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Aktivismus statt Journalismus Teil 1

«Rundschau»-Beitrag über Schaffhauser Prügelattacke: ein demagogisches Meisterwerk. Die minutiöse Aufarbeitung.

Von Thomas Baumann

Geschickte rhetorische Verknüpfungen, strategische Auslassungen: SRF lässt in seinem Bericht keinen Trick aus, um die Zuschauer auf den Weg seines Narrativs zu lotsen.
Vor zweieinhalb Jahren wurde eine Frau in Schaffhausen brutal verprügelt. Die Staatsanwaltschaft eröffnete daraufhin ein Verfahren, stellte Beweismittel sicher. So weit, so normal.
Weil das Opfer mit dem Fortgang der Ermittlungen offenbar unzufrieden war, gelangte es an SRF. Die Sendung «Rundschau» zimmerte daraus einen reisserischen Bericht. Seither rätselt und streitet die Öffentlichkeit darüber, was hinter dieser Tat im nordwestlichsten Zipfel der Ostschweiz steckt.
Fast täglich melden sich weitere Akteure zu Wort, kommen neue Fakten und Sichtweisen zum Vorschein. Die Affäre ist in Bewegung und für ein Fazit ist es definitiv noch zu früh.
SRF schafft ein eigenes Narrativ
Es lohnt sich aber, an dieser Stelle einmal einen genauen Blick darauf zu werfen, wie die «Rundschau» ihre Berichterstattung ursprünglich aufgebaut hat. Denn es ging offensichtlich nicht darum, neutral ein paar Fakten aufzulisten. Vielmehr sollte ein eigentliches Narrativ geschaffen werden. Die Sendungsmacher taten dies mit viel Geschick.
Die zwei Hauptvorwürfe, welche in der Sendung erhoben werden: 1. Schlampige Polizeiarbeit; 2. Ein Vergewaltigungsopfer sollte dazu gebracht werden, von einer Anzeige abzusehen. Als es nicht kooperierte, wurde es verprügelt, eingeschüchtert — und möglicherweise gleich nochmals vergewaltigt.
Die Klammer, welche die beiden Teile zusammenhält: Über das Opfer sagte SRF, «nicht nur die massiven Angriffe hätten sie traumatisiert, sondern auch das Vorgehen der Behörden, welche die Männer mit Samthandschuhen angefasst hätten
Mit anderen Worten: Das Opfer hat nicht bloss direkte rohe Gewalt erfahren, sondern ist darüber hinaus auch noch Opfer struktureller Diskriminierung und dadurch re-traumatisiert worden. Am Horizont zeichnet sich das Schreckgespenst des ‹Patriarchats› ab.
Ein Überblick über die Sendung vom 22. Mai:
Der Beitrag wird anmoderiert: «Eine Frau wird zum Essen eingeladen und dann von einer Gruppe von Männern spitalreif geschlagen. […] Bei der Aufklärung des Kriminalfalls aus Schaffhausen spielt die Polizei eine fragwürdige Rolle.» 10 Sekunden Prügelbilder von der Überwachungskamera, daraufhin Fabienne W., welche auf einem Sofa sitzt.
Eine Stimme sagt in bedeutungsschwangerem Tonfall: «Fabienne W. [das Prügelopfer] ist in Behandlung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Eine Folge der Misshandlungen, die sie erlebt habe, sagt sie.» Fabienne W. erzählt von ihrer angeschlagenen psychischen Gesundheit.
2. Minute: «28. Dezember 2021: Fabienne W. wird zum Abendessen eingeladen — in die Privatwohnung eines Anwalts, den sie flüchtig kennt.» Wieder Bilder der Überwachungskamera, erst friedlich, danach Prügelszenen. Dazu die Stimme aus dem Off: «In der Wohnung sind noch drei weitere Männer anwesend, alle Kumpel des Anwalts. […] Eine wehrlose Frau, vier Männern ausgeliefert.»
Nicht gesagt wird, wer die Einladung ausgesprochen hat. Fernsehzuschauer dürften stillschweigend davon ausgehen, dass die Einladung vom Hausherrn, d.h. dem Anwalt kam: Einladen kann man üblicherweise nur zu sich selbst — nicht in die Wohnung eines anderen. Eine Einladung zu einem Anwalt, den man persönlich nicht näher kennt, ist im Übrigen eher unüblich.
«Extreme Schmerzen»
3. Minute: «Am nächsten Morgen wird Fabienne W. in der Schaffhauser Altstadt gefunden und ins Krankenhaus gebracht. Sie macht eine erste Aussage: Ich habe an den Beinen, zwischen den Beinen, an den Armen und am Kopf extreme Schmerzen. […] Den extremen Schmerzen zwischen den Beinen wird nicht nachgegangen.»
Ungesagt bleibt: Einer der beteiligten Männer hat die Sanität angerufen. Durch die Unterlassung geht der Fernsehzuschauer davon aus, dass Fabienne W. entweder von den Tätern verletzt ‹am Strassenrand› liegen gelassen und von Dritten «gefunden» wurde — oder sich mit letzter Kraft selber aus der Wohnung retten konnte.
4. Minute: Auftritt eines «unabhängigen Experten», in der Person des renommierten Strafverteidigers Konrad Jeker. Dieser findet es «nicht verständlich», dass den laut SRF extremen Schmerzen zwischen den Beinen nicht forensisch nachgegangen wurde.
