Schlagwortarchiv für: antisemitisch

Dschihad im Tagi

Anti-israelische Schmierereien, Beschimpfungen und Meinungszensur.

Von Christoph Mörgeli*

Der Gaza-Krieg reicht inzwischen weit in den Schweizer Alltag. «Fuck Israel» hat ein Unbekannter am Montag in grossen Lettern auf den Asphalt geschrieben. Dies geschah nicht irgendwo, sondern vor dem Eingang des vielbesuchten Coop-Supermarkts an der Zürcher Bahnhofbrücke. Über lange Zeit dachte niemand daran, das Gekritzel zu entfernen, das nicht nur Einheimische, sondern auch viele Sommertouristen aus aller Welt befremden musste. Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Ende Juni beunruhigten in Zürich verschiedentlich grosse rote Dreiecke an Betonwänden und linksautonomen Begegnungsorten. Mit diesem Symbol hat die Terrororganisation Hamas nach dem 7. Oktober israelische Ziele zum Abschuss freigegeben. Auch bei den Schmierereien an fünf jüdisch geführten oder mit jüdischen Künstlern verbundenen Zürcher Galerien tauchten rote Dreiecke auf. Die deutsche Wochenzeitung Jüdische Allgemeine kommentierte: «Juden als Zielscheibe. Ein glasklarer Mordaufruf».

Bei den Parolen an den Kunstgalerien ging es keineswegs um einigermassen versteckte Symbolik. «No Art for Genocide» stand da sowie «Free Palestine» oder «Not Support Zionism». Bereits Mitte März hat die Zürcher Stadtpolizei nicht weniger als vier Dutzend Ereignisse mit mehr oder weniger klar antisemitischem Hintergrund vermeldet. Bei drei Vierteln handelte es sich um Graffitis oder Schmierereien. Trauriger Höhepunkt bildete indessen die Messerattacke mit fünfzehn Einstichen auf einen orthodoxen Juden, verübt von einem aus Tunesien stammenden Fünfzehnjährigen.

Löschung von Pro-Israel-Kommentaren

Ob die Schmierattacken von Migranten mit muslimischem Hintergrund oder von hiesigen Linksaktivisten stammen, bleibt vorderhand unklar. Sicher ist aber, dass es pro-israelische Stimmen in gewissen Medienforen schwer haben, überhaupt zu Wort zu kommen. Entsprechende Kommentare werden beim Tages-Anzeiger oder beim Bund massenweise abgelehnt, während pro-palästinensische und Hamas-freundliche Einträge selbst bei fragwürdigsten Inhalten die Kontrolle problemlos passieren. Der Weltwoche liegen unzählige Beiträge vor, die von Tamedia mit der Standardmitteilung abgelehnt wurden: «Um einen angenehmen, sachlichen und fairen Umgang miteinander zu gewährleisten, publizieren wir keine Beiträge, die sich im Ton vergreifen. Dazu gehört die Verwendung von polemischen und beleidigenden Ausdrücken

So unterbindet die «manuelle Moderation» Begriffe wie «verarmte Terroristenbasis» oder «Raketenterror» im Zusammenhang mit Gaza. Auch der Kommentar «Der Plan der Hamas geht auf: Alle Welt empört sich über Israel» wurde gestrichen, ebenso der «andauernde Beschuss der Hamas Richtung Israel». Dasselbe geschah mit der Aussage: «Antisemitismus und Rassismus sind Gewalt. Gewalt hat an unseren Schulen nichts verloren.» Nichts zu suchen hat beim Tages-Anzeiger die Feststellung, dass sich in Gaza «die Terroristen» während der Kämpfe in «Gebäuden verschanzen». Genau so wenig wie, dass «mehr als 300 000 Menschen in Israel aufgrund des Krieges nicht in ihren Häusern leben können». Nicht einmal die Richtigstellung der Behauptung, dass «Netanjahu schon immer die Palästinenser ausrotten wollte», hat eine Chance. Auch gelöscht wurden die Zeilen «Die Vereinten Nationen sind ein Auslaufmodell», oder die Uno foutiere sich um die israelischen Geiseln und erkläre damit ihren «moralischen Bankrott».

