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Splitter und Balken

Die NZZ basht die «Magazin»-Berichterstattung. Mit einer Ausnahme.

Gleich zwei Redaktionskräfte bietet die NZZ auf, um die jüngsten Ereignisse in der «Magazin»-Affäre aufzuarbeiten. Lucien Scherrer und Nadine Brügger fallen über die Berichterstattung her:

Aber auch das Objekt dieses Medienskandals kriegt sein Fett ab: «Tatsächlich ist der ehemalige «Magazin»-Chefredaktor ein Beispiel dafür, wie weit es verbal übergriffige und charakterlich ungeeignete Personen in der Medienbranche bringen können, weil sie von Kollegen protegiert werden und Firmenverantwortliche wegschauen.»

Übergriffig, charakterlich ungeeignet? Kühne Ferndiagnosen. Oder schreiben die beiden hier über die ehemalige NZZ-Führungskraft Kenneth Angst? Während die NZZ hier mit Namensnennung austeilt, ist sie in einem anderen Fall vornehm zurückhaltend: «Der ehemalige Mitarbeiter, der die Geschichte mit dem Implantat verbreitete, arbeitete bis Anfang 2015 beim «Magazin».» Nicht nur diese Lügengeschichte verbreitete Mathias Ninck.

Auch mit dem rein Faktischen steht die NZZ auf Kriegsfuss: «Finn Canonica war von 2007 bis 2021 Chefredaktor des «Magazins», das sich als Leitorgan der linksurbanen Elite versteht. … Roshani arbeitete von 2002 bis 2021 beim «Magazin».» Es war bis 2022, im Fall Roshanis bis Ende 2022.

Richtig kritisiert die NZZ hingegen den Vergleich mit dem verurteilten Hollywood-Mogul Weinstein als «grotesk». Allerdings will auch hier das Blatt schön austariert gegen rechts wie links austeilen: «Dies auch, weil das Framing vom kleinen Werdstrasse-Weinstein für jeden Geschmack attraktiv ist. Rechte Medien wie die «Weltwoche» nahmen es zum Anlass, um die Doppelmoral vermeintlich progressiver Publizisten anzuprangern; Linke nutzten es, um der mächtigen und ihrer Meinung nach zu wenig linken TX-Gruppe (dem Mutterhaus von Tamedia) strukturellen Sexismus vorzuwerfen.»

Da mit dem «rechten Medium» René Zeyers Artikel in der «Weltwoche» gemeint ist, gegen den schon die NZZ-Mitarbeiterin Aline Wanner wäffelte: der hatte null und nichts mit einem «Framing vom kleinen Werdstrasse-Weinstein» zu tun. Konzernjournalismus ist auch dem Haus an der Falkenstrasse nicht fremd.

Während die NZZ aber lediglich Bekanntes aufwärmt, bekommt offenbar aus Futterneid ein anderer sein Fett ab: «Während mancherorts vertuscht wird, versuchen sich andere bereits an einer Reinwaschung Canonicas. So hat der Radiopionier Roger Schawinski am Mittwoch versucht, Finn Canonica als «weitgehend entlasteten» Mann darzustellen, was er trotz aller medialen Übertreibungen und Fehlleistungen nicht ist.»

Der «Versuch der Reinwaschung» Schawinskis bestand darin, ausführlich aus dem Untersuchungsbericht zu zitieren, den sich die NZZ nicht beschaffen konnte. Was zurzeit unbestritten übrigbleibt, ist die Verwendung von Hakenkreuzen und die häufige Verwendung von Wörter wir «fuck» oder «bullshit». Wenn das keine weitgehende Entlastung ist …

Das alles kann man aber einfach als wenig souveränes Abwatschen der Konkurrenz abbuchen. Die halt aufgrund von anonymen Quellen kübelweise Unrat über Finn Canonica und Tamedia ausgoss. Sehr peinlich wird es aber, wenn die NZZ darauf verzichtet, eigene Fehlleistungen auch gleich richtigzustellen. So erwähnt die NZZ genüsslich: «Die «Aargauer Zeitung» hat die Passage (über eine Plastikbrust auf dem Schreibtisch von Canonica, Red.) inzwischen kommentarlos gelöscht, weil sie auf Gerüchten und Übertreibungen basierte.» Ohne zu erwähnen, dass es sogar eine publizierte Entschuldigung an den Tamedia-Boss Pietro Supino absetzte.

Wie steht es allerdings mit solchen Passagen?

«Andere ehemalige «Magazin»-Angestellte beschreiben der …, wie die Angst vor der beschriebenen Willkür viele im inneren Kreis dazu gebracht habe, wegzuschauen und zu schweigen.»

Oder dieser hier:

«Roshani dagegen berichtet in ihrem Text von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen, die «Das Magazin» wegen Canonica verlassen und das gegenüber der Personalabteilung von Tamedia auch so kommuniziert haben. Das bestätigen ehemalige Mitarbeitende gegenüber der ….»

Welches Kolportageblatt hat denn diese Behauptungen, basierend auf anonymen Quellen, aufgestellt? Wer hat sich hier Aussagen von Roshani von angeblichen «ehemaligen Mitarbeitern» bestätigen, gar «Angst» behaupten lassen?

Das muss doch ein weiteres Beispiel für dieses Verdikt über die Behandlung Canonicas sein: «Sein Fall zeigt aber auch, wie unseriös und manipulativ führende deutschsprachige Medien zu Werke gehen, wenn es darum geht, einen Skandal zu vermarkten.»

Sehr richtig.

Erschienen sind diese beiden Texte jedoch in der – «Neuen Zürcher Zeitung». Die Autoren heissen Nadine Brügger und Lucien Scherrer. Ist das mal wieder peinlich.