SRF blendet den Namen des Juristen falsch ein: «Roland Jeker, Strafverteidiger». Solche kleinen Fehler sind oft ein Hinweis, dass auch im Grossen nicht sauber gearbeitet wird: Man glaubt, sich um Details foutieren zu können.
Nichtwissen als Dreh- und Angelpunkt
5. Minute: Der Anwalt wird mit den Worten «Ich habe nichts gesehen und nichts gehört. Ich weiss es nicht» zu den Vorfällen in seiner Wohnung zitiert. Der Experte kritisiert den Anwalt für diese Aussage.
Grundsätzlich ist diese Aussage aus dem Einvernahmeprotokoll des Anwalts kaum relevant. Sie erfüllt aber zwei Zwecke: Einerseits gerät dadurch der Anwalt ins Visier und wird zu einem möglichen Nebenziel. Andererseits erlaubt das Stichwort des ‹Nichtwissens› eine elegante Überleitung:
«Später zeigt sich: Der Anwalt weiss weit mehr, als er anfangs behauptet. Er weiss zum Beispiel, dass sein alter Kollege, nennen wir ihn Peter, in grossen Schwierigkeiten steckt. Denn Peter soll Fabienne W. vergewaltigt haben, vor etwas mehr als einer Woche, am 16. Dezember 2021.»
Innert zwei Minuten und mit einem rhetorischen Kniff wird so aus einer ‹einfachen›, wenngleich brutalen, Prügelei eine potentiell gleich zweifache Vergewaltigung!
SRF zerrt den Sohn der Opfers vor die Kamera
6. Minute: SRF zerrt den Sohn des Opfers vor die Kamera. «Ihr Sohn glaubt, jemand habe seiner Mutter an jenem Abend [16. Dezember 2021] etwas ins Getränk gemischt.» Den Grund dafür nennt der Sohn mit treuherzigem Blick: «Ich kenne meine Mutter so nicht. Ich habe meine Mutter auch schon gesehen, als sie ein paar Gläschen zu viel gehabt hatte. Damals war sie niemals so gewesen, wie an jenem Abend dort.»
Peter wird mit der Aussage zitiert, es habe schon an der Party am 16. Dezember 2021 einen sexuellen Kontakt zwischen ihm und Fabienne W. gegeben. Fabienne W.: «Das ist nicht möglich!» Interviewer: «Warum nicht?» Fabienne W.: «Weil ich davon nichts weiss.»
7. Minute: In der Nacht kam es in der Wohnung von Fabienne W. gemäss Peter dreimal zu «einvernehmlichem» Geschlechtsverkehr. Fabienne W., wieder auf dem Sofa sitzend, schildert, dass sie am Morgen beim ersten Toilettengang herauslaufende Flüssigkeit zwischen ihren Beinen feststellte.
Anwesender Abwesender
8. Minute: Peter bekommt mit, dass herumerzählt wird, dass er Fabienne W. vergewaltigt habe. Er sucht juristischen Rat beim Anwalt. Dieser rät ihm, nichts zu tun. «12 Tage nach der mutmasslichen Vergewaltigung wird Fabienne W. zum Abendessen eingeladen — zum Anwalt nach Hause. Dessen Kumpel Peter ist an diesem Abend nicht anwesend.»
Wiederum ein rhetorischer Kniff: Obwohl der Abend offenbar nichts mit Peter zu tun hat, wird durch die explizite Erwähnung seiner «Abwesenheit» trotzdem eine Verbindung hergestellt.
9. Minute: «Der Anwalt sei an jenem Abend schnell auf die Vergewaltigung zu sprechen gekommen.» Fabienne W.: «Ich musste an den Tisch sitzen und mit dem Anwalt sprechen, dass ich keine Anzeige machen werde.»
In der Zwischenzeit ist aus weiteren Recherchen bekannt, dass Fabienne W. nicht vom Anwalt eingeladen wurde und dieser erst später dazu stiess. Der «Rundschau»-Beitrag vermittelte hingegen wiederholt den Eindruck, dass die Einladung vom Anwalt stammt.
Das ominöse Dessert
15. Minute: «W. habe angefangen zu randalieren, werden die Männer später sagen. Sie hätten lediglich versucht, sie zu beruhigen. W. vermutet hingegen, es sei um Einschüchterung gegangen. […] Zu sehen ist aber auch, wie die Männer mit der Frau im Schlafzimmer verschwinden. Erst nach sieben Minuten kommen sie wieder mit ihr raus. Was ist hier passiert? Auffällig, W. trägt nun Handschellen. Sie weiss von all dem nichts mehr.» Fabienne W.: «Ich weiss einfach, nach dem Dessert-Essen ging es mir nicht mehr gut.» Sie habe einen Filmriss gehabt.
Auch hier wieder rhetorisch geschickt verknüpft: Erst wird das Wort «Einschüchterung» in den Raum gestellt, dann eine mögliche Vergewaltigung insinuiert. Die schon früh in der Sendung — unter anderem durch den ersten Auftritt des Experten — thematisierten «extremen Schmerzen zwischen den Beinen» erlangen hier ihre volle Bedeutung.
Es bleibt jedoch bei der Andeutung, der schwere Vorwurf wird nicht weiter ausgeführt. Was haften bleibt: Die Assoziation von Vergewaltigung und «Einschüchterung». Eine Vergewaltigung zur Einschüchterung — in der Wohnung eines Anwalts? Starker Tobak!
Fortsetzung folgt.

