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Schon wieder ein Scharfrichter

Ein Digitalredaktor sieht rot (oder schwarz oder blau).

Matthias Schüsslers Welt sind normalerweise Neuigkeiten aus den Weiten der IT, er schreibt über Gadgets, Computer und alle wichtigen digitalen Fragen des Lebens.

Nun aber ist er persönlich angefasst, und wenn das einem Redaktor passiert, dann darf er allen Lesern ins Hemd heulen. Hier in Form einer «persönlichen Analyse». Das ist eine interessante Formulierung. Eigentlich ist’s ein Kommentar, und analytisch ist nicht viel.

Aber natürlich sagt man im vornehmen Tamedia-Speak nicht «ich bin angepisst». Obwohl man es so meint. Was hat denn nun den Zorn des Schüssler erregt? Nun, Bad Boy Elon Musk, der ja schon einiges getan hat, um Twitter zu xen, hat einen Tweet, ähm, ein X rausgelassen:

Hier beklagt er sich, dass die Werbeeinnahmen von X um 60 Prozent gesunken seien. In erster Linie wegen seines erratischen Verhaltens. Nein, Scherz, ein Autist sieht das nie so. Das sei durch Druck von ADL geschehen («das sagen uns die Werbetreibenden»). ADL ist die Anti-Defamation League, eine 1913 gegründete US-Organisation, die sich gegen Diskriminierung und Diffamierung von Juden einsetzt.

Auf Nachfrage fügte Musk noch hinzu:

Nun ist die ADL eine mächtige Lobby-Gruppe, die zudem nicht ganz unumstritten ist, um es vorsichtig auszudrücken. Ihr wird vor allem vorgeworfen. jede Kritik an Israel als antisemitisch zu brandmarken.

Das kam nun bei Schüssler gar nicht gut an: «Bei diesem einen Tweet von Twitter-Chef Elon Musk kam mir die Galle hoch.» Und wem die Galle hochkommt, der ergiesst sich in die Zeitung:

Offenbar ist Schüssler die Galle ganz, ganz weit nach oben gestiegen, hat das Hirn erfasst und seine «Gefühlslage» schwer beeinträchtigt. Er unterstellt also Musk, dass der die Behauptung, Werbekunden hätten ihn so informiert, erfunden und erstunken und erlogen habe. Daraus schlussfolgert er gallig, dass sich Musk des Juden als Sündenbock bediene. Womit er schnurstracks wo, natürlich, beim Nationalsozialismus gelandet wäre. Oder kurz: Musk bediene sich nationalsozialistischer Propaganda-Stereotype. Hoppla.

Es wäre nun ein journalistisches Vorgehen gewesen, Musk mit der Frage zu konfrontieren, ob er seine Behauptung belegen könne. Aber doch nicht Schüssler in seiner «persönlichen Analyse». Da würden solche berufsethischen Grundbegriffe wie «Konfrontation des Angeschuldigten mit der Kritik» nur stören.

Also droht Schüssler nun mit Rache. Wenn’s richtig blöd läuft, wird sich Musk dann demnächst darüber beschweren, dass X weiter den Bach runtergeht, weil Schüssler den Stab darüber gebrochen hat. Denn der will nun «Nutzerinnen und Nutzer» abzügeln, Musk direkt widersprechen und möglichst viele Nutzer (aber auch -innen, Non-Binäre, Queere und alle Diversen) sollten ausschliesslich dem Account @AuschwitzMuseum folgen.

Das kann sicher nicht falsch sein. Aber ist sich der persönlich analysierende Schüssler eigentlich bewusst, dass er damit Musk nicht nur in die Nähe des Nationalsozialismus, sondern auch noch des Holocausts rückt?

Unglaublich, was bei Tamedia unter weiblicher Leitung alles möglich ist. Ein Amok will darüber entscheiden, welche Bilder aus der Bührle-Sammlung zu entfernen seien. Ein anderer will Rammstein-Konzerte verbieten. Und jetzt will einer Musk an den Karren fahren, weil der angeblich Nazi-Stereotype verwende und in die Nähe des Holocaust gerückt werden müsse.

Wie sagten Asterix und Obelix, die tapferen Gallier, so richtig: die spinnen, die Römer. Würden sie heute leben, würden sie den Begriff Römer ersetzen.

Selektive Wahrnehmung einer Selbstzerstörungsmaschine

Der Recherchierjournalist Daniel Ryser denaturiert zum demagogischen Kommentator.

