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Breaking News: Knast für Vincenz

Drakonische Strafen für den Starbanker und seinen Kompagnon.

45 Monate Gefängnis für Pierin Vincenz, gar 48 Monate für seinen Kompagnon Beat Stocker.

Das liegt zwar unterhalb der vom Staatsanwalt geforderten 6 Jahre. Hinzu kommen Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe. Plus die Gerichtskosten von über 200’000 Franken. Plus die Anwaltskosten.

Das bedeutet, dass die Verteidigungsstrategie der beiden Hauptangeklagten krachend gescheitert ist. Ihre Verteidiger hatten die Anklageschrift in der Luft zerrissen und vollumfängliche Freisprüche gefordert. Das Gericht sprach aber die Angeklagten des Betrugs und weiterer Delikte für schuldig; nur in Nebenpunkten gab es Freisprüche.

Damit ist natürlich nicht das Ende der Affäre erreicht. Wäre das Urteil milde ausgefallen, hätte die Staatsanwaltschaft sicherlich weitergezogen. Nun wird die Verteidigung die nächste Instanz anrufen, das Obergericht Zürich. Danach kommt noch das Bundesgericht. Das bedeutet, dass eine Schlacht, aber noch nicht der Krieg für die Angeklagten verloren ist.

Allerdings ist ihre Reputation, ihre soziale Stellung – und auch ihr Finanzhaushalt – unrettbar beschädigt und zerstört. Dass weiterhin, bis zu einem rechtsgültigen Urteil, die Unschuldsvermutung zu gelten hätte, ist nicht mehr als ein schlechter Scherz.

Wie aus Kübeln

Aburteilung vor dem Prozess: armer Vincenz.

Sicherlich ist der tief gefallene Bankerstar von Raiffeisen persönlich nicht gerade ein Sympathieträger. Obwohl er perfekt den jovialen, volksnahen Banker spielte, dafür auch extra die letzten hundert Meter zu Versammlungen im sportlichen Berglerschritt zurücklegte: privat liess er es gewaltig krachen. Und die Anfahrt legte Pierin Vincenz im Audi A8 mit Chauffeur zurück, gerne auch mal im Helikopter.

Dabei hatte er offenbar eine unselige Vorliebe für drittklassige Striplokale und auch ihre weiblichen Angestellten. Eine Terminkollision führte nicht nur zu einem demolierten Hotelzimmer, sondern auch zu dringendem Finanzbedarf, um eines der beteiligten Girls ruhigzustellen.

Bankfiliale à la Vincenz.

Nicht mal das gelang ihm wirklich, zudem scheint er einer der schlechtesten Aktienspekulanten der jüngeren Zeit zu sein. Das ist das eine.

Dass er aus einer verschnarchten Versammlung von Bauern- und Ofenbänklein, eifersüchtig kontrolliert von Lokalfürsten, die Nummer drei im Schweizer Banking machte, ist das andere.

Letzte Welle vor dem Beginn des Prozesses

Beides ändert nichts daran, dass er eine Anklage am Füdli hat, die von ungetreuer Geschäftsführung über Spesenbetrug zu qualifiziertem Betrug umgemöpselt wurde. Es ändert nichts daran, dass fast drei Jahre lang intime Details aus der Untersuchung an die Öffentlichkeit durchgestochen wurden, inklusive vollständige Anklagschrift. Ein Skandal.

Es ändert nichts daran, dass wohl selten bis nie die Unschuldsvermutung dermassen ins Absurde geführt wurde, ins Lächerliche gezogen.

Am Dienstag beginnt nun der Prozess; vier Jahre nach Beginn der Affäre. Im Vorfeld legen die Medien noch Sonderschichten ein. Herausragend der «Blick».

Mit gleich vier Artikel als Online-Aufmacher heizt er die Stimmung an:

Vorverurteilung mit Sozialneid.