Selbst der Hinweis auf «linke Antisemiten» oder auf den «Antisemitismus an der ETH, den Eliteuniversitäten in den USA, der Uni Bern, der Uni Basel» war den Tamedia-Zensoren zu viel. Oder auch die Frage «Wie würden Sie den Terror (zum Beispiel hier in der Schweiz) bekämpfen, wenn nicht militärisch?» Oder der Einwand «Terror gegen Juden gab es schon vor der Gründung Israels, in den zwanziger und dreissiger Jahren», sowie der Hinweis: «Dieser Krieg wurde durch die Hamas mit dem grössten Massaker seit dem Holocaust an Juden begonnen.»

«Unerwünschte Juden in Europa»

Gleichzeitig publizierte der Tages-Anzeiger ohne jeden Skrupel Sätze über den «aktuellen Völkermord an den Palästinensern, dieses rücksichtslose Abschlachten und Aushungern» oder Israels «pure hasserfüllte Rache im Exzess». Den Israelis darf problemlos «Genozid», «Apartheid» und «Rassismus» unterstellt werden. Überhaupt sei Israel ein «geplantes Projekt für die unerwünschten Juden in Europa». Ein anderer ungelöschter Kommentator meint, dass Israels «Lobby mit Geld Politiker kauft und auch mit anderen Mafia-Stil-Machenschaften versucht, die Wahrheit zu manipulieren». Selbst bei folgendem Beitrag hatten die Tagi -Kontrolleure nichts zu beanstanden: «Auf der ganzen Welt die Opferrolle spielen und Wiedergutmachung verlangen und Raubkunst zurückfordern, aber selber die schlimmsten Räuber sein und seit Jahrzehnten ungehindert enteignen und morden.»

*Der Beitrag erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe der «Weltwoche». Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Anti-Antisemitismus

Wer will gerne in ein Wespennest greifen?

Es gibt Antisemitismus-Kreischen. So wie es Schwinger der Nazikeule gibt. Oder routinierte Werfer von Ausdrücken wie Sexismus, exkludierend, diskriminierend, rassistisch, rechtsnational, linksradikal, populistisch. Und dann gibt es Sensibelchen, die sich so furchtbar schnell ganz unwohl mit irgend etwas fühlen. Wegen solchen Idioten wurden schon Konzerte abgebrochen. Und Träger von Rastalocken als postkolonialistische Aneigner fremden Kulturguts beschimpft. Vom Wort Mohrenkopf ganz zu schweigen.

All diese Kategorisierungen dienen häufig dazu, dass im Geiste einfache Menschen sich an untauglichen Hilfsbegriffen durch die komplizierte Realität hangeln können. Und sie damit zu verstehen meinen, obwohl sie in Wirklichkeit hinter solchen Verstellungen überhaupt nichts kapieren.

Andererseits braucht der Mensch Generalisierungen, er kann nicht ein paar Milliarden Mitmenschen als lauter Individuen begreifen. Also gibt es den Russen, den Deutschen, den Schweizer. Auch den Juden?

Da betreten wir ein Minenfeld, bei dem jeder Schritt zu einer Explosion führen kann, vor allem seit dem Hamas-Massaker und der israelischen Reaktion im Gazastreifen. Das ist noch schön unantastbar formuliert. Aber schon die Kritik, dass Israel im Gazastreifen Kriegsverbrechen begeht, die Tötung von über 30’000 Palästinensern mindestens so eine Schweinerei ist wie der feige Überfall der Hamas, führt in Teufels Küche. Beziehungsweise wird sofort mit dem Slogan «antisemitisch» gebrandmarkt.

Das kann dem besten Juden passieren. An der Berlinale sagte ein israelischer Filmemacher bei der Preisverleihung für seinen Dokumentarfilm über die (völkerrechtswidrige) israelische Siedlungspolitik: «Diese Situation der Apartheid zwischen uns – diese Ungleichheit – muss ein Ende haben.» Da nützte ihm seine Zugehörigkeit zum Judentum nichts mehr, «Antisemitismus» schallte ihm entgegen. Tapfer gab er zurück, dass das ein schrecklicher Missbrauch dieses Begriffs sei.

