Ein seltener Lichtblick
Ane Hebeisen kann’s doch.
Bei den Themen Rammstein und Rassismus hat sich der Tamedia-Redaktor nicht gerade ausgezeichnet. Dafür wurde er natürlich kritisiert.
Aber man soll niemanden vorschnell abschreiben. Wie ein Phönix aus der Asche hat Hebeisen jetzt ein Stück vorgelegt, das ein Loblied verdient. «Nicht alle haben diese Dreharbeiten überlebt», ist der launige Titel. Es geht um einen Dokumentarfilm über die Schweizer Musikszene. Einen besonderen Dokumentarfilm.
Nachdem zwei hoffnungsfrohe Schweizer Musikstars ihre Ambitionen begraben mussten, fragten sie sich, wie man eigentlich als Musiker in Würde alt wird – und ob das überhaupt möglich ist. Also machten sie sich wie weiland Ray Cooder in Kuba auf die Suche nach lebenden oder überlebenden alten Schweizer Musikern.
Einleitend fasst Hebeisen das Ergebnis zusammen: «Entstanden ist ein bewegendes Filmdokument über die Schweizer Musikszene.»
Das würdigt er mit einem bewegenden Artikel über dieses Filmdokument. Man könnte ihn in Journalistenschulen verlesen, mit dem Zusatz: das werdet ihr nie können. Aber wenn, dann gehört ihr zur Oberliga der Schweizer Schreiber. Der Artikel fängt gut an ««Alt werden ist ein Scheissdreck», schimpft Küre Güdel, als er wieder einmal von einem heftigen Schub Altersmelancholie durchgeschüttelt wird», und lässt dann überhaupt nicht nach.
Hebeisen zeichnet liebevoll die Umsetzung eines Projekts nach, das auf dem Papier «nach einem geschmeidigen Plan aussieht, in der Umsetzung zum nicht ganz unkomplizierten Abenteuer» wurde. Neben den szenischen Beschreibungen wechselt Hebeisen immer wieder geschickt die Ebene und fasst zusammen: «Die Alten sind ein bisschen eigensinnig geworden, hängen teilweise noch sehr den Musikideen von vor 60 Jahren nach, sie kämpfen mit Gebresten und mit Zweifeln, ob es sich lohnt, sich für diesen Film und dieses Konzert noch einmal aufzuraffen. Und doch entwickelt sich die daraus entstandene Doku-Serie zum wohl bewegendsten Filmdokument, das je über die hiesige Musikszene gedreht worden ist.»
Was den Text warm macht, ohne anbiedernd zu wirken, ist, dass der Autor nicht nur angerührt ist, sondern das auch ohne Kitsch dem Leser vermitteln kann: «Man leidet richtiggehend mit, wenn der rührende Küre Güdel vor dem finalen Konzert vor lauter Lampenfieber einen Herzinfarkt herbeiprognostiziert.»
Immer wieder gelingen Hebeisen kleine Edelsteine von Kurzporträts: «So treffen wir den umarmungswürdigen Rumpelstilz-Bassisten Sam Jungen allein in seinem Haus in Deisswil beim Bassspielen an – «einfach für mich allein», wie er sagt. Ohne die Musik würde er das Leben nicht aushalten, fügt er an, «aber wer will denn schon einen 70-jährigen Bassisten in seiner Band haben.»»
Wie beim «Buena Vista Social Club» endet der Film natürlich mit dem grossen Konzert, für das sich alle nochmal auf der Bühne vereinigen, was Anlass für einen wahren Tusch von Schluss ist:
«Als es zum finalen Konzert kommt, sind alle anfänglichen Problemchen und Bedenken verflogen. Der wankelmütige Düde Dürst strahlt hinter den Crash-Becken wie ein übermütiges Kleinkind, Barry Window, der in den 60s als Schweizer Tom Jones gefeiert wurde, schmettert seinen kräftigen Schmachtbariton durchs Lokal, und sagt danach: «Es ist nie fertig, erst wenn man gestorben ist.»»
Solche überraschenden Einzelleistungen geben dann doch wieder Hoffnung, dass der Journalismus zwar komatös ist in der Schweiz, aber gelegentlich doch noch ein Auge öffnet. Weiter so.