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Razzia bei „Inside Paradeplatz“

Eine gefährliche Justizposse.

Die Vincenz-Affäre klebt dem Herausgeber von IP wie ein Stück Hundekot an der Schuhsohle.

Neben vielen anderen Scoops enthüllte Lukas Hässig vermutlich krumme Geschäfte des gefallenen Raiffeisen-Stars Vincenz und seines Kompagnons Beat Stocker.

Das führte zur ersten Verurteilung eines führenden Bankers zu Knast. Sein Bundesgenosse kassierte sogar eine noch höhere Strafe. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig, weil sich hier eine weitere Justizposse entfaltete, verursacht durch einen überforderten Staatsanwalt und Sänger.

Die Staatsanwaltschaft eröffnete 2019 ein Verfahren gegen IP wegen vermuteter Verletzung des Bankgeheimnisses. Hand dazu bietet eine gemeingefährliche Verschärfung dieses Tatbestands aus dem Jahr 2015.

Wenn eine Grossbank wie die UBS unter gütiger Mithilfe des Bundesrats via Notrecht das Bankgeheimnis pulverisiert und tausendfachen Kundenverrat begeht, ist das kein Anlass für eine Strafuntersuchung.

Wie anders als aus mutmasslichen internen Quellen der Bank Bär konnte Hässig es wagen, diesen Skandal öffentlich zu machen.

Normalerweise ist es klar, dass das öffentliche Interesse an solchen Schwiemeleien genügt, um Strafuntersuchungen abzuklemmen.

Zudem ist es in diesem Fall völlig unklar, ob nicht eine Drittperson IP diese Informationen zur Verfügung stellte. Also sistierte die Staatsanwaltschaft 2021.

Dagegen erhob Stocker als Privat-Anzeigeerstatter Einsprache vor dem Obergericht. Und bekam Recht. Die Staatsanwaltschaft sistierte mit ausführlicher Begründung 2023 ein zweites Mal.

Stocker, mit dem Blick fürs Wesentliche, rekurrierte ein zweites Mal, wieder erfolgreich.

Im Herbst 2024 eröffnete die STA III erneut ein Strafverfahren.

Gedrängt von Stockers Anwalt verfügte sie im Mai 2025 eine Hausdurchsuchung von Hässigs Büro und seiner Wohung.

Das fand am 3. Juni statt. Hässig beantragte sofortige Siegelung der behändigten Unterlagen und Geräte.

Immerhin konnte er im Bericht lesen: „In der aufgeräumten Wohung konnten keine weiteren Sicherstellungen erhoben werden.“

Jahre nach der Aufdeckung des Skandals muss sich Hässig weiterhin mit dieser Zwängerei herumschlagen, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ergebnislos enden wird.

Das kostet Geld, Zeit und Nerven. Und ist ein weiterer Skandal in dieser an Skandalen überreichen Affäre.

Packungsbeilage: René Zeyer publiziert regelmässig auf IP.

Bank Reyl traut sich was

Eine superprovisorische Anordnung gegen Enthüllungen ist gescheitert.

Selten hat ein Genfer Gericht einem Antragsteller so eine Klatsche verpasst. Die Genfer Pochettli-Bank Reyl, genauer Reyl Intesa Sanpaolo, wollte mit dieser Massnahme ungute Presse vermeiden.

Seit 2021 gehört sie mehrheitlich zur italienischen Bankengruppe Intesa Sanpaolo, und sie hat eine Vorgeschichte. Im Zusammenhang mit der «Cahuzac-Affäre» wurde Reyl 2017 in Frankreich zu einer Geldstrafe verurteilt, da sie dem ehemaligen französischen Finanzminister Jérôme Cahuzac bei der Verschleierung von Vermögenswerten geholfen haben soll.

Jetzt berichtete die «SonntagsZeitung»: «Kurz nach dem Überfalls Russlands auf die Ukraine «eröffnete die Genfer Bank Reyl ein Millionenkonto für die Tochter eines russischen Kriegssponsors. Auch ein Ex-Minister von Wladimir Putin und Mitglieder von Diktatorenfamilien aus Usbekistan und Kasachstan gehörten bis mindestens 2024 zur Kundschaft der Bank Reyl. Besonders brisant: Alt-Bundesrätin Ruth Metzler war bis letzten Sommer acht Jahre lang Verwaltungsrätin bei der Bank Reyl und in diesem Gremium insbesondere zuständig für Fragen der guten Geschäftsführung.»

