp von Tidjane Thiam. Beziehungsweise an dessen Bonus: «Karin Keller-Sutter hat fünf gute Gründe, seinen Bonus zurückzufordern.» Wetten, dass sie es nicht tut?

Apropos Sommerloch im Mai: «Richtig essen für ein langes Leben», abgestaubter Stehsatz.

Eigentlich wollte ZACKBUM die erste Ausgabe unter neuer Leitung des «SonntagsBlick» genauer anschauen. Aber:

Es gibt Gähnreflexe, die fast in einer Kiefersperre enden.

Kaum hat man die überwunden, liest man, was Reza Rafi höchstpersönlich recherchiert hat: «Schweiz will Andrei Melnitschenko loswerden», behauptet er. Und will wissen: «Der Russe verbringe zu viel Zeit im Ausland und nicht an seinem gesetzlichen Wohnsitz, womit er die Bedingungen (für eine Niederlassung C, Red.) nicht mehr erfülle

Nun wird’s etwas peinlich, wenn man dem Chefredaktor des SoBli Nachhilfeunterricht in Faktenkenntnis erteilen muss. Melnitschenko steht auf der EU-Sanktionsliste, die von der Schweiz gehorsam übernommen wird. Seine Frau übrigens auch, obwohl EU-Bürgerin. Also ist ihm die Einreise in die Schweiz verwehrt.

Das ist nun tatsächlich ein kafkaeskes Problem. Ein Besitzer der Niederlassung C darf sich, auf Antrag, bis zu zwei Jahre am Stück im Ausland aufhalten. Allerdings sollte er danach wieder zurückkehren. Wie kann das nun Melnitschenko tun, der zwar als langjähriger Aufenthalter, Mieter und bedeutender Steuerzahler, der sich in der Schweiz nie etwas zu Schulden kommen liess und jegliche Nähe zu, geschweige denn Unterstützung von Putin bestreitet, dieser Vorschrift seiner Niederlassung entsprechen?

Das wäre eigentlich die interessante Frage gewesen. Aber Rafi ist nicht für interessante Fragen zuständig, sondern blödelt halt im Text vor sich hin. Man kann also konstatieren, dass er das Niveau seines Vorgängers problemlos tieferlegt. Unter die Relevanzschwelle, unter jede Schwelle. Unterirdisch.

*Nach Leserhinweis korrigiert …

SonntagsZeitung am Abgrund

Die aktuelle Ausgabe hat gute Chancen, als schlechteste aller Zeiten in die Geschichte einzugehen.

Es fängt schwach an, um dann stark nachzulassen:

Das sind die Schlagzeilen, auf die die Schweiz am Sonntag gewartet hat. Rösti ist der chancenreichste Kandidat für die Nachfolge von Ueli Maurer? Ein Primeur. Ein Brüller. Der Oberhammer. Damit war die SoZ sicherlich an vielen Orten ausverkauft.

Weil sich damit aber die nächsten zwei Seiten doch nicht restlos füllen lassen, werden dennoch die weiteren Kandidaten einem «Check» unterzogen. Ganze drei SVPler zieht das Blatt aus dem Hut, deren Wahlchancen: «mittel» bis «eher tief». Deren Eignung als Bundesrat: «genügend bis gut», «knapp genügend», «ungenügend». Aber schön, hatte es neben einem aussagelosen Riesenfoto auf der Seite noch Platz für diese wertvollen Informationen.

Dann eine Story über die Fraumünster-Posträuber (gähn) und ihre möglichen Verbindungen zur Mafia (doppelgähn). Eine Chance für Anwalt Valentin Landmann (nur noch gähn), etwas zur Verteidigung seines Mandanten zu sagen (schnarch).

Nachdem die NZZ den Publikumsschwund im Zürcher Schauspielhaus thematisierte und dafür ein zuschauerfeindliches Woke-Theater mit Verballhornungen von klassischen Theaterstücken verantwortlich machte, reicht die SoZ noch Mobbing-Vorwürfe nach. Abgeschrieben aus «Theater heute», wo ein Festangestellter über ein namentlich nicht genanntes Theater abblästert. Na ja.

