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In China rettet die KP den Kapitalismus, Part II

Dies und andere Dinge, die Ihnen die Medien hierzulande gar nicht oder falsch erzählen.

Hier geht es zu Teil 1.

Von Felix Abt

Geht es darum, die Medienkonsumenten ahnungslos zu halten? Man mag es den mit bescheidenem Wissen ausgestatteten “Tagesschau”-Mitarbeitern verzeihen, da selbst die sonst viel professionelleren Journalisten von “Bloomberg” rein innenpolitische Konflikte in Indien zwischen der dortigen Hindu-Mehrheit und der kleinen Sikh-Minderheit auf den “Streit zwischen Indien und China” zurückführen.

Bloomberg berichtet: «Der Mann, der im Mittelpunkt eines Streits zwischen Indien und China steht, war ein prominentes Mitglied der separatistischen Sikh-Bewegung.» China unterstützt keine Separatisten und Terroristen in Indien, ebenso wenig wie Indien Separatisten und Terroristen in China unterstützt. Solche Aktivitäten fallen in der Regel in den Zuständigkeitsbereich der Vereinigten Staaten.

Immerhin weiß der chinesische Außenminister, dass die derart “informierten” Menschen im Westen Chinesen, Japaner und Südkoreaner in der Regel nicht auseinanderhalten können. Seinen japanischen und koreanischen Amtskollegen empfahl er, gemäss “Japan Times”: “Egal, wie sehr wir uns die Haare blond färben und unsere Nase verändern, wir werden nie Amerikaner oder Europäer werden und sollten zu unseren Wurzeln stehen.

Sherelle Jacobs, Chefredakteurin der britischen “Nachrichten-Website des Jahres” des Londoner “Telegraph”, studierte Geschichte an der School for Oriental and African Studies in London, arbeitete eine Zeit lang für die “Deutsche Welle” in Bonn und als freie Journalistin in Tunesien.

Wirtschaftlich in der Krise – und dazu noch terroristisch!

Sie hat nie in China gelebt, spricht weder die Sprache noch versteht sie die Kultur des Landes; dennoch urteilt sie messerscharf über China und kommt zu dem Schluss, dass das Land “die größere Gefahr darstellt, als es die terroristische al-Qaida je war, und dass es die westliche Zivilisation in seinem Krieg bereits besiegt hat”.

Welch Schock! Werden von Peking entsandte Terroristen (vielleicht sogar hochkompetente und erfahrene aus Xinjiang) also bald Wolkenkratzer im zivilisierten Westen in die Luft jagen? Jedenfalls scheint es so, als ob die “Telegraph”-Journalistin Jacobs möchte, dass ihre Leser dies glauben:

(Screenshot: Telegraph)

Sherelle Jacobs’ Vater ist Nigerianer. Das britische Empire unterwarf Nigeria 1901 als Protektorat und begann von da an, die Nigerianer faktisch zu versklaven und dem Land diktatorisch seine Politik aufzuzwingen. In Afrika waren die Briten vielleicht weniger grausam als in China, gegen das sie zwei Opiumkriege führten. Vor den Opiumkriegen war China die mächtigste Volkswirtschaft der Welt, und nur ein Jahrzehnt später war seine Wirtschaft um die Hälfte geschrumpft.

Indien erging es noch schlimmer: Die britische Kolonialpolitik forderte zwischen 1880 und 1920 einhundert Millionen Menschenleben. Indiens Anteil an der Weltwirtschaft betrug 23 Prozent, als die Briten kamen; als die Briten gingen, waren es nur noch 4 Prozent. Außerdem lebten am Ende der britischen Kolonialherrschaft 90 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, und die Lebenserwartung betrug nur 27 Jahre.

Die Alphabetisierungsrate in der britischen Kolonie betrug weniger als 17 Prozent. Die Ausgaben für den Kindergarten bis zur Universität betrugen weniger als die Hälfte des Budgets des Staates New York für Grundschulen. Außerdem haben die Briten insgesamt einen volkswirtschaftlichen Gegenwert von 45 Billionen Dollar aus Indien gestohlen.

Über all das schreibt diese britische Journalistin nichts. Umso mehr versucht sie, China zu dämonisieren – ein Land, das selbst nie andere Länder kolonisiert hat und das als Weltmacht jahrhundertelang seine Flotte nicht für Kanonenbootpolitik und die Unterwerfung anderer Länder missbraucht hat, sondern sie nur für den friedlichen Handel nutzte.