Dabei kündigt er an, dass das erst mal der Anfang sei, die Vorspeise sozusagen. Nachdem ein serbischer Tennisspieler mit seinen Einreiseproblemen in Australien abgetischt ist, wird die nächste Sau durchs Dorf getrieben. Im Sinne des zurückhaltenden und ausgewogenen Journalismus, dem sich die «Blick»-Familie angeblich verschrieben hat.

Dass «Inside Paradeplatz» gleich mit sechs Artikeln zum Thema vertreten ist, kann man hingegen verstehen. Denn Lukas Hässig war der Erste – und lange Zeit der Einzige –, der auf Merkwürdigkeiten im Finanzhaushalt von Vincenz aufmerksam machte.

«watson» erklärt’s für Dummies.

Vom gefeierten Star zum Watschenmann

Aber damals war der Bündner Naturbursche noch der gefeierte Star, der Banker zum Anfassen, schlagfertig und witzig bei den Staatskomikern Giacobbo und Müller, gerne gesehen an öffentlichen Promi-Anlässen, eng mit Ringiers Marc Walder. Damals erschienen noch Lobhudel-Artikel en masse, konnte gar nicht dick genug aufgetragen werden, was für ein toller Hecht Vincenz doch sei – und dabei Mensch geblieben, dem Einfachen zugetan.

Aber es ist eine alte Boulevard-Regel, dass Hochgeschriebene tief fallen. Wohl allerdings nicht ohne Rücksprache mit den Bossen des Verlags …

Bei allem Spass an saftigen und den Sozialneid fördernden Spesenritterdetails: fände es Marc Walder komisch, wenn die Öffentlichkeit Einblick in seine Spesenabrechnungen nehmen könnte? Würde es Pietro Supino gefallen, wenn unablässig Details aus seinem Privat- und Geschäftsleben an die Medien durchgestochen würden?

Fände es der Coninx-Clan komisch, wenn auch ausserhalb der «Weltwoche» seine Kunstsammlung kritisch unter die Lupe genommen würde? Wäre die NZZ amüsiert, wenn das Ferienverhalten des Ehepaars Gujer ausserhalb von ZACKBUM gewürdigt würde?

Auf Jahrmärkten beliebt: der Watschenmann.

Vincenz und Beat Stocker haben zudem den Fehler gemacht, eisern zu schweigen. Vincenz wendete sich in all den Jahren ein einziges Mal an die Öffentlichkeit, als er aus der über dreimonatigen U-Haft entlassen wurde. Diese Erfahrung wünsche er niemandem, teilte er offenbar angeschlagen mit, und dass er sich mit allen Mitteln gegen die Anschuldigungen wehren werde.

Falsch beraten und Pech gehabt

Sein Kompagnon schwieg ebenfalls, liess sich unwidersprochen von der «Bilanz» als «Schattenmann» und Strippenzieher und Mastermind vorführen. Bis er dann Anfang Jahr der NZZaS ein Interview gab, das bewies, dass er sehr, sehr schlecht beraten ist und hoffentlich bessere Anwälte als PR-Menschen um sich hat.

Beide haben offenbar dreifaches Pech. Sie sind einem Staatsanwalt in die Hände gefallen, der gegen Ende seiner nicht gerade erfolgreichen Karriere noch einen Treffer landen will. Sie stehen vor einem Gericht, das zuerst über ein Jahr über der Anklage brütete, um dann kurz vor Beginn des Prozesses rumzueiern. Auch hier ist wohl zum letzten Mal Richter Aeppli vor seiner Pensionierung am Gerät; und wie.

Hämisch berichtet Hässig:

«Schon jetzt ist klar, dass Aepplis Verhandlungs-Planung ein Desaster ist. Der erfahrene Richter hat viel zu wenig Sitzungstage einberechnet. Nun sucht er verzweifelt Zusatztage im März – über Doodle machte er gestern 10 Vorschläge.
Damit droht ein Scherbenhaufen: Die Zeit läuft dem Gericht und der Anklage davon. Im April verjährt einer der vier geheimen Vorab-Investments von Pierin Vincenz und Co.»