Ein weiterer Höhepunkt als Tiefpunkt folgt auf Seite 15. Aufmacher: die Explosion auf der Verbindungsbrücke zur Krim. Mangels neuer Erkenntnisse ein Gähn-Stück. Aber nicht nur das. Der Autor Sebastian Gierke verdient sein Brot bei der «Süddeutschen Zeitung». SoZ-Eigenleistung: null. Daneben eine Meldung über das AKW in Saporischschja. Von der Agentur AFP. Eigenleistung null. Darunter eine Meldung über den Stillstand bei der Deutschen Bahn. Von der Agentur SDA. Eigenleistung null. Und dafür Geld verlangen?

«Endlich perfekt sehen auf nah und fern», verkündet ein redaktionell aufgemachter Artikel auf Seite 17. Nur: Das ist ein «Paid Post», ein «Commercial Publishing», zur Erlärung: «Commercial Publishing ist die Unit für Content Marketing». Für unsere reader, die des Englischen nicht so mächtig sind, you know: das ist ein bezahltes Inserat, das mit Hilfe von Tamedia möglichst ähnlich wie ein redaktioneller Artikel daherkommt.

Seite 17 beinhaltet eine echte Eigenleistung. Also die billigste Form des Journalismus: ein Interview. Mit «Christo Grotzev, Chefermittler von Bellincat». Nichts gegen dessen persönlichen Mut und seine investigativen Fähigkeiten. Aber kann er wirklich auch in die Zukunft schauen: «Wenn es so weitergeht, wird Putin innert eines Jahres stürzen». Wir merken mal den 9. Oktober 2023 vor …

Der Marianengraben im Pazifischen Ozean gilt mit knapp 12’000 Meter unter Meeresspiegel als tiefster Punkt der Erdoberfläche. Er wird neu konkurrenziert von Seite 20 der SoZ. «Keine Angst vor dem Älterwerden». Unter diesem Titel wird das Buch «Jetzt erst recht. Älterwerden für Anfängerinnen 2.0» rezensiert. Verfasserin ist die Tamedia-Redaktorin Silvia Aeschbacher. Lead: «Lebenshilfe. Sechs Jahre nach ihrem Bestseller «Älterwerden für Anfängerinnen» zeigt unsere Autorin in ihrem neuen Buch …»

Es ist inzwischen leider nicht unüblich, dass Bücher von Redaktoren im eigenen Blatt – überraschungsfrei wohlwollend – rezensiert werden. Hier allerdings wurde das in einer Art tiefergelegt, die den Marianengraben als seichte Pfütze erscheinen lässt. Denn die Rezensentin des Buchs von Aeschbacher ist – Aeschbacher selbst. Die schreibt dann über ihr Buch, also über sich selbst: «Ich selbst empfinde meinen Alltag nicht mehr wie früher ..

Sie schreibt aber nicht über Schamgrenzen, Peinlichkeiten, über Lächerlichkeit und den Versuch, jeden Anspruch auf ernsthafte Leserunterhaltung oder -belehrung aufzugeben. Da ihr selbst (und auch niemandem sonst in diesem Qualitätsmedium) auffällt, wie schräg, schreiend unkomisch als Leserverarschung das daherkommt, bleibt nur noch Fremdschämen. Redaktoren schreiben über sich selbst, ihren Bauchnabel, ihre Befindlichkeiten, ihre persönlichen Ergebnisse, ihre Haustiere, ihre Leseerlebnisse, ihre Filmeindrücke, ihre liebsten Kochrezepte und Lokale. Jetzt auch noch über ihre eigenen Bücher? Gut, wenn die Literaturchefin Nora Zukker heisst, ist das vielleicht besser so. Aber gut ist’s nicht.

