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Beknackt gegen den Strom

Alle sagen weiss, wir sagen schwarz. Damit will die WeWo punkten.

Putin ist unverstanden, nur die «Weltwoche» weiss, was die Neutralität der Schweiz beinhaltet. Im Zweifel herrscht der Reflex für das Konservative, gegen alles Linke. Das kann Spass machen, das kann Widerhaken setzen, das kann die Debatte anregen. Oder aber, es ist einfach nur aschgrau und bedenklich, wenn die Methode aufs falsche Objekt angewendet wird. Vom falschen Autor.

Das hier ist ein gutes Beispiel dafür:

«Die Verteufelung der Taliban durch den Westen ist falsch und gefährlich. Sie vernebelt den Blick für drei verheissungsvolle Entwicklungen und verhindert eine Wende zum Besseren.»

Hört sich schön knackig gegen den Strom an. Die Autorin Cheryl Benard (Achtung, Sexismusverdacht) beschäftigt sich mit einer breiten Palette von Themen; da ihr Mann, ein gebürtiger Paschtune, ehemaliger US-Botschafter in Afghanistan ist, gehört auch das Land der Taliban dazu.

Während sich alle zivilisierten Beobachter Afghanistans darüber entsetzen, dass die Taliban Schritt für Schritt zu ihrem Terrorregime der letzten Herrschaft zurückkehren; Frauen vom öffentlichen Leben ausschliessen, sie nicht mehr in die Schule gehen lassen und gerade dekretierten, dass sie sich nur im Stoffgefängnis Burka in der Öffentlichkeit blicken lassen dürfen, sieht das Benard anders: «Keiner scheint im Moment ein Auge zu haben für die ziemlich dramatischen Spaltungen innerhalb der Taliban

Sie gibt zwar selbst zu, dass die Fundamentalisten gegen aussen geeint auftreten und ein rückwärtsgewandter Mullah fast wie Chomeini selig im Iran das Sagen hat. Aber: «Zweitens ist die pauschale Ablehnung der neuen Regierung durch so gut wie die gesamte Aussenwelt nicht hilfreich.»

Die pauschale Ablehnung einer nur mit Waffengewalt legitimierten Junta, die nach lügnerischen Schalmeienklängen inzwischen wieder offen zeigt, dass sie das Land ins finsterste, fundamentalistischste Mittelalter zurückstossen will. Was empfiehlt denn die grosse Taliban-Kennerin stattdessen? «Ein nuancierter Umgang mit den Taliban-Fraktionen ist daher der beste und momentan auch der einzige Weg, in Afghanistan eine Wende zum Besseren zu erreichen.»

Welchen Fraktionen? Meint sie den Unterschied zwischen finsterstes Mittelalter und finsteres? Dass alle Fundamentalisten, wenn sie an der Macht sind, nur durch Gewalt oder schärfste wirtschaftliche Sanktionen von ihr entfernt werden können, ist Benard offenbar entgangen.

Religiöse Wahnsinnige sind weder belehrbar, noch zu Reformen fähig. Umso schneller sie von der Macht vertrieben werden, desto besser für Afghanistan und vor allem für Afghaninnen. Wer Frauen als Wesen zweiter Klasse behandelt, sie unter einen Ganzkörperpräservativ zwingt und ihnen den Zugang zu Ausbildung, Selbstständigkeit und Selbstbestimmung verwehrt, mit dem ist kein nuancierter Umgang möglich.

Mit solchen Beiträgen, die nur publiziert werden, weil sie das Gegenteil einer weitverbreiteten Ansicht behaupten, macht sich die «Weltwoche» leider lächerlich.

Wumms: Fabian Molina

Pavlovsche Reflexe bei den Medien.

Der SP-Nationalrat weiss, wie man sich eine Dauerkarte für mediale Aufmerksamkeit besorgt. Indem man fordert. Was? Ach, egal, morgen redet sowieso keiner mehr darüber.

Da war doch mal Afghanistan: «Ziel muss sein, die Taliban mit Anreizen und Sanktionen dazu zu bringen, Menschenrechte zu respektieren

Molina forderte gleichzeitig, dass die Schweiz mindestens 10’000 afghanische Flüchtlinge aufnehmen müsse. Ob er vielleicht einen beherbergen würde?  Genervte Antwort auf Anfrage von ZACKBUM:

«Sie werden sicher festgestellt haben, dass ich kein Staat bin. Entsprechend kann ich auch niemandem Asyl und Schutz gewähren.»

Andere Baustelle: «Die NATO gehört endlich aufgelöst.» Auch an diese Forderung gegen den «gewalttätigen Sonderbund des Westens» will Molina heute nicht mehr so gerne erinnert werden.

Hat er gerade keine anderen Forderungen zur Hand, ist die nach «raschen Beitrittsverhandlungen mit Brüssel» immer der Notnagel in allen Lebenslagen. Leider erfüllte auch niemand seine Forderung vom Mai 2020, an «alle Konfliktparteien rund um den Globus, sich unverzüglich an einem weltweiten Waffenstillstand zu beteiligen».

Mehr Freiheit durch Impfpflicht, das war auch mal so eine Gaga-Forderung von ihm. Aber nun ist ja Ukraine, und da muss auch gefordert werden: «Der Krieg in der Ukraine zeigt, wie zentral es ist, Einzelpersonen wie Putin und seine Entourage oder Firmen gezielt mit Sanktionen belegen zu können.» Das will Molina.

Nützt das was? Ist doch egal, Molina fordert heute, was er morgen schon vergessen hat. Denn morgen gibt’s eine neue Forderung.

 

 

 

Wumms: Markus Somm

Wenn ein Historiker die Geschichte umbiegt.

Da kaum jemand hinter der Bezahlschranke den «Nebelspalter» liest, versucht es Chefredaktor Markus Somm auf anderen Kanälen, zum Beispiel mit seinen «Memos». In Nummer 68 schreibt er unter anderem:

«Gleicht damit die Lage nicht der Situation in Afghanistan? Nachdem die Sowjets das Land 1979 überfallen hatten, um ein kommunistisches Regime in Kabul an der Macht zu halten, unterstützte der Westen den afghanischen Widerstand – mit Waffen, mit Material, mit Geheimdienstinformationen. Zehn Jahre lang bissen sich die Sowjets die Zähne aus, bis sie 1989 abzogen, ohne gewonnen zu haben. Fast 15’000 sowjetische Soldaten waren gefallen.»

Dass Russland die Ukraine überfallen hat, das ist genauso unbestreitbar wie die historische Tatsache, dass damals die UdSSR einem Hilferuf der afghanischen Regierung nachkam. Die Sowjetunion wollte das linke und sekuläre Regime (Bodenreform, Entmachtung der Oberschicht und der Clans, Bildung für alle) gegen die Mudschahedin unterstützen, reaktionäre und fundamentalistische Islamisten.

Durch die Unterstützung dieses «afghanischen Widerstands» züchteten die USA eine Generation von nicht nur fanatischen, sondern bestens ausgerüsteten Gotteskriegern heran.

Die zu Tode gefolterten Leichen des letzten Präsidenten
und seines Bruders wurden öffentlich zur Schau gestellt. 

Die nach dem Rückzug der UdSSR die Regierung massakrierten und unter Führung der Taliban einen grausamen, mittelalterlichen Gottesstaat errichteten. Als Treppenwitz der Geschichte versuchte die CIA später, die von ihnen gelieferten Stinger-Luftabwehrraketen zurückzukaufen – weil sie von islamistischen Terroristen gegen die USA selbst eingesetzt wurden.

Nach der damaligen Logik des Kalten Kriegs war der Feind meines Feindes mein Freund. So unappetitlich der auch sein mochte. Für breite Bevölkerungsschichten in Afghanistan, vor allem Frauen, war der Rückzug der UdSSR keinesfalls Anlass für Triumphgefühle.

Über all das huscht Historiker Dr. Somm hinweg, um sein Bild von der historischen Parallelität – Überfall Ukraine, Überfall Afghanistan – aufrecht zu erhalten.

Dabei ist es ein ahistorisches Zerrbild. Ein völlig untauglicher Vergleich.

 

Das erste Opfer des Kriegs

Nein, das ist nicht die Wahrheit. Weil es immer nur Wahrheiten gibt.

Ihr freiwilliger Beitrag für ZACKBUM

Das erste Opfer eines Kriegs ist die Bereitschaft zur Nachdenklichkeit. Ist der Verlust der Einsicht, dass niemand die Weisheit mit Löffeln gefressen hat. Stattdessen ist der Wettbewerb eröffnet: wer formuliert mit möglichst wenig Kenntnissen eine möglichst starke Meinung?

Dabei gibt es bislang nur eine unumstössliche Tatsache: Es ist ein durch nichts zu rechtfertigender Angriffskrieg. Es ist keine präventive Verteidigung. Es ist keine Aktion zur Entnazifizierung und auch nicht zur Verhinderung eines Genozids.

