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Welcome to Metaverse

Nein, nicht in Zuckerbergs virtueller Welt. In der virtuellen Medienwelt.

Zumindest Jüngere oder Gamer kennen natürlich das Metaversum. Stichwort «Second Life» als eine der früheren und erfolgreichsten Manifestationen.

Man kann so mit Avataren in virtuelle Welten eintauchen, in denen vieles so wie in der realen Welt ist, anderes nicht. Es können Fantasiewelten sein mit Fabeltieren, fremden Planeten, Science Fiction. Man kann dort Machtfantasien ausleben, unvorstellbar mächtig, attraktiv, böse, schnell, potent oder was auch immer sein.

Letztlich ist es aber immer das Gleiche: es ist Realitätsflucht. Geradezu symbolisch muss man sich vor dem Betreten immer noch eine ziemlich klobige Brille aufsetzen, die allen Umstehenden klarmacht, dass sich hier jemand von der wahren Realität verabschiedet hat.

Wobei «wahre Realität» natürlich auch ein grosses Wort ist. Nicht umsonst beschäftigt sich die Erkenntnistheorie schon ein paar tausend Jährchen mit dem scheinbar banalen Problem, wie man das denn allgemeingültig definiert. Nein, was uns unsere Sinne zeigen, plus ein paar Hirnzellen, das stellt nicht die einzig wahre Realität da. Wir arbeiten viel mehr mit Übereinkünften, einfach aus dem Grund, weil wir ja über eine Realität kommunizieren müssen.

Wenn ich einen Tisch konsequent Kloschüssel nenne, lebe ich nicht in einer anderen Realität, habe aber ein Kommunikationsproblem. Wenn ich vermitteln will, WIE ich den Tisch sehe, da wird’s schon schwieriger.

Interessantes, weites Feld. Zurück zur banalen Realität von heute. Schon bei politischen Debatten über Themen innerhalb der Schweiz hat man häufig den Eindruck, dass diverse Teilnehmer nicht in der gleichen Schweiz leben, sondern jeweils in ihrer virtuellen Vorstellungswelt «Schweiz». Ist sie weiterhin ein Hort und Zufluchtsort für Blutgelder aus aller Welt, leben wir auf Kosten anderer Welten, haben wir unsere Geschichte von Sklaverei und Ausbeutung nicht aufgearbeitet, unterdrücken wir Frauen, sind wir fremdenfeindlich, ist Bauernsame, Alphornblasen und Bergsteigen billige Foklore, hassen sich die vier Sprachregionen von Herzen?

Auf all diese Fragen (und viele mehr) kann man völlig konträre Antworten bekommen. Von Bewohnern der Schweiz, die aber offenbar nicht in der gleichen Schweiz leben. Auch ohne virtuelle Brille vor den Augen.

Berichterstattung mit Virtual Reality 

Ähnlich, eigentlich noch verschärft verhält es sich mit Kriegsberichterstattung. Da setzen sich viele Journalisten in ihrer Verrichtungsbox im Newsroom eine unsichtbare virtuelle Brille auf. Sie erlaubt ihnen, alles schwarzweiss schraffiert zu sehen. Sie vermindert Komplexitäten und Widersprüchliches auf Banales und Eindeutiges.

Fast alle dieser Brillen geben die gleiche virtuelle Welt wieder. Daher gleichen sich auch die Schlagzeilen.

«Putin muss – und wird scheitern, Russenpanzer rollen durch Kiew, Kundgebung in Zürich, ist Kiew gefallen?, warum die USA nicht eingreifen, China spricht sich gegen Sanktionen aus, Die Schweiz schwankt zwischen Fassungslosigkeit und Sorge».

Das sind Titel aus Tamedia, CH Media, «Blick» und NZZ. Welcher von wo? Spielt doch keine Rolle.

Diese News sind wie Muzak. Fahrstuhlmusik, zur akustischen Untermalung, ein Hintergrundrauschen, das die Laune steigern soll, Liftnutzer mit Platzangst beruhigen, Kaufhausgänger zu Kaufräuschen animieren.

Niemand wirft dieser Muzak vor, dass sie keine Message habe, auf banalen Tonfolgen aufbaue, nichts Überraschendes, Kantiges, Herausragendes enthalte. Genau das ist die Definition ihrer Existenzberichtigung.

Leider trifft das auch auf immer grössere Gebiete des Journalismus zu. Als möchte man Mark Zuckerberg imitieren und aus einem journalistischen Metaverse berichten. Schliesslich gibt es eine wichtige Gemeinsamkeit: Sowohl Zuckerberg wie die Journalisten wollen damit Geld verdienen.

Es gibt allerdings auch einen wichtigen Unterschied: Zuckerberg macht kein Geheimnis daraus, dass er eine fiktive, virtuelle Welt schaffen will