Der Nutella-Skandal
Tamedia lotet Tiefebenen der kulinarischen Kritik aus.
Redaktorin Claudia Schmid durfte auf Redaktionskosten was kosten. Daher probierte sie mit Mann und Kind «La Soupière» im Hotel Schweizerhof in Zürich aus. Wir lassen mal beiseite, was ein Kind, das auf Schnipo steht, in einem Luxusrestaurant zu suchen hat. Aber schön, wenn es auf Spesen mitessen darf.
Nun leidet der Gatte anscheinend unter einer Nussallergie, was natürlich bedauerlich ist. Nichtsdestotrotz bestellte er eine Schokoladentarte zum Dessert. Als Allergiker sollte er eigentlich wissen, dass solche Speisen meistens Spuren von Nüssen enthalten.
Allerdings wies ihn anscheinend der Kellner nicht auf diese Selbstverständlichkeit hin, trotz Nachfrage. Nun behauptet Schmid aber im Artikel, die Tarte bestünde «zum Grossteil aus Nutella». Das wäre nun ein kulinarischer Betriebsunfall erster Güte für ein Lokal dieses Niveaus.
Deshalb stimmt es natürlich auch nicht, wie eine Nachfrage ergibt:
«Unsere Patisserie verwendet grundsätzlich kein Nutella für unser Dessert.»
Schmid zeichnet sich bei dieser Restaurantkritik nicht nur durch eine banal-rustikale Beschreibung der Speisen aus («schön angerichtet ist der Salat») oder durch Unkenntnis von Champagnerpreisen. Wie sie allerdings auf die abwegige Idee kommt, ein Luxuslokal verwende die Frückstücksschmiere Nutella (besteht aus Zucker mit Zutaten von Palmöl, gerösteten Haselnüssen, Milchpulver, Kakao, Sojalecithin und Vanillin) für eine Tarte, ja das sei sogar der «Grossteil» dieses Desserts, das ist nun wahrlich verblüffend.
Aber immerhin, auf Anfrage griff sie zum Telefonhörer und redete ohne Punkt und Komma. Um das zusammenzufassen: in der Tarte habe es ihrer Meinung nach etwas Haselnussiges drin gehabt, sie habe den Begriff «Nutella» unwidersprochen gegenüber dem Restaurant verwendet, und sie sehe zudem nicht ein, wieso auf diesem Wort so herumgeritten werde, da gäbe es doch wirklich Wichtigeres.
ZACKBUM will aber für einmal dem journalistischen Brauch frönen und aus einem Haselnussspurenelement einen Nutella-Skandal machen.
Dass ein Allergiker etwas Schokoladiges bestellt, ist sein Fehler. Dass der Kellner auf Nachfrage nicht darauf hinweist, dass solche Nachspeisen immer Spuren von Nüssen enthalten können, ist sein Fehler. Dass Schmid behauptet, das Dessert habe «zum Grossteil aus Nutella» bestanden, ist ihr grober Fehler.
Es gibt Wichtigeres, das stimmt. Naher Osten, Ukraine, Trump, Putin, die Welt. Aber es gibt nichts Wichtigeres als Genauigkeit, die Beherrschung des Handwerks und das Einhalten eines gewissen Niveaus, auch bei einer Restaurantkritik.
Was aber wie immer herausragend ist: die völlige Abwesenheit auch nur von Spurenelementen einer Selbstkritik oder Einsicht in einen begangenen Fehler. Stattdessen Rabulistik und «Irritation» wegen einer solchen Kritik.