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Unabhängige Quellen

Journalisten brauchen Informanten. Denn nicht alles lässt sich recherchieren.

Es gilt bis heute als Paradestück für die Macht der Medien. Was unter dem Begriff «Watergate-Skandal» in die Geschichte einging, führte zum erzwungenen Rücktritt des US-Präsidenten Richard Nixon.

Es wurden Heldenlieder auf die zwei Investigativ-Journalisten gesungen, auf den Mut ihrer Vorgesetzten, des Chefredaktors und der Herausgeber der «Washington Post», die es wagte, trotz massiven Einschüchterungsversuchen eine Enthüllung nach der anderen zu publizieren.

So wurde die Recherche zu einem auf den ersten Blick nicht sonderlich aufregenden Einbruch in das Wahlkampfhauptquartier der Demokraten in der Überbauung Watergate zu einer Schlinge, die sich immer enger um den Hals des amtierenden Präsidenten zusammenzog. Bis er einer drohenden Amtsenthebung nur durch Rücktritt und Amnestie durch seinen Nachfolger entging.

Dabei spielte eine Quelle eine grosse Rolle, die unter dem Namen «Deep Throat» bekannt wurde. Ein anonymer Informant, der den beiden Reportern in entscheidenden Momenten die Richtigkeit ihrer Recherche bestätigte und ihnen auch gelegentlich Tipps gab, wo sie weiter suchen sollten.

Es wurde lange Zeit gerätselt, wer das wohl sein könnte, und ob diese Person wirklich existierte. Bis sich erst viele Jahre später herausstellte, dass es sich um einen Associate Director des FBI namens Mark Felt handelte.

«Deep Throat» Mark Felt.

Seither werden die Bezeichnungen «-gate» oder «Deep Throat» für jeden Pipifax missbraucht, in den degenerierenden Medien. Als der «Weltwoche»-Journalist Urs Paul Engeler dem damaligen Nationalbank-Präsidenten fälschlicherweise krimineller Handlungen beschuldigte, berief er sich dabei auf angeblich zwei Quellen, eine nannte er «Deep Throat». War nur eine, die Anschuldigung war falsch, aber man konnte es ja versuchen.

Wenn niemand die Identität der Quelle kennt …

Die Verwendung von anonymen Quellen ist höchst problematisch. Zunächst, wenn sie auch gegenüber dem Journalisten ihr Inkognito wahren will. So wie das bei allen Datendieben der Fall ist, die immer wieder Pseudoskandale mit gestohlenen Geschäftsdokumenten anstossen. Denn weder der Journalist, noch seine Leser wissen, welche Motive diese Quellen antreiben. Ob ihre Informationen gefiltert sind, ob sie damit bestimmte Absichten verfolgen.

Etwas entspannter wird die Situation, wenn der Journalist die Identität seines Informanten kennt, dieser aber aus meist verständlichen Gründen nicht in der Öffentlichkeit auftreten will. Aus Angst vor Repressalien, Verlust der Arbeitsstelle, gar körperlichen Bedrohungen.

Da kann der Journalist Vertraulichkeit zusagen; er ist nicht verpflichtet, den Namen eines Informanten zu nennen. In den meisten Fällen. Allerdings kann sich der Journalist in Selbstverteidigung dann nicht auf solche Informationen berufen. Das musste der ehemalige «Weltwoche»-Journalist Philipp Gut schmerzlich erfahren. Er meinte, sich damit verteidigen zu können, dass er über sichere Informationen verfüge, deren Quelle aber nicht nennen könne. Er wurde verurteilt.

Neben den anonymen Leak-Quellen verwendet vor allem das Online-Magazin «Republik» immer wieder Informanten, deren Identität nicht presigegeben werden könne. Wohl auch aus diesem Grund fällt die «Republik» damit immer wieder auf die Schnauze, nicht nur im Fall «Globe Garden» oder ETH.

Denn so verführerisch die Verwendung von anonymen Anschuldigungen und Behauptungen auch sein mag, weil sie die Publikation von vermeintlichen Skandalgeschichten ermöglicht: es gehört zum Handwerk des Journalisten, in solchen Fällen die Belastbarkeit dieser Informationen sorgfältig abzuklären.

So hat auch das Team Bernstein und Woodward in ihrer Recherche, die sie bis ganz nach oben in der Hierarchie der Macht führte, nicht einfach auf Einflüsterungen und Anfüttern vertraut, so verführerisch das auch gewesen sein mag. Sie wendeten ein Prinzip an, das heutzutage immer öfter vernachlässigt wird:

Eine anonyme Information wird erst dann verwendet, wenn ihr Wahrheitsgehalt von einer zweiten, unabhängigen Quelle bestätigt wurde. Also Person X sagt: In meiner Firma gibt es einen riesigen Skandal. Person Y, vertrauenswürdig und kenntnisreich, bestätigt das. Los geht’s.