Als die Bank davon Wind bekam, weil sie wie es sich gehört vor Publikation mit den Anwürfen konfrontiert wurde, liess sie von ihren Anwälten ein 24-seitiges Schreiben mit der Aufforderung ans Gericht richten, diese Berichterstattung zu untersagen. Putzig die Begründung:

«— Die Existenz einer Bankbeziehung mit einem Kunden sei durch das Bankgeheimnis geschützt und dürfe in einem Artikel nicht erwähnt werden.
— Die Daten über Bankkunden seien unrechtmässig an die Medien gelangt, und wenn die Journalisten sie weitergeben oder nur schon «verwenden» würden, machten sie sich strafbar.
— Die Pressefreiheit gelte nicht, wenn die Veröffentlichung eine Straftat sei.
— Eine Offenlegung der Kunden wäre aber «zweifellos» eine Straftat.
— Die Bank sei gerade dabei, wegen dieser Tatsachen Strafanzeige zu erstatten.
— Eine Publikation basierend auf solchen Daten würde «den Ruf des gesamten Finanzplatzes Schweiz schädigen», wobei die finanziellen Folgen weit über den Schaden für die betroffene Bank hinausgehen könnten.
— Letztlich stünden hier sogar die Interessen der ganzen Schweizer Wirtschaft auf dem Spiel.
Das Schreiben an das Gericht schliesst mit einem Plädoyer: Angesichts der Bedeutung dieser Frage «für das Ansehen des gesamten Finanzplatzes Schweiz und für den Schutz des Bankgeheimnisses» sei ein Verbot des geplanten Artikels «vollkommen verhältnismässig».»

Auf ihrer Webseite sondert die Bank den üblichen Bullshit Bingo des Banking ab: «Success.Together». Das Geldhaus wurde 1973 gegründet und verfügt seit 2010 über die Lizenz zum Banking. Es fiel schon mehrfach bei der Finanzaufsicht FINMA auf, die zurzeit ein sogenanntes Enforcement-Verfahren durchführt, die schärfste Waffe, wenn Hinweise auf Rechtsverletzungen vorliegen.

Die Banker scheinen noch in der guten, alten Zeit zu leben, als ihr Handeln sakrosankt war und jede Kritik daran Majestätsbeleidigung.

Heutzutage zu behaupten, eine kritische, auf Fakten basierende Berichterstattung über ihr Tun schädige gar den «Ruf des gesamten Finanzplatzes Schweiz» – und nicht etwa das Handeln der Bank –, ist eine nassforsche Umkehr der wahren Lage.

Ihre Argumentation, dass die Veröffentlichung von Kundendaten eine Straftat sei, ist allerdings nicht ganz falsch. Denn theoretisch existiert das Bankgeheimnis noch, und diese Informationen stellen ein Bruch dar.

Auf der anderen Seite gibt es ein überwiegendes öffentliches Interesse daran, über dieses Geschäftsgebaren der Bank informiert zu werden.

Oder wie es das Gericht formulierte: «Die Verbreitung wahrer Tatsachen durch die Presse ist grundsätzlich durch den Informationsauftrag gerechtfertigt.»

Brenzlig wird es allerdings, wenn es sich herausstellt, dass behauptete Tatsachen nicht wahr sind. Die Hürden für die Erlangung einer solchen superprovisorischen Verfügung, die als einziges Rechtsmittel dem Betroffenen kein Gehör gibt, sondern zur Abwehr einer sonst nicht vermeidbaren Schädigung dienen soll, sind allerdings gesenkt worden, der Ständerat hirnt darüber, ob nicht einfach die Publikation aller rechtswidrig erlangten Informationen verboten werden sollte.

Da gibt es den guten Satz von George Orwell:

«Journalismus ist etwas zu veröffentlichen, was andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird. Alles andere ist PR.»

Viele Medien in der Schweiz fürchten inzwischen nicht nur superprovisorische Verfügungen, sondern juristische Scharmützel, die ein unliebsamer Artikel nach sich ziehen kann. Dabei geht es den Betroffenen nicht in erster Line darum, Recht zu bekommen, sondern der Publikationsquelle möglichst grossen finanziellen Schaden zuzufügen, der alleine schon durch die notwendige Gegenwehr entsteht.

Und in Zeiten eines verelenden Journalismus gehört es zu den vornehmsten Aufgaben der Redaktionsleiter, dieses Gefahrenpotenzial abzuschätzen – und im Zweifelsfall auf eine Publikation zu verzichten.

Blamables Laber-Interview

Anwalt Eckart Seith ist ein ausgesprochen mutiger Mann und deckte den Cum-Ex-Skandal auf. Tamedia quatscht ihn weg.

Es war ein kriminelles Gebastel, mit dem viele Beteiligte Milliarden verdienten, indem sie vor allem den deutschen Fiskus übers Ohr hauten. Es gelang ihnen, zweimal Steuern zurückzufordern, vereinfacht gesagt. In vorderster Linie war auch die Bank J. Safra Sarasin beteiligt; das kostete den letzten der Dynastie, Eric Sarasin, seinen Job, als die reiche Familie Safra die Bank schluckte.

Komplizierte Zusammenhänge, aber damals vom «SonntagsBlick» mundgerecht aufgearbeitet:

Und ja, der Artikel stammte von ZACKBUM-Redaktor René Zeyer, als man ihn noch im Hause Ringier schreiben liess. Während Seith seither in Deutschland als Held gefeiert wird, verfolgen ihn die Zürcher Strafverfolgungsbehörden bis heute, wegen angeblichem Verstoss gegen das Schweizer Bankgeheimnis.

Eine etwas komplizierte Kiste, also doch genau richtig für die Cracks vom sogenannten «Recherchedesk» des Tagi. Oliver Zihlmann ist dessen Co-Leiter: «Schwerpunkte seiner Berichterstattung sind vertiefte Recherchen – regelmässig in Kooperation mit internationalen Journalisten. Er ist Mitglied des International Consortium of Investigative Journalists ICIJ.»

Mit anderen Worten: er war daran beteiligt, dass von unbekannter Täterschaft gestohlene Geschäftsunterlagen als Hehlerware aufbereitet wurden, zu «Leaks», «Papers» und «Secrets» umbenannt, um dann mit ihrer Hilfe Ankläger, Richter und Henker zu spielen, indem nach undurchsichtigen Kriterien ausgewählte Personen an den medialen Pranger genagelt wurden.

Wie man inzwischen weiss, wurde die «Kooperation» internationaler Journalisten von einer Gruppe angefüttert, die ihrerseits von der US-Regierung mit Millionen finanziert wurde. Das mag erklären, wieso niemals die USA in all diesen Papers vorkamen. Obwohl dort die grössten Geldwaschmaschinen der Welt stehen, obwohl dort bis heute problemlos undurchsichtige Trusts und Holdings gebastelt werden können, nach der Devise «no questions asked».

Aber darüber schweigt das «Recherchedesk» peinlich berührt. Dafür ist Zihlmann aufgefallen, dass das Zürcher Obergericht darüber entscheidet, ob das Verfahren gegen Seith endlich eingestellt wird. Eine gute Gelegenheit, so als Recherchiercrack, mal kurz die Hintergründe des Falls auszuleuchten, der auch dem deutschen Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz Kopfzerbrechen bereitet, der sich einfach an nichts mehr erinnern mag.

Gute Gelegenheit, mal mit Anwalt Seith zu sprechen, der noch nie ein Blatt vor den Mund nahm. Gute Gelegenheit, die mehr als dubiose Rolle von J. Safra Sarasin auszuleuchten. Aber stattdessen:

Journalistisches Kleingeld, ein Interview. Ein Interview mit dem Verteidiger von Anwalt Seith. Mit Hammerfragen wie «Wird das Urteil auch politisch wichtig?» oder «Aber hat Eckart Seith dabei nicht das Bankgeheimnis verletzt

Aus dem müden Geplätscher von Frage und Antwort saugt Zihlmann dann den Aufreger-Titelquote: «Die deutsche Öffentlichkeit hat keinerlei Verständnis für die Schweiz». Und die Tagi-lesende Öffentlichkeit hat keinerlei Verständnis dafür, wieso das sogenannte Qualitätsorgan es nicht fertigkriegt, anlässlich dieses Prozesses nochmal die üblen Hintergründe des Cum-Ex-Skandals, die vielen Spuren in die Schweiz und das tapfere Verhalten der Schweizer Steuerbehörden aufzurollen.

Da wäre ein hübscher Finanzkrimi mit allen saftigen Details zu erzählen, wie der letzte der Sarasins reiche Deutsche einseifte und umgarnte, wie der ehemalige Steuerbeamte Hanno Berger den ganzen Betrug erfand und meinte, im Alpenreduit vor dem Zugriff der deutschen Staatsanwaltschaft sicher zu sein. Und es sogar schaffte, Wirtschaftsjournalisten so vollzuquatschen, dass sie ihm abnahmen, dass das die legale Ausnützung einer Gesetzeslücke sei. Es wäre die Unfähigkeit der deutschen Finanzminister zu erwähnen, es gäbe wirklich viel Unterhaltsames zu erzählen.

Nicht mal die Begründung, mit der Seith die Einstellung des Verfahrens beantragt, ist Zihlmann eine Frage wert. Seith hat nämlich erfolgreich – das Obergericht stellte das Verfahren am Donnerstag ein – bemängelt, dass einer der Staatsanwälte befangen gewesen sei. So wurde den Beschuldigten beispielsweise Akteneinsicht verweigert, rechtsstaatlich ungeheuerlich.

Es hätte also wahrlich einiges zu berichten gegeben.

Wenn man den Finger aus einer dafür nicht vorgesehenen Körperöffnung nehmen würde. Aber offenbar kommt das Recherchedesk nur mehr auf Touren, wenn ihm aus unbekannter Quelle ein Datenberg vor die Haustüre gekippt wird.

Stattdessen ein nicht mal an der Oberfläche kratzendes Interview mit dem Anwalt des Anwalts. Das jeder Praktikant auch nicht schlechter abgeliefert hätte. Bei dem jeder qualitätsbewusste Ressortleiter hätte sagen müssen: und wenn wir die Luft rauslassen, könnte das nicht auch eine Meldung auf fünf Zeilen werden?

Ach, Simon Bärtschi, der Qualitätsguru des Hauses, hätte eigentlich so viel zu tun. Was zur Frage verleitet: was tut er eigentlich so? Und gibt es ihn überhaupt noch?

«Schnallt eure Gürtel enger und zieht euch warm an!»

In Europa kommt die «Moral vor dem Fressen», in Asien ist es genau umgekehrt. Teil 3

Von Felix Abt

Hier geht es zu Teil 1, hier zu Teil 2.

Nun schikaniert Amerika China wieder, insbesondere mit wirtschaftliche Zwangsmassnahmen, aber die Chinesen wollen, dass ihr Land dieses Mal stark genug ist, um neue Demütigungen zu verhindern. Der Versuch der Amerikaner und ihrer westlichen Verbündeten, das 21. Jahrhundert in ein neues «Jahrhundert der Demütigung Chinas» zu verwandeln, dürfte daher viel schwieriger werden als beim letzten Mal.

Mehr als 60 Jahre lang, bis Juni 1928, wurden Chinesen (und Hunde) von den von ausländischen Mächten kontrollierten Stadtbehörden aus den Parks in Shanghai verbannt. Auf diesen Schildern hatten sie die «überlegenen» Werte des Westens deutlich gemacht.

Solange Amerika von freien Märkten und Wettbewerb profitiert, wird es dies respektieren. Wenn Wettbewerber auftauchen, die besser sind als amerikanische Unternehmen, werden sie mit Zwangsmassnahmen wie Sanktionen belegt. So zwangen die USA beispielsweise Chiphersteller und andere Zulieferer in der ganzen Welt, die Belieferung des führenden chinesischen Hightech-Unternehmens Huawei einzustellen, um es zu zerstören. Oder unter dem Vorwand, dass in der chinesischen Provinz Xinjiang ein – erfundener – Völkermord an Muslimen stattfindet und sie dort zur Zwangsarbeit gezwungen werden, erliess der US-Kongress ein Gesetz zum Boykott der dort produzierten Baumwolle, die billiger und besser ist als die amerikanische Baumwolle. Absurderweise werden 90 % der Baumwolle in Xinjiang nicht von Menschen, sondern von Maschinen gepflückt und verarbeitet, viele davon amerikanische John-Deere-Maschinen; und dieser Firma ist es nun auch verboten, an die Baumwollfarmen zu verkaufen, deren Besitzer meist muslimische Uiguren sind.

Laut einem Artikel der «Los Angeles Times» vom August 1992 war Toshiba in den 1980er Jahren Japans führender Chiphersteller mit einem Marktanteil von etwa 80 Prozent bei DRAM-Produkten (Dynamic Random Access Memory) im Jahr 1987. Wie Huawei wurde auch Toshiba von den Vereinigten Staaten aufgrund von «nationalen Sicherheitsbedenken» ins Visier genommen. Nachdem Toshiba und ein norwegisches Unternehmen 1986 hochentwickelte Fräsmaschinen an die Sowjetunion verkauft hatten, was auch Hersteller aus anderen westeuropäischen Ländern taten, schlug Washington zu und verhängte ein zwei- bis fünfjähriges Verbot für alle Produkte der Toshiba Corporation mit der Begründung, dass Verkäufe an die Sowjetunion eine Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA darstellten. Mit diesem vernichtenden Schlag konnten sich die USA eines überlegenen Konkurrenten entledigen und den Weg für ihre eigenen Chiphersteller frei machen. Die Unternehmen anderer Länder, die ebenfalls Fräsmaschinen an die Sowjetunion verkauften, blieben unbehelligt.

Alstom wurde einst als «französisches Industriejuwel» bezeichnet, weil das Unternehmen in verschiedenen Bereichen der Energie- und Verkehrstechnik weltweit führend war. Das Unternehmen hatte Kraftwerke, Stromübertragungssysteme und Eisenbahnen gebaut.

Als das Unternehmen Anfang der 2010er Jahre in vielen Ländern zu einem ernsthaften Konkurrenten des US-Riesen General Electric (GE) wurde, nahm Washington es ins Visier. Die Amerikaner schlugen zu, als sie behaupteten, zu wissen, dass Frédéric Pierucci, ein leitender Angestellter von Alstom und Mitverfasser des Buches «The American Trap», Bestechungsgelder an indonesische Beamte bewilligt hatte, um einen Geschäftsauftrag zu sichern. Er wurde 2013 von der Polizei auf einem New Yorker Flughafen verhaftet. Pierucci schrieb in seinem Buch, dass seinem Anwalt ein erpresserischer Deal angeboten wurde: Er sollte sich schuldig bekennen und innerhalb weniger Monate frei sein oder «bis zu 125 Jahre Gefängnis riskieren».

Im Zuge dieser Bestechungsvorwürfe wurden auch mehrere andere hochrangige Alstom-Manager in den USA verhaftet. Das Unternehmen wurde von den US-Richtern in dem Bestechungsfall zu einer saftigen Geldstrafe von 772 Millionen Dollar verurteilt. Das Damoklesschwert zusätzlicher «Strafen» schwebte weiterhin über dem Unternehmen. Im Jahr 2014 blieb Alstom nichts anderes übrig, als sich mit General Electric auf den Verkauf seiner Energie- und Netzsparten, den Filetstücken des Alstom-Konzerns, zu einigen. Mit der Zerschlagung dieses globalen Industrieriesen hat Amerika einen weiteren wichtigen Konkurrenten ausgeschaltet.

(Design Chappatte, publiziert von BBC am 21. Mai 2013)

Der Vollständigkeit halber möchte ich noch ein Beispiel aus der Schweiz erwähnen, das in ZACKBUM schon mehrfach diskutiert wurde: In der Schweiz wurde vor einigen Jahren das Bankgeheimnis mit anonymen Nummernkonten abgeschafft – aufgrund massiven Drucks der USA; eine Tatsache, die den meisten Menschen immer noch unbekannt ist und von denjenigen, die Rankings von Geldwäsche- und Steuerhinterziehungsparadiesen veröffentlichen, nicht berücksichtigt wird. Washington erlaubte jedoch amerikanischen Bundesstaaten, Briefkastenfirmen einzurichten, bei denen die wirtschaftlich Berechtigten nicht offengelegt werden müssen; sie bleiben so anonym wie bei den in der Schweiz auf Betreiben der USA abgeschafften Nummernkonten. Auch dies ist den meisten Menschen nicht bekannt.