 

Und der Rest ist …

Peinlich. Peinliches Schweigen bei Tamedia.

Die «SonntagsZeitung» soll angeblich helfen, den Montag bis Samstag zu verstehen. Letzte Woche war von Montag bis Samstag zumindest in medialen Kreisen ein einziges Thema interessant: der neuste Tamedia-Skandal.

Zu dem ist nämlich ein möglicher Canonica-Skandal oder ein möglicher Roshani-Skandal oder ein möglicher «Magazin»-Skandal geworden. Die aktuelle Chefredaktion des «Magazin»? Sie schweigt. Die Redaktoren, die ja nicht erst seit gestern an Bord sind? Sie schweigen. Ehemalige Mitarbeiter wie die schreibende Schmachtlocke Daniel Binswanger, früher mal eng mit Canonica? Schweigt.

Anonyme Heckenschützen, die allenthalben zitiert werden, dass alles noch viel schlimmer sei oder schon längst intern bekannt? Sie schweigen nicht, aber wie glaubwürdig sind Behauptungen von Journalisten, die sich nicht einmal trauen, mit ihrem Namen dazu zu stehen?

Also hat sich ZACKBUM auf Spurensuche begeben, ob es denn in der SoZ oder im «Magazin» wenigstens Andeutungen über diesen Skandal gibt.

Schon im Editorial von Arthur Rutishauser meinten wir, fündig geworden zu sein: «Ein Management, das hilflos versucht, Zuversicht zu verbreiten und sich ansonsten einigelt.» Könnte das eine Kritik an der unterirdische Performance von Pietro Supino sein? Mutig, könnte man meinen: «Genauso wie 2001 beim Swissair-Grounding ist es es auch heute wieder bei Tamedia.» Oh, Pardon, unser Fehler, «bei der Credit Suisse», schreibt Arthur.

«Wohin unsere Steuergelder gehen», ist eine Analyse auf Seite 4 überschrieben. Na, nicht zu Tamedia, aber das ist leider auch kein Beitrag zur Aufarbeitung des hausinternen Skandals. ««Gesundheit» wünschen oder ignorieren?» Ist das wenigstens ein Artikel über den Zustand von Finn Canonica? Leider nicht, es geht um viel Wichtigeres: «Was erwidert man auf ein «Hatschi»?» Das ist in Zeiten der politischen Korrektheit wahrlich nicht so einfach.

Aber hier vielleicht? «Sie nehmen die Hodenschrumpfung in Kauf». Ein bislang unbekannter Spruch des Ex-Chefredaktors? Schon wieder nein, es geht um Anabolika. Leserbriefseite? Nix. Harald-Schmidt-Interview: Sternstunde, aber auch nix über Canonica oder Roshani oder Supino. Aus die Maus.

Also nahm sich ZACKBUM «Das Magazin» vor; mit 32 Seiten immerhin schnell zu überblättern. Die Titelgeschichte ist aus dem «New Yorker» übersetzt. Soweit nichts Neues; Eigenleistung nur, wenn es gar nicht anders geht. Und es geht immer anders.

Auf Seite zwei ein längeres Editorial des nachgerückten Chefredaktors Bruno Ziauddin. Die Chance, endlich. Aber nein, Plattitüden, Seichtheiten und Lob eines «ambivalenten Verhältnisses zu Butter». Also alles in Butter.

Aber vielleicht die Kolumnisten, sonst immer schnell zur Hand, Schlimmes, Kaputtes, Fragwürdiges, Fehlerhaftes überall auf der Welt und auch in anderen Gazetten zu kritisieren. ZACKBUM setzte grosse Hoffnungen auf Philipp Loser. «Der Inhalt zählt nicht», ist seine Kolumne überschrieben. Ein Hinweis auf die Oberflächlichkeiten des Canonica-Ära? Leider nein, Loser verbreitert sich über Wahlen, mit Dumpfsätzen wie: «Diese Komponente  der inhaltliche Wahrnehmung ist ein Teil der Wahlentscheidung.» Wie man einen solchen Satz schreiben kann, ohne selber dabei wegzuschnarchen?

Aber vielleicht Katja Früh, sie dilettiert über «Liebe und Toleranz». Endlich eine Aufarbeitung des Verhältnisses zwischen Canonica und Roshani? Nein, verflixt, sie hat endlich auch noch den Briefwechsel Bachmann-Frisch gelesen. Nach allen anderen. Aber dann Kaltërina Latifi, «Wie viel Widerspruch halten Sie aus?» Ach was, Anlass zu banaler Nabelschau: «seit 2016 lehre ich zeitweise an einer Londoner Universität». Leider nennt sie den Namen nicht, damit man diese Bildungsstätte meiden kann.

Dass Christian Seiler als Fresspapst nichts zum Thema schreibt, okay. Ein Bericht über die Kreml-Propaganda? Wenn man auch wenige Seiten füllen muss, die bei 14 Seiten voller «New Yorker» noch übrigbleiben …

Max Küng vielleicht? Lachhaft. Als Frage an Hans Ulrich Obrist? Lachhaft. Und schon ist’s aus, das «Magazin». 10 Tage Tamedia-Skandal, 10 Tage das «Magazin» und seine Mannschaft im Feuer. Aufarbeitung, Reaktion, journalistische Analyse, Einordnung? Investigativ-Desk, all die überbezahlten und unterbeschäftigten Journis bei Tamedia, die sich endlich mal von der Betrachtung des eigenen Bauchnabels lösen könnten? I wo, nur kein Stress. Interessiert den Leser doch nicht.

Unfassbar.