Es ist der Weg nach unten eines Begabten zu beklagen. Daniel Ryser hatte seinen eigenen Sound geschaffen, bei seinen Langzeitreportagen. Er traute sich sogar an ein Buch über den umstrittenen Publizisten Roger Köppel. Unter dem etwas verwirrlichen Titel «In Badehosen nach Stalingrad» wurde eine Abrechnung draus.

Ein durchaus lesenswertes Buch, wenn auch nicht immer mit sauberen Methoden recherchiert. Ryser arbeitet seit einiger Zeit für die «Republik», und das ist leider nicht spurlos an ihm vorbeigegangen.

Anfang August erschien von ihm der Artikel «Die Zerstörungsmaschine» in der «Republik». Seine These:

«Der grösste Medienkonzern der Schweiz» habe es auf Jolanda Spiess-Hegglin abgesehen, sie werde «mit allen Mittel diskreditiert».

Auf den üblichen 23’000 Anschlägen diskreditierte er sich hier allerdings selbst, obwohl er sozusagen als Mahnung sich einleitend aufrief, dass diese «Geschichte präzis erzählt werden» müsse, «aus Fairness gegenüber Spiess-Hegglin».

Das schloss allerdings keine Fairness gegenüber Tamedia ein. Der Artikel strotzte von Unsauberkeiten, Fehlern und polemischen Überspitzungen. Schlimmer noch: Ryser begab sich aus dem Feld der Debatte.

Gesprächsverweigerung und Rechthaberei statt Recherche

Wir stellten ihm damals 25 präzise Fragen, darunter auch die, wieso er gegen ein Grundprinzip des anständigen Journalismus verstossen habe; nämlich sämtlichen in seiner Polemik angegriffenen und namentlich kritisierten Personen keine Möglichkeit zur Stellungnahme einräumte.

Ryser schwieg.

Auf dem Weg nach unten hat er inzwischen ein neues Niveau erreicht. Offenbar strebt er danach, sich selbst immer mehr tieferzulegen. Er greift zum Kommentar, um auszuführen: «Der Mord an einem Tankstellen-Kassier in Deutschland zeigt auf drastische Weise: Wer mit Begriffen wie «Diktatur» und «Faschismus» aufwiegelt, ebnet den Weg zur Gewalt.»

Streng gegen Linksradikale?

Das ist eigentlich die Spezialität von Linksradikalen, die diese Begrifflichkeit für das uns angeblich beherrschende Schweinesystem verwenden. Ein Blick auf die Webseite aufbau.org genügt, um die inflationäre Verwendung dieser Begrifflichkeiten zu sehen.

Aber das meint Ryser nicht. Denn in der hysterisch aufgeheizten Debatte um Massnahmen zur Pandemie-Bekämpfung findet sozusagen eine Vergesellschaftung dieser Keulen-Begriffe statt. Auch rechtskonservative Kreise beginnen, sie zu verwenden.

Denunziation einer Bewegung aufgrund von Amoks

Herausragend dabei offensichtlich der Irrwisch Nicolas A. Rimoldi. Ein Wirrkopf, der im Trüben fischt und sich als Feindbild für Ryser anbietet, weil er auch auf dem Weg nach unten ist. Vom ehemaligen Jungfreisinnigen zum Sprachrohr absurder Verschwörungstheorien.

Ryser hat ihn verdienstvoll in einem längeren Artikel porträtiert. Was da an Rimoldi auffällt: er will unfassbar bleiben wie Quecksilber. Widerspricht sich gerne und häufig, weicht aus, korrigiert und löscht, lebt offenbar in einer Welt mit abnehmendem Kontakt zur Realität.

Nun hat anscheinend in Deutschland ein Amoktäter einen Tankwart ermordet, weil der ihn zum Tragen einer Maske aufforderte. Der Täter soll seine Bluttat damit begründet haben, dass er ein Zeichen gegen die Maskendiktatur setzen wolle.

Ein Vollirrer. Auf einschlägigen Plattformen, in Telegram-Chatgruppen schäumte danach weitere Irrheit hoch, «wenn’s die richtigen trifft, hab ich nichts dagegen», zitiert Ryser einen verantwortungslosen Spinner.

Soll man ganze Strömungen so disqualifizieren?