Damit schalteten die USA einen wichtigen Konkurrenten aus, übernahmen dessen lukratives Geschäftsmodell und wurden ausserdem zur grössten Geldwaschmaschine der Welt. Zuvor wurden Offshore-Finanzzentren auf der ganzen Welt von Skandalen erschüttert, die auf gestohlenen Kundendateien beruhten, vor allem aus der Schweiz, aber auch aus Panama, Singapur und fast allen kleinen karibischen und pazifischen Inseln. Aber: Aus den USA, wo die meisten Steuern hinterzogen und schmutziges Geld gewaschen wird wie nirgendwo sonst, hat es es keine undichte Stelle oder Enthüllung gegeben. Ist das ein Zufall? Nein, es ist nicht die Aufgabe der NSA und anderer US-Regierungsstellen, amerikanische Banken zu überwachen und zu schädigen, sondern nur ihre ausländischen Konkurrenten. Man kann auch nicht erwarten, dass die britische Regierung, bekannt als Amerikas treuer Pudel oder die «Five Eyes» (ein wichtiger Teil des vereinigten Deep State angelsächsischer Länder unter der Führung Washingtons, der gemeinsam Sie, mich und den Rest der Weltbevölkerung ausspioniert), schmutzige Informationen über ihre riesige Geldwäschemaschine auf den britischen Inseln und insbesondere in der Londoner City, die die Financial Times als «Hauptstadt des schmutzigen Geldes» bezeichnet, weitergibt.

Unliebsame Konkurrenten zu vernichten, ihre angeblich illegalen und verfluchten Geschäfte zu übernehmen und sogar massiv auszubauen, ist also im besten aller Amerikas gang und gäbe. Und der Rest des Wertewestens toleriert es. Super!

Und so sieht Amerikas Unterstützung für Taiwan aus: mit allen Mitteln dafür sorgen, dass die Insel seine gigantische Chipindustrie an Amerika verliert! Danach dürfte die Wiedervereinigung Chinas mit Taiwan für Washington wohl kein Thema mehr sein. 

 See the big picture?

Nun, wer deutsche, schweizerische und andere europäische Medien konsumiert, dem wird es wahrscheinlich nicht gelingen, das ganze Bild zu sehen. Schon gar nicht, wenn man es bei Kerzenlicht sehen soll.

Nachdem die Schweizer Regierung sklavisch die antirussischen Sanktionen der Europäischen Union übernommen hat, ruft ihr Energiekommissar die Bevölkerung auf, Kerzen und Holz für die von der EU und seiner eigenen Regierung verursachte Krise bereitzustellen. Und statt diesen selbstverschuldeten Rückfall in die schlechten alten Zeiten zu kritisieren, rechtfertigen die Medien ihn lieber.

Vielleicht ist hier in Asien, wo ich viele Jahre gelebt, Geschäfte gemacht und Reisen unternommen habe, Bertolt Brechts Zitat «Erst kommt das Fressendann kommt die Moral» nicht geläufig, aber was er meinte, ist in diesem Teil der Welt eine selbstverständliche Realität. Im Gegensatz zu den wohlstandsverwahrlosten, saturierten und abgehalfterten Politikern und Journalisten, die den wirtschaftlichen Ausverkauf Europas betreiben, fordert hier niemand die Bevölkerung auf, ihren Wohlstand im Namen einer verlogenen Moral zu opfern, hinter der sich handfeste wirtschaftliche Interessen eines alternden, aber immer noch sehr aggressiven westlichen Imperiums verbergen.

Weinerlichkeiten

Tamedia traute sich nicht, gestohlene Bankdaten zu veröffentlichen. Nun wird nachgetreten.

Es gibt eine «UNO-Berichterstatterin für Meinungsfreiheit». Dieses Amt wird zurzeit von Irene Khan ausgeübt. In ihrem jüngsten Bericht kritisiert sie die Schweiz scharf.

Die Juristin aus Bangladesh machte in der UNO-Bürokratie Karriere, bis sie 2001 Generalsekretärin bei Amnesty International (AI) wurde. Von diesem Amt trat sie 2009 zurück. Aufsehen erregten ihre Bezüge (632’000 Franken), deren Publikation sie mit einer Geheimklausel im Vertrag verhindern wollte.

In diesem Zusammenhang ist ihr also Privatsphäre, vor allem im Finanziellen, durchaus wichtig. Das hindert sie aber nicht daran, die Schweiz scharf zu kritisieren, weil nach deren Bankengesetz Daten, die aus Banken gestohlen wurden, nicht veröffentlicht werden dürfen. Bzw. es drohen Strafen, wird dawider gehandelt.

