Schlagwortarchiv für: Alkohol

Hicks! Die Spassbremse

Das kann man sich nur schönsaufen.

Eva Mell ist «Redaktorin im Ressort Wissenschaft, Technologie, Mobilität der NZZ». Sie studierte Theologie, Germanistik und Geschichte. Das befähigte sie, Bahnbrechendes zu Stoffwindeln, «Milchpumpen unter der Lupe», aber auch über «Richtig umgehen mit Nörglern» zu schreiben.

Das brauchen wir dringend, denn rechtzeitig zu Silvester verkündete Mell: «Alkohol ist ein Zellgift und verursacht Krebs. Jedes Glas ist eins zu viel». Schluck. Daher: «Wir sollten unsere Trinkkultur hinterfragen. Denn es gibt keine gesundheitlich unbedenkliche Menge an Alkohol». Wenn das Joseph Roth schon gewusst hätte.

Immerhin weiss Mell:

«Mit dieser Botschaft macht man sich kurz nach Weihnachten und kurz vor Neujahr keine Freunde. Aber nur wer das verstanden hat, kann eine eigenverantwortliche Entscheidung bezüglich seines Alkoholkonsums treffen.»

Denn: «Das Zellgift ist ein akzeptiertes Genussmittel.» Noch schlimmer: «Es kann doch nicht sein, dass ein Gift unsere Gesellschaft zusammenhält.» Nein, das kann nicht sein. Ist uns allerdings neu, dass Alkohol unsere Gesellschaft zusammenhalte. Dabei sind wir tatsächlich eine durchgiftete Gesellschaft. Es wird immer noch geraucht, Auto gefahren, Karton im Haushaltsabfall entsorgt, es werden Unmengen an Lebensmitteln weggeworfen, in die Ferien geflogen, schrecklich. Es ist doch so: jeder Schluck von irgendwas, jeder Biss in irgendwas, ja jeder Atemzug bringt uns dem Tod näher. Manche schneller, manche langsamer.

Es gibt Liebhaber von Gänseleber, dazu natürlich ein Sauternes (muss nicht unbedingt ein Château d’Yquem sein), danach eine Cohiba, dazu muss es ein Matusalem sein, aber bitte den «Gran Reserva 23». Dabei kann man nicht anders als mitleidig auf Vegetarier, Veganer, Nichtraucher und Abstinenzler herunterschauen.

Genau das scheint auch der Anlass für diesen staubtrockenen, lebensunlustigen, strengen, rechthaberisch-belehrenden Artikel zu sein, wie die Autorin gegen Ende durchblicken lässt: «Aber wer Alkohol trinkt, sollte Menschen in Ruhe lassen, die eigenverantwortlich entschieden haben, ohne Promille zu feiern. Sie müssen sich dafür nicht rechtfertigen.»

Das ist sehr wahr, niemand muss sich für sein Verhalten rechtfertigen. Man kann auch Verdampfer rauchen, veganen Sojabrei mit Lebergeschmack essen und alkoholfreien Wein dazu trinken:

Der Name ist noch lustig, der Inhalt weniger: «Bio-Hefe, Wasser, Kokosöl, Bio-Kartoffelstärke, Bio-Tomatenmark, Champagner, Sonnenblumenöl, Sonnenblumenprotein, Meersalz, Trüffel, Gewürze, Koriander, Zimt und Nelke», natürlich alles Bio.

Kann man essen, muss man nicht essen. Man kann auch veganen, alkoholfreien Wein trinken. Oder gleich eingefärbtes Wasser.

Natürlich ist es nur ein Vorurteil, dass solche Unken und Warner wie Mell nicht nur an Silvester eine echte Spassbremse sind. Mit diesen kernseifigen Miesmachereien zwingt sie einen aber dazu, sich diesen Angriff auf schöne Gewohnheiten schönzusaufen. Womit sie das Gegenteil des Gewünschten erreicht. Hicks.

Was für Heuchler

Journalisten werden zu Moralschleudern.

Die Zeiten sind noch nicht so lange her, dass jede anständige Weihnachtsfeier einer Redaktion mit mehreren Ehebrüchen, Quickies auf der Toilette, offenen Knutschereien und gemeinsamen Heimfahrten  im Taxi von verheirateten Paaren (nur nicht miteinander) begleitet war.

Dazu wurde in unglaublichen Mengen Alkohol vertilgt, es schneite Koks, ältere Semester brachten gerne Viagra zum Einsatz. Der nächste Morgen war dann erfüllt von hektischem Zusammensuchen von Kleidern, genialischen Lügengeschichten und auch ein paar Geständnissen und grossen Schwüren, dass das aber ganz sicher das letzte Mal gewesen sei, und der Alkohol, man weiss es ja.

