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Entgleisungen

Wie ein Tod das Hässliche zum Vorschein bringt.

Natürlich ist das elende Sterben von Alexei Nawalny ein Ereignis, das niemanden unberührt lässt. Natürlich ist das Sterben von Nawalny eine ausgezeichnete Gelegenheit für Propagandagedöns. Natürlich ist das Sterben ein Anlass, Primitives, Hässliches, Unausgegorenes, Vorurteile und unverdauten Gedankenbrei auszuspeien.

Das Bedürfnis nach Erkenntnisgewinn, Debatte, Auseinandersetzung mit dem Ziel, andere von der Richtigkeit der eigenen Meinung zu überzeugen, ist ungefähr so hoch wie die Temperaturen im Straflager Polarwolf.

Putinisten, Putin-Versteher, Putinknechte auf der einen Seite, Dummköpfe, die auf westliche Propaganda hereinfallen, Lakaien der USA, der EU, Gläubige der Lügenmedien  auf der anderen Seite. Dummköpfe natürlich hüben und drüben. Das Internet erweist sich mal wieder als Klowand, auf der jeder meist anonym herumkritzeln darf. Als Triebabfuhr, als Bedürfnisanstalt für das Absondern des Hässlichen im Menschen.

Früher regelte der Mensch solche Meinungsverschiedenheiten mit der Keule oder den Fäusten. Heutzutage ist man immerhin so zivilisiert, dass man verbale Keulen schwingt und beim Andersdenkenden dennoch am liebsten die Zähne rausfliegen sähe.

Selbstverständlich ist der Tod Nawalnys Anlass für eine Propagandaschlacht. Es wird ins Feld geführt, dass man sich doch fragen müsse, wer daraus Nutzen ziehe. Wie absurd es doch sei, Putin dafür verantwortlich zu machen, da die Tragödie doch nur seinen Gegnern nütze. Ausserdem sei Nowotny ungefähr so sehr demokratischer Oppositioneller gewesen wie die Ukraine ein demokratischer, freiheitlicher Staat sei.

Dann wird angeführt, wie es denn mit Julian Assange stünde, den rechtsfreien Zuständen auf der US-Militärbasis im kubanischen Guantánamo, mit den US-Folterknästen im Irak, mit der üblen Sitte, dass die USA Terrorismusverdächtige nach Polen oder Ägypten auslagern, wo sie dann kräftig gefoltert werden können. Es werden sogar Vergleiche zwischen dem US-Gefängnissystem und stalinistischem Gulag gezogen.

Selbstverständlich ist es richtig, dass beispielsweise der Tod von Assange ein gefundenes Fressen für alle Kritiker des Westens wäre. Selbstverständlich sind die Hinweise auf die zahlreichen schwarzen Flecke auf der vermeintlich blütenweissen Weste des Westens, der behauptet, tiefsten Respekt vor den Menschenrechten zu haben, korrekt.

Ebenso die Hinweise auf nicht so schöne Aussagen und Verhaltensweisen von Nawalty. De mortuis nil nisi bene, das gilt eigentlich nie, in solchen Fällen sowieso nicht.

Unverständlich ist aber, wie all diese Japser, Beisser, Kräher und Krakeeler meinen können, ihre Eruptionen brächten irgend jemanden zum Nachdenken, zum Überdenken seiner eigenen Position. Hier zeigt sich mal wieder, dass Kommunikation, so sinnvoll, hilfreich, unverzichtbar sie auch ist, ihre dunkle Seite hat. Sozusagen eine hässliche, verkrüppelte, übelriechende Schwester mit Fäulnis im Mund, die nur Gift und Galle speit.

Zu welchem Behuf? Um auszudrücken, dass alle anderen, zumindest alle, die nicht gleicher Meinung sind, Kretins seien, Vollidioten, entmündigt werden müssten, zumindest die Schnauze halten sollten? Oder gar als Schandfleck von der Erde getilgt?