Britische Kolonialtruppen in Nigeria (Quelle: answersafrica.com)

Aber könnte es sein, dass China unter der Führung der Kommunistischen Partei kolonialistische und imperialistische Tendenzen entwickelt hat? Zunächst eine kleine Korrektur: “Kommunistisch” ist sie immer noch im Namen, aber in Wirklichkeit ist sie eine bessere “kapitalistische” Partei als die, die etwa im Zweiparteiensystem in den USA den Ton angeben.

In China herrscht Kapitalismus mit chinesischen Merkmalen, der für die meisten chinesischen Bürger besser funktioniert als der ungezähmte Kapitalismus mit amerikanischen Merkmalen für die meisten amerikanischen Bürger. Peking greift ein, wenn die Marktwirtschaft dysfunktional wird, um sie zum Funktionieren zu bringen – etwa durch das Verbot von Kartellen und Monopolen -, um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten. So hat beispielsweise der Online-Vermarkter Alibaba in China eine Vielzahl von lokalen Konkurrenten, anders als sein amerikanisches Pendant Amazon in Amerika.

Kommunisten als Retter des kapitalistischen Systems?

Außerdem müssen im chinesischen Kapitalismus, anders als in den USA, die Reichen ihren gerechten Anteil an Steuern zahlen, die von der Regierung zur Verringerung von Armut und größeren sozialen Ungleichheiten verwendet werden. Sie nutzt den Markt als Wettbewerbsinstrument, um Innovation und Modernisierung voranzutreiben und letztlich den “chinesischen Traum” zu verwirklichen, den ich gleich erläutern werde. Die Ergebnisse ließen nicht lange auf sich warten: 800 Millionen Menschen wurden in den letzten Jahrzehnten aus der Armut befreit, das Land ist hochinnovativ, meldet die meisten Patente der Welt an, hat die besten Universitäten der Welt (vor allem im Bereich Ingenieurwesen und Technologie) und ist in mittlerweile 37 von 44 Technologiebereichen weltweit führend.

Der “Chinesische Traum” (中国梦), auf den sich chinesische Politiker häufig berufen, hat seine Wurzeln in der alten Literatur und Geistesgeschichte Chinas. Er ist eng mit der Idee einer Hoffnung auf die Wiederherstellung der verlorenen nationalen Größe früherer Dynastien verbunden. Das Ziel ist jedoch nicht, eine globale Vormachtstellung zu erlangen, sondern allen chinesischen Bürgern Zugang zu besserer Bildung, besserer Medizin und Gesundheitsfürsorge, besserem Wohnraum, stabileren Arbeitsplätzen, höheren Gehältern und einem höheren Maß an sozialer Sicherheit zu verschaffen.

Konfuzianischer Einfluss

Die Kommunistische Partei Chinas ist ebenfalls konfuzianisch geprägt und steht daher für die Meritokratie, in der Beamte nicht nur die Aufnahmeprüfungen für den öffentlichen Dienst bestehen müssen, sondern auch jederzeit ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen müssen, wenn sie ihre Stelle nicht verlieren wollen. Artikel 27 der chinesischen Verfassung verpflichtet die Beamten, im “besten Interesse des Volkes” zu handeln. Darin heißt es: “Alle Staatsorgane und Beamten müssen sich auf die Unterstützung des Volkes verlassen, engen Kontakt mit ihm halten, seine Meinungen und Vorschläge berücksichtigen, seine Aufsicht akzeptieren und ihm nach besten Kräften dienen.” Jeden Tag gibt es in China etwa 500 Proteste. Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, “gegenüber jedem staatlichen Organ oder Funktionsträger Kritik zu üben und Vorschläge zu machen“, heißt es in Artikel 41, in dem auch beschrieben wird, was geschieht, wenn die Beschwerde nicht beachtet wird.

Für viele im Westen ist es unvorstellbar, dass selbst chinesische Wissenschaftler, wie etwa Forscher der Tsinghua-Universität, Studien über Proteste veröffentlichen dürfen. Anstatt alle Proteste und jede Kritik in den sozialen Medien zu unterdrücken, will die Partei sie sogar nutzen, um die Regierungsführung des Landes zu verbessern. Die lokalen Behörden sind verpflichtet, sie ernst zu nehmen, und Differenzen werden in der Regel durch Kompromisse beigelegt. Die Bürgerinnen und Bürger können lokale Behörden sanktionieren, indem sie sie aus dem Amt wählen.

