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Bombenstorys

Da macht man mal eine Woche Pause im Aburteilen der Sonntagspresse …

Schon regnet es Bombenstorys:

Eine genauso riesige wie hässliche Illustration auf der Front plus Editorial plus 5 Seiten widmet die NZZaS der Frage, ob Putin tatsächlich Atomwaffen einsetzen könnte, und wenn ja, warum nicht, und wenn nein, wieso doch, und überhaupt, und die Schweiz. Im Editorial schafft es Inland-Chefin Anja Burri tatsächlich, zunächst das Überangebot an Bombenstorys zu begründen, um dann versöhnlich die weinenden und Händchen haltenden Tennisstars Federer und Nadal anzuhimmeln: «Sie gehören nicht nur für ihr Tennis gefeiert, sondern auch dafür, wie sie allen zeigen, was männliche Stärke heisst.»

Ja was heisst sie denn, wenn wir der etwas merkwürdigen Formulierung der Autorin (Frauensprache?) folgen können. Öffentlich weinen und Händchen halten? Echt? Also diese Geste (aber bitte ohne weinen) ist höchstens bei solchen Gelegenheiten angebracht:

Verdun, Mitterrand, Kohl. Das war stark.

Ganz anders gewichtet die SoZ:

Federer, milder Winter, Macarons und sexuelle Revolution.

Nochmal anders geht’s der «SonntagsBlick» an:

Vielleicht ein Wort zum Faktischen. Putin hat angeordnet, 300’000 Reservisten einzuberufen. In Russland leben rund 68 Millionen Männer. Davon sind 43,5 Millionen im Alter von 15 bis 65, also potenziell mobilisierbar. Also werden zurzeit 0.69 Prozent aller waffenfähiger Männer mobilisiert. Etwas mehr als einer von 200. Für jeden, den’s trifft, eine Tragödie. Aber «Putin holt sich Russlands Söhne»? Nicht mal im Streubereich der Wahrheit.

Genauso wenig wie das Editorial: «Warum läuft Russlands Krieg gegen die Ukraine unter dem Buchstaben Z? … Z steht für da Ende des Schreckensregimes von Waldimir Putin. Zumindest ist der Verbrecher im Kreml am Ende seines Alphabets angelangt …» Oh je, Gieri Cavelty.

Man kann versuchen, ein schiefes Bild zu retten. Aber dafür grosszügig darüber hinwegsehen, dass das kyrillische Alphabet kein Z kennt?

Der nächste journalistische Tiefpunkt wird mit dem Interview mit dem EU-Botschafter Petrus Mavromichalis erreicht. Der darf unwidersprochen jede Menge Unsinn verzapfen: «Wir unterstützen sie mit Geld, Material und humanitärer Hilfe. Und zwar so lange, bis die Ukraine diesen Krieg gewinnt.» Mit der Hilfe der EU zum Endsieg über Russland? Was für ein Traumtänzer.

Schmallippig wird er aber, wenn er nach der Unterstützung von Deserteuren aus Russland gefragt wird. «Wir schützen Dissidenten aus allen Ländern. Aber wir müssen sorgfältig prüfen, ob Schutzbedürftige oder zweifelhafte Personen kommen.» Auf Deutsch: Die EU konnte sich noch nicht darauf einigen, wie sie Asylsuchenden aus Russland begegnen will. Während der Diplomat dann meint, dass die EU überhaupt nicht mit der aktuellen russischen Führung verhandeln könne, behauptet er nassforsch, dass die Schweiz schon noch mehr tun könnte: «Leider hat es der Bundesrat kürzlich abgelehnt, dass ausländische Staaten Waffen aus Schweizer Produktion an die Ukraine liefern können. Das ist eine verpasste Gelegenheit, etwas Gutes zu tun.»

Das kann man so sehen. Allerdings nur, wenn man keine Ahnung von der Schweizer Gesetzgebung bezüglich Waffenexporte in Kriegsgebiete hat. Sehr vage wird der Botschafter dann, was die Beziehungen der Schweiz zur EU betrifft: «Es gibt, wie gesagt, weiter Unklarheiten.» Auch mit dieser Antwort lässt ihn das Interview-Duo Danny Schlumpf und Gieri Cavelty davonkommen.

