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Geht Netflix für News-Medien?

Wenn man intelligente Überlegungen zur Medienmisere lesen will, braucht man die «Financial Times».

Wenn ein Ansatz und eine Idee einfach schlagend interessant sind, dann darf’s auch mal einfach eine Zusammenfassung sein. Vor allem, da ein Abonnement der FT in den zum Skelett niedergesparten Journalistenghettos in den Zentralredaktionen so selten ist wie Wasser auf dem Mars.

FT-Mitarbeiter Alex Barker geht von einer einfachen Frage aus. Was würde Reed Hastings tun, wenn er einen News-Verlag statt Netflix leiten würde? Die Überlegung liegt nahe, denn der Streaming-Ambieter Netflix ist das wohl erfolgreichste Internet-Portal der letzten Jahre. Börsenwert 195 Milliarden Dollar (mehr als Walt Disney) und über 200 Millionen zahlende Abonnenten weltweit.

Denkstoff für Medienverlage.

Hastings würde wohl drei Dinge tun: Die Web-Technologie verbessern, werbefrei arbeiten, keine Sidelines wie Veranstaltungen oder E-Commerce. Sondern Konzentration aufs Kerngeschäft: Newsherstellung.

Die erste Serienkrone für Netflix: The Crown.

Aber nun kommt’s: er würde am Abopreis schrauben. Nach unten. Ein einfacher Vergleich: mit 27 Dollar hat man in den USA vollen Zugang zu Netflix und kann Disney+ und Spotify mit seinen 70 Millionen Songs mieten. Mit 27 Dollar kann man ein Abo der New York Times, der Los Angeles Times, der Londoner Times für einen Monat abschliessen. Für eine dieser Zeitungen.

Netflix gibt mehr für Content aus als alle US-Newsverlage zusammen

Netflix plant, 2021 die Summe von 17 Milliarden Dollar für Content auszugeben. Also für Lizenzen und Eigenproduktionen. Das würde ausreichen, um alle Newsrooms in den USA zu finanzieren. Mehrfach. Laut einer Studie von PwC generieren alle News-Verlage in den USA zusammen dieses Jahr Einkünfte von 22 Milliarden Dollar.Aber nur ein Bruchteil davon wird ins Kerngeschäft, Journalismus, investiert.

Das ist in der Schweiz natürlich nicht anders. Oberste Priorität hüben wie drüben liegt auf Kostenreduktion als Gegenwehr bei sinkenden Inserateeinnahmen und Printauflagen. Inzwischen sind rund 10 Jahre vergangen, seit die ersten Bezahlschranken hochgezogen wurden. Nur eine Handvoll Publikationen haben es geschafft, mehr als eine Million zahlende Leser an sich zu binden.

Eine davon. Mehr als 1 Million zahlende Abonnenten. 75 Prozent digital.

Netflix über 200 Millionen. Über den Preis und ein riesiges Angebot für wenig Geld. Natürlich sind Newsproduktion und ein Streaming-Dienst mit immer grösserer Eigenproduktion von Filmen, Serien und Dokumentarstreifen nur bedingt vergleichbar.

Aber letztlich kämpfen beide um das gleiche Gut. Barker zitiert Rasmus Kleis Nielsen, Direktor des Reuters Institute der Universität Oxford. Er spricht von einem Kampf ums Überleben «im wettbewerbsstärksten Kampf um Aufmerksamkeit, den wir in der Geschichte der Menschheit gesehen haben». Während sich das Journalistengeschäft gerne als voll von hartgesottenen Realisten ausgibt, bezweifelte er, dass die Verlage «das Ausmass dieser Herausforderung wirklich begriffen haben».

Immer mehr hochklassige Documentals auf Netflix.

Im Vergleich zu den (wenigen) überlebenden US-Riesen oder in einer eigenen Liga spielenden Medien wie FT oder «Wall Street Journal» sind alle Schweizer Medienkonzerne Zwerge, die kleine Randgruppen bedienen.

Die Überlebensstrategien der Schweizer Verlage

Die verbliebenen Vier (lassen wir Lebruments Alpenimperium auf der Seite) haben vier verschiedene Strategien zum Überleben. Ringier setzt auf Diversifizierung und Digitalisierung und ganze Wertschöpfungsketten der Vermarktung. Also zum Beispiel Konzerte und Events, deren auftretende Künstler hochgejubelt werden, ein E-Shop verkauft Fanartikel, Content Publisher schreiben Biografien, Lobesstorys und Fanbücher.

CH Media setzt auf das Joint-Venture mit den verbleibenden Lokalzeitungen der NZZ, ein Multi-Kopfblatt-System und eine Multichannel-Strategie mit dem Aufkauf aller Privat Radio- und TV-Stationen, die nicht bei drei auf den Bäumen sind. Plus einen rein internetbasierten Versuch namens «watson», der aber bislang ein Millionengrab ist.

Tamedia setzt auf strikt separierte Profitcenter. Ohne Rücksicht darauf, dass die Standbeine aller Print-Titel – Stellen-, Immobilien- und Automarkt – ins Internet abgeschwirrt sind. Trotzdem sollen die so entkleideten News-Titel ebenfalls harschen Gewinnvorgaben entsprechen. Was eine mission impossible ist, die selbst mit weiteren drakonischen Sparrunden nicht erfüllt werden kann. Denn eine weitere Verdünnung des Contents würden die Leser irgendwann schlichtweg nicht mehr mitmachen.

Die NZZ setzt auf journalistischen Content und digitale Expansion nach Deutschland mit seinem zehnmal grösseren Publikum. Nicht ohne Erfolg, aber durch die Einbettung in den Zürcher FDP-Filz machte die schreibende Bank gewaltige Verluste beim Grounding der fliegenden Bank, trennte sich zudem ohne Not von ihrem hochmodernen Druckzentrum. Schliesslich bewies sie eine sehr unglückliche Hand bei der Wahl des CEO und des Internet-Verantwortlichen.

Wer fleissig FT liest, hat die Nase vorn

Beide grosse Schwätzer vor dem Herrn, aber in der Wirklichkeit gescheitert. Tendenziell hat, unter Anwendung der Netflix-Prinzipien, die NZZ die grössten Überlebenschancen. Mit ihrem Angebot in Deutschland, voller Zugriff auf das Digitalangebot für 100 Euro im Jahr ist sie zudem auch preislich auf dem richtigen Weg. Was sie allerdings in der Schweiz verlangt, das rechtfertigt nicht einmal die Hochpreisinsel Schweiz.

Mit deutlich mehr Investitionen in den Content, Einstellung von überflüssigen Extensions und massiven Preissenkungen könnte sie es schaffen. Wenn man in der Chefetage fleissig die FT und andere englischsprachige Qualitätstitel liest.