Sonst aber ist es alles, was Grossmächte halt ab und an so tun. Was die USA samt ihren westlichen Verbündeten in Vietnam, in Afghanistan, im Irak und in den Gebieten des sogenannten arabischen Frühlings taten und tun. Es ist das, was die europäsichen Verbündeten und die NATO insgesamt in Jugoslawien taten. Einen völkerrechtswidrigen Krieg zu führen nämlich, der nicht zuletzt in der völlig illegalen Abspaltung des Kosovo von Serbien endete, begleitet von Massakern allerorten.

Das macht die serbische Regierung nicht zu einer Versammlung von Chorknaben, genauso wenig wie die ukrainische. Noch 2014 gab es die Beteiligung von Neofaschisten an der ukrainischen Regierung, bis heute spielt das Regiment Asow, dem ukrainischen Innenministerium unterstellt und voller bewaffneter Neofaschisten, eine unrühmliche Rolle.

Die armen, uninformierten Russen

Weit verbreitet ist das Bedauern, dass die russische Bevölkerung leider nur von staatlich gelenkten Medien beschallt werde, was natürlich die Zustimmungswerte für Diktator Putin erkläre. Das ist ein typisches Beispiel für fehlende Fähigkeit zur Differenzierung.

Es ist grundsätzlich richtig, dass beispielsweise der auch auf Deutsch erhältliche Sender «Russia Today» die Karikatur eines nach journalistischen Prinzipien arbeitenden Newsverarbeiters ist. Die russischen TV-Programme, die grossen russischen Zeitungen, unbrauchbar. Aber: dank Internet kann sich jeder Russe, etwas Gelenkigkeit vorausgesetzt, beliebig informieren, aus allen erhältlichen Nachrichtenquellen der Welt.

Was die Schweizer Mainstream-Medien bieten, unterscheidet sich nicht gross von der disqualifizierenden Berichterstattung über die Pandemie. Repetitive Schwarzweiss-Malerei, oberflächliches Gehampel, verzweifelte Suche nach «Experten», die die Angst vor einem Atomkrieg zerstreuen sollen.

Jeder Schweizer kann sich aus allen alternativen Nachrichtenquellen der Welt bedienen. Wer sich die Zeit nehmen will, ein wenig Gegengift gegen den Mainstream aufzunehmen, dem sei ein schon älterer Artikel empfohlen.

Man bedauert, dass viele dieser warnenden Stimmen für immer verstummt sind. Unter den hier aufgeführten nur ein Zitat:

«Wir, die Unterzeichner, glauben, dass eine weitere NATO-Osterweiterung die Sicherheit unserer Alliierten gefährden und die Stabilität in Europa erschüttern könnte. Es besteht für die europäischen Nachbarn keine Bedrohung durch Russland.»

Welcher russlandhörige Kurzdenker hat denn das formuliert? Nun, es handelte sich um niemand geringeren als den für den Vietnamkrieg verantwortlichen ehemaligen US-Verteidigungsminister Robert McNamara.

Oder ein Zitat des Kriegsverbrechers und Kältesten aller kalten Krieger, Henry Kissinger: «Um zu überleben und sich zu entwickeln, darf die Ukraine Niemandes Vorposten sein. Vielmehr sollte sie eine Brücke zwischen beiden Seiten darstellen. … Dabei sollten wir uns um Versöhnung bemühen, und nicht um eine Dominanz einer der Fraktionen. … Die Dämonisierung von Wladimir Putin ist keine Politik. Sie ist ein Alibi für die Abwesenheit von Politik

Und der Elder Statesman Helmut Schmidt liess ebenfalls keinen Zweifel an seiner Meinung über eine mögliche Aufnahme der Ukraine in die EU und die NATO: «Das ist Größenwahn, wir haben dort nichts zu suchen.»

Jeder kann sich irren. Nur der «Experte» nicht

Natürlich können sich auch alle diese Herren irren. Darum geht es aber gar nicht. Es geht darum, dass in den Mainstreammedien, in der sogenannten freien Presse des Westens, in den von drei Medienclans beherrschten Tageszeitungen der Schweiz keine einzige Stimme Gehör findet, die sich um etwas Differenzierung bemüht.

Stattdessen geht die verzweifelte Suche nach Russland-Erklärern weiter. Genauer nach Figuren, die wie gewünscht in den Echo-Chor der Putin-Verdammer einstimmen. Neuster Versuch von «Blick TV»: Ulrich Schmid. Der HSG-Professor fantasiert von einem möglichen Zusammenbruch des Regimes und analysiert mit unglaublichen prognostischen Fähigkeiten: «Ich könnte mir vorstellen, dass die Einschüchterung massiver wird

Der Mann mit der Glaskugel: Zukunftsseher Ulrich Schmid.

Für solche