Es kann schnell unangenehm werden

Sonst kann’s teuer werden. Im Falle des Schweizer Botschafters in Berlin wurde es schweineteuer, weil Ringier die Behauptungen einer angeblichen Zeugin nicht belegen konnte. Denn wer behauptet, muss beweisen. Der Beschuldigte muss nicht seine Unschuld beweisen.

Andererseits gilt leider: etwas hängen bleibt immer. Geschäftsschädigung wie im Fall «Globe Garden», Rufschädigung wie im Fall ETH. Aber leider meistens ohne finanzielle Konsequenzen für den Verursacher.

Zum grossen Ungemach der Journalisten kann sich dabei nicht nur die Quelle, sondern auch der Transporteur, also der Publizist, strafbar machen. In allen Ländern der Welt gilt das Geschäftsgeheimnis, die Vertraulichkeit von Informationen, die man durch seine Tätigkeit erlangt.

Absurd, dass das im Fall des Credit Suisse-Diebstahls kritisiert wird. Wer interne Informationen, Kundengeheimnisse, Bakgeheimnisse für veröffentlichungswürdig hält (selbst wenn er die Motive des Datendiebs nicht kennt), muss sich halt auf Konsequenzen einstellen.

Immer wieder wird der flammende Appell «J’accuse» von Émile Zola missbraucht. Dass der Autor deswegen zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde und nach England fliehen musste, das ist den meisten geschichtsvergessenen Epigonen nicht bekannt.

Auch nicht, dass die Verwendung anonymisierter Quellen nur dann funktioniert, wenn eine Voraussetzung erfüllt ist: Das Organ, der Autor haben für den Leser Glaubwürdigkeit und Ansehen. Nur dann kann man mit solchen Quellen arbeiten. Da die Journaille täglich bemüht ist, Ansehen, Reputation, Glaubwürdigkeit, Seriosität der Massenmedien weiter in den Keller zu schreiben und zu senden, ist es um die Verwendung solcher Informanten immer schlechter bestellt.

Immer häufiger vermutet das Publikum, dass die «mehreren, voneinander unabhängigen und vertrauenswürdigen Quellen» in wirklich nur eine einzige sind. Oder, auch nicht unüblich, nur in der Fantasie des Autors existieren. Denn wenn ich als Leser nicht nachprüfen kann, wer die Quelle ist, müsste ich vertrauen. Diesen Fabrikanten von Einheitssaucen aus zum Skelett runtergesparten Zentralredaktionen? Wo Kindersoldaten in Verrichtungsboxen klickgetrieben eine News nach der anderen raushauen müssen, weil sie daran gemessen werden?

Vorliegende Dokumente

Früher einmal Qualitätsmerkmal, heute immer häufiger Symbol für Schmierenjournalismus.

Die Fichen-Affäre oder die Beschattungsorgie bei der Credit Suisse in der Schweiz. «Neue Heimat» oder die Parteispendenaffäre in Deutschland. Das waren hart recherchierte Skandalstorys. Das Zusammensetzen eines Puzzles aus Informationen, so oder so beschafften Dokumenten, Spuren und detektivischem Gespür.

Die Hitler-Tagebücher hingegen waren im deutschen Sprachraum das erste grosse Beispiel, wohin es führen kann, wenn man zugehaltenem und sogar gekauftem Material zu blindlings vertraut.

Im Armutsjournalismus von heute ist’s ähnlich. Zum einen gibt’s grosse Kracher, wie sie noch nie zuvor gezündet wurden. Hunderte von Journalisten in Dutzenden von Ländern weiden Datengebirge aus, die ihnen von unbekannter Quelle zugesteckt wurden. Ohne Kenntnis der Motive, der Hintergründe, einer möglichen Vorselektion der Daten.

Denn immer geht es um Steuerhinterziehung. Blutgeld. Kriminelle Gewinne, Diktatorengelder, schmutziges Geld, zumindest Vermögen, die von geldgierigen und verantwortungslosen reichen Säcken auf meistens kleinen Inseln parkiert werden. In Tarnkonstruktionen, die ihnen von willfährigen Helfern gebastelt werden.

Gute Aufmachung, schwacher Inhalt.