Daher darf der Botschafter auch zum Abschluss noch richtige Flachheiten absondern: «Die Schweiz und die EU sind Freunde und werden es immer bleiben. Freundschaft ist aber nicht dasselbe wie die Teilnahme am Binnenmarkt der anderen Seite.» Das ist wohl wahr, aber die Gültigkeit eigener Gesetze im anderen Land zur Voraussetzung für dessen Teilnahme am Binnenmarkt zu machen, auf diese Idee kommt weltweit ausser der EU niemand. Hätte man nachfragen können, aber dann wär’s kein Weichspüler-Wohlfühl-Interview geworden.

Zurück zum Organ der besseren Stände und wohlgeborenen Kreise. Die NZZaS wartet mit einer journalistischen Merkwürdigkeit der Sonderklasse auf:

Der Wirtschaftsbund beginnt mit einem Knaller. An der skandalgeplagten HSG hat offenbar ein Professor Mühe, zwischen seiner professoralen Tätigkeit und seiner Funktion als Mitbesitzer einer GmbH zu unterscheiden, die genau die gleichen Themengebiete beackert. Zudem ist seine Frau sowohl an der HSG als «Office-Managerin» wie auch in der GmbH als «Vorsitzende der GL und Miteigentümerin» tätig. Ein neues, saftiges Stück aus dem Fundus dieser Merkwürdig-Uni. Nur: obwohl das Tätigkeitsgebiet des HSG-Instituts ziemlich genau beschrieben wird, handelt es sich um «Herbert Künzle». Der heisse «in Wirklichkeit anders, es gilt die Unschuldsvermutung». Natürlich auch für seine Frau, «nennen wir sie Zita Bergmann».

Ds ist nun Borderline-Journalismus in seiner reinsten Form. Jeder Insider weiss sofort, wer gemeint ist. Aber die NZZaS versteckt sich hinter Pseudonymen. Wunderlich, sehr wunderlich.

Wir haben schon so ausführlich und so notwendig auf dem «NZZaS Magazin» herumgeprügelt, dass es die ausgleichende Gerechtigkeit verlangt, einen Artikel ausdrücklich zu loben:

Ds ist eine singuläre Leistung. Der Autor Daniel Etter ist zwar kein NZZ-Redaktor, aber es gereicht dem Magazin zur Ehre, diese Reportage veröffentlicht zu haben. Dafür verzichten wir auch auf eine kritische Würdigung des Rests des Inhalts …

 

Verbale Benimmregeln

Mit der Sprache ertasten wir die Wirklichkeit. Also benehmt euch!

Es gibt die berühmten zehn Regeln der Kriegspropaganda. Was Lord Ponsonby nach dem Ersten Weltkrieg aufschrieb, wurde oft kopiert, nie erreicht:

Lord Ponsonby (1871 – 1946).

«Die zehn Grundsätze der Kriegspropaganda:

1. Wir wollen den Krieg nicht

2. Das gegnerische Lager trägt die Verantwortung

3. Der Führer des Gegners ist ein Teufel

4. Wir kämpfen für eine gute Sache

5. Der Gegner kämpft mit unerlaubten Waffen

6. Der Gegner begeht mit Absicht Grausamkeiten, wir nur versehentlich

7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm

8. Künstler und Intellektuelle unterstützen unsere Sache

9. Unsere Mission ist «heilig»

10. Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter»

Das befolgen inzwischen wieder weite Kreise der Kriegsgurgeln in unseren Mainstreammedien.

Seither müssen nur wenige, nebensächliche Ergänzungen in Form von Dichotomien vorgenommen werden.

Der Gegner hetzt – wir informieren.

Der Gegner lügt – wir sagen die Wahrheit.

Der Gegner behauptet – wir sagen, wie’s ist.

Der Gegner ist fanatisiert – wir sind rational.

Der Gegner ist wahnsinnig – wir sind vernünftig.

Der Gegner ist Masse – wir sind Individuen.

Der Gegner ist böse – wir sind gut.

Der Gegner ist Barbar – wir sind zivilisiert.

Der Gegner verachtet das Leben – wir schützen es.

Was noch fehlt, ist die Definition des Gegners. Die muss möglichst einfach und klar sein. Jegliche Differenzierung ist überflüssig. Der Gegner ist der Russe. Jeder Russe. Ausser, der sei Dissident, Oppositioneller und habe sich öffentlich und deutlich von Putin und seinen Machenschaften distanziert. Aber selbst dann ist er in erster Linie Russe.

Das gilt nicht nur für heute lebende Russen. Auch frühere Russen sind kollektiv mitschuldig. Musiker wie Rachmaninow. Schriftsteller wie Dostojewski. Maler wie El Lissitzky. Theoretiker wie Bakunin. Wohl auch Sacharow. Solschenizyn. Alles Russen.