Einige Teilnehmer versuchten, sich verzweifelt zu erinnern, was eigentlich geschehen war, in den Zeiten, als der Filmriss stattfand. Mindestens einer konnte sich jeweils nicht mehr erinnern, wo er sein Auto stehengelassen hatte. Es gab hektischen SMS-Verkehr, zwecks Alibi-Sicherung oder zwecks Erforschung, ob sich jemand anders erinnern konnte, was man so ab zwei Uhr morgens getan hatte.

Praktikantinnen wurden von erfahrenen Redakteuren in die Geheimnisse des Artikelschreibens eingeweiht, und in die Geheimnisse, wie man auch anders Karriere machen kann. Mindestens eine Groupie-Journalistin belagerte den Chefredaktor, um ihn als Trophäe mitzunehmen. Männer wurden zu Schweinen, Frauen willig.

All das gab es. Die gleichen Teilnehmer, ein gewisses Alter vorausgesetzt, schreiben heute entrüstete Artikel über unglaubliche Zustände im Rock-Business. Sex, Drugs and Rock’n’Roll, echt? Findet das denn immer noch statt? Ist es keine Mär, dass kreischende, meistens weibliche Fans ihre Idole anhimmeln, Slips auf die Bühne werfen, ihre Brüste zeigen, Plakate hochhalten mit der Inschrift «ich will ein Kind von dir»?

Gibt es denn ehrlich After-Show-Partys, und dort wird nicht nur Eistee oder Ingwer-Smoothies getrunken, während man eine Patience legt? Dort müssen Rockstars tatsächlich rabiat werden, um ein Groupie flachzulegen? Dort gibt es tatsächlich Teilnehmer, die nicht gedacht hätten, zu welchen libidinösen Taten es da kommen könnte?

«Es gibt strafrechtlich relevante Vorwürfe gegen das Umfeld einer der erfolgreichsten deutschen Bands», schreibt der «Spiegel» mit spitzen Fingern und zugehaltener Nase. Obwohl eine grosse Anzahl von Leser-Kommentatoren sich darüber echauffiert, was denn dieses Thema in einem seriösen Pressorgan zu suchen habe. Wieso es dermassen Raum einnimmt, ob es denn nicht vielleicht Wichtigeres zu berichten gäbe.

Scheint nicht der Fall zu sein, denn wann hätte die  «Süddeutsche Zeitung» das letzte Mal ganze sechs Mitarbeiter auf ein Thema angesetzt. Der «Spiegel» lässt sich nicht lumpen und versammelt ganze 13 Namen bei der Autorenzeile zu «Sex, Macht, Alkohol – was die jungen Frauen aus der «Row Zero» berichten».

Selbst als darum ging, Trump «wegzuschreiben», gab es keinen solchen Massenauflauf von Journalisten. Ukraine, Sudan, Heizschlamassel, Waffenlieferungen, Putin, alles in den Hintergrund gedrängt, sekundär. Vorherige Skandale? «Feine Sahne Fischfilet», andere Bands? Ach was, das Rudel verbellt Till Lindemann, alles andere ist nebensächlich.

Da wird von Machtgefälle gemunkelt, die Verantwortung eines Rockstars angemahnt, die strafrechtliche Verurteilung durch eine moralische Vorverurteilung ersetzt. Man (und frau) entrüstet sich, ist moralisch zutiefst angewidert, kann gar nicht aufhören, mit dem Zeigefinger zu wackeln. Tut so, also wäre gerade eben der Sex zu den Drogen im Rockbusiness gekommen.

Die Journalisten benehmen sich wie die Prostituierte, die beschlossen hat, von nun an die ehrbare Gattin zu spielen. Um jede Form des Verkaufs des Körpers entschieden zu verurteilen, während sie fröhlich mit der Kreditkarte des Gatten shoppen geht.

«Sex, Macht, Alkohol». Ist das neu, ist das interessant, ist das ein Skandal, ist das wahr? Die heuchelnde und hechelnde Meute hat bislang ein blödes Problem. Es gibt in Wirklichkeit keine strafrechtlich relevanten Vorwürfe bislang. Sonst wäre Strafanzeige gestellt worden. Wieso tut das kein Groupie, das sich damit seine 15 Minuten Ruhm abholen könnte, wenn es mit Namen dazustünde?

Könnte das etwas damit zu tun haben, dass Rammstein alle diese Behauptungen als «unwahr» zurückweist? Dass die Anwälte der Band angekündigt haben, gegen alle, die man identifizieren kann, rechtlich vorzugehen? Inklusive Medien, die die Verdachtsberichterstattung mal wieder viel zu weit getrieben haben, die Unschuldsvermutung wieder mal mit Füssen traten, durch die Schuldvermutung, die Schuldunterstellung, die Schuldzuweisung ersetzten.