Man liest dieses Gewäffel und muss wieder einmal ernüchtert feststellen, dass ein bedenklich hoher Prozentsatz der Menschheit so hohl in der Birne ist, dass die wenigen Hirnzellen sich im Vorbeiflug melancholisch zuwinken. Und dabei handelt es sich nur um die Minderheit, die überhaupt in der Lage ist, einigermassen verständlich ein paar Buchstaben aneinanderzureihen.

Das ist natürlich auch mit dem Holzhammer argumentiert. Aber ZACKBUM verteidigt sich damit, dass wir ja schliesslich hier auch eine Plattform gratis zur Verfügung stellen, wo sich der Mob austoben darf. Natürlich in den Grenzen des Spielfelds und nach unseren Spielregeln, aber wir sind bekanntlich liberal.

Wir können es uns auch leisten, das eigene Publikum zu beschimpfen, denn die Einschaltquote ist uns völlig wurst. Wir sind klare Anhänger des guten Satzes: lieber alleine als in schlechter Gesellschaft. Wir sind auch Befürworter davon, dass sich jeder öffentlich zum Deppen machen kann und darf. Wir fragen uns manchmal, was es wohl für Auswirkungen hätte, wenn nicht wenige, sondern alle Kommentatoren das unter ihrem richtigen Namen tun müssten. Denn anonym macht auch Feiglinge mutig.

Ach, was ZACKBUM zum Tod von Nawalny zu sagen hat? Eigentlich nicht viel. Da ist ein Mensch zu Tode geschunden worden. Einer mehr der viel zu vielen, die natürlich nicht nur in russischen Straflagern leiden und darben. Man kann ihn als mutig oder tollkühn oder übergeschnappt bezeichnen, dass er sich freiwillig wieder in die Fänge des russischen Unrechtsstaats begab.

Aber hier ist ein tapferer Mensch gestorben, der sich offenbar nicht brechen liess, was zu respektieren ist.

Und Präsident Putin, das Schicksal des Autokraten, der vielleicht nicht an allem schuld, aber für alles verantwortlich ist, steht mal wieder als der Versager und Trottel da, der er halt ist. Denn er hätte es natürlich in der Hand gehabt, die Lebensumstände von Nawalny so zu gestalten, dass er triumphierend hätte sagen können: seht her, wie ihr mit Dissidenten wie Assange umspringt. Bei uns geniessen auch Oppositionelle wie Nawalny eine fürsorgliche, menschenwürdige Betreuung.

Aber dazu ist Putin halt, das könnte auch die «Weltwoche» mal einsehen, zu blöd. Er arbeitet lieber mit Killerkommandos, die im In- und Ausland unliebsame Gegner ausschalten. Die erst dadurch eine Bedeutung bekommen, die sie vorher nicht hatten.

Und bevor die Japser aufheulen: ja, auch Friedensnobelpreisträger Obama zeichnete in seiner Amtszeit wöchentlich eine Kill List ab; die Erlaubnis, im Ausland auch US-Bürger umzubringen, denen man vorwirft, Terroristen zu sein. Dass es bei den Drohnenangriffen Kollateralschäden gibt, nun ja, shit happens. Und ja, auch der Mossad beschäftigt Mordkommandos, die weltweit Menschen abmurksen, denen man vorwirft, Terroristen zu sein. Ebenfalls mit Kollateralschäden.

Denn auch das Gute muss halt mal böse werden, sonst wird es dem Bösen nicht Herr, nicht wahr.

Und ja, der umzimperliche Umgang mit echten oder eingebildeten Feinden der Herrschenden wird fast überall auf der Welt praktiziert, meistens kräht kein Hahn danach. Aber so sind halt die Spielregeln, wenn jemand wie Nawalny stirbt, gibt es ein Riesenhallo. Das weiss Putin natürlich, aber es ist ihm scheissegal. Auch deswegen ist er ein unfähiger Versager, zuallererst aber wegen des militärischen, wirtschaftlichen, politischen und internationalen Desasters in der Ukraine. Das Netteste, was man da über ihn sagen kann: er ist dem Westen in die sperrangelweit offene, deutlich sichtbare Falle getappt wie ein Anfänger. In der jüngeren Geschichte Russlands seit 1917 hatte das Land nie einen dermassen unfähigen Herrscher; Putin schlägt selbst Jelzin, und das will etwas heissen.

Alles nur ein Missverständnis

Der Oppositionelle Alexei Nawalny in Haft gestorben.

Der mutige Mann muss Präsident Putin missverstanden haben. 2020 überlebte er einen Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok. Davon hat der so oft missverstandene Putin sicherlich nichts gewusst. So Sachen passieren halt in der besten Autokratie; der Chef erfährt von Schweinereien immer als Letzter.

Nach diesem Anschlag wurde Nawalny in der Berliner Charité wieder gesundgepflegt, nachdem russische Ärzte keine Anzeichen auf Vergiftung erkennen konnten.

Unbeliebt hatte sich Nawalny damit gemacht, dass er immer wieder – und mit Belegen – auf ungeheuerliche Korruptionsfälle aufmerksam machte. So wurden bei Transneft zum Beispiel vier Milliarden US-Dollar veruntreut.

Als Nawalny – nachdem er sich vom Giftanschlag erholt hatte – tollkühn im Januar 2021 nach Moskau zurückkehrte, wurde er gleich am Flughafen verhaftet. Putin fühlte sich sicher wieder missverstanden, dass dieser hartnäckige Oppositionelle nach so vielen Schikanen, Prozessen, Verhaftungen und Einkerkerungen sich selbst von einem Attentat nicht davon abhalten liess, wieder nach Russland zurückzukehren.

Dabei hatte Putin doch alles getan, um unmissverständlich klarzumachen, dass das keine gute Idee sei.

Das war der Anfang einer Chronik eines angekündigten Todes.

Unter verschiedenen Begründungen wurde Nawalny dann anschliessend zu diversen Haftstrafen verurteilt. Das läpperte sich auf insgesamt 19 Jahre Straflager. Zunächst wurde er in das Lager Pokrow, 100 Kilometer nördlich von Moskau verbracht. Im Juni 2022 kam er in das Straflager IK-6 bei Melechowo.

Schliesslich verschwand Nawalny eine Zeitlang und tauchte im sibirischen Straflager Polarwolf wieder auf, das zu den brutalsten Einrichtungen Russlands gehört. Schon in den Jahren zuvor gab sein Gesundheitszustand immer wieder zur Besorgnis Anlass, sein Zugang zur Öffentlichkeit wurde immer mehr eingeschränkt; selbst seine Anwälte wurden verhaftet oder flohen ins Ausland.

Laut russischen Medien ist er nun am 16. Februar 2024 gestorben.

Aber auch das ist sicherlich auch nur ein Missverständnis, in Wirklichkeit lebt er unter einer neuen Identität am Schwarzen Meer in einer Installation für verdiente Funktionäre und geniesst dort das Leben.

Der Kremlsprecher bestätigte immerhin, dass Präsident Putin in Kenntnis gesetzt worden sei. Es ist nicht bekannt, ob sich Putin besorgt über die Zustände in russischen Straflagern äusserte. Aber als lupenreiner Demokrat muss er bedauert haben, dass es Nawalny verwehrt blieb, als Präsidentschaftsanwärter zu kandidieren. Es ist auch dumm gelaufen, dass seine Unterstützergruppen immer wieder brutal aufgelöst wurden, ihre Infrastruktur dabei zerstört.

Das sind alles Zustände und Entwicklungen, auf die Putin mit grossem Unverständnis reagiert, denn als Menschenfreund und Demokrat tut ihm das in seiner empfindlichen Seele weh.

Vor allem natürlich, weil solche unglücklichen Einzelfälle, ein tragischer Todesfall, der trotz intensiver medizinischer Betreuung und gar Wiederbelebungsversuchen eintrat, von westlichen Propagandisten dafür missbraucht wird, an der energischen Freundlichkeit des russischen Präsidenten zu zweifeln, der sich noch so gerne jeder demokratischen Herausforderung stellen möchte. Aber blöd auch, irgendwie schafft es kein Gegenkandidat, zur Wahl zugelassen zu werden.

Und dann stirbt noch einer weg, aber all das hat bekanntlich Gogol in seinen «Toten Seelen» bereits beschrieben. Hier muss man nachschlagen, wenn die die lange Reihe von erfolgreichen Mordanschlägen (und auch ein paar misslungene) verstehen will, die alle ohne Kenntnis und gegen den erklärten Willen des Missverstandenen im Kreml stattfinden.

Putin leidet, wie viele, unter der Unfähigkeit des Personals. Er gibt glasklare Anweisungen, wie menschenfreundlich auch Oppositionelle im In- und Ausland behandelt werden sollen. Anständig, voller Respekt, in Würdigung ihrer Leistung, aber unter scharfer Zurückweisung ihrer Ansichten. Und dann passiert es immer wieder. Leute werden erschossen, vergiftet, kommen bei Unfällen um, werden mit anderen Methoden abgemurkst. Und ständig wird das so missverstanden, als ob Putin davon gewusst habe, gar damit etwas zu tun habe. Man fragt sich, wie der Mann das aushält, so verunglimpft zu werden.

Es kann halt nicht jeder eine so beneidenswerte Gesundheit wie Putin haben, dieser ganze Kerl, der Reiter mit nacktem Oberkörper. Der Naturbursche, Eishockey-Crack, Besitzer des schwarzen Gürtels, der mit allen Mitteln versucht, seine Körpergröße zu kompensieren, wenn er durch himmelhohe, goldverkrustete Türen schreitet oder an einem viel zu grossen Schreibtisch mit viel zu vielen Telefonen sitzt.

Der Kommentator bei der «Weltwoche» zeigt wieder einmal, dass rechtskonservative Amoks sich in ihrer Geisteshaltung und intellektuellen Flughöhe nicht von linksradikalen Amoks auf anderen Plattformen unterscheiden. Da gibt es mal den sich clever dünkenden Verschwörungstheoretiker: «So dumm ist Putin nicht, dass er Nawalny gerade zu dieser Zeit «beseitigen» lässt. Es müssen also andere Interessengruppen hier ihre Finger im Spiel haben, die Putin Probleme bei dieser Wahl bereiten wollen.» Dann gibt es die «Nawalny war ein westliches U-Boot»-Schlaumeier: «Nawalny war nie ‹Oppositionsführer›. Er war Leiter einer kleinen Partei und Bewegung, welche in erster Linie Putin kritisierte und vom Westen finanziert wurde.»

Dann gibt es die grosse Fraktion der Whataboutisten: «Zudem heisst der Verstorbene Nawalny, nicht Assange, nicht Lira.» «Na ja. Progoschin ist ja auch mit dem Flugzeug abgestürzt. Und Geschäftsführer von russischen Firmen starben wie die Fliegen. Alles Zufall natürlich.» «Alexej Nawalny stirbt ein paar Tage bevor in London, am 20./21. Februar der oberste Gerichtshof über den Auslieferungsantrag der USA über Assange entscheidet. Zufälle gibt es.» Und die auch nicht kleine Fraktion von Vollirren: «Nawalny wurde getötet, aber nicht von den Russen.» «In den USA stehen sechs Millionen Menschen unter Gefängnisaufsicht – mehr als in Stalins Gulags.» «Könnte es auch Ablenkung vom Interwiew sein?» «Irgendwas stimmt mit dem Nowitschok nicht.»«Free Assange!»

Eigentlich sollte es einem speiübel werden, wenn man sich bewusst wird, dass man solche Leser hat.

Weitere Aufklärung erwarten wir gerne von Wolfgang Koydl oder Roger Köppel himself, der vielleicht in der «Weltwoche» fromm einen Trauergottesdienst abhalten wird. Die Wege des Herrn sind bekanntlich unerforschlich, er hat’s gegeben, er hat’s genommen. Amen.