Das alles ist so grottenschlecht, dass wir als kleinen Lichtblick «Die andere Sicht von Peter Schneider» zeigen müssen; immerhin lustig:

Als wäre das der SoZ auch unangenehm aufgefallen, will dieser Lichtblick von einem Gemäkel der sonst nicht schlechten Bettina Weber ergänzt: «Der Fluch der weissen Turnschuhe». Eher der Fluch: mir ist auch gar nichts eingefallen, aber ich bin dran. Nebendran führt Historiker Markus Somm seine historischen Kenntnisse spazieren, womit Schneider genügend eingenordet wäre.

ZACKBUM hat schon öfter bemängelt, dass einem auch inhaltlich immer dünnerem Textanteil immer grössere und meist aussagelose Fotos beigestellt werden. Aber das hier schlägt alles bislang Dagewesene:

Das Foto der Fairtrade-Chefin füllt Vierfünftel der Seite aus, daneben bleibt nur noch Platz für eine Textspalte. Wurde hier ein Artikel aufgeblasen, musste eine Doppelseite gefüllt werden? Jammert die SoZ nicht sonst über schrumpfende Umfänge? Ist auch das peinlich.

Schliesslich rezensiert im Gesellschaft-Bund Michèle Binswanger ihr eigenes Buch über die Zuger Spiess-Hegglin-Affäre. Wir erfahren endlich, was sich in der Captain’s Lounge wirklich abspielte, als die beiden Politiker in den dunklen Raum taumelten, um …

Nein, Scherz, sie rezensiert das neuste Buch von Richard David Precht. Der einstige Medienliebling wird in Deutschland in der Luft zerrissen, weil er zusammen mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer zunehmendes Blasendenken und Gesinnungsterror in den Mainstream-Medien kritisiert.

Immerhin mit der nötigen Distanz, die man hat, wenn man das Buch nicht selbst geschrieben hat …

Bis in kleine Details macht sich die SoZ lächerlich. So preist sie die «kniehohen Gummistiefel des dänischen It-Labels Ganni» an. Die Gummierten sorgten für trockene Füsse, allerdings auch für feuchte Augen, wenn man den Preis hört, den die SoZ wohlweislich verschweigt: 270 Franken für ein wenig Gummi. Will man’s aus Leder (und noch hässlicher), dann ist man mit 420 Franken dabei.

Wir wollen, wir müssen noch das TV-Programm lobend erwähnen. Ein Lichtblick in der SoZ von konzisem, genauem und informativem Journalismus.

 

Endlich: Tamedia packt die wichtigsten Probleme an

Es ist gut, dass wenigstens der zweitgrösste Medienkonzern der Schweiz weiss, wo aktuell der Schuh drückt.

Weniger Recherche, weniger Nachrichten, weniger Analyse und Einordnung. Dafür mehr Meinung. Keiner zu klein, Kommentator zu sein. Das ist der neue Spielplatz, das Frustablassbecken für Redaktoren.

Die Meinung gibt wenigstens einen Hauch alter Bedeutung zurück. Der Redaktor (mit Foto!) darf mal wieder allen Bescheid sagen. Probleme und Themen aufgreifen, die ihm am Herzen liegen. Auch wenn es ein einsames Herz ist, weil das sonst keinen interessiert.

Aktuell haben wir auf Newsnet einen seltenen Höhepunkt. Neuer Lockdown, komatöse Wirtschaft, drohende Ausgangssperre, Impf-Apartheit, wird der Abschaum bei der Inauguration des neuen US-Präsidenten wieder für Krawall sorgen? Wie geht Russland mit Oppositionellen um?

Was das Publikum beschäftigt, ist Pipifax für den Kommentator

Es mag ja sein, dass das Publikum diese Fragen beschäftigt. Aber wenn sich der Redaktor aus seiner Käfigtierhaltung im Newsroom in die Sphären der Gedankenfreiheit aufschwingt, lässt er solchen Pipifax weit hinter und unter sich:

 

Corona? Mutationen? Ach was, Salome Müller hat eine «neue Seuche» entdeckt. Auch das noch, was droht uns denn nun noch? «Sexistische Kommentare von Männern in der Öffentlichkeit». Jessas, echt jetzt? Ganz neu? Liebe Bauarbeiter, die Zeiten, als italienische Fremdarbeiter etwas südländische Lockerheit in die Schweiz brachten, indem sie ungeniert ihrer Bewunderung für vorbeilaufende Frauen zum Ausdruck brachten, sind vorbei.

Das war wohl auch vor der Geburt von Salome Müller, denn sie beklagt: «Wenn Frauen sich im öffentlichen Raum bewegen, müssen sie damit rechnen, sexistische Kommentare von Männern zu hören. Aggressive Zurufe. Beleidigungen.»

Gibt es Abhilfe?

Ich als Mann kann mich da für meine testosterongetriebenen Geschlechtsgenossen nur schämen. Und versichern, dass ich das noch nie getan habe. Aber wenn wir von Seuchen sprechen: Was ist dann mit der Genderisierung und Vergewaltigung der Sprache durch Sternchen aller Orten und weitere absurde Monstrositäten? Gut, nicht ablenken, zeigt Müller wenigstens Lösungswege auf?

Aber ja: «Erst wenn Männer von anderen Männern gemassregelt werden, wird sich etwas ändern.» Ach was. Also ich finde diese Position beinhaltet eine typische, postkoloniale Arroganz einer weissen Frau. Warum? Nun, in meinem zweiten Heimatland Kuba würde es eine Frau als Beleidigung empfinden, wenn ihre Attraktivität nicht Männer in der Öffentlichkeit würdigten. Würden andere Männer die massregeln, würden sie auf völliges Unverständnis und bösartige Vermutungen stossen.

Zurufe, Beleidigungen, und dann noch von der Arbeit abgehalten werden

Sozusagen in die gleiche Kerbe haut auch der nächste Kommentar: «Wir halten Frauen bewusst vom Arbeiten ab.» Ach was, also ich habe das noch nie getan. Ach so, Raphaela Birrer macht auch nicht mich verantwortlich, sondern «unser Steuersystem». Das setze «aus ideologischen Gründen einen Anreiz für verheiratete Frauen, möglichst wenig zu arbeiten». Das sehen viele Ehemänner auch so, allerdings nicht aus ideologischen Gründen.

Aber Scherz beiseite, würde diese steuerliche Bestrafung für Zweitverdiener abgeschafft, gäbe es bis zu «60’000 zusätzliche Vollzeitstellen», «300’000 Frauen würden ihr Pensum um jeweils 20 Prozent erhöhen», weiss die Autorin. Woher? Nun, natürlich aus «Studien». Zwei Dinge weiss sie aber nicht: Was für einen Sinn würden tausende von neuen Vollzeitstellen machen, wo dank Lockdown die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnellen werden, sobald Kurzarbeitsunterstützung ausgelaufen ist?

Und ob Birrer wohl schon mal vom Hausmann-Modell gehört hat, von Männern, die ihrer Frau den Vortritt in der Karriere lassen? Offenbar ist ihr dieses Modell zu emanzipiert und modern.

Der mächtigste Mann der Welt und der mächtigste Stellvertreter

Michael Meier ist ein Mann. Sehen wir grosszügig über diesen Makel hinweg, denn auch er äussert sich zu einem Thema, das uns alle umtreibt. «Eine neue Allianz zwischen Washington und Rom». Ach was, haben wir da etwas verpasst? Eigentlich nicht, Meier folgt nur den Spuren des «US-Publizisten Andy Roman». Nomen est omen, der sieht eine Vereinigung «politischer und religiöser Macht zu einer gemeinsamen Vision und Mission». In Sachen Klimaschutz, Armutsbekämpfung und Integration von Flüchtlingen. Nur: Andy Roman hat für einen Publizisten erschreckend wenig publiziert.

Aber wunderbar, der zweite Katholik nach Kennedy im Weissen Haus darf nun auch mit höherer Hilfe rechnen. Die Kirche wird ihre tiefen Schatullen öffnen, ihr Milliardenvermögen zur Armutsbekämpfung ausgeben. Klimaschutz spielt sich sowieso in höheren Sphären ab, wo die Kirche die Lufthoheit beansprucht. Und über so Kleinigkeiten wie das Abtreibungsverbot, die Anwendung von Verhütungsmitteln oder sexuelle Aufklärung, da wird man sich schon einigen. Aber eins ist sicher: Die Welt wird eine bessere werden. Gott vergelt’s.

Auch der lebenslange Kämpfer Ziegler darf nicht fehlen

Fehlt da noch etwas? Doch, ja, da fehlt noch Jean Ziegler. Der unermüdliche Kämpfer gegen das Unrecht auf der Welt, der damit trotz aller Kritik an ihm unsere Hochachtung verdient, wendet sich in einem Gastbeitrag an die Tamedia-Leser.

Wortgewaltig wie immer: «Wir müssen helfen, dem Martyrium der Gefangenen der Lager auf den griechischen Inseln ein sofortiges Ende zu bereiten.» Dabei muss Bundesrätin Keller-Sutter an die Tradition der Schweiz erinnert werden: «Ihre Hartherzigkeit ist der humanitären Tradition unseres Landes unwürdig.»

Gut gebrüllt, alter Löwe, dass er damit auch etwas Werbung für sein jüngstes Buch «Die Schande Europas» macht, sei ihm nachgesehen. Nur: auch dieses Schicksal interessiert zur Zeit in Europa kaum jemanden. Leider, lieber Jean.

Wird die Welt nun besser? Leider nein

Sind nun alle wichtigen Themen der Zeit kommentiert, Lösungen aufgezeigt, Forderungen gestellt, kann man sich zurücklehnen und hoffen, dass die Welt sich das zu Herzen nimmt und besser wird? Nun, es muss leider gesagt werden: nein. Denn selbst im gleichen Organ werden all diese wohllöblichen Ansichten konterkariert.

Erst noch von einer Frau. Wäre sie ein Mann, würde sie von Müller mindestens mit Gender-Sternchen beworfen werden. Eher noch mit Binnen-I gepiesackt. Denn Bettina Weber tut etwas, was in jeder anständigen Partnerschaft – ob binär oder non-binär – dazu führen muss, dass der Übeltäter auf dem Sofa schläft: Sie beurteilt eine Frau ausschliesslich nach Äusserlichkeiten!

Geht’s noch, geht’s noch schlimmer? Aber immer: «schlecht angezogene Männer mit Bärten und merkwürdigen Kopfbedeckungen» seien durchs Kapitol gezogen.

Politik ist in erster Linie eine Sache der richtigen Bekleidung

Da hat sie recht, wenn man das Kapitol stürmt, sollte man sich wenigstens anständig kleiden. Trost sucht Weber bei der First Lady. Die sei wenigstens «vermutlich» immer in eine Parfumwolke gehüllt; Thierry Mugler meint Weber zu erschnuppern, an den Füssen der First Lady will sie Louboutins mit «Killer-Absätzen» erspäht haben: «So viel Stiletto im Weissen Haus war noch nie, so viel Designermode auch nicht.»

Da spricht vielleicht der Neid, denn Louboutins, Parfum von Mugler und Designermode ist etwas oberhalb der Gehaltsklasse von Weber. Die zudem hoffentlich Birkenstock und keine Killer-Absätze in der Redaktion trägt.

Melania Trump als Gipfel

Am Schluss versucht Weber, mit einer feministischen Volte wieder Boden gut zu machen: Das Grossartige an Melania Trump sei «ihre trotzige Wenn-ihr-mich-nicht-mögt-ist mir-das-egal-ich-sehe-dafür-besser-aus-Attitüde.» Wie ihre Co-Unterchefredaktorin bei Kamala Harris schwärmt Weber wie ein Backfisch: «das war der Gipfel weiblichen Selbstbewusstseins.»

Man sieht; bevor der ganzen Welt gute Ratschläge gegeben werden: Es gibt zunächst noch viel zu tun bei Tamedia. Sehr viel. Ich bin bekanntlich kein Feminist, aber niemals würde ich eine Frau auf ihr Äusseres reduzieren. Selbst wenn sie eine so merkwürdige Frisur wie Müller hat.