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Dilemma banal

Gas und Öl gegen Rubel? Einfach erklärt.

Die meisten Medien sind nicht in der Lage, ein einfaches Dilemma einfach zu erklären. Die EU (und auch die Schweiz) ist zu fast 50 Prozent von russischen Gaslieferungen abhängig.

Während scharfe und schärfste Sanktionen verhängt werden, die armen Russen keine Luxusprodukte aus dem Westen mehr kaufen dürfen und die Vermögenswerte vieler reicher Russen im Westen beschlagnahmt werden, zahlt die EU brav und pünktlich die Gaslieferungen.

Das sind keine Peanuts, wir sprechen hier von rund 660 Millionen Euro oder Franken. Täglich. Nun befürchtet Russland, dass diese Devisen plötzlich auch von Sanktionen betroffen sein könnten. Nach der Devise: bitte sehr, hier die heutigen 660 Mio. Aber ausgeben dürft ihr sie nicht, sorry.

Das hiesse dann faktisch, dass Russland Gas gratis geliefert hätte. Auch wenn die EU das Gegenteil behauptet: die Beschlagnahmungen, auch die Restriktionen gegenüber der Russischen Notenbank, belegen, dass es mit Eigentumsgarantie und Rechtsstaat nicht allzu weit her ist, wenn es um Russland geht.

Also verlangt Russland, dass ab Freitag seine Rohstofflieferungen in Rubel bezahlt werden. Denn so wie die EU Herr des Euros ist, beherrscht Russland den Rubel. Das löste das Problem der Enteignung. Es bleibt aber das Problem, was sich Russland mit Rubel kaufen kann. Denn wer will im Westen schon diese Währung haben.

Die Auswirkungen eines Lieferstopps wären unüberschaubar

Aber das grössere Problem ist, dass die EU angekündigt hat, keinesfalls in Rubel, sondern weiterhin in Euro zu zahlen. Das entspräche auch den abgeschlossenen Verträgen. Wenn nun beide Seiten hart bleiben (und man hat sich in einen Clinch begeben, aus dem man ohne Gesichtsverlust nur schwer rauskommt), dann bedeutet das, dass Russland die EU-Zahlungen nicht akzeptiert und deshalb den Gashahn zudreht.

Das wiederum hätte unübersehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft der EU-Staaten. Eine Substitution der Hälfte des Gasverbrauchs ist auf die Schnelle nicht machbar. Fachleute sprechen von zwei Jahren.

Was wären die Auswirkungen? Industriell würde Chemie, Stahl- und Metallverarbeitung leiden, auch Düngemittelproduktion. Angesichts der hohen Vernetzung hätten solche Ausfälle flächendeckende Auswirkungen. In Deutschland ist die sogenannte Bundesnetzagentur dafür zuständig, die Zuteilung in Mangelsituationen zu regeln. Nach einem geheimen Schlüssel würden zuerst gewisse Industrieteile leiden, Privathaushalte nur im verschärften Fall, und ganz zuletzt sind Krankenhäuser oder Altersheime dran.

Deutschland verfügt über Gasspeicher; die sind allerdings nur zu 26 Prozent gefüllt und werden privat betrieben. Die Schweiz verfügt über keine Gaslager. Das sogenannte Pflichtlager soll für 4,5 Monate reichen; statt Erdgas wird hier aber Heizöl extra leicht gelagert.

Die Auswirkungen sind sehr komplex

Die Schweiz importiert 47 Prozent ihres Gasverbrauchs aus Russland. Genauer aus EU-Staaten. Rund 15 Prozent der verbrauchten Energie in der Schweiz wird aus Erdgas gewonnen. Am direktesten merken das Privathaushalte, die mit Gas beheizt werden.

Aber auch hier wären die Auswirkungen eines Lieferstopps komplexer. Denn die Schweiz muss in den Wintermonaten Strom importieren, der wird teilweise ebenfalls mit Gaskraftwerken hergestellt. Elektrizität macht 27 Prozent der verbrauchten Energie aus, auf Platz eins steht Erdöl mit 44 Prozent.

Das ist noch nicht alles. Russland ist weltweit der grösste Exporteur von Weizen, die Ukraine folgt hinter Frankreich auf Platz fünf. Für die Herstellung von Nahrungsmitteln ist Dünger unabdingbar. Kanada, USA, Russland und Belarus bilden ein Oligopol, das diesen Markt dominiert. Weniger Weizen, weniger Dünger: explodierende Nahrungsmittelpreise, eine Katastrophe für die Dritte Welt.

Hungersnöte in Gesellschaften, die zuvor mehr oder minder die Ernährung breiter Bevölkerungsschichten zu bezahlbaren Preisen garantieren konnten: das beinhaltet Sprengstoff, kann mit Leichtigkeit zu Unruhen, Bürgerkriegen, Explosionen, Umstürzen führen.

Die militärische Katastrophe in der Ukraine ist nur die Spitze des Eisbergs. Dass damit das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zerrüttet ist, ist ebenfalls ein bedeutender Kollateralschaden.

Die dramatische Abhängigkeit der EU (und auch der Schweiz) von russischem Erdgas rächt sich nun. Eine Eskalation – keine Zahlungen in Rubel, kein Erdgas mehr – hätte dramatische wirtschaftliche Auswirkungen im Westen wie in Russland selbst.