Assange has left the building

Damit wurden früher tobende Elvis-Fans zum Ausgang getrieben. Heute eiern die Medien herum.

Persoenlich.com hat sich die Mühe gemacht, die Stellungnahme von Schweizer Berufsorganisationen und NGO einzuholen. Während «Reporter ohne Grenzen» sich einfach erleichtert zeigt und den Deal begrüsst, der zur Freilassung führte, meckert investigativ.ch daran herum. «Pressefreiheit verträgt grundsätzlich keine Deals mit Staatsbehörden», behaupten die Sesselfurzer. Nach ihnen hätte Assange wohl im Hochsicherheitstrakt krepieren sollen.

Syndicom hingegen begrüsst nicht nur die Freilassung, sondern kritisiert auch die «absolut unmenschlichen Haftbedingungen». Impressum fordert einen besseren Schutz von Whistleblowern.

Während sich bereits am zweiten Tag nach der Freilassung von Julian Assange die Mainstreammedien auf eher neutrale Reiseberichterstattung beschränken (nachdem sich vor allem bei Tamedia Kritikaster ausgetobt hatten), weist Renzo Ruf in der NZZ darauf hin, dass Assange sich für den Verstoss gegen ein Gesetz schuldig bekannt hatte, «das ursprünglich im Ersten Weltkrieg zur Verhinderung von Spionagetätigkeiten verabschiedet worden war».

Ansonsten regiert mal wieder die SDA; srf.ch, mangels eigenen Kräften, übernimmt die dpa.

Das war’s?

Ein wenig Würdigung, ein wenig Kritik, Vollpfosten wünschen dem Mann, dass er als tapferer Märtyrer in seiner Zelle hätte verfaulen sollen, denn ein aufrechter Verteidiger der Pressefreiheit gehe doch keine Deals ein.

Besonders lachhaft sind Kritiken an Assanges Grundhaltung, dass es die Aufgabe seiner Plattform sei, ihr zugespielte geheime Dokumente integral und ungeschwärzt zu veröffentlichen, auch wenn das darin angeführte Personen in Schwierigkeiten oder gar in Gefahr bringen könne.

Allerdings wäre die Alternative dazu das, was seit Jahren internationale Gangs von sogenannten «Investigativjournalisten» machen. Die bekommen von anonymen Quellen Millionen von vertraulichen und gestohlenen Geschäftsunterlagen zugespielt. Dann werten sie die monatelang im Geheimen aus und gehen mit krachenden Titeln über der Hehlerware an die Öffentlichkeit. Blutgelder, Oligarchen, Diktatoren, hochrangige Politiker, es werden Enthüllungen und Entlarvungen angekündigt (wie in der Titelillustration hier).

Dann gebären die Berge kleine Mäuse, unlängst beschwerte sich sogar ein Schweizer Vertreter dieser Zunft darüber, dass er versucht hatte, einen Skandal hochzuschreiben, der dann keiner wurde. Weil sich das Publikum nach der x-ten Wiederholung gähnend abwandte.

Das Problem dieser Methode ist allerdings: niemand kennt die Motive der Datendiebe; auffällig ist nur, dass die USA als Weltzentrale von Geldwaschmaschinen und anonymen Briefkästen nie vorkommen. Anschliessend treffen die Journalisten eine Auswahl nach Gutdünken, wen sie ans mediale Kreuz nageln wollen – und wen nicht. Schliesslich arbeiten die Ankläger, Richter und Henker mit juristisch abwattierten Konjunktiv-Unterstellungen, bis sie gelegentlich knirschend einräumen müssen, wie im Fall von Gunter Sachs selig, dass sie sich völlig verhauen haben.

Die Freilassung von Assange wäre eine Gelegenheit gewesen, dieses Verhalten kritisch zu hinterfragen. Aber doch nicht im Journalismus, der gegen alles kritisch austeilt – ausser gegen sich selbst.

Splitter und Balken

Die NZZ basht die «Magazin»-Berichterstattung. Mit einer Ausnahme.

Gleich zwei Redaktionskräfte bietet die NZZ auf, um die jüngsten Ereignisse in der «Magazin»-Affäre aufzuarbeiten. Lucien Scherrer und Nadine Brügger fallen über die Berichterstattung her:

Aber auch das Objekt dieses Medienskandals kriegt sein Fett ab: «Tatsächlich ist der ehemalige «Magazin»-Chefredaktor ein Beispiel dafür, wie weit es verbal übergriffige und charakterlich ungeeignete Personen in der Medienbranche bringen können, weil sie von Kollegen protegiert werden und Firmenverantwortliche wegschauen.»

Übergriffig, charakterlich ungeeignet? Kühne Ferndiagnosen. Oder schreiben die beiden hier über die ehemalige NZZ-Führungskraft Kenneth Angst? Während die NZZ hier mit Namensnennung austeilt, ist sie in einem anderen Fall vornehm zurückhaltend: «Der ehemalige Mitarbeiter, der die Geschichte mit dem Implantat verbreitete, arbeitete bis Anfang 2015 beim «Magazin».» Nicht nur diese Lügengeschichte verbreitete Mathias Ninck.

Auch mit dem rein Faktischen steht die NZZ auf Kriegsfuss: «Finn Canonica war von 2007 bis 2021 Chefredaktor des «Magazins», das sich als Leitorgan der linksurbanen Elite versteht. … Roshani arbeitete von 2002 bis 2021 beim «Magazin».» Es war bis 2022, im Fall Roshanis bis Ende 2022.

Richtig kritisiert die NZZ hingegen den Vergleich mit dem verurteilten Hollywood-Mogul Weinstein als «grotesk». Allerdings will auch hier das Blatt schön austariert gegen rechts wie links austeilen: «Dies auch, weil das Framing vom kleinen Werdstrasse-Weinstein für jeden Geschmack attraktiv ist. Rechte Medien wie die «Weltwoche» nahmen es zum Anlass, um die Doppelmoral vermeintlich progressiver Publizisten anzuprangern; Linke nutzten es, um der mächtigen und ihrer Meinung nach zu wenig linken TX-Gruppe (dem Mutterhaus von Tamedia) strukturellen Sexismus vorzuwerfen.»

Da mit dem «rechten Medium» René Zeyers Artikel in der «Weltwoche» gemeint ist, gegen den schon die NZZ-Mitarbeiterin Aline Wanner wäffelte: der hatte null und nichts mit einem «Framing vom kleinen Werdstrasse-Weinstein» zu tun. Konzernjournalismus ist auch dem Haus an der Falkenstrasse nicht fremd.

Während die NZZ aber lediglich Bekanntes aufwärmt, bekommt offenbar aus Futterneid ein anderer sein Fett ab: «Während mancherorts vertuscht wird, versuchen sich andere bereits an einer Reinwaschung Canonicas. So hat der Radiopionier Roger Schawinski am Mittwoch versucht, Finn Canonica als «weitgehend entlasteten» Mann darzustellen, was er trotz aller medialen Übertreibungen und Fehlleistungen nicht ist.»

Der «Versuch der Reinwaschung» Schawinskis bestand darin, ausführlich aus dem Untersuchungsbericht zu zitieren, den sich die NZZ nicht beschaffen konnte. Was zurzeit unbestritten übrigbleibt, ist die Verwendung von Hakenkreuzen und die häufige Verwendung von Wörter wir «fuck» oder «bullshit». Wenn das keine weitgehende Entlastung ist …

Das alles kann man aber einfach als wenig souveränes Abwatschen der Konkurrenz abbuchen. Die halt aufgrund von anonymen Quellen kübelweise Unrat über Finn Canonica und Tamedia ausgoss. Sehr peinlich wird es aber, wenn die NZZ darauf verzichtet, eigene Fehlleistungen auch gleich richtigzustellen. So erwähnt die NZZ genüsslich: «Die «Aargauer Zeitung» hat die Passage (über eine Plastikbrust auf dem Schreibtisch von Canonica, Red.) inzwischen kommentarlos gelöscht, weil sie auf Gerüchten und Übertreibungen basierte.» Ohne zu erwähnen, dass es sogar eine publizierte Entschuldigung an den Tamedia-Boss Pietro Supino absetzte.

Wie steht es allerdings mit solchen Passagen?

«Andere ehemalige «Magazin»-Angestellte beschreiben der …, wie die Angst vor der beschriebenen Willkür viele im inneren Kreis dazu gebracht habe, wegzuschauen und zu schweigen.»

Oder dieser hier:

«Roshani dagegen berichtet in ihrem Text von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen, die «Das Magazin» wegen Canonica verlassen und das gegenüber der Personalabteilung von Tamedia auch so kommuniziert haben. Das bestätigen ehemalige Mitarbeitende gegenüber der ….»

Welches Kolportageblatt hat denn diese Behauptungen, basierend auf anonymen Quellen, aufgestellt? Wer hat sich hier Aussagen von Roshani von angeblichen «ehemaligen Mitarbeitern» bestätigen, gar «Angst» behaupten lassen?

Das muss doch ein weiteres Beispiel für dieses Verdikt über die Behandlung Canonicas sein: «Sein Fall zeigt aber auch, wie unseriös und manipulativ führende deutschsprachige Medien zu Werke gehen, wenn es darum geht, einen Skandal zu vermarkten.»

Sehr richtig.

Erschienen sind diese beiden Texte jedoch in der – «Neuen Zürcher Zeitung». Die Autoren heissen Nadine Brügger und Lucien Scherrer. Ist das mal wieder peinlich.

 

Und der Rest ist …

Peinlich. Peinliches Schweigen bei Tamedia.

Die «SonntagsZeitung» soll angeblich helfen, den Montag bis Samstag zu verstehen. Letzte Woche war von Montag bis Samstag zumindest in medialen Kreisen ein einziges Thema interessant: der neuste Tamedia-Skandal.

Zu dem ist nämlich ein möglicher Canonica-Skandal oder ein möglicher Roshani-Skandal oder ein möglicher «Magazin»-Skandal geworden. Die aktuelle Chefredaktion des «Magazin»? Sie schweigt. Die Redaktoren, die ja nicht erst seit gestern an Bord sind? Sie schweigen. Ehemalige Mitarbeiter wie die schreibende Schmachtlocke Daniel Binswanger, früher mal eng mit Canonica? Schweigt.

Anonyme Heckenschützen, die allenthalben zitiert werden, dass alles noch viel schlimmer sei oder schon längst intern bekannt? Sie schweigen nicht, aber wie glaubwürdig sind Behauptungen von Journalisten, die sich nicht einmal trauen, mit ihrem Namen dazu zu stehen?

Also hat sich ZACKBUM auf Spurensuche begeben, ob es denn in der SoZ oder im «Magazin» wenigstens Andeutungen über diesen Skandal gibt.