Das Streben nach einer harmonischen Welt

Wie sah Konfuzius, der das Denken der Chinesen stark beeinflusst hat, die Beziehung zwischen Regierenden und Regierten? Er lehrte, dass ein “Herrscher einen Auftrag des Himmels” hat und dem Volk ein gutes Beispiel geben muss, indem er überall Tugendhaftigkeit einflößt und damit seine “Harmonie mit dem Göttlichen” beweist. Die einzige Möglichkeit, den Frieden wiederherzustellen, wenn der Herrscher nicht mehr moralisch (oder zum Wohle des Volkes) regiert, besteht darin, ihn abzusetzen, so Konfuzius. Hier finden Sie eine detaillierte Beschreibung, wie im konfuzianischen China mit Kritik und Beschwerden umgegangen wird.

Die Partei vertritt auch das jahrtausendealte Konzept von “Tianxia (天下), was wörtlich “(alles) unter dem Himmel” bedeutet. Gemeint ist eine umfassende Welt voller Harmonie für alle, oder um es salopp und für die westlichen Konfrontationisten in Washington, London, Ottawa, Brüssel und Berlin verständlich zu formulieren: “Wir lassen euch in Frieden, und ihr lasst uns in Frieden.” Deshalb ist das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder für die Chinesen so wichtig. Im Laufe ihrer Geschichte war die Harmonie für die Chinesen immer ein hochgeschätztes Ideal.

 

«Tianxia» in Afrika – eine Herausforderung für westlichen Hegemonismus und Neokolonialismus

Zum Vergleich: Die USA haben 29 Militärstützpunkte in Afrika, China hat nur einen in Dschibuti, in der Nähe von Somalia, um Handelsschiffe vor Piraten zu schützen, und die Aktivitäten der chinesischen Regierung auf dem Kontinent beschränken sich auf den Bau von Energieversorgungsanlagen, Krankenhäusern, Schulen, Eisenbahnen und ähnlichem. Und die angebliche “chinesische Schuldenfalle” ist eine westliche Erfindung.

Der kollektive Westen, in dem Unilateralismus, Militarismus und die Ausdehnung der US-Gerichtsbarkeit auf extraterritoriale Gebiete in der ganzen Welt in Verbindung mit anderen Zwangsmaßnahmen wie Sanktionen (die «Hungerwaffe») selbstverständlich sind, versteht die Chinesen nicht und projiziert seine Haltung auf sie.

Zum Schluss noch eine Frage: Wussten Sie bereits von all dem, was ich Ihnen hier erzählt habe? Wenn nicht, dann ist das auch nicht weiter schlimm. Immerhin werden Sie ja regelmäßig von der “Tagesschau”, dem “Spiegel”, der “Neuen Zürcher Zeitung, dem “Tagesanzeiger” bzw. der “Süddeutschen”, und den vielen anderen Medien darüber bestens informiert, was in China alles schief läuft. Das macht Sie schon zu einem ziemlich guten China-Kenner.

Religionsfeigheit

Die Züchtigungen sind doch nicht das Problem.

Tatzen, Schläge mit dem Lineal auf die Finger. Druck auf die Knöchel. Ohrfeigen. Sogar Prügel. Das waren lange Zeit akzeptierte Erziehungsmassnahmen in der Schule und auch zu Hause. Nach der Devise: «eine Ohrfeige hat noch niemandem geschadet

Die beste Anekdote, die ein Rundruf im Bekanntenkreis ergab: ein Lehrer will einem Mitschüler eine Ohrfeige geben. Der trägt aber Brille, der Lehrer befürchtet Verletzungsgefahr. Also befiehlt er dem Schüler: «Brille runter!» Der weiss aber, was ihm dann blüht, also weigert er sich. Der Lehrer befiehlt laut und lauter und schalmeit: «Keine Angst, ich tu dir nix.» Der Schüler knickt ein, zieht die Brille aus – und zack, kriegt eine schallende Ohrfeige.

Man mag dieses pädagogische Prinzip befürworten oder verachten. Dass allerdings Jahrzehnte später ein paar Zöglinge einer Privatschule mit Tränen in den Augen von körperlichen Züchtigungen berichten, die sie damals erlitten haben – und über die es wie immer keine einzige Strafuntersuchung gab oder gibt –, das ist verstörend. Dass auch von einer vertuschten Vergewaltigung die Rede ist, wobei nicht immer erwähnt wird, dass sie unter minderjährigen Schülern stattfand, der Täter rausgeschmissen wurde – typisch Elendsjournalismus.