2021 kritisierte AI ein drakonisches neues Sicherheitsgesetz in Bangladesch scharf und forderte die dortigen Behörden auf, sie «müssen die massiven Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Internet aufheben».

Das interessiert Khan hingegen weniger. Oliver Zihlmann, «Co-Leiter Recherchedesk Tamedia», traute sich wegen dieses Gesetzes nicht, aus der Credit Suisse gestohlene Daten auszuwerten. Das hatte er bereits ungeniert bei anderen Diebstählen gemacht, nur fanden die in weit entfernten Ländern wie Panama statt. In recht postkolonialistischer Manier war das Zihlmann egal; aber den Arm der Schweizer Justiz fürchtete er dann doch. Maxime: Hehlerware ausschlachten, immer gerne. Aber nur dann, wenn damit keine juristische Gefahr verbunden ist.

Ein völlig unvoreingenommenes Interview

Zihlmann eignet sich also ausgezeichnet, ohne Voreingenommenheit die UNO-Berichterstatterin zu interviewen. Die weiss: «Der pauschale Schutz des Bankgeheimnisses im Schweizer Gesetz verstösst gegen internationales Recht.» Denn laut der Juristin verstosse das «gegen die Menschenrechte», weil die «Weitergabe» von gestohlenen Bankdaten mit hohen Strafen belegt würden, «unabhängig davon, ob solche Daten auch im öffentlichen Interesse» stünden.

Dann operiert Khan mit der interessanten Konstruktion, dass es zwar schon möglich sei, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Das müsse aber «notwendig und verhältnismässig sein und darf nur dazu dienen, die Rechte und den Ruf anderer zu achten oder die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung, die öffentliche Moral und die öffentliche Gesundheit zu schützen». Daraus ergebe sich im Fall der Schweiz eine Vorzensur, eine Zensur, die Medien dürften nicht recherchieren, «ein klarer Verstoss gegen die Meinungsfreiheit».

Selbst dem juristischen Laien fällt hier auf, dass diese Behauptungen mit Widersprüchen gespickt sind. Bankdaten gehören eindeutig zur geschützten Sphäre eines Menschen oder einer Firma. Werden sie gestohlen und ausgeschlachtet, handelt es sich um die Verwendung von Hehlerware. Sieht ein Journalist trotz der Strafbedrohung ein öffentliches Interesse in der Publikation, muss er halt das Risiko auf sich nehmen, dafür bestraft zu werden.

Dieses Risiko geht jeder Whistleblower, jeder Assange, jeder Snowden ein. Aber weil Zihlmann dafür zu feige ist, lamentiert er lieber mit dieser Berichterstatterin über die unerträgliche Zensur in der Schweiz. Obwohl man hier, im Vergleich zu Bangladesch und anderen Unrechtstaaten, auf sehr hohem Niveau jammert. Immerhin räumt Khan ein: «Es gibt auf der einen Seite ein Recht auf Privatsphäre. Auf der anderen aber auch ein öffentliches Interesse, über illegale Finanzgeschäfte informiert zu werden

Das Problem ist dabei nur: aus den inzwischen Hunderttausenden von veröffentlichten gestohlenen Daten ergaben sich nur eine Handvoll von Strafverfahren weltweit, die in einer vergleichweise verschwindend geringen Zahl von Fällen zu Verurteilungen führten.

Trotz grossem Geheule und Gepolter in der Schweiz kam es allenfalls zu einer Handvoll Bussen, was in krassem Missverhältnis zum Geschrei über Briefkastenfirmen, kriminelle Handlungen, Steuerhinterziehung, Geschäfte mit Blutdiamanten oder Profite aus Menschenhandel steht, mit denen die diversen Datendiebstähle jeweils angepriesen wurden.

Khan legt sich wunschgemäss für Zihlmann in die Kurve:

«Das Schweizer Bankengesetz ist ein Beispiel für die Kriminalisierung von Journalismus. Das ist normalerweise ein Problem in autoritären Staaten.»

Man kann der Schweiz vieles vorwerfen, aber Kriminalisierung von Journalismus? Andersherum wird ein Schuh draus: in der Schweiz ist Journalismus immer öfter kriminell schlecht. So wie dieses Interview.