So die Mär, die grossartige Ankündigung. Die Wirklichkeit sieht dann immer viel prosaischer aus. Eher kläglich sogar. Von den Hunderttausenden von Konstrukten fallen gerade mal ein paar Dutzend auf, in den wenigsten Fällen werden Straffverfahren eingeleitet, in noch wenigeren kommt es zu einer Verurteilung.

Der Flurschaden ist aber immens; unbescholtene Personen kommen kurzzeitig ins Visier der selbsternannten Ankläger, Rächer und Richter, werden namentlich ans Kreuz genagelt. Und dann klammheimlich wieder abgenommen, war leider nix, alles Verdachts- und Vermutungsjournalismus.

Die grössten Verbrecherstaaten bleiben unbehelligt

Aber immer basierend auf Dokumenten, Daten, Kontoauszügen, Verträgen. Auf Hehlerware, aber was soll’s, wenn’s der vermeintlich guten Sache dient. Der Transparenz. Dem Kampf gegen Steuerhinterziehung. Geldwäsche. Ironischerweise wird dabei immer übersehen, dass die grössten Geldwaschmaschinen der Welt, die grössten Oasen für Steuerhinterzieher in Ländern liegen, die nie in all diesen Leaks und Papers vorkommen. Nämlich zuerst in den USA, dann in Grossbritannien, gefolgt von Deutschland, dem Geldwäscherparadies. Oder von Luxemburg und Irland, den idealen Staaten für legale Steuervermeidung.

Aber das sind die grossen Dinger. Richtig unappetitlich wird’s im Kleinen. Geschäftliche Auseinandersetzungen, private Fehden, ja sogar Beziehungsknatsch – immer findet sich ein Organ, das willig ist, angefütterte Informationen auszuschlachten. Der Primeur, die Exklusiv-Story, da gerät man gerne in Schnappatmung und wirft alle journalistischen Grundsätze über Bord.

Moderner Anfütter-Journalismus.

Der Erste sein, da bricht die publizistische Leiter nach unten von CH Media schon mal gerichtliche Sperrfristen, um zuerst – und falsch – einen Triumph seiner Schutzbefohlenen Jolanda Spiess-Hegglin zu vermelden. Da stützt sich ein Oberchefredaktor auf schlüpfrige Fotos, die ein triebgesteuerter Stadtammann in seinen Amtsräumen von seinem Gemächt machte – und sich nicht entblödete, sie auch zu verschicken.

Da berichtet ein anderer Chefredaktor detailliert über Spesenabrechnungen eines gefallenen Banken-Stars im Rotlichtmilieu – oder über die Kosten, die die Renovation einer Hotelsuite verursachte, wo es wegen unfähiger Terminplanung zu Handgreiflichkeiten zwischen zwei käuflichen Damen kam.

Es geht noch toxischer

Immer, wenn man denkt, tiefer geht’s nicht, treten die Medien den Beweis an: doch. Jüngstes Beispiel ist eine fatale Affäre, die ein Banker in Führungspositionen hatte. Seine verschmähte Geliebte sinnt auf Rache, will sich öffentlich – nur unzureichend verkleidet in einer fiktiven Story – an ihm rächen, diesem «toxic leader», einem Psychopathen, Narzissten, Manipulator, mit «vielen Leichen im Keller».

Er lässt das verbieten, darauf macht sie das, was heutzutage eigentlich immer funktioniert: sie wendet sich an eine Zeitung. In diesem Fall an den SoBli, der sofort eine scharfe Story wittert. Eine Aussprache mit dem betroffenen Banker bringt nichts, er benützt wieder das Mittel einer superprovisorischen Verfügung.

Von einem anonymen Mail-Accout, dessen Besitzer nicht zu eruieren ist, kommt die Story doch in Umlauf. Das Manuskript mitsamt Belegen und Beilagen dürfte zu diesem Zeitpunkt nur dem Autor und der Chefetage des «SonntagsBlick»  bekannt gewesen sein. Und wohl der Betroffenen selbst, wie das im heutigen Elendsjournalismus nicht selten der Fall ist.

Auch dieser Versuch, via Medien den Bankboss zu Fall zu bringen, scheitert. Aber wenn die Medien willig sind … Diesmal kommt Tamedia zum Handkuss. Dem Oberchefredaktor wird eine Strafanzeige zugehalten, aufgrund derer sich der Bankboss vor dreieinhalb Jahren einer Indiskretion schuldig gemacht habe. Er soll – auf Aufforderung und Bitte – ein internes Papier an seine Geliebte ausgehändigt haben. Möglicherweise mit börsenrelevanten Informationen, wie er in seinem Liebesrausch damals selber eingestand.

Es liegt vor – Geschwurbel für «zugesteckt bekommen»

Höchstwahrscheinlich aber nicht, denn vielleicht wollte er sich nur etwas aufplustern. Damit genug? Damit nicht genug. «Dieser Zeitung liegt sowohl die Klage Lachappelles vor als auch die Klageantwort seiner Ex-Partnerin.» Schreibt CH Media. Schon das entspricht nicht der Wahrheit. Das liegt nicht vor, das wurde ihnen zugesteckt. Einmal darf der intelligente Leser raten, von wem.

Den Justizbehörden? Wohl kaum. Von Lachappelle? Wohl kaum. Behändigte Pascal Hollenstein das Papier höchstselbst, indem er ins Archiv der zuständigen Staatsanwaltschaft einbrach? Wohl kaum. Steht in diesen Papieren irgend etwas, was

  1. erhellende neue Erkenntnisse bringt?
  2. für die Öffentlichkeit von Interesse ist?

Ob sich Lachappelle mit seiner Kurzzeitflamme in der Öffentlichkeit sehen liess oder nicht? Ob er sich von seiner Frau trennte, und wenn ja, wie lange, oder nicht? Dann setzt Hollenstein – unterstützt von einem Redaktor – zur Rechtsbelehrung an: «Denn nur, wenn andere «Joe» mit Guy Lachappelle identifizieren konnten, könnten die Schilderungen auch ehrverletzend sein.» «Joe» nennt die verschmähte Geliebte die Figur, in der sich Lachappelle wiedererkannte und deren Darstellung er als ehrverletzend ansieht. Was bislang vom Gericht auch so gesehen wird.

Nach der Rechthaberei durch den Laien kommt’s noch knüppeldick:

«Was ist wahr an dieser Beziehungsgeschichte, die Guy Lachappelle vor den nationalen Medien am Donnerstag ausgebreitet hat? Was ist unwahr? Und was lässt sich überhaupt beweisen?»

Falsche Frage. Was interessiert’s? Was geht das Hollenstein an? Oder die Öffentlichkeit?

Zuerst Intimes ausbreiten, dann darüber den Kopf schütteln

«Fest steht: Die Basler Justiz wird sich aufgrund einer Strafanzeige mit sehr Persönlichem befassen müssen, das nicht an die Öffentlichkeit gehört.»

Vor einer solchen Aussage würde Tartuffe, würden alle schmierigen Gestalten von Heuchlern in der Kunst vor Neid erblassen. Zuerst wird’s von CH Media an die Öffentlichkeit gezerrt, dann wird das beklagt.

Blick in einen modernen Newsroom.

Wenn die publizistische Leiter nach unten ihrem Übernamen schon alle Ehre macht, kommt natürlich noch hinzu: Erwähnung, dass für alle Beteiligte die Unschuldsvermutung gilt, bislang nicht mal ein Strafverfahren gegen Lachappelle eingeleitet ist? Ach was, gehörte zwar zur Minimalanforderung eines den primitivsten Regeln des Journalismus entsprechenden Artikels. Aber doch nicht bei Hollenstein.

Bekam der so durch den Dreck Gezogene wenigstens die Möglichkeit zur Stellungnahme? Ach was, könnte doch nur stören. Wenn ein blutiger Anfänger einen Artikel mit diesen beiden Defekten einreichen würde, er würde vom Hof gejagt. Aber der Hofherr kann sich solche Schlampereien erlauben.

Blick ins Archiv einer modernen Redaktion.

Über all diese «Widersprüche» habe Lachappelle in seiner PK nichts gesagt, schmiert Hollenstein unheilschwanger aufs Papier. Hätte er, was selbst dem nicht zimperlichen Tagi einfiel, nachgefragt, hätte er die gleiche Antwort bekommen: zu dieser Strafanzeige konnte Lachappelle nichts sagen, weil sie ihm nicht vorliegt.

Anstatt juristische Ratschläge zu erteilen, könnte sich Hollenstein mal mit dem Ablauf nach dem Einreichen einer Strafanzeige vertraut machen. Aber wozu auch. «Vorliegende Dokumente» erlauben es, alle journalistischen Ansprüche fahren zu lassen. Einseitig, unqualifiziert und nur aufgrund unbewiesener Behauptungen einen Artikel zu basteln, den als einäugig zu bezeichnen noch ein Euphemismus wäre.

Der Fisch stinkt vom Kopf, heisst es richtig. Lachappelle hat die Konsequenzen gezogen. Ist Hollenstein auch dafür zu feige?