Dass bei dem ganzen Gewese über diesen sozusagen historischen Skandal weiterhin kein Wort über das Schicksal von Hunderttausenden von Kindern verloren wird, die in Westafrika in meist kleinen Kakaofarmen schuften müssen, dort auch misshandelt und gequält und missbraucht werden, das ist der Skandal im Skandal.

So nebenbei, um da weiteren Missverständnissen vorzubeugen: solche Quälereien finden eher selten in Farmen statt, die von den angeblich bösen Transnationalen betrieben werden. Sondern in privaten Kleinunternehmen. Übrigens genau wie bei Minenarbeiten aller Art.

Dass das Zürcher Film Festival als Begründung für seine Kehrtwende und den Abbruch der Beziehung zur Schokoladefirma Läderach anführt, dass diese damaligen Qualen halt wie auch immer mit dem Namen verbunden seien, ist scheinheilig. Dass beim Festival Schoggi verteilt worden wäre, deren Herstellung zumindest fragwürdig ist, das hätte das ZFF einen Dreck interessiert.

Aber vom SRF angefangen traut sich niemand so recht, das eigentliche Problem beim Namen zu nennen. Sozusagen den Schoggi-Elefanten im Raum. Das Problem Religion. Das Problem religiöser Fanatismus. Den gibt es nicht nur bei fundamentalistischen Irren, die meinen alles, was im Koran stünde, sei bis heute wörtlich zu nehmen und ausserdem höchste Richtschnur für das Verhalten von allen.

Religiösen Wahn gibt es auch innerhalb der christlichen Kirche. In allen Farben, Spielarten und Ausprägungen. Jeder Sektenradar ist voll von solchen Erscheinungen. Aber statt dass Sektenexperten wie Hugo Stamm befragt werden, plustern sich Marketing- und Imageberater auf und benützen die Gunst der Stunde für Eigenwerbung. Allerdings meistens mit so absurden Ratschlägen «proaktiv werden!», dass sie sich damit wohl kaum neue Kunden generieren.

Aber der Fokus sollte doch hier liegen: Der evangelikale «Hof Oberkirch» war offenbar längere Zeit ein Ableger einer südafrikanischen Sekte namens «Kwasizabantu». Ihr Guru ist Erlo Stegen, mit dem Jürg Läderach offenbar eine enge Beziehung verbindet.

Läderachs religiöse Haltung kann man wohl dem Evangelikalismus zuordnen, der sich aus dem deutschen Pietismus speist. Diese spiritualistischen Bewegungen gehen von einer persönlichen Beziehung des Einzelnen zu Gott (sowie zu Jesus Christus als Herrn und Erlöser) und einer irrtumsfreien Autorität der Bibel aus.

Daher sind in dem Dok-Film über die Zustände in der Privatschule eigentlich die Szenen verstörend, in denen Läderach Senior verzückt und inbrünstig vom liebenden Jesus schwärmt.

Daran kann man ermessen, wie schwer es sicherlich seinen Söhnen gefallen sein muss, sich von dieser Religiosität ihres Vaters zu lösen und aus der Kirche auszutreten. Deutlicher als der aktuelle CEO Johannes Läderach kann man sich wohl kaum öffentlich von seinem eigenen Vater distanzieren. Deutlicher kann man zudem keine Zweifel an dessen eidesstattlicher Erklärung äussern, dass Läderach Senior niemals selbst körperliche Züchtigungen durchgeführt habe.

Dem steht zumindest eine klare Zeugenaussage im Dok-Film entgegen; offenbar hat Läderach Senior hier seine Drohung, gegen solche Behauptungen gerichtlich vorzugehen, bereits wahrgemacht. Wenn die Unschuldsvermutung noch etwas gelten würde, wäre er unschuldig.

Unbestritten ist es, dass es in dieser Schule aus frommen (oder vielleicht auch weniger frommen) Motiven zu körperlichen Übergriffen kam. Zudem habe ein Regime der Angst geherrscht, wie es in fanatischen religiösen Gruppen Gang und Gebe ist. Offensichtlich schickten hier Eltern ihre Sprösslinge hin, die ebenfalls unter diesen religiösen Wahnvorstellungen litten.

Geradezu absurd ist es allerdings, dass sich der Dok-Film und die anschliessende öffentliche Debatte auf die körperlichen Züchtigungen kapriziert. Dabei wären die Auswirkungen der Indoktrination mit fanatisch-fundamentalistischen Auslegungen der Bibel mindestens so interessant – und in den Auswirkungen sicherlich nachhaltiger.