Nahrungsmittelknappheit und damit verbunden Hungerrevolten würden die Länder der Dritten Welt in ihrer Entwicklung um Jahre zurückwerfen.

Der militärische Angriff ist kein singuläres Ereignis

Also alles in allem ein unüberschaubares Desaster. Der Waffengang gegen einen souveränen Staat, der keinerlei Angriffshandlungen plante, ist ein Verbrechen. Es bricht das Völkerrecht und der Aggressor begibt sich damit ausserhalb der Weltgemeinschaft. Gleichzeitig sind das Machtdemonstrationen, wie sie Imperien lieben.

Daher ist dieser Krieg keinesfalls singulär. Erinnert sei nur an die völkerrechtswidrige und verbrecherische Invasion des Iraks, unter dem Fake-Vorwurf, dort würden Massenvernichtungswaffen hergestellt und Terroristen beherbergt. Oder an die Attacken der NATO während des Zerfalls von Jugoslawien. Ohne UNO-Mandat und mit dramatischen Verlusten unter der Zivilbevölkerung.

Das ist keine Auf- oder Abrechnung. Aktuelle Verbrechen wiegen immer schwerer als vergangene. Es soll nur dazu dienen, dass im Westen nicht zu aufdringlich mit dem moralischen Zeigefinger gewackelt werden sollte. Machtpolitik ist Machtpolitik und grauslich, amoralisch, menschenverachtend. Immer und überall.

Es darf gelacht werden: Papiermangel

Deutschland jammert, nun auch die Schweiz. Wenn für die Verrichtung das Papier fehlt.

Chips sind Mangelware. Intelligenz sowieso. Jetzt auch noch der Stoff, aus dem die Zeitungen und Zeitschriften sind. Wie persoenlich.com vermeldet, haben «20 Minuten», Tamedia, CH Media und NZZ angekündigt, dass die Zeitungsumfänge gekürzt werden.

Schuld daran sei ein allgemeiner Papiermangel, plus ein Brand in einer Zentralschweizer Papierfabrik. Nun haben es sich die Medien selbst zuzuschreiben, dass die spontane Reaktion ist: Fluch oder Segen?

Objekt der Begierde: Druckpapier.

Zum einen ist ja der grosse Vorteil des Internets, dass es unbegrenzt ist. Echt wahr. Da kann ein «Republik»-Redaktor noch so langfädig werden, es hat immer noch Platz für mehr. Obwohl das weniger ist, aber diese Dialektik versteht nicht jeder.

Auf jeden Fall gibt es nun weniger Papier. Das könnte nun zu einem neuerlichen Run auf Toilettenpapier führen, weil einige Konsumenten etwas missverstehen. Sie können immerhin die gute Entschuldigung verwenden, wenn man sie über das Missverständnis aufklärt: Wo genau ist der Unterschied?

Der Begriff «lügt wie gedruckt» kann allerdings nur mehr beschränkt verwendet werden. Wo weniger gedruckt wird, kann auch weniger gelogen werden. Überhaupt sind die Auswirkungen des Papiermangels ein Tummelfeld von dialektischen Widersprüchen.

Verwechslungen sind nicht ausgeschlossen.

Weniger Papier, weniger Platz für gedruckte Meinungen. Eindeutig ein Vorteil. Weniger Papier, mehr Platz für Buchstaben auf der Seite; es müssen nicht mehr halbseitige Porträtaufnahmen eines Bundesrats verbraten werden, um über die inhaltliche Leere hinwegzutäuschen.

Die Auswirkungen sind unüberschaubar

Allerdings, wenn es noch Fischhändler, Marktfrauen und Benützer des stillen Örtchens geben sollte, die Zeitungspapier als Allzweckwaffe einsetzen: was tun dann die? Plastik statt Papier, das lässt sich zum Einpacken verwenden. Aber zum Abwischen?

Ganz anderes Problem: Müssen dann Altpapiersammlungen unter strengen Schutzmassnahmen stattfinden? Also statt in Abfallwagen werden die wertvollen Papierbündel in gepanzerte Geldtransporter eingeladen?

Das ist natürlich nur die logische Konsequenz am Ende, vorher stellt sich die Frage: Wird Altpapier weiterhin gratis abgegeben? Oder müssen Papierbündel mit Geldbündeln abgelöst werden? Wird Altpapier gehortet, im Garten verbuddelt, in Tresorräume eingeschlossen? Wird es zur freiwilligen Bürgerpflicht erklärt, monatlich eine Minimalquote an Papier abzuliefern?

Wann werden Bücher rezykliert, wieso greift man nicht auf die altehrwürdige Herstellung von Papyrus zurück? Ist die Tradition der Verwendung von Tierhäuten zum Aufnotieren völlig vergessen gegangen? Dürfen wir an die ebenfalls altehrwürdige Methode des Palimpsests erinnern?

Könnte abgeschabt und wiederverwendet werden.

Kennt keiner mehr? Ist noch nicht so langer her. Mangel an Schreibunterlagen gab es immer wieder. Also schabte man den Text von Schriftstücken ab, oder man wusch sie, und schon war Platz für Neues geschaffen, hinweg mit dem Alten.

Viele Blätter eignen sich ebenfalls zum Beschriften, Strassenzüge, Häuserwände, eigentlich alle Oberflächen. Es muss ja nicht immer alles Gedruckte so hergestellt werden: