Tagi ausser Rand und Band
Wenn eine klare Führung fehlt …
Die Leitung des «Tages-Anzeiger» besteht genderkorrekt aus zwei Quotenfrauen und zwei Quotenmännchen. Das ist vom Aspekt der korrekten Gesinnung her wunderbar.
Professionell betrachtet ist es aber fatal.
Eine Serie darüber, dass sich eine (in Zahlen 1) Frau durch angebliche Spanner in Fernglasentfernung belästigt fühlte, wobei Nachforschungen ergaben, dass solche Beschwerden alle Schaltjahre einmal erhoben werden? Das allein ist schon ziemlich gaga.
Aber dann gibt es ja auch noch das Thema Busen, dem sich ein Mitglied (Pardon, eine Mitgliedin) der Chefredaktion lebhaft annimmt. Nicht zuletzt hier spricht Kerstin Hasse (Männer, nicht glotzen!) über Brüste. Nackte Wahrheiten über nackte Brüste. Über politische, nackte Brüste:
Dieses Thema nimmt sie sich gerne zur Brust: «Ich bin also keine Verfechterin des Oben-ohne-Trends. Und ich mag – auch als Feministin – nicht mehr darüber diskutieren, ob Frauen einen BH tragen sollen oder nicht.» Hallöchen, ich bin dann Feministin, im Fall. Daher auch für die Offenlegung meines Lohns. Oder auch nicht.
Allerdings, wie bebildert man denn im Tagi ein solch heikles Thema? Will man da etwa eine nackte Brust zeigen, was ja naheläge? Oder vielleicht zwei vierbeinige Möpse? Aber nein, das wäre pfuibäh, so macht man das:
Wer hier das Politikum sieht, muss ein Spanner sein.
Eingeleitet wird dieser Podcast mit einem Spruch, der nun aus der Mottenkiste des Sexisten stammt: «Zieht eine Frau oben blank, muss sie vielfach mit Blicken, Sprüchen und Bewertungen rechnen.» Zieht blank? Ein Lieblingswort von «Bild», «Blick», RTL und Co.
Nur die «Ruhr Nachrichten» legten noch einen drauf:
Aber vom Skurrilen zurück zum Peinlichen, also zum Tagi.
Da publizieren doch die beiden Recherchiergenies Thomas Mathis und David Sarasin ein Stück und verstecken es hinter der Abo-Schranke:
Sie schreiben kühn: «Nun zeigt sich: Die Firma Cinerent Arena AG, die hinter dem Projekt steht, steckt in finanziellen Schwierigkeiten.» Zeigt sich? Ja, das zeigte sich ein paar Stunden zuvor auf dem Finanzblog «Inside Paradeplatz»:
Dort kann man all das, was im Tagi steht, auch lesen. Und erst noch gratis. Früher war es im anständigen Journalismus noch so, dass man knirschend schrieb: «Wie der Finanzblog IP zuerst vermeldete.» Heute ist’s «es zeigt sich».
Mit schnaufendem Pathos eine völlig banale, triviale und altbekannte Tatsache erzählen, das gehört auch zu einer Redaktion ausser Rand und Band:
Korrelation und Kausalität, über diesen Unterschied sind schon ach so viele Schwachstromjournalisten gestolpert.
Eine Peinlichkeit veredeln gehört auch zum tollen Treiben:
Das ist nun echt dumm gelaufen. Laut einer Umfrage von Tamedia sagen 33 Prozent ja oder eher ja zur BVG-Reform. Und 59 Prozent nein oder eher nein. Bei der SRG-Umfrage sieht’s etwas anders aus: 49 Prozent ja oder eher ja, 39 Prozent nein oder eher nein. Hoppla. Da braucht es dann einiges an Rhabarber, Rhabarber, Rhabarber, um diese klitzekleine Differenz wegzuerklären.
Völlig unparteiisch setzen Tiefflieger im Tagi die Berichterstattung und Kommentierung der US-Präsidentschaftswahlen fort. Philipp Loser schafft es damit zu einem kurzen Gastauftritt bei ZACKBUM: «Was die Linken von Tim Walz lernen können». Kicher. Und die nicht gerade erfolgsverwöhnte Mitbetreiberin eines Finanzblogs für Frauen, bei dem Frauen ärmer werden können, behauptet: «Es ist Zeit für eine Präsidentin wie sie». Man kann nur hoffen, dass Kamala Harris mehr von Geld und Finanzen versteht als Nadine Jürgensen.
Dann noch etwas Zahlenhokuspokus:
Das sei nicht nur furchtbar, sondern widerspreche auch Zahlen der UNO und von Unicef, die 2022 lediglich 2,2 Milliarden Menschen ohne sichere Trinkwasserversorgung sahen. Also sind es in Wirklichkeit 4 Milliarden? Werden da wieder dramatische Probleme schöngezählt? Ein Skandal?
Ach was, selbst die Autorin der neuen Studie räumt ein: «Hinzu kommt, dass für die Hälfte der Weltbevölkerung keine Daten zur Qualität des Wassers vorhanden sind.» Tja, ohne Daten ist gut raten, nicht wahr.
Ach, und die «aufwühlende Geschichte von Flo-Jo», ein Podcast in gefühlt 37 Folgen, wühlt ungefähr so auf wie die Koch-Videos von Elif Oskan. Die brutzelt aus lauter Verzweiflung schon ein paniertes Schnitzel und zeigt dem wegklickenden Leser, wie man banale Zutaten für einen Sommersalat in Würfelchen schneidet. Ein einziger müder Kommentator mochte sich bislang dafür begeistern.
Also in der Abteilung Selbstverwirklichung kann die Restmannschaft des Tagi sich wahrlich nicht beschweren. Sie frönt ungehemmt dem Prinzip: Ich schreibe, worüber ich will, am liebsten über mich selbst und meine Befindlichkeit. Das hat den Leser gefälligst zu interessieren, und wenn nicht, ist er selber schuld.
So rammt man wirklich ein einstmals stolzes Flaggschiff des Journalismus schneller in den Grund, als damals die Titanic sank. Nur wird hier der Captain nicht an Bord bleiben.