Wendehälse bei der NZZ
Etwas mehr Selbstkritik würde auch dem Weltblatt nicht schaden.
Lange Zeit konnte sich die NZZ nicht einkriegen. Die Bachelorette der Politik posierte, hüpfte und liess blutrote Lippen aus einem edelblassen Gesicht leuchten.
Schon im September 2023 schrieb ZACKBUM: Man muss hier von einer Obsession für ein Politiker-Pin-up sprechen. Samuel Tanner, David Birner, Gina Bachmann, Andrea Kucera, Nadine A. Brügger, so viele schwärmten die «Meisterin der Selbstinszenierung» an.
Den Vogel schoss aber die ehemalige Moderedaktorin der «Annabelle», Andrea Bornhauser, im Magazin der NZZaS ab. Schwüle Tonlage, schwüle Fotos, Schwärmen wie ein Backfisch:
«Sie sieht sich als eine Art moderner Laokoon, der einst die Trojaner vor dem Untergang retten wollte. «Ich möchte die Leute aufklären. Wer soll es sonst tun?»»
Aber inzwischen gilt auch für das Qualitätsblatt NZZ, was im Boulevard schon seit vielen Jahren Gesetz ist. «Wer mit uns im Lift nach oben fährt, fährt auch mit uns nach unten», wie das ein ehemaliger «Bild»-Chef auf den Punkt brachte.
Tempi passati, wie der Lateiner in der NZZ sagt. Fertig geschwärmt. Schluss mit Anhimmeln. Keine Modestrecke mehr. Kein gestelltes Lustig-Foto mehr. Oder wenn schon, als Illustration für eine vernichtende Bildlegende:

«Sie liebt es, ihre politischen Gegner zu reizen – doch nun stolpert Sanija Ameti wegen eines Instagram-Posts.» Keine Groupies mehr auf der Redaktion, Michael von Ledebur wird ganz streng: «Sanija Ameti sieht sich als Meisterin der Provokation – doch mit ihren Schüssen auf die Gottesmutter ruiniert sie ihre Karriere».
Seine Schlusspointe: «Ameti sagte in einem Radio-Interview einmal: «Ich liebe das Spiel mit den Medien einfach.» Womöglich hat sie dieses Spiel zu weit getrieben. So weit, dass sie verkannte, was das Bild der durchlöcherten Gottesmutter auslösen würde.»
Vielleicht wäre hier Platz und Gelegenheit gewesen, so nebenbei kurz und kritisch die Rolle der NZZ in diesem Spiel zu reflektieren, die wie kaum ein anderes Organ der Selbstdarstellerin eine Plattform bot. Aber dazu ist die alte Tante nicht in der Lage. Im Gegenteil, geradezu eine Hinrichtung ist der Kommentar von Zeno Geisseler.
Noch im Februar gab Geisseler unkritisch die üblich provokanten Aussagen von Ameti wieder. Aber jetzt ist das Tischtuch zerschnitten:
«Kopfschüsse für Jesus und Maria: Sanija Ameti kann mit ihrer moralischen Überlegenheit einpacken»,
wummert er schon im Titel.
Mit einer Spiegelung fährt er wie mit einer Dampfwalze über den gefallenen Star: «Es braucht nicht viel, um sich vorzustellen, mit welchem heiligen Zorn Ameti sofort gnadenlos auf einen Politiker wie Andreas Glarner eingedroschen hätte, wenn dieser eine ähnliche stupide Aktion gewagt hätte, etwa ein paar Salven aus einer Armeewaffe auf eine Kalligrafie des islamischen Glaubensbekenntnisses abzufeuern. Glarner hätte Polizeischutz gebraucht, Ameti hätte derweil ergriffen von moralischer Überlegenheit zu mehr Toleranz aufgerufen und die SVP in die rassistische Ecke gestellt.»
Es sieht mehr so aus, als hätte sich Geisseler ergriffen, besser angefasst in einen heiligen Zorn geschrieben. Denn er lässt das Fallbeil immer wieder niedersausen: «Jetzt bekommt Ameti ein paar Schlücke ihrer eigenen Medizin verabreicht.»
Die Einleitung für einen klaren Befehl: «Eine Grünliberale, die als schiessfreudige Muslimin die Gefühle von Christen beleidigt, ist das Letzte, was die GLP brauchen kann. Dass die GLP Schweiz nun ihren Parteiausschluss fordert, ist darum konsequent. Ameti sollte dem Entscheid zuvorkommen und von selber gehen.»
Das ist so massiv geholzt, dass man unwillkürlich zu psychologisieren beginnt und über die Motive von Geisseler nachdenkt.
Wieso nun auch noch die NZZ, mit gravitätischer Verspätung, nachtreten muss? Aber unbenommen, Ameti hat es am Schluss ihrer kurzen Karriere geschafft: sie ist Schlagzeilenproduzentin Nummer eins. Vor Ukraine, Trump/Harris, vor allem anderen. Aber diese Sternschnuppe wird sehr schnell verglühen.
Es wäre aber der NZZ wenigstens gut angestanden, um es in diesem staatstragenden Tremolo zu sagen, anlässlich des unrühmlichen Abgangs von Ameti – sozusagen Operation misslungen, Patient weg – über ihre eigene Rolle zu reflektieren. Sind da nicht etwas die Massstäbe verrutscht? Brauchte es so viele Pin-up-Auftritte, Foto- und Modestrecken mit einem politischen Leichtgewicht? Mit einer Bachelorette der Politik, die mit Äusserem plus provokanten Sprüchen ein Nichts umhüllte.
Der Abgang von Ameti ist peinlich, aber folgerichtig. Provokation als Prinzip unterliegt der Notwendigkeit der stetigen Steigerung. Und das explodiert immer, früher oder später. Aber die NZZ ist wohl da, um zu bleiben. Also sollte sie vielleicht öffentlich bekanntgeben, was ihr da passiert ist, wie sehr Hormone eine Rolle gespielt haben, falsch verstandener Feminismus – und was sie tut, um solche Ausflüge in die Niederungen zukünftig zu vermeiden.

