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Keine Zustände?

Gleich zwei Institutionen unter Beschuss.

Der Schweiz-Split der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» macht der «Tanzakademie Zürich» (TAZ) schwere Vorwürfe. Es herrsche ein Klima der Angst, es werde von Demütigungen und Übergriffen berichtet, psychischen Problemen und Essstörungen.

13 ehemalige Absolventen sprachen mit der «Zeit» über «psychischen Missbrauch, systematische Erniedrigungen und Bodyshaming». Die Leitung der ZHdK hat eine interne Untersuchung angekündigt.

«Das Kindswohl ist gefährdet», so titelt Tamedia einen ausführlichen Bericht über die «unhaltbaren» Zustände im Jugend-Asylheim Lilienberg. In dieser Auffangstation für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, in der 90 Teenager zwischen 14 und 17 Jahren leben, mangle es an Betreuung, Insassen berichten von Gewalt, Alkohol, Selbstverletzungen und Suizidgedanken.

Hier haben sich sieben ehemalige Mitarbeiter mit einem Dossier an drei verschiedene Medien gewandt. Ihre Vorwürfe richten sich in erster Linie gegen die Asylorganisation Zürich (AOZ), die das Heim betreibt. Die AOZ ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt der Stadt Zürich, die daher eine interne Untersuchung gestartet hat.

Es gibt Gemeinsamkeiten wie aus der «Republik»

Beide Fälle haben Gemeinsamkeiten. Zunächst einmal erinnern sie fatal an das Skandalisierungsmuster der «Republik». Zuletzt im Fall «Globe Garden» versuchte das Organ mehrfach, sogenannte Skandale aufzudecken. Die Methode: anonyme Mitarbeiter schimpfen über ihren ehemaligen Arbeitgeber. Leider könnten aus Angst vor Repressionen keine Namen genannt werden.

Solche heimtückischen Anschwärzungen machen es dem Angegriffenen sehr schwer, adäquat darauf zu reagieren. «Globe Garden» beauftragte eine angesehene Kanzlei damit, den Vorwürfen nachzugehen. Resultat: nichts, rein gar nichts liess sich erhärten – soweit überhaupt genügend konkrete Angaben vorhanden waren, um Vorwürfen auf den Grund zu gehen.

Im Fall der TAZ outen sich immerhin vier der insgesamt 13 Kritiker mit Namen. Im Fall Lilienberg bleibt es bei der Anonymität.

Es ist nun selbstverständlich, dass die Medien solchen Vorwürfen nachgehen sollten, sogar müssen. Es ist auch bis zu einem gewissen Grad verständlich, dass auch Personen, die in keinem Abhängigkeitsverhältnis mit von ihnen kritisierten Organisationen stehen, nicht unbedingt mit Namen dazustehen wollen. Aus welchen Gründen auch immer.

In solchen Fällen muss aber die Berichterstattung besonderen Sorgfaltspflichten genügen. Denn der Journalist kennt die anonymen Denunzianten – und hoffentlich auch ihre Motive. Also muss der Leser dem Journalisten glauben, dass der nicht auf rachsüchtige Betroffene hereingefallen ist. Wie das Beispiel «Republik» zeigt, sind nicht viele Redaktoren dieser Aufgabe gewachsen.

Zudem gibt es ein gemeinsames Motiv für den Kritiker wie für den Journalisten. Beide wollen mit dieser Story in die Öffentlichkeit und in die Schlagzeilen kommen. Dem Kritiker geht es dabei entweder um die Sache – oder um seine Rache. Dem Journalisten geht es darum, mit dieser Story selbst bekannter zu werden, einen Primeur zu landen, an Reputation zu gewinnen – oder in einem Wort: Arbeitsplatzsicherheit vergrössern. Eventuell sogar die Karrierechancen. Was im zu Tode gesparten Journalismus sehr viel Wert ist.

Untersuchungen solcher Vorwürfe ziehen sich naturgemäss hin. Selbstverständlich ist es weder dem Kritiker noch dem Journalisten zuzumuten, das Ergebnis abzuwarten, bevor der Bericht veröffentlicht wird.

Resultate werden – wenn überhaupt – ganz klein vermeldet

Es ist allerdings auch so, dass ein Resultat, das die Vorwürfe nicht bestätigt, wenn überhaupt nur ganz klein vermeldet wird. Oder überhaupt nicht, was das Prinzip der «Republik» ist. Nun ist Tamedia nicht mehr gerade als Hort der verantwortungsbewussten Berichterstattung bekannt, erinert sei an den Fall des angolanisch-schweizerischen Geschäftsmanns, der mit haltlosen Beschuldigungen fertiggemacht – und niemals rehabilitiert wurde.

Also dürfen wir gespannt sein. «Die Zeit», zumindest in ihrer deutschen Ausgabe, ist schon noch ein anderes Kaliber. Sollte sich beim Fall der TAZ herausstellen, dass die Vorwürfe haltlos, schwer übertrieben oder nicht belegbar sind, hat die Redaktion des Schweizer Splits ein gröberes Problem. Die Autorin des Beitrags ist bislang nicht als knallharte Recherchierjournalistin aufgefallen, die Skandale aufdeckt.

Es ist zu hoffen und zu wünschen, dass beide Skandalstorys verhebbet, wie man auf Schweizerdeutsch so schön sagt. Dann sind sie zwei Glanzlichter im verelenden Journalismus. Der Beweis, dass er dennoch ab und an seiner wichtigsten Funktion nachgehen kann. Recherchieren, aufdecken, Licht in Dunkelkammern werfen.

Tun sie das nicht, wäre schon wieder ein Stück der zerbröckelnden Reputation des Aufklärungsjournalismus abgebrochen.