Die gar nicht so grosse Kunst der Demagogie
So wie der Demagoge vom angesehenen Redner zum Volksverführer wurde, so wird es mit Demagogie immer einfacher.
In der Schweiz herrscht immer noch die Illusion vor, dass wir über eine Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten verfügen, uns über alles zu informieren. Die privaten Massenmedien, das Staatsfernsehen, das nicht so heissen will, dann noch die unendlichen Weiten des Internets, Suchmöglichkeiten nach allem und jedem, inklusive Sinn des Lebens.
Noch besser: Diese Quellen sind vielfach gratis. Also ein Schlaraffenland für den mündigen Staatsbürger, der nur den Mund aufmachen muss, und schon fliegen ihm die portionierten, vorgekauten News hinein, er muss nur noch schlucken.
Und passt ihm die Meinung oder der Spin eines Mediums nicht, no problem, er hat die Qual der Wahl. Was darf’s denn sein, aus der Ecke altstalinistischer Nordkoreaner über Sprachrohre Russlands, Chinas, den USA, Deutschlands, über ideologische Meinungen, Meinungen der Parteien usw. bis zum rechten und zunehmend angebräunten Rand: Alles ist erhältlich. Das meiste sogar legal.
Pluralismus für die Meinungsbildung der Staatsbürger
Besonders wichtig ist dieser Pluralismus, diese Meinungsvielfalt bei der Meinungsbildung der Staatsbürger, wenn es um ihre ureigenen Interessen geht. Um die sogenannten grossen Themen. Also: was gibt’s zum Abendessen, was läuft im TV, wie geht’s eigentlich mit Corona weiter?
Da ist der Staatsbürger gut bedient; gefällt ihm die staatstragende Haltung der Staatssender nicht, kann er auf Privatsender umsatteln. Hm, die zwar die staatstragende Meinung vertreten. Na gut, dann Print, da weiss man, was man hat. Aber hoppla. Von «watson» aufwärts, und da geht’s lange aufwärts, sind kaum Meinungsunterschiede feststellbar. «20 Minuten», Tamedia, CH Media, Ringier, mit etwas Distanz die NZZ: Alle sind einhellig der Meinung, dass es wenn schon nur drakonische Massnahmen geben kann.
Lockdown, aber subito. Flächendeckend. Noch strenger als im Frühling. Alles andere wäre fahrlässig, unverantwortlich, wäre schuldhaftes Versagen. Steht so oder sinngemäss überall. Nordkoreanische Verhältnisse.
Bei Massenansprachen sinkt der IQ
Bis hin zum Vokabular. Seit Goebbels, sorry, aber der war schon gut in seinem Fach, weiss jeder, der wie er Gustave Le Bon gelesen hat: Bei Massen sinkt das allgemeine IQ-Niveau auf das der unterbelichtesten Teilnehmer. Nur so ist erklärbar, dass es zu Zeiten eines schon längst total verlorenen Krieges ein donnerndes Ja auf Goebbels idiotische Frage gab: «Wollt ihr den totalen Krieg?»
Zur Demagogie gehört auch, die Lufthoheit der Begrifflichkeiten zu erobern. Ihnen zugleich positive und negative Attribute zuzuteilen. Der verantwortungsvolle Mensch schützt sich und die anderen. Der unverantwortliche Trottel, der Corona-Leugner, der von Hetzern Verführte, der Anhänger von Verschwörungstheorien motzt und meckert. Hat aber keine Ahnung. Ist im besten Fall fahrlässig, im schlimmsten bösartig.
Dazu gehört das Rekurrieren auf angeblich wissenschaftliche Tatsachen
Was gehört noch zu diesem Panoptikum? Nur mehr wenig; das Rekurrieren auf angeblich wissenschaftlich-belegte Tatsachen. Eine neue Mutation ist mindestens um 70 Prozent ansteckender. Ach was, und wie wurde das so schnell gemessen? Wenn der R-Wert über 1 liegt, muss sofort alles runtergefahren werden. Aber wenn er schon wie üblich davor runtergegangen ist?
Für einzelne Branchen, einzelne Menschen, einzelne KMU mag das brutal sein, aber hier geht’s ums Grosseganze, da muss der Einzelne zurückstehen. Mit welcher Begründung genau beruft sich der Bundesrat auf Notrecht?
Sollte es jemand wagen, tatsächlich solche dummen Fragen zu stellen, dann gibt es noch zwei, drei weitere Handgriffe. Die pseudologische Begründung: Wieso ist Covid-19 so gefährlich? Weil Covid-Viren immer gefährlich sind. Wieso nützen Schutzmasken doch, wenn sie vorhanden sind? Weil die in Asien auch alle tragen, und denen geht’s ja wieder gut.
Nicht aufs Argument, auf die angeblichen Motive dahinter zielen
Wieso soll die Impfung unschädlich und nebenwirkungsfrei sein, wenn normalerweise mindestens 4 Jahre zwischen klinischen Tests und Freigabe vergehen? Auch gegen all das gibt es ein einfaches Demagogiehilfsmittel. Gar nicht erst auf solche Fragen einsteigen, besser sofort in die Offensive gehen. Was, Sie Aluhutträger, Sie, Sie fahrlässiger Gefährder von Menschenleben, wollen Sie es wirklich besser als unsere Landesregierung wissen?
Und wenn das noch nicht wirkt, das hier sicher: Sind Sie sich darüber im Klaren, dass Sie damit viele Menschen verunsichern, vielleicht sogar in den Tod treiben? Das wollen wir doch alle nicht, oder?
Schliesslich kann man den meisten Schweizer Politikern vieles vorwerfen, aber nicht, dass sie gute, spontane und schlagfertige Redner sind. Also klare, aufklärende Sätze? Kurs halten? Nicht bei jedem Hyperventilieren irgendeiner Presure- oder Lobby-Truppe einknicken? Da kann man immer noch im Notfall darauf verweisen, dass es unsere Nachbarn doch auch so machten. Dass diese Zahl zu hoch, jene zu niedrig sei. Erklärungen würden zu weit führen.
Blick trainieren und Schraube anziehen
Aber es muss gehandelt werden, und zwar jetzt sowie energisch. Auch das gehört zur Grundschulung in der Demagogie: So oft wie möglich von unermüdlicher, weil unabdingbar nötiger Arbeit reden. Den Blick trainieren, der zwischen Entschlossenheit, dem Ausdruck «lasst mich nur machen, ich weiss, was ich tue», leichter Erschöpfung und grundoptimistischer Ausstrahlung changiert.
Dann langsam die Schraube anziehen. Wer die Massnahmen der Regierung nicht aus voller Kehle und Herzen begrüsst, sogar Zweifel an der Richtigkeit durchschimmern lässt, dumme Fragen (siehe oben) stellt, der wird langsam, aber stetig zum Framing «Volksfeind» geschoben. Wer nicht voller Vorfreude und mit nacktem Oberarm die Impfung begrüsst, muss dann bald mal zu seiner Sicherheit und auch aller anderen ein Merkmal tragen, das ihn als verantwortungslosen Impfverweigerer stigmatisiert.
Immer auf die Haltung eindreschen, niemals auf Fragen direkt antworten
Schliesslich, damit sind wir bei diesem Grundkurs bereits am Ende, gibt es noch eine letzte, unschlagbare Mehrzweckwaffe. Niemals Meinungen diskutieren. Immer auf den Menschen dahinter zielen. Ja nicht: «Ihre Kritik ist falsch, weil.» Sondern immer: «Wenn Sie das kritisieren, zeigen Sie damit ihre unmenschliche, zynische, verschwörungstheoretische, leugnerische, lügenpropagandierende Haltung. Sie völlig amoralischer, verantwortungsloser Mensch. Ihre weitere Teilnahme an der Debatte wird nicht mehr geduldet.»
So macht man das, so machte man das. Bei guten Demagogen wie Cicero. Bei grässlichen Demagogen wie Goebbels. Die Methodik ist einfach und bewährt. Ach, letzter Tipp, bevor’s in den Kurs für Fortgeschrittene geht (also für alle, die gerne mal Politiker oder Journalist werden wollen): Immer entrüstet abstreiten, dass man selbst Demagogie betreibe. Diesen Vorwurf sofort spiegeln. Keine Bange, mit dieser Medienmacht im Rücken klappt das immer.