Aber schlimmer als alles andere sind die Journalisten, die Kreide gefressen haben, sich moralisch entrüsten, dass es eine Unart hat. Verurteilen, wofür sie selbst schon mehrfach hätten verurteilt werden können. Aber sie schützt, dass sie überwiegend keinen Promi-Status besitzen. Wenn ein bekannter deutscher TV-Moderator, angriffig und gnadenlos in seinen Interviews, mit Koks und ukrainischen Elendsnutten im Hotelzimmer erwischt wird, dann macht der mal ein wenig Pause. Um inzwischen wieder auf allen medialen Hochzeiten zu tanzen, als wäre da nichts gewesen.

Journalisten, das ist immer mehr ein verkommener, versiffter Haufen von Heuchlern.

Hoch die Flaschen!

Aber bitte mit ohne Alkohol.

Feiertage, Feiern, anstossen. Aufstossen, Kater spazierenführen, «was für ein Kopfweh» sagen, «nie mehr» schwören. Man weiss es: Alkohol hat schreckliche Auswirkungen. Kann schreckliche Auswirkungen haben.

Dabei ist er das Einzige an legalen Betäubungsmitteln, was Journalisten geblieben ist. Schon seit Jahren müssen sie sich in zugigen Orten für Randständige und Aussätzige versammeln, wenn sie mal das tun wollen, was Journalisten seit der Erfindung des Journalismus immer taten: eine neue Zigarette an der Kippe der alten anzuzünden. Oder zumindest einen Glimmstengel nach dem nächsten inhalieren.

Vorbei, verweht, gecancelt, schöne Gewohnheit ade.

Nun sind die Zeiten allerdings auch schon länger vorbei, dass der Redaktor in den Tiefen seines Pults ein Flascherl Hochprozentiges versteckt hielt. Die Zeiten sind auch vorbei, dass der Chefredaktor zur Feier des Anlasses aus seiner Schublade einen edlen Cognac mit ein paar Schwenkern holte.

Nach dem Rauchen ist nun auch das Saufen dran. Auf der Redaktion tun das nur noch Alkoholiker. Aber viele frönen immer noch dem alten Brauch, nach getaner Arbeit sich mit einem Glas oder zweien oder dreien den Frust von der Seele zu spülen, dass das, was sie tun, eigentlich nur noch am Rande mit Journalismus zu tun hat.

Dafür müssen sie nun auch büssen:

Denn nachdem das Theater als Besserungsanstalt abgedankt hat, müssen natürlich Qualitätsmedien, hier die aus dem Hause «Tamedia», für die Volksgesundheit besorgt sein.

Passt auch gut zur Sauren-Gurken-Zeit vor den herannahenden Feiertagen (saure Gurke ist eines der Mittelchen gegen, aber lassen wir das). Also wird flugs eine Serie gebastelt: «Treibstoff Alkohol»:

«Der Dezember ist ein geselliger Monat mit vielen Anlässen – an denen fast immer Alkohol fliesst. Es ist eine Zeit, in der viele Menschen auch ihren Konsum hinterfragen. Bis Weihnachten beleuchten wir in einer Serie die ganz unterschiedlichen Rollen, die der Konsum von Alkohol in unserem Alltag spielt: sozialer Treibstoff, Genussmittel, Krankmacher. Geht Daten, ohne zu trinken? Wie wirkt er im Körper? Und was ist das Schöne am Rausch? Alle Artikel der Serie finden Sie auf unserer Website.»

Da wird gleich zum Start kein Thema ausgelassen. Der geläuterte Ex-Trinker, der nicht mehr auf ex trinkt und überhaupt keinen Alkohol mehr mag («Ich habe es oft bereut, zu viel getrunken zu haben. Ich habe es noch nie bereut, nichts zu trinken»). Aber auch – Nutzwert! – Ratschläge zur Bekämpfung des Katers. Und, besonders putzig, ein angeblich neuer Trend unter Jugendlichen: «dry dating». Kommt unbezweifelbar wie alles Gute aus den USA.

Beim ersten Treffen einen klaren, alkoholfreien Kopf bewahren. Kein romantisches Dinner mehr in einem schnuckeligen Lokal. Nein, besser ein Spaziergang in Eiseskälte durch Feld und Wald. Wenn das aufkeinende Liebesgefühle nicht erkalten lässt, dann muss es etwas Ernstes sein.

Natürlich ist in solchen Serien auch Platz für Rezykliertes. Wer beim ersten Mal nicht genügend abgestossen war, darf  nun den wieder aufgeschalteten Artikel «Eine besoffene Frau gilt nach wie vor als abstossend», von und mit Nora Zukker, wiederlesen. Vielleicht eine Dienstleistung für Alkoholiker, denen die Vergangenheit nebulös erscheint.