Der Iwan halt. Der russische Bär. Unzivilisiert. Irgendwie mongolisch barbarisch. Sagen wir’s doch, wie’s ist: der irgendwie immer noch bolschewistische Untermensch. Wild, verrückt, zügellos. Fanatisch, verführt, willenlos, Kampfmaschine, lügnerisch, arglistig, heimtückisch. Stalin. Dserschinski. Trotzki. Alles Umstürzler. Wollten und wollen den Weltbrand. Denen kann man nicht trauen.

Aber die haben Atombomben. Und schliessen deren Einsatz nicht aus. Diese Barbaren. Das tut man doch nicht. Wie bitte, die USA schliessen den Einsatz auch nicht aus? Die haben sogar bislang als Einzige Atombomben als Kriegswaffe eingesetzt?

Wer wagt es? Ein Defätist. Ein Putin-Versteher. Sicher vom Kreml bezahlt. Im besten Fall ein Verwirrter und Verführter. Im schlimmsten Fall ein Willi Wühler, ein Subversiver. Ein Vaterlandsverräter halt. Dem darf man keine Plattform geben. Da hört sich’s mit der Meinungsfreiheit aber auf.

Moskau einfach.

 

Fragen eines denkenden Laien

Afghanistan, du fernes Land des Nixverstan. Wieso beantwortet niemand banalste Fragen?

Seit den vorhersehbaren Terroranschlägen am Flughafen von Kabul geht die Tragödie ihren Gang, als sei sie von Sophokles geschrieben.

Aber genauso wenig, wie die meisten Schweizer Journalisten Sophokles ohne zu googeln kennen, sind und bleiben sie völlig unbeleckt von Kenntnissen über das Land am Hindukusch. Das ist nicht weiter schlimm, denn

es zeichnet ja den Journalisten aus, dass er nichts über alles oder alles über nichts weiss.

Auf jeden Fall eine klare Meinung dazu hat und mit dem beleidigten Bedauern des Ungehörten in alle Richtungen Kritiken, Zensuren und Besserwissereien verteilt. Auch das ist zwar nervig, aber nicht schlimm.

Fachwissen kann man sich ausleihen

Fachwissen kann sich der Journalist ja hereinholen, am besten, indem er einen Fachmann interviewt. Früher durfte der Spezialist auch noch etwas schreiben, aber dafür musste man ja ein Honorar zahlen, also fällt das weg; Interviews sind immer noch gratis. Meistens.

Also interviewt im «Tages-Anzeiger» ein gewisser Ronen Steinke einen gewissen «Islamwissenschaftler Behnam Said». Nur so als Beispiel herausgegriffen. Man sollte vielleicht wissen, dass Steinke natürlich nicht für Tamedia, sondern die «Süddeutsche Zeitung» arbeitet. Steinke hatte noch nie etwas mit Afghanistan zu tun, aber auch das macht ja nichts.

Islamwissenschaftler Said wiederum arbeitet für die Justizbehörde Hamburg und ist Autor mehrerer Bücher über Salafismus, den Islamischen Staat und Al-Kaida. Auch er hat mit Afghanistan nicht wirklich was am Hut.

Greifen wir nur eine Aussage heraus:

«Die afghanischen Taliban haben in erster Linie nationale Ziele.»

Das ist blühender Unsinn. Um das zu erkennen, genügt bereits die Erkenntnis, dass rund die Hälfte der afghanischen Bevölkerung Paschtunen sind, rund 15 Millionen. In Pakistan hingegen leben 20 Millionen Paschtunen. Wie häufig in der Geschichte wurde dieses Volk durch eine willkürliche Grenzziehung, hier die sogenannte Durand-Linie, von den britischen Kolonialherren getrennt. Das war 1893, das Volk der Paschtunen existierte schon Jahrhunderte vorher.

Wer keine banalen Grundkenntnisse hat, versteht nichts

Wer das nicht versteht, versteht die Rolle Pakistans, immerhin eine Atommacht, nicht. Wer noch nie von Belutschistan gehört hat, versteht Pakistan nicht. Wer nicht weiss, dass für China Afghanistan und Pakistan nicht klar unterscheidbare Ländern sind, versteht das Handeln des wichtigsten Players in der afghanischen Tragödie nicht. Ach, und dann gibt es noch Indien und den schiitischen Iran, und eine Handvoll Ex-sowjetischer Staaten, die sich unter dem militärischen Schirm der UdSSR entschieden wohler fühlten als heute.