Ruf restlos ruiniert, jahrelang in den Medien durchs Schlammbad gezogen, Unschuldsvermutung der Lächerlichkeit preisgegeben – und das eigentliche Kampffeld verschwindet hinter diesem Nebel.

Bei einer vertraulichen Einvernahmen abgeschossen …

Denn eigentlich geht es um über 100 Millionen Franken, um die sich Raiffeisen auf der einen Seite, Vincenz und Stocker auf der anderen streiten. Aber das interessiert kein Qualitätsmedium.

 

Lustige Zeiten bei der NZZ

Wenn die NZZ dem Schwesterblatt NZZaS eine reinwürgt.

Früher war es legendär, wie sich «SonntagsBlick» und «Blick» gegenseitig gehasst haben. Weiterzug einer Story, gemeinsame Kampfbündnisse? I wo, wenn man sich gegenseitig ignorieren oder in den Unterleib treten konnte: sehr gerne.

Das hat sich im Rahmen der Sparmassnahmen und der Skelettierung der beiden Blätter erledigt. Aber im Hause NZZ gibt’s noch Potenzial.

Die NZZaS wartete mit dem Primeur auf, dass sie einen der beiden Hauptbeschuldigten in der Affäre Vincenz kurz vor Prozessbeginn zu einem längeren Interview überreden konnte. Nachdem Beat Stocker eisern die ganzen, quälenden Jahre der Untersuchung geschwiegen hatte.

Immerhin, was man auch vom Inhalt seiner Aussagen halten mag. Da könnte man ja von der NZZ etwas Applaus erwarten.

Könnte man, gibt’s aber nicht. Im Gegenteil. Am Dienstag nach dem Interview meldet sich Lorenz Honegger in der NZZ zu Wort. Die zweite Generation Honegger zieht blank:

Das war wohl nix, daher ist sein vernichtendes Urteil natürlich gepaart mit der unausgesprochenen Frage, wieso sich die NZZaS dafür hergegeben habe.

Nun baut Honegger seine Anklage auf die Aussagen von «zwei führenden Schweizer Litigation-PR-Experten». Darunter versteht man die Benützung der Öffentlichkeit zwecks möglicher Beeinflussung von Richtern.

Der eine Experte ist «Patrick Krauskopf, Professor für Wirtschaftsrecht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.» Das Problem: der ist völlig unbeleckt von Kenntnissen über das Strafrecht und auch sonst in der Branche niemandem als Litigation-PR-Experte bekannt.

Aber praktisch, dass er das interview kritisch sieht: «Ich würde den Angeklagten die Botschaft nicht selbst überbringen lassen.» Und: ««Qui s’excuse, s’accuse», sagt Krauskopf.»

Der zweite «führende Experte» heisst «Laurent Ashenden, Gründer und Geschäftsführer der PR-Agentur Voxia». Der ist ebenfalls noch nie öffentlich in dieser Funktion aufgefallen, was wohl auch den eher dürftigen Trackrecord auf seiner Webseite erklärt. Aber auch Ashenden darf zuschlagen:

«Seine Message ist: Ich bin unschuldig. Aber er schafft es nicht, zu überzeugen.»

Krauskopf darf dann noch das letzte Wort behalten: «Man wird sich fragen, ob es geschickt war, am zweiten Neujahrstag mit einem solchen Interview herauszukommen.»

Anlass, Honegger ein paar Fragen zu stellen:

  1. Halten Sie es für seriös, mit diesen beiden No-Names Kritik am Interview im Schwesterblatt zu üben?

  2. Aufgrund welcher Kriterien haben Sie die beiden ausgewählt?

  3. Sucht man nach den Begriffen «Litigation, Experte, Schweiz» kommt eine ganze Reihe von solchen Angeboten seriöser Kanzleien. Wieso haben Sie keine der so auffindbaren gewählt?

Trotz grosszügig bemessener Antwortfrist verfiel Honegger aber in finsteres Schweigen, was angesichts des sonstigen Niveaus der NZZ doch überrascht.

Da bleibt Platz für Interpretationen. Wie wär’s damit: die grösste Veränderung in den letzten Monaten war der Antritt des neuen NZZaS-Chefredaktors Jonas Projer. Der versucht, dem Sonntagsblatt etwas mehr Drive zu geben und vor allem die Interaktion mit der Leserschaft zu verstärken.

Projer hat dabei die Hypothek, dass er als TV-Mann abgestempelt ist und zudem von «Blick»-TV kommt. Da schüttelt es jeden alten NZZler durch, der das eigene «Format» als Benchmark für seriöse TV-Mache sieht.

Zudem ist es nicht ganz klar, wie eigentlich die Hierarchie zwischen God Almighty Eric Gujer und Projer aussieht. Bei seinen beiden Vorgängern war klar, wer Herr ist und wer Knecht. Durch die weitgehende Zusammenlegung von NZZ und NZZaS schrumpft ja auch das Königreich des NZZaS-Chefs.

Da ein unbedeutender Redaktor wie Honegger so ein Stück sicherlich nicht ohne Einverständnis aller oberen Chargen veröffentlichen konnte, stellt sich die lustige Frage, ob das ein öffentlicher Warnschuss von der Kommandobrücke des Dampfers NZZ vor den Bug des Beiboots NZZaS war.

Gujer könnte sich die naheliegende Frage stellen, wozu es eigentlich noch einen eigenständigen zweiten Chef im Hause braucht …

 

 

 

 

 

 

 

 

Doppel-Verwertung

Wie man aus einem Interview eine Fortsetzung saugt.

Das nennt man Arbeitsteilung. In der NZZaS erscheint ein ausführliches Interview mit dem in der Causa Vincenz Mitangeklagten Beat Stocker.

Ein kleiner Donnerschlag, denn obwohl so ziemlich alle Details, vor allem unappetitliche, in der jahrelangen Strafuntersuchung an die Öffentlichkeit durchgestochen wurden, haben die beiden Hauptbeschuldigten eisern geschwiegen.

Pierin Vincenz bis heute, abgesehen von einer kurzen Meldung, nachdem er aus der U-Haft entlassen wurde. Er sei unschuldig und werde das auch beweisen. Stocker hingegen, von der «Bilanz» auch schon als «Schattenmann» auf den Titel geklatscht, meldete sich nun kurz vor Prozessbeginn ausführlich zu Wort.

Er wolle sich erklären, er sei unschuldig, das wollte er offensichtlich rüberbringen. Natürlich nicht im SoBli und auch nicht in der Tamedia Muppet Show.

Nun zieht die NZZ nach und lässt zwei Litigation-Spezialisten die Absichten von Stocker in die Pfanne hauen:

«Justiz auf Amerikanisch hat im Fall Vincenz wenig Erfolgschancen», lautet das Verdikt.

«Ich würde den Angeklagten die Botschaft nicht selbst überbringen lassen», kritisiert einer der Fachleute: «Qui s’excuse, s’accuse». Der zweite sekundiert: «Seine Message ist: Ich bin unschuldig. Aber er schafft es nicht, zu überzeugen.»

Schliesslich sei dann das Strafmass und die Beurteilung der Reputation Stockers der Massstab, um den Erfolg – oder Misserfolg – dieser Strategie zu bewerten:

«Man wird sich fragen, ob es geschickt war, am zweiten Neujahrstag mit einem solchen Interview herauszukommen.»

Das war allerdings für Stocker – und das Schwesterblatt NZZaS – keine Frage.

Lustige Zeiten im Journalismus. Mehr oder minder offene Kollegenschelte greift immer mehr um sich.