Auch der aktuelle CEO Läderach hat diese Schule besucht, schickt seine eigene Kinder dorthin. Solange es allerdings nicht zu strafbaren Handlungen an dieser Schule kommt, ist das seine Privatangelegenheit. Anscheinend herrscht in der Schweiz Religionsfreiheit.

Es herrscht aber auch Religionsfeigheit. Gelegentlich darf islamischer Fundamentalismus kritisiert werden. Missbräuche in der katholischen Kirche sind auch immer wieder ein beliebtes Thema. Was sich aber im Bereich religiöser Wahn sowohl in der katholischen wie auch evangelischen Kirche (und um sie herum) abspielt, das wird nur mit spitzen Fingern angefasst. Normalerweise. Warum? Nun, Läderach Senior ist nicht der einzige einflussreiche und reiche Geschäftsmann, der etwas abseitigen religiösen Vorstellungen anhängt.

Natürlich sind auch Anhänger des jüdischen Glaubens weitgehend kritikbefreit, weil das sofort und gnadenlos mit der Antisemitismus-Waffe gekeult wird.

ZACKBUM ist gespannt, ob das Schicksal der afrikanischen Kinder bei der Schokoladenherstellung jemals thematisiert wird. Oder das Problem von religiösem Fanatismus innerhalb der christlichen Kirche. Wir können weder Wunder bewirken, noch haben wir seherische Kräfte. Sagen aber mutig: nie. Oder, als guter Seher lassen wir ein Hintertürchen offen: höchstens am Rande.

Die katholische Kirche singt inzwischen ein Hosianna nach dem anderen …

Die Beute-Bronzen von Benin

Im Schlagabtausch über die Bührle Sammlung herrscht Begriffsverwirrung.

Der Populist mag’s vulgär. Raubkunst, abgepresst, Ausnützung einer Notlage. Verachtenswert, moralisch unter jeder Kritik.

Da ist die Welt heil und sauber in schwarz und weiss geteilt. Da kann man vor Rechtschaffenheit bebend im Nachhinein Oberlehrer spielen und von der Kanzel der guten Gesinnung Brandreden mit erhobenem, moralingetränktem Zeigefinger halten. Nur ist das ein fruchtloses Tun mit null Erkenntnisgewinn.

Wunderbar, dass wenigstens die NZZ* einem Fachmann Platz für Einordnung gibt. Der Autor Richard Schröder, emeritierter Professor an der Humboldt-Universität in Berlin und Theologe, weiss, wovon er spricht. Denn Berlin – und dort heute das Humboldt Forum – ist im Zentrum der Debatte um die sogenannten Benin-Bronzen.

Benin war ein Königreich in Westafrika, heute eine Provinz von Nigeria. Bronzefiguren schmückten damals den Palast und dienten auch als Kultgegenstände bei der Ahnenverehrung. Im Gefolge der Eroberung durch England fanden mehr als 3000 Exemplare ihren Weg nach Europa.

Und schon sind wir mitten in der Definitionsfrage. Raubkunst? Beutekunst? Konfiskation? Reparation? Privileg des Eroberers, sich schadlos zu halten? Rückgabe? An wen? Wer nicht oberflächliche Luftkämpfe mit Schlagworten gewinnen will, muss zuerst Begriffe ordnen.

Zunächst eine klare Auslegeordnung der Begriffe

Das Wort Raubkunst «wurde ursprünglich für Kulturgüter verwendet, die während des Nationalsozialismus geraubt» wurden, erklärt Schröder. Das war nicht kriegsbedingt, sondern eine Form von Gewaltanwendung des NS-Staates, vor allem gegen Juden.

Das macht die Verwendung des Wortes im kolonialen Zusammenhang und auf Afrika bezogen problematisch. Zudem stigmatisiert es Kriegsbeute; ein über Jahrhunderte, Jahrtausende übliches Vorgehen, auch bei innerafrikanischen Kriegszügen. Während ein Raub unter allen Titeln ein Straftatbestand ist, wer mit Geraubtem handelt, ein Hehler, war Beutemachen das «unbestrittene Recht des Siegers».

Bis zur Haager Landkriegsordnung von 1899. Noch Napoleon hatte in den von ihm eroberten Ländern massenhaft Kunstwerke als Kriegsbeute mitgenommen. Nun kann man solche Regeln für barbarisches Kriegshandwerk wohlfeil verurteilen; dabei übersieht man aber, dass völlige Regellosigkeit ein Synonym für Willkür und Barbarei ist.