Nehmen wir noch Bodenschätze dazu, das Scheitern aller westlichen Interventionen, geographische Gegebenheiten wie der mögliche Zugang Chinas ans Meer, dann hätten wir doch einen interessanten Katalog von Fragen über die zukünftige Entwicklung Afghanistans.

Komplex genug: aus «Le Monde».

Dabei wollen wir sicherlich auch nicht den Steinzeit-Fundamentalismus, die Organisation als Stammesgesellschaft, radikal-religiöse Strömungen, offene oder versteckte Unterstützer jeder Form von internationalem Terrorismus und pragmatischere Machtmenschen innerhalb der Taliban vergessen.

Aber wie in jeder Herrschaftsform, bei der Staat und Religion aufs engste verwoben sind, ist kein zweckrationales und verlässliches Handeln zu erwarten. Hingegen ein absehbares Desaster. Die Schalmeienklänge aus Doha, mit denen sich viele westliche Medien einlullen lassen, zeugen nur von einer beeindruckenden Lernkurve der Taliban.

In nur 25 Jahren haben sie gelernt, dass das Foltern und Aufknüpfen des afghanischen Präsidenten und seine Zurschaustellung an einem Betonpfosten nach der Machtübernahme keine so gute Idee war. Sie haben aber auch gelernt, dass ihre radikale Auslegung der Scharia und die Behandlung von Frauen schlechter als ein Stück Vieh nur leise Proteste auslöste. Das Genick brach ihnen damals die Wahnsinnstat der Al-Kaida unter Bin Laden gegen die USA.

Bin Laden wurde in Pakistan zur Strecke gebracht

Dummerweise hatten die Taliban all diesen Terroristen im Namen Allahs bereitwillig Unterschlupf gewährt. Bin Laden wurde dann allerdings in Pakistan zur Strecke gebracht, wo er unter dem Schutz des pakistanischen Militärs und Geheimdienstes jahrelang friedlich leben konnte. Gegenüber der pakistanischen Militärjunta (die wahre Macht im Land) trauen sich die USA aber nicht so aufzutreten wie in Afghanistan; die Atombombe macht den ganzen Unterschied.

Wie jede Kampftruppe, die an die Macht gekommen ist, müssen die Taliban sich nun mit ganz banalen Themen herumschlagen, wozu der Finanzhaushalt des Landes gehört. Wie werden sie das managen, bekanntlich ist ihre Haupteinnahmequelle die Herstellung von und der Handel mit Opium. Bei den hier umgesetzten Milliardenbeträgen braucht es Finanzinstitute, die die Geldströme bewältigen und Drogengelder weisswaschen.

Das wäre nun ein kleiner Strauss von laienhaften, nur aus oberflächlicher Beschäftigung mit Afghanistan gewonnenen Themenfeldern.

Das führt zur banalen Frage eines Laien: Wieso bekommen wir dazu keine Antworten? Wieso kreisen wieder einmal 99 Prozent aller Beiträge um die Begriffe Terror, Burka, Steinzeit-Regime? Wieso werden die ewigen, wenigen, überschaubaren Fragen durch die Medienmühlen gedreht, bis sie zu Staub gemahlen sind und dem Publikum im Mund knirschen?

Zentralregierung? Lachhaft.

Banale Fragen eines Laien

Wieso werden diese Themenfelder nicht wenigstens skizziert, abgesteckt, untersucht? Vieles davon ist vom Schreibtisch in Zürich, in München, in Hamburg möglich. Statt arme Korrespondenten, die tausende Kilometer von Kabul entfernt sind, mit Fragen nach der Einschätzung der Lage am Flughafen zu belästigen.

China, Pakistan, Indien. Das sind die wichtigsten Player auf dem Spielfeld. Wird es den Paschtunen diesmal gelingen, den Traum eines eigenen Staates zu verwirklichen? Wird Pakistan implodieren (oder schlimmer noch: explodieren)? Geht Chinas Rechnung auf; Rohstoffe, Korridor ans Meer, Kontrolle?

Andere Seidenstrasse: der «Korridor». Gewusst?

Sind doch faszinierende Fragen. Könnte doch jeder drauf kommen, nicht nur der Laie von ZACKBUM. Letzte banale Frage: Wieso nicht? Ketzerische Überlegung: Könnte das vielleicht daran liegen, dass im Journalismus inzwischen an allem gespart wird – ausser an arroganter Dummheit, Selbstverliebtheit und aus Unsicherheit über die eigene Zukunft geborenem Desinteresse an der Welt?