Allerdings wird vor allem eine Dame diese Entwicklung sehr bedauern. Sanija Ameti kann sich dann definitiv keinen SVP-Bundesratskandidaten mehr «schöntrinken». Aber das meinte sie ja auch nur «politisch gesehen».

Darauf einen Doppelten.

Migros bleibt nüchtern

Das nennt man eins auf die Zwölf. Kein Alk im Laden.

Mit bis zu 80 Prozent lehnten die Migros-Genossenschafter die Schnapsidee der Führung ab, in der Migros neu auch Alkohol zu verkaufen. Alle zehn Genossenschaften waren dagegen; die Befürworter blieben verlorene, kleine Häufchen.

Hätten die Präsidentin Ursula Nold und CEO Fabrice Zumbrunnen etwas Ehre im Leib, würden sie sofort zurücktreten. Werden sie aber nicht.

Auch der langjährige Migros-Boss Herbert Bolliger hatte sich für ein Nein ausgesprochen. Die Nerven lagen blank, er wurde dafür wüst beschimpft. Nur im Weinkanton Wallis und im Tessin kamen die Befürworter auf einige Stimmprozente, ansonsten könnte das Verdikt nicht klarer sein.

Natürlich ist es so, dass der Migros-Kunde weiterhin im orangen Riesen seine Einkäufe erledigt, um dann in der Migros-Tochter Denner nebenan vollzutanken. Was aber den Genossenschaftern offensichtlich viel präsenter ist als der Führungscrew: Es geht hier um die letzten Reste des Erbes des Gründers Gottlieb Duttweiler.

Der hatte nicht nur mit seiner genialen Idee den Detailhandel in der Schweiz revolutioniert, er hatte auch klare Prinzipien. Kein Alkohol, kein Tabak. Keine Aktionen, keine Sonderangebote, keine Lockvögel, keine Rabattmarken. Davon ist lediglich das Alkohol- und Tabakverbot übrig geblieben.

Alles andere wurde dem Markt geopfert, als ob Migros das nötig gehabt hätte. Dutti ging noch weiter und verschenkte am Schluss seine Firma, indem er sie in eine Genossenschaft umwandelte. Launig sagte er damals:

«Wir haben herausgefunden, dass es eine viel heiklere Aufgabe ist, Geld zu verschenken, als Geld zu verdienen. […] Die Umwandlung einer Genossenschaft in eine Aktiengesellschaft ist gesetzlich geregelt, kostet keine Steuern und ist eine einfache Firma-Änderung. Dagegen das Unerhörte der Umwandlung einer Aktiengesellschaft in eine Genossenschaft, das ist gar nicht vorgesehen! Es bleibt nur der Weg der Liquidation und der Neugründung.»

Der Mann hatte an einem Tag mehr Ideen als die heutige Führungsspitze in einem Jahr. Das Kulturprozent, der «Park im Grüene», «Die Tat», der Landesring, seine Tätigkeit im Parlament, ein Hungerstreik in Genf, sein soziales Engagement. Nicht alles war gut durchdacht, nicht alles war sinnvoll. Aber der Mann hatte Visionen, Pläne, war ein Kämpfer und sah sich immer als Verteidiger der Rechte des kleinen Mannes.

Den grössten Schindluder trieben aber seine Nachfolger mit dem GDI, dem Gottlieb-Duttweiler-Institut. Das sollte sich der Frage widmen, wie denn der Weltfrieden zu bewerkstelligen sei. Am Eingang heisst es noch volltönend: «Erbaut 1963 durch den Willen der Stifter als Stätte der Begegnung und der Besinnung.» Aber schon längst ist das GDI zu einer Marketingbude verkommen, wo es in schweineteuren Veranstaltungen nur darum geht, den Absatz von Produkten zu befördern. Statt Besinnung vermietet es Redner für Honorare in der Region von mehreren tausend Franken, die dann modernste Erkenntnisse der Absatzförderung auf die Zuhörer herabregnen lassen.

Von Besinnung zu «Trend Updates»: degeneriertes GDI.

Eine Schande. Lange Jahre war das Institut vom kritischen Geist Hans A. Pestalozzi geleitet worden, der 1980 seine Streitschrift «M-Frühling. Vom Migrosaurier zum menschlichen Mass» veröffentlichte. Als langjähriger Privatsekretär von Dutti sah er sich als Bannerträger und Testamentsvollstrecker des Gründers. Er wurde fristlos entlassen, die Bewegung «M-Frühling» versuchte vergeblich, sich gegen das damalige Management mit einer Wiederbelebung der alten Ideen von Dutti durchzusetzen.

Von solchen Gedanken sind im heutigen GDI nicht einmal mehr Spurenelemente vorhanden. Aber dass der Geist von Dutti noch nicht ganz wohlverkorkt in einer Flasche aufbewahrt wird, beweist immerhin die aktuelle Abstimmung. Würde etwas Ähnliches über das GDI stattfinden, wer weiss, vielleicht könnte man auch diesen denaturierten und degenerierten Think Tank wieder auf seine eigentliche Bestimmung zurückführen.