Schon im Editorial von Arthur Rutishauser meinten wir, fündig geworden zu sein: «Ein Management, das hilflos versucht, Zuversicht zu verbreiten und sich ansonsten einigelt.» Könnte das eine Kritik an der unterirdische Performance von Pietro Supino sein? Mutig, könnte man meinen: «Genauso wie 2001 beim Swissair-Grounding ist es es auch heute wieder bei Tamedia.» Oh, Pardon, unser Fehler, «bei der Credit Suisse», schreibt Arthur.

«Wohin unsere Steuergelder gehen», ist eine Analyse auf Seite 4 überschrieben. Na, nicht zu Tamedia, aber das ist leider auch kein Beitrag zur Aufarbeitung des hausinternen Skandals. ««Gesundheit» wünschen oder ignorieren?» Ist das wenigstens ein Artikel über den Zustand von Finn Canonica? Leider nicht, es geht um viel Wichtigeres: «Was erwidert man auf ein «Hatschi»?» Das ist in Zeiten der politischen Korrektheit wahrlich nicht so einfach.

Aber hier vielleicht? «Sie nehmen die Hodenschrumpfung in Kauf». Ein bislang unbekannter Spruch des Ex-Chefredaktors? Schon wieder nein, es geht um Anabolika. Leserbriefseite? Nix. Harald-Schmidt-Interview: Sternstunde, aber auch nix über Canonica oder Roshani oder Supino. Aus die Maus.

Also nahm sich ZACKBUM «Das Magazin» vor; mit 32 Seiten immerhin schnell zu überblättern. Die Titelgeschichte ist aus dem «New Yorker» übersetzt. Soweit nichts Neues; Eigenleistung nur, wenn es gar nicht anders geht. Und es geht immer anders.

Auf Seite zwei ein längeres Editorial des nachgerückten Chefredaktors Bruno Ziauddin. Die Chance, endlich. Aber nein, Plattitüden, Seichtheiten und Lob eines «ambivalenten Verhältnisses zu Butter». Also alles in Butter.

Aber vielleicht die Kolumnisten, sonst immer schnell zur Hand, Schlimmes, Kaputtes, Fragwürdiges, Fehlerhaftes überall auf der Welt und auch in anderen Gazetten zu kritisieren. ZACKBUM setzte grosse Hoffnungen auf Philipp Loser. «Der Inhalt zählt nicht», ist seine Kolumne überschrieben. Ein Hinweis auf die Oberflächlichkeiten des Canonica-Ära? Leider nein, Loser verbreitert sich über Wahlen, mit Dumpfsätzen wie: «Diese Komponente  der inhaltliche Wahrnehmung ist ein Teil der Wahlentscheidung.» Wie man einen solchen Satz schreiben kann, ohne selber dabei wegzuschnarchen?

Aber vielleicht Katja Früh, sie dilettiert über «Liebe und Toleranz». Endlich eine Aufarbeitung des Verhältnisses zwischen Canonica und Roshani? Nein, verflixt, sie hat endlich auch noch den Briefwechsel Bachmann-Frisch gelesen. Nach allen anderen. Aber dann Kaltërina Latifi, «Wie viel Widerspruch halten Sie aus?» Ach was, Anlass zu banaler Nabelschau: «seit 2016 lehre ich zeitweise an einer Londoner Universität». Leider nennt sie den Namen nicht, damit man diese Bildungsstätte meiden kann.

Dass Christian Seiler als Fresspapst nichts zum Thema schreibt, okay. Ein Bericht über die Kreml-Propaganda? Wenn man auch wenige Seiten füllen muss, die bei 14 Seiten voller «New Yorker» noch übrigbleiben …

Max Küng vielleicht? Lachhaft. Als Frage an Hans Ulrich Obrist? Lachhaft. Und schon ist’s aus, das «Magazin». 10 Tage Tamedia-Skandal, 10 Tage das «Magazin» und seine Mannschaft im Feuer. Aufarbeitung, Reaktion, journalistische Analyse, Einordnung? Investigativ-Desk, all die überbezahlten und unterbeschäftigten Journis bei Tamedia, die sich endlich mal von der Betrachtung des eigenen Bauchnabels lösen könnten? I wo, nur kein Stress. Interessiert den Leser doch nicht.

Unfassbar.