Der jüdische Regisseur Jonathan Glazer wurde für seinen beklemmenden Film über Auschwitz bei den Oscars ausgezeichnet. Er erklärte, dass sein Film zeigen wolle, wohin Entmenschlichung führe. Er wolle nicht darauf aufmerksam machen, was damals getan wurde, die Botschaft sei «schaut, was wir heute tun». Ihn ereilte, was fast noch schlimmer als der Antisemitismus-Vorwurf ist: er habe den Holocaust damit relativiert, verharmlost.

Schon dem deutschen Schriftsteller Martin Walser schlug eine gewaltige Kritik entgegen, als er bei der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels  von der «Moralkeule Auschwitz» sprach. In welchem Zusammenhang er den Begriff herleitete, was er genau damit meinte, egal. Der Shitstorm war gewaltig.

Aktuell wird von jüdischen Kreisen versucht, jede Kritik an Israel als antisemitisch zu denunzieren. Hier in der Schweiz gibt es einen Spezialisten dafür, der sensibler als ein Seismograph schlichtweg alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, als antisemitisch beschimpft.

All diese Besitzer eines vermeintlichen Totschlagarguments sind sich nicht bewusst, dass sie damit diese Waffe stumpf machen, missbrauchen, zweckentfremden. Jede Kritik an Israel unter den Generalverdacht des Antisemitismus zu stellen, jeden Kritiker der Kriegsführung im Gazastreifen als Antisemiten zu denunzieren, das erreicht das Gegenteil des Gewünschten.

Ganz abgesehen davon, dass eine israelkritische Position oder gar eine Ablehnung der Politik Israels antisemitisch motiviert sein kann, aber nicht muss. Antisemitismus bedeutet Judenhass oder Judenfeindlichkeit. Die Aussage «im Gazastreifen begeht Israel Kriegsverbrechen und schadet sich und seiner Sache mehr als der Hamas» ist diskussionswürdig, aber sicherlich nicht antisemitisch.

Diese Aussage als antisemitisch zu denunzieren, das hingegen kann man dialektisch als Ausdruck von Antisemitismus bezeichnen, weil es ihm mit dieser dümmlichen Verkürzung Vorschub leistet.

Viele Kommentatoren trauen sich deshalb schon mal gar nicht, dieses Minenfeld zu betreten. Was der Debatte und der Erkenntnis wie jedes Verbot schadet.

Auf der anderen Seite gibt es tatsächlich seit Jahrtausenden tiefverwurzelte Klischees über Juden, der «wandernde ewige Jude», der geldgierige Jude (obwohl sich das die Christen selbst einhandelten, mit dem idiotischen kirchlichen Zinsverbot), die Pogrome, die Ghettos, und schliesslich der industriell betriebene Massenmord der Hitler-Deutschen, bei dem sie – was sie nicht entschuldigt – in vielen Staaten, nicht zuletzt in der Ukraine, willige Helfer fanden.

Wer aber überzeugt ist, dass Israel im Gazastreifen Kriegsverbrechen begeht, damit keineswegs die Hamas-Massaker verniedlichen will, wer den israelischen Ministerpräsidenten als Grossversager sieht, der sich an die Macht klammert, weil er nur so einer Gefängnisstrafe wegen Korruption entgeht, der soll das auch sagen dürfen. Wer davon überzeugt ist, dass Israel mit dieser Politik seine Existenz mehr in Frage stellt als dass das die Hamas jemals könnte, muss diese Position vertreten dürfen.

Wer solche Äusserungen als antisemitisch brandmarkt, betreibt selber das verächtliche Geschäft des Antisemitismus. So vertrackt ist das nun mal.

Und pro-palästinensische Manifestationen, bei denen das Existenzrecht Israels bestritten wird oder gar die Hamas-Massaker bejubelt, das sind nicht in erster Linie antisemitische Ausschreitungen. Das sind schlichtweg dümmliche, menschenverachtende, Abscheu auslösende Verirrungen meist linker Menschen, die völlig den moralischen Kompass verloren haben. Sie finden ihr Gegenpart in Manifestanten, die jedem Palästinenser unterstellen, er sei ein religiös motivierter Wahnsinniger, der am liebsten alle Israelis umbringen möchte.

Mögen nun die Spiele der Kommentatoren beginnen.