«Man muss also Beute, die vor 1899 gemacht wurde, nicht zurückerstatten, aber man darf. Solche Rückgabe ist nicht zwingend und nicht erzwingbar, sondern eine Geste des Wohlwollens, die ihrerseits mit Wohlwollen sollte rechnen dürfen und nicht mit dem Vorwurf: «Ihr seid Diebe, Räuber, Hehler!» Man kann nicht gleichzeitig solche Vorwürfe erheben und mit Wohlwollen rechnen.»

Vom Feldherrenhügel der moralischen Überlegenheit herab …

Wer hier mit Steinen wirft, sollte nicht im Glashaus sitzen:

«Kriegsbeute zu nehmen und zu verkaufen, sahen die Könige von Benin als ihr selbstverständliches Recht an. Nach seiner Wahl wurde vom König erwartet, dass er sein Amtscharisma durch einen erfolgreichen Kriegszug beweist, den Kopf des Überfallenen und reichlich Gefangene zur Versklavung und Opferung heimbringt

Das darf natürlich nicht zu einem «die auch, wieso wir nicht» missbraucht werden. Zeigt aber, dass es – wie meist im realen Leben – komplizierter ist als «hier die räuberischen Kolonialisten, dort die edlen Wilden, denen ihre Kulturgüter geraubt wurden». Da verhält es sich ähnlich wie mit der Sklaverei. Die war – lange vor der Ankunft europäischer Kolonialherren – unter afrikanischen Stämmen völlig üblich, und diverse Völker wurden reich damit, den weissen Sklavenhändlern an der Westküste Afrikas ihre «Ware» zuzutreiben.

Das Wort «Raub» ist also bei näherer Betrachtung simplifizierend. Auch das Wort «Kunst» bedarf genauerer Definition in diesem Zusammenhang. «Geldwert erlangt ein Gegenstand, wenn er auf einem Markt nach Angebot und Nachfrage bewertet wird. Die Beniner Bronzegiesser gehörten zum Königshof und haben ausschliesslich für ihn gearbeitet. Bis 1897 waren ihre Produkte unverkäuflich. Soweit sie auf Ahnenaltären standen, hatten sie einen religiösen Wert, der sich in Geld so wenig ausdrücken lässt wie der Wert des Kölner Doms für die Domgemeinde.»

Nachdem solche Kultgegenstände lange Zeit als «Curiosa» galten und höchstens dazu dienten, in Museen ausgestellt zu werden, werden solche Benin-Bronzen heute für Millionen gehandelt:  «Erst der europäische Kunstmarkt hat die Benin-Bronzen in einem interkulturellen Zusammenspiel zu Kunstwerken geadelt und ihnen auf dem Kunstmarkt einen erheblichen Geldwert verschafft.»

Auch der Begriff Kunst bedarf der genaueren Definition 

Auch unser europäischer Kunstbegriff trifft auf viele solcher Artefakte nur bedingt zu, da er der Originalität und Einmaligkeit einen sehr hohen Stellenwert zumisst, zudem spielt Zweckfreiheit eine grosse Rolle. Hinzu kommt: «Die Objekte, die üblicherweise als afrikanische Kunst bezeichnet werden, wie Ahnenskulpturen, Zauberfiguren oder Masken aus den Dörfern, bestehen aus pflanzlichem Material. Sie sind dem Verfall ausgesetzt und müssen deshalb periodisch ersetzt werden, nicht durch eine Kopie, sondern durch einen Nachfolger.»

Alleine schon diese Erwägungen machen klar, dass das Hantieren mit dem moralischen Totschläger «Raubkunst» zwar die Chancen erhöht, in einer Debatte die Lufthoheit zu erobern, aber letztlich keinerlei Erkenntnisgewinn beinhaltet.

Als typisch westliche Arroganz wird natürlich auch denunziert, dass trotz den Verheerungen durch zwei Weltkriege viele dieser afrikanischen Artefakte bessere Überlebenschancen in einem europäischen Museum als in den ewigen Bürgerkriegswirren Schwarzafrikas hatten.

Schliesslich ist es bei den Juden und anderen Verfolgten des NS-Regimes gestohlenen Kunstwerken gelegentlich aufwendig, aber möglich, die ursprünglichen Besitzer (oder ihre Erben) ausfindig zu machen. Wer aber wäre der legitime Nachfolger des Oba, des Herrschers von Benin? Der nigerianische Staat?

 

Was der Begriff Raubkunst verschleiert», Gastbeitrag vom 30. November 2021, hinter Bezahlschranke.