Von der Ermordung Martin Luther Kings bis zu den Terrorakten am 11. September im Grossen, von Anschlägen auf Abtreibungskliniken bis zu Sachbeschädigungen durch den Schwarzen Block bei 1.-Mai-Demos im Kleineren, bei den Chaostagen anlässlich des G7-Gipfels in Hamburg: es gibt immer Amoks, die solche Gewalttaten loben, beschönigen, erklären, zum Ausdruck berechtigten Widerstands gegen Diktatur, Faschismus, Imperialismus, im Namen von Rassenwahn oder dem Kampf für ungeborenes Leben erheben.

Im Kopf von geistigen Brandstiftern …

Seit es die Klowände im Internet gibt, ist das öffentlich einsehbar, wenn man sich die Nase zuhält.

Auch in sogenannten Qualitätsmedien gibt es entsprechende Amoks, erinnert sei nur an den Leiter des «Interaktiv-Teams» bei Tamedia. Marc Brupbacher twittert mit dieser Berufsangabe «Sind jetzt alle komplett durchgeknallt in diesem Land», beschimpft Regierende wie Silvia Steiner als «traurigen Clown in einem anti-wissenschaftlichen Polit-Zirkus», ist mit Bundesrat Alain Berset «komplett durch», denn der Gesamtbundesrat ist «komplett übergeschnappt», viele Regierenden verfügen «über die Hirnleistung eines Einzellers». Die Uni Luzern fordert er auf:

«Hey, Uni Luzern, nehmt den Dreck runter, entschuldigt euch bei C. Althaus und publiziert eine Richtigstellung.»

Sicher, er schwafelt nicht von Faschismus und Diktatur, ruft auch nicht zu Gewalt auf. Aber er ist ein Beispiel dafür, dass es überall Amoks gibt. Aber wegen Brupbacher kann man nicht alle Befürworter von Lockdowns oder drastischen Massnahmen als durchgeknallt diskreditieren. Oder alle Mitarbeiter von Tamedia.

Oder wir erinnern an die «rechte-Hetzer»-Kreische Daniel Binswanger in eben dieser «Republik», den Verteidiger der Burka als Ausdruck selbstbestimmten Handelns selbstbewusster Frauen. Deswegen kann man doch nicht die gesamte Crew in Sippenhaft nehmen.

Heinrich Böll würde im Grab rotieren

So wie das Ryser mit Massnahmenkritikern tut. Dazu bemüht er einen heutzutage weitgehend vergessenen deutschen Schriftsteller: Heinrich Böll. Der Literaturnobelpreisträger sagte 1959 in einem Vortrag: «Der Spruch: Wenn Worte töten könnten, ist längst aus dem Irrealis in den Indikativ geholt worden.»

Ein differenzierter Mahner, missbraucht von Ryser.

Ryser zitiert ihn weiter, mit anschliessender strenger Ermahnung: ««Worte können töten, und es ist einzig und allein eine Gewissensfrage, ob man die Sprache in Bereiche entgleiten lässt, wo sie mörderisch wird.» Darüber sollten Leute, die heute ständig von Diktatur sprechen und twittern, dringend nachdenken.»

Teilgebildet, wie Ryser ist, verzichtet er aber darauf, den Zusammenhang herzustellen, in dem Böll das sagte. Holen wir gerne nach:

«In allen Staaten, in denen Terror herrscht, ist das Wort fast noch mehr gefürchtet als bewaffneter Widerstand, und oft ist das letzte die Folge des ersten. Die Sprache kann der letzte Hort der Freiheit sein.»

Böll bezog sich also auf die damals noch frische Erfahrung des deutschen Hitler-Faschismus, darüber sollte Ryser dringend nachdenken. Böll mischte sich damals auch in die Debatte um die Taten der linksterroristischen RAF ein. Dazu schrieb er: «Es ist inzwischen ein Krieg von 6 gegen 60 000 000. Ein sinnloser Krieg.»

Dazu rief er zu Augenmass auf: «Ich habe die Gruppe um Ulrike Meinhof relativiert – ja. Verharmlost nein. Ich habe versucht, die Proportionen zurechtzurücken. Nichts weiter. Wenn Albanien der Sowjetunion den Krieg erklären würde, so fände ich das nicht harmlos, nur fände ich die Situation der Sowjetunion nur relativ gefährlich.»

Proportionen zurechtrücken, darum ging es Böll, darum sollte es vielleicht auch Ryser gehen. Es ist unstatthaft, mindestens ungebildet, wenn nicht absichtsvoll demagogisch, Böll hier als Kronzeugen für Rysers Feldzug gegen Massnahmenkritiker einzusetzen.

Aber wollen wir einen Mann auf dem Weg nach unten aufhalten?