Dabei hätte die aktuelle Führungscrew eigentlich Besseres zu tun als ein Riesengewese um Alkohol in den Regalen zu machen. Denn im Kerngeschäft lahmt der orange Riese, die Genossenschaft Zürich steckt sogar schon in den roten Zahlen. Keine Innovationen, keine Neuerungen, lahmes copy/paste; langsam gerät die Migros gegenüber Coop ins Hintertreffen. Da hilft auch nicht das Engagement der Beratungsschreckbude McKinsey, die noch nie etwas anderes als untaugliche Ratschläge abgeliefert hat.

Geld verdient die Migros in erster Linie mit ihrer Bank, was nun wahrlich kein Kunststück ist. Aber den allgemeinen Zustand kann man sich nicht schönsaufen. Man darf gespannt sein, was der Führungsequipe nun hier einfällt, nachdem die Blendgranate Alk ja oder nein gezündet wurde und verlöscht ist.

Saufen in der Migros?

Wer drei M sieht, könnte sich zuvor bei der Migros mit Hochprozentigem eingedeckt haben.

Welche Prinzipien des charismatischen Gründers der Migros sollen heute noch gelten? Auf einigen Gebieten hat das Migros-Management schon klare Tatsachen geschaffen.

Das «Gottlieb Duttweiler Institut» in Rüschlikon liegt zwar immer noch im idyllischen öffentlichen Park, den Dutti der Bevölkerung schenkte. Aber von seiner ursprünglichen Aufgabe, die Beförderung des Weltfriedens und gesellschaftskritische Untersuchungen, ist es meilenweit abgekommen.

Heute beschäftigt sich das Institut mit banalen Marketingfragen und vermietet seine Mitarbeiter sackteuer für Referate. Peinlich, aber auch Persönlichkeiten wie der Ex-Migros-Boss Pierre Arnold oder Hans A. Pestalozzi, der persönliche Sekretär von Dutti, sind längst ins Grab gesunken. Dass es mal eine «Tat» gab (wer hatte sie wiedererfunden? Genau, Roger Schawinski) oder einen «Migros Frühling», alles Schnee von gestern. Kulturprozent? Gähn.

«Trend-Updates», die Verluderung einer grossartigen Idee.

Nun hatte Dutti etwas gegen Rauschmittel, vor allem sah er die teilweise tragischen Auswirkungen übermässigen Alkoholgenusses auf die arbeitende Bevölkerung. Also legte er fest: in meinen Läden gibt es keinen Alkohol und keinen Tabak. Punkt. Oder doch?

Nichts ist unveränderlich, vor allem nicht Prinzipien

Die Delegierten des theoretisch als Genossenschaft organisierten Detailhändlers haben mit überwältigendem Mehr dafür gestimmt, dass man sich in Zukunft auch in der Migros mit Alkohol eindecken kann.

Natürlich kann man darüber diskutieren, ob Prinzipien des Gründers auch fast hundert Jahre später noch uneingeschränkt gelten sollten. Der Brauch, dass der Arbeiter am Freitag auf dem Heimweg einen guten Teil seines Wochenlohns versoff, ist doch eher ausgestorben.

Ausserdem verkauft die Migros seit der Einverleibung von Denner Hektoliter Alk. Zudem an seinen Tankstellen, damit der Autofahrer beschwingt in den nächsten Baum brettern kann.

Das Thema ist nun aber für die Medien eher heikel. Denn – neben den schönen Corona-Inseraten des Staats – ist die Werbung von Migros, Coop, Aldi und Lidl ziemlich existenziell für die Printorgane. Denn wer – ausser noch Automarken, aber die auch mit gebremstem Schaum seit Corona – inseriert denn noch grossflächig?

So wie man eher selten liest, dass der neue Dacia, Volvo oder Toyota ein richtiges Schrottauto sei, wird nun um diesen Entscheid herumgeeiert. Für und Wider, einerseits, andererseits, der Wille des Gründers, die modernen Zeiten, die anderen Gewohnheiten, wieso nicht, wieso schon.

Eiertänze auf dem Hochseil des Kommentars

Rund 350 Treffer gibt es schon in der Mediendatenbank für die Begriffe Migros plus Alkohol. Noch darf hier der Kommentator seines Amtes walten. Roman Schenkel von CH Media riskiert einen trockenen Titel:

«Mehr Profit, weniger Duttweiler».

Natürlich darf jeder «Werber», der nicht bei drei auf den Bäumen ist, zusammen mit jedem «Markenspezialisten» einen Schluck aus der Pulle nehmen. Thomas Wildberger zeigt sein Trinkniveau, indem er bekannt gibt, sollte Migros Alkohol verkaufen, werde er wohl am ehesten «beim Champagner» zugreifen. Obwohl er findet, dass damit die «DNA verwässert» würde. Man könnte da sogar von Panschen sprechen.

Bald in der Migros  zu haben?

Zu einem gepflegten Einerseits-Anderseits bekennt sich  Tamedia in einem «Leitartikel»: «Duttweiler würde sich im Grab umdrehen. Oder vielleicht auch nicht. Er hat selten getan, was andere von ihm erwarteten. Er rauchte, trank gerne Wein.» Allerdings erschliesst es sich nur für Armin Müller, was die persönlichen Gewohnheiten Duttis mit seinem Prinzip, kein Alk in meinen Läden, zu tun haben sollen.

Ziemlich elegant zieht sich die NZZ aus der Bredouille. Sie hat ein altes Tondokument ausgegraben, in dem Dutti selbst Zweifel daran äussert, ob das Alkoholverbot eine gute Idee bleibt, oder ob es dann nicht mal abgeschafft werden sollte. Das macht den Weg frei zum Kommentar: «Tatsächlich ist es an der Zeit, dass Wein und Bier in die Regale der Migros-Supermärkte kommen.»

Dutti gegen Dutti: alles ist möglich.

Es ist natürlich völlig entrüstet von der Hand zu weisen, dass sich irgend ein unabhängiges, nur nach objektiven Kriterien im besten Sinne für seine Leser zu Meinungen kommende Medienorgan davon beeindrucken liesse, dass Migros ziemlich Gas geben muss, wenn sie sich wirklich einen kräftigen Schluck aus der Pulle des Alkoholmarkts in der Schweiz abholen will.

Denn Coop und eine Unzahl von Weinhändlern haben das Gebiet schon vor der Gründung der Migros beackert, sich eine treue Kundschaft aufgebaut und werden natürlich Marktanteile nicht freiwillig hergeben.

Deshalb ist damit zu rechnen, dass der Verkauf von Champagner bei den bisherigen Anbietern deutlich steigt. Denn nicht nur Wildberger freut sich auf tolle Inseratekampagnen und Schlachten.

Würde er in der Migros rauchen und saufen?

Oops, she did it again

Nora Zukker erträgt sich nur beschwipst. Der Leser braucht einen Vollrausch.

Wenn man mal einen Einstieg gefunden hat, soll man daran festhalten. Ob Cüpli auf einem Zürcher Friedhof, ob sich «zwei Beine in kurzer Hose» neben die Literaturchefin von Tamedia auf den Barhocker setzen: Wein, Weib und kein Gesang ist ihre Devise.

Daher beginnt auch Nora Zukkers jüngstes Werk so:

«Montagabend in einer Zürcher Bar. Wir zeigen Zertifikat und Ausweis und bestellen Wein

Eine nüchterne Beschreibung einer völlig überflüssigen Information. Denn eigentlich soll es um Lara Stoll gehen – und ihr erstes Buch «Hallo».

Sie sei die «Punkerin der Schweizer Poetry-Slam-Szene». Denn sie lässt offenbar längst vergangenen Theater-Unsinn wieder aufleben: «Erst hat sich das Publikum in SRF-Sendungen regelmässig erschrocken, wenn sie plötzlich schrie oder als Spermium auf dem Boden zuckte.»

Megakrasse Partys bei Stoll

Auch privat hat es Stoll echt megakrass, mit ihren «Frittierpartys»: ««Frittiere, was du findest, vorzugsweise in der Küche.» Gleichzeitig werden Haschkekse gebacken, die dann so krass einfahren, dass alle Gäste schnell nach Hause gehen und Stoll ihre Schuhe anzieht, in einen Club geht und erst zwei Tage später wieder nach Hause kommt.»

Saufen zieht sich auch hier wie ein Leitmotiv durch das Porträt: «Also, was spricht denn mit Mitte dreissig überhaupt noch für den 3.95-Franken-Wein aus dem Denner, wenn man genug Geld verdient? «Nichts, absolut gar nichts. Ich habe viel zu oft Kopfschmerzen, aber auch von teurem Wein», sagt Stoll.»

Kante geben, «leicht betrunken ein Hörbuch aufnehmen», das Leben im Rausch, aber keinesfalls berauschend. Nun gut, aber das Werk der Poetin? Wo bleibt das Werk? Das fällt Weinliebhaberin und Literaturhinrichterin Zukker gegen Schluss ihres infantilen Textes auch auf. Also zitiert sie eilfertig ein Werk, mit vollmundiger Ankündigung: «Sie setzt die Pointen gekonnt, und ihr Blick auf die Dinge ist zart.»

Wir sind gespannt – und dann das:

«Mir sind alli elai / bim Rüschte / sind elai / mitem Basilikum / Mir sind immer elai / mit üsne Molekül /». Es ginge noch weiter, aber es gibt Menschenrechte.

Zukker ist gnadenlos, sie hat noch einen Werkkasten dazugestellt, der den Leser weiter quält: «Lara Stoll beweist in ihrem ersten Buch Wortakrobatik vom Feinsten.»

Beispiel? Beispiel, ein «Liebesbrief» an den Duden:

«Ich bin mähnlich schlanger von dir. In mir wächst die Neue peutsche Rechtstreibung! Mund deskalb: Pist du doch seinfach ein verdampfter Nacho. Unser warmes Rind, es raucht doch seinen Kater.»

Flasche leer, wir haben fertig, geben uns die Kante, wollen gar nicht mehr aufwachen. Und nie mehr einen Text von Zukker lesen müssen. Hat denn im Heim des Qualitätsjournalismus niemand Mitgefühl mit der Literatur? Soll dem Leser wirklich ein Widerwillen gegen Bücher eingeflösst werden? Traut sich niemand, diese Schneise der Verwüstung namens Zukker aufzuhalten?

Wohl eher nicht. Sie ist eine Frau

«Absolut crazy»: Wo sie recht hat, hat sie recht.

Hust, röchel, würg

Rauchen schadet der Gesundheit. Saufen auch. Rauchen ist nicht verboten. Saufen auch nicht.

Alkoholkonsum verursacht gesellschaftliche Kosten von ca. 4,2 Milliarden Franken pro Jahr. Rund 1600 Todesfälle sind darauf zurückzuführen, mit Bier (900 Mio.), Wein (550 Mio.) und Spirituosen (250 Mio.) wird ein jährlicher Umsatz von 1,7 Milliarden Franken erzielt.

Die tabakverarbeitende Industrie erzielt in der Schweiz einen Umsatz von 27,3 Milliarden Franken. Pro Jahr werden dem Tabakkonsum rund 9500 Tote zugeschrieben. Die gesellschaftlichen Kosten (Medizin 3 Mia., plus Ausfälle durch Krankheit etc.) sollen sich pro Jahr auf über 5 Milliarden Franken belaufen.

Sowohl Alkoholkonsum wie auch das Rauchen sind erlaubt, wenn auch mit Restriktionen versehen. Die direkten Auswirkungen des Alkohols auf das Verhalten oder die Verkehrssicherheit sind ungleich gravierender als beim Tabak.

In regelmässigen Abständen wird auf das Rauchen eingeprügelt. So gerade wieder mal von Tamedia:

«Lobbying und Preisfreiheit statt Prävention und Regulierung: Ein Ländervergleich sieht die Schweiz als Zufluchtsort und Marketinglabor für die internationalen Tabakkonzerne.»

Schlimmer als in der Schweiz gehe es eigentlich nur in der Dominikanischen Republik zu, weiss Autor Gregor Poletti. Insgesamt 80 Länder seien untersucht worden, die Schweiz landet «auf dem unrühmlichen zweitletzten Rang, wie der demnächst offiziell publizierte Bericht zeigt».

Ein Artikel, der auf Datenschrott basiert

Abgesehen davon, dass der Bericht schon längst publiziert ist; um welche Untersuchung von wem handelt es sich, wie wurde diese Rangliste erstellt? «Daten herunterladen», verspricht unter der Tabelle ein Link. Er führt zu einer Excel-Tabelle:

Datenquelle als Witz bei Tamedia.

Wer hat diese Rangliste erstellt? Sie beruhe auf dem «Tobacco Industry Interference Index». Das hört sich irgendwie wissenschaftlich an, ist aber der nächste Witz:

Wissenschaftliche Untersuchung aus dem fernen Thailand.

Wer bastelt den nun?
«Dieser Global Tobacco Index, der ursprünglich von der Southeast Asia Tobacco Control Alliance (SEATCA) initiiert wurde, wird vom Global Center for Good Governance in Tobacco Control (GGTC) als Teil des globalen Watchdogs der Tabakindustrie STOP (Stopping Tobacco Organizations and Products) erstellt. GGTC mit Sitz an der School of Global Studies der Thammasat University ist eine gemeinsame Initiative mit SEATCA.»

Nichts gegen thailändische Universitäten, aber echt jetzt? Wie werden denn die Daten erhoben?

«Dieser Bericht basiert auf öffentlich zugänglichen Informationen über die Einmischung der Tabakindustrie in den Ländern und der Reaktion der jeweiligen Regierungen auf diese Einmischungen. Die Länder werden nach der Gesamtpunktzahl eingestuft, die von «Gruppen der Zivilgesellschaft» bereitgestellt werden.»

Sorry, Herr Journalist, bevor Sie dermassen in die Trompete blasen, hätten Sie sich vielleicht einmal über Ihre Quellen etwas genauer informieren können. Oder das dem Leser wenigstens mitgeben.

Der Link ins Nichts des «Entwicklers» der Datenquelle.

Der Autor will einfach sein Nebelsüppchen kochen

Schöner ist’s natürlich, über das unselige Wirken der «Tabaklobby» herzuziehen, wie die weiterhin die Kinder verführe und wie es noch striktere Werbeverbote für Glimmstengel brauche: «die Werbevorschriften bleiben zu lasch».

Wie kann man das ändern? «Damit erhält die Volksinitiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» gewaltigen Auftrieb. Sie will jede Art von Werbung für Tabakprodukte, die Kinder und Jugendliche erreicht, verbieten. Obwohl dies in der Umsetzung nicht ganz einfach werden dürfte, ist dies ein gangbarer Weg.»

Denn: es gebe «praktisch keine Einschränkungen, wie die Tabakindustrie ihre Produkte in der Schweiz vermarkten» könne. Bloss: Neu gelte «zwar ein Werbeverbot auf Plakaten, in Kinos, in öffentlichen Verkehrsmitteln und Gebäuden sowie auf Sportplätzen. Werbung in der Presse und im Internet ist aber auch künftig nicht grundsätzlich verboten, ausser in Radio und TV.»

Wie man aus einem dermassen von Verboten umrankten Marketing «praktisch keine Einschränkungen» machen kann? Zu viel geraucht? Oder schon ein Halbeli intus?

Der Schaden, der gar keiner ist

Aber es wird noch schlimmer. Natürlich erwähnt auch Poletti die 5,6 Milliarden Franken «Schaden», die Tabakkonsum in der Schweiz anrichte. Unbeschadet davon, dass diese Zahl falsch ist. Die NZZ versucht immer mal wieder, diesen Unsinn richtigzustellen.

Etwas ermüdet durch die Aufklärungsarbeit fetzte die alte Tante 2019 in erstaunlich harschem Stil:

«Lasst die Raucher in Ruhe! Wer gesund lebt, verursacht höhere Kosten. Raucher müssen sich zurzeit wieder vorrechnen lassen, welch hohe volkswirtschaftliche Kosten sie verursachen. Richtig ist das Gegenteil: Die Raucher sind Nettozahler. Sie subventionieren die Nichtraucher. Teurer sind laut einer Studie die Gesunden.»

Hoppla, schon wieder so eine merkwürdige Studie, wahrscheinlich auch aus Thailand? Nicht ganz: «Die Arbeit datiert von 1998. Ökonomen der Universität Neuenburg haben im Auftrag des Bundes die sozialen Kosten des Tabakkonsums berechnet. Fazit: Raucher sind volkswirtschaftlich betrachtet Nettozahler. Sie kommen nicht nur voll für die Schäden auf, die sie anrichten, sondern leisten sogar einen Beitrag darüber hinaus. Die rauchende Minderheit subventioniert den Rest.»

Dazu nur zwei Zahlen: Da Raucher bekanntlich früher und schneller sterben als Nichtraucher, entlasten sie die AHV um mindestens 1,3 Milliarden Franken. Zudem drücken sie 2,1 Milliarden Tabaksteuer ab. Zählt man weitere entlastende Faktoren zusammen, kommt man zum Resultat «Nettozahler».

Das mag nun Schimpfkanonen wie Poletti nicht schmecken, das ändert aber nichts an den Zahlen. Vielleicht sollte man den Nebel, den er anrichtet, etwas lichten.

Was für ein journalistisches Niedrigniveau

Poletti arbeitet aufgrund von mehr als zweifelhaften Zahlen einer mehr als zweifelhaften Organisation. Er redet einer Initiative das Wort, die praktisch nicht umsetzbar ist. Er will faktisch jegliche Werbung für ein völlig legales Produkt verbieten.

Raucher, zu denen der Autor auch viele Jahre gehörte, müssen sich schon lange auf ihrem legal und für teures Geld erworbenen Produkt übel beschimpfen lassen und Horrorbilder anschauen. Das ist beim Alkoholkonsum nicht der Fall.

Warum eigentlich? Nun, es gibt doch ziemlich viele Weinbauern in der Schweiz mit entsprechender Lobby. Während die furchtbar einflussreiche Tabaklobby all diese Einschränkungen nicht verhindern kann, obwohl sie einen ungleich höheren Umsatz erzielt. Aber beide Produzenten bieten ein legales Produkt an, wie Milchproduzenten oder die Hersteller von Bratfett.

Auch bei diesen Produkten, wie bei allen legalen Stoffen, ist es dem Konsumenten überlassen, ob er sich damit dem Risiko gesundheitlicher Schäden aussetzen will oder nicht.

Ihn darauf aufmerksam zu machen, ist erlaubt. Unfug zu verbreiten, sollte hingegen verboten werden.