Wie im hölzigen Himmel
Die NZZ ist neben der Spur.
Man könnte meinen, dass bei einem staatstragenden Ereignis wie auf dem Birkenstock die weltläufige NZZ zur Höchstform aufläuft und Halt sowie Orientierung, von tiefdurchdachter Analyse ganz zu schweigen, abliefert. Aber leider hätte man sich selten so getäuscht, wäre das die Erwartung gewesen.
Wer einen Militärkopf in Militäruniform Kriegsgegurgel faseln lässt, von dem kann man leider beim Thema Ukrainekrieg nichts gut Ausgebackenes erwarten.
Auch Andreas Rüesch erfüllt mal wieder alle Erwartungen, die man in einen Kommentar von ihm setzen muss. Da kommt nichts Gescheites bei raus, wie schon der Titel seines neusten Ergusses zeigt: «Wenn die Ukraine auf dem Bürgenstock nicht gestärkt wird, haben alle verloren, auch die Schweiz».
Dann wirft er allen anderen einen Denkfehler vor, indem er selbst einen begeht: «Sicherheit in Europa entsteht nicht mit, sondern gegen Russland.» Das ist wirklich glorios. Bislang dachte man, dass ein Krieg durch eine Friedenskonferenz unter Beteiligung der Kriegsparteien beendet wird. Ganz falsch, meint Rüesch. Dass er mit diesem Denkfehler ziemlich alleine dasteht, kümmert ihn nicht. Dass Sicherheit in Europa, ob einem das passt oder nicht, immer nur mit Russland entstehen kann, das zum Teil ein Teil Europas ist, das ist eine historische Konstante und banal, dass man sich wundert, dass das jemand mal wieder in Frage stellt.
Rüesch denkt wie der Geisterfahrer, der die Warnmeldung im Autoradio hört und sich sagt: ein Geisterfahrer? Hunderte!
Bei ihm gilt: ein einziger Denkfehler? Nein, einer nach dem anderen: «Die Schweiz ist unter Druck geraten wegen ihrer international unverständlichen Neutralitätspolitik und ihren als schäbig empfundenen Hilfeleistungen an die Ukraine.» Was soll an der Einhaltung der Neutralität unverständlich sein, so ausserhalb des Denkapparats von Rüesch? Und was soll an Schweizer Hilfsleistungen schäbig sein? Weil die keine Waffen enthalten, wie es die Neutralität gebietet? Weil die Schweiz nicht grossmäulige Ankündigungen wie Frankreich oder Schweden macht – die dann nichts oder kaum was liefern, im Gegensatz zur Schweiz?
Aber zurück zur grossen Weltpolitik gestern, heute und morgen. Da muss Rüesch nun allen Fehldenkenden eine Lektion erteilen: «Der Bundesrat hat denn auch immer wieder durchblicken lassen, dass er Russland gerne mit am Tisch sähe, wenn nicht jetzt, so spätestens beim nächsten Mal. Diese Sichtweise zeugt von einer erschütternden Weltfremdheit und Geschichtsvergessenheit.»
Wie ist es denn, wenn man so wenig weltfremd und geschichtsvergessen wie Rüesch ist? «Grosse Kriege enden aus ganz anderen Gründen – in aller Regel, weil eine Seite militärisch niedergerungen wurde oder keine Perspektiven für militärischen Erfolg mehr sieht.» Der Irrwisch meint also ernsthaft, man könne Russland – auf Kosten der Ukraine, versteht sich – militärisch niederringen? Das ist erschütternd.
Auch wenn er mit dem ehemaligen deutschen SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel einig geht. Der faselt auch davon, erst noch als Deutscher, dass man Russland «niederringen» sollte. Der letzte Versuch endete mit 25 Millionen toten Russen und einem völlig zerstörten Deutschland.
Aber wer wie Rüesch im vollen Galopp in Parallelwelten abschwirrt, macht auch vor den absurdesten Schlussfolgerungen nicht Halt:
«Dass Moskau nicht vertreten ist auf dem Bürgenstock, ist daher kein Mangel, sondern ein Vorteil.»
Der Leser fragt sich allerdings erschüttert, geschüttelt und unangenehm berührt, ob die Qualitäts-, Denk- und Logikkontrolle der NZZ dorthin abgeschwirrt ist, wo sich die von Tamedia schon längst befindet: ins Nirwana …
Aber immerhin, in den letzten sieben Tagen ergibt das Stichwort Bürgenstock 1627 Treffer für die NZZ im Medienarchiv SMD. Da bleibt die leise Hoffnung, dass einige Artikel vielleicht ein gehobeneres Niveau versprühen. Da sich ZACKBUM dieser Illusion nicht berauben will, schauen wir aber nicht nach.
Es bleibt aber für alle Zeiten festzuhalten: wer in einem Jahr das gesammelte Geschreibsel der grossen Medienkonzerne der Schweiz liest, der wird erschüttert sein. Und entweder in schallendes Gelächter ausbrechen – oder sich in Grund und Boden fremdschämen.