Die Beute-Bronzen von Benin
Im Schlagabtausch über die Bührle Sammlung herrscht Begriffsverwirrung.
Der Populist mag’s vulgär. Raubkunst, abgepresst, Ausnützung einer Notlage. Verachtenswert, moralisch unter jeder Kritik.
Da ist die Welt heil und sauber in schwarz und weiss geteilt. Da kann man vor Rechtschaffenheit bebend im Nachhinein Oberlehrer spielen und von der Kanzel der guten Gesinnung Brandreden mit erhobenem, moralingetränktem Zeigefinger halten. Nur ist das ein fruchtloses Tun mit null Erkenntnisgewinn.
Wunderbar, dass wenigstens die NZZ* einem Fachmann Platz für Einordnung gibt. Der Autor Richard Schröder, emeritierter Professor an der Humboldt-Universität in Berlin und Theologe, weiss, wovon er spricht. Denn Berlin – und dort heute das Humboldt Forum – ist im Zentrum der Debatte um die sogenannten Benin-Bronzen.
Benin war ein Königreich in Westafrika, heute eine Provinz von Nigeria. Bronzefiguren schmückten damals den Palast und dienten auch als Kultgegenstände bei der Ahnenverehrung. Im Gefolge der Eroberung durch England fanden mehr als 3000 Exemplare ihren Weg nach Europa.
Und schon sind wir mitten in der Definitionsfrage. Raubkunst? Beutekunst? Konfiskation? Reparation? Privileg des Eroberers, sich schadlos zu halten? Rückgabe? An wen? Wer nicht oberflächliche Luftkämpfe mit Schlagworten gewinnen will, muss zuerst Begriffe ordnen.
Zunächst eine klare Auslegeordnung der Begriffe
Das Wort Raubkunst «wurde ursprünglich für Kulturgüter verwendet, die während des Nationalsozialismus geraubt» wurden, erklärt Schröder. Das war nicht kriegsbedingt, sondern eine Form von Gewaltanwendung des NS-Staates, vor allem gegen Juden.
Das macht die Verwendung des Wortes im kolonialen Zusammenhang und auf Afrika bezogen problematisch. Zudem stigmatisiert es Kriegsbeute; ein über Jahrhunderte, Jahrtausende übliches Vorgehen, auch bei innerafrikanischen Kriegszügen. Während ein Raub unter allen Titeln ein Straftatbestand ist, wer mit Geraubtem handelt, ein Hehler, war Beutemachen das «unbestrittene Recht des Siegers».
Bis zur Haager Landkriegsordnung von 1899. Noch Napoleon hatte in den von ihm eroberten Ländern massenhaft Kunstwerke als Kriegsbeute mitgenommen. Nun kann man solche Regeln für barbarisches Kriegshandwerk wohlfeil verurteilen; dabei übersieht man aber, dass völlige Regellosigkeit ein Synonym für Willkür und Barbarei ist.
«Man muss also Beute, die vor 1899 gemacht wurde, nicht zurückerstatten, aber man darf. Solche Rückgabe ist nicht zwingend und nicht erzwingbar, sondern eine Geste des Wohlwollens, die ihrerseits mit Wohlwollen sollte rechnen dürfen und nicht mit dem Vorwurf: «Ihr seid Diebe, Räuber, Hehler!» Man kann nicht gleichzeitig solche Vorwürfe erheben und mit Wohlwollen rechnen.»
Vom Feldherrenhügel der moralischen Überlegenheit herab …
Wer hier mit Steinen wirft, sollte nicht im Glashaus sitzen:
«Kriegsbeute zu nehmen und zu verkaufen, sahen die Könige von Benin als ihr selbstverständliches Recht an. Nach seiner Wahl wurde vom König erwartet, dass er sein Amtscharisma durch einen erfolgreichen Kriegszug beweist, den Kopf des Überfallenen und reichlich Gefangene zur Versklavung und Opferung heimbringt.»
Das darf natürlich nicht zu einem «die auch, wieso wir nicht» missbraucht werden. Zeigt aber, dass es – wie meist im realen Leben – komplizierter ist als «hier die räuberischen Kolonialisten, dort die edlen Wilden, denen ihre Kulturgüter geraubt wurden». Da verhält es sich ähnlich wie mit der Sklaverei. Die war – lange vor der Ankunft europäischer Kolonialherren – unter afrikanischen Stämmen völlig üblich, und diverse Völker wurden reich damit, den weissen Sklavenhändlern an der Westküste Afrikas ihre «Ware» zuzutreiben.
Das Wort «Raub» ist also bei näherer Betrachtung simplifizierend. Auch das Wort «Kunst» bedarf genauerer Definition in diesem Zusammenhang. «Geldwert erlangt ein Gegenstand, wenn er auf einem Markt nach Angebot und Nachfrage bewertet wird. Die Beniner Bronzegiesser gehörten zum Königshof und haben ausschliesslich für ihn gearbeitet. Bis 1897 waren ihre Produkte unverkäuflich. Soweit sie auf Ahnenaltären standen, hatten sie einen religiösen Wert, der sich in Geld so wenig ausdrücken lässt wie der Wert des Kölner Doms für die Domgemeinde.»
Nachdem solche Kultgegenstände lange Zeit als «Curiosa» galten und höchstens dazu dienten, in Museen ausgestellt zu werden, werden solche Benin-Bronzen heute für Millionen gehandelt: «Erst der europäische Kunstmarkt hat die Benin-Bronzen in einem interkulturellen Zusammenspiel zu Kunstwerken geadelt und ihnen auf dem Kunstmarkt einen erheblichen Geldwert verschafft.»
Auch der Begriff Kunst bedarf der genaueren Definition
Auch unser europäischer Kunstbegriff trifft auf viele solcher Artefakte nur bedingt zu, da er der Originalität und Einmaligkeit einen sehr hohen Stellenwert zumisst, zudem spielt Zweckfreiheit eine grosse Rolle. Hinzu kommt: «Die Objekte, die üblicherweise als afrikanische Kunst bezeichnet werden, wie Ahnenskulpturen, Zauberfiguren oder Masken aus den Dörfern, bestehen aus pflanzlichem Material. Sie sind dem Verfall ausgesetzt und müssen deshalb periodisch ersetzt werden, nicht durch eine Kopie, sondern durch einen Nachfolger.»
Alleine schon diese Erwägungen machen klar, dass das Hantieren mit dem moralischen Totschläger «Raubkunst» zwar die Chancen erhöht, in einer Debatte die Lufthoheit zu erobern, aber letztlich keinerlei Erkenntnisgewinn beinhaltet.
Als typisch westliche Arroganz wird natürlich auch denunziert, dass trotz den Verheerungen durch zwei Weltkriege viele dieser afrikanischen Artefakte bessere Überlebenschancen in einem europäischen Museum als in den ewigen Bürgerkriegswirren Schwarzafrikas hatten.
Schliesslich ist es bei den Juden und anderen Verfolgten des NS-Regimes gestohlenen Kunstwerken gelegentlich aufwendig, aber möglich, die ursprünglichen Besitzer (oder ihre Erben) ausfindig zu machen. Wer aber wäre der legitime Nachfolger des Oba, des Herrschers von Benin? Der nigerianische Staat?
*«Was der Begriff Raubkunst verschleiert», Gastbeitrag vom 30. November 2021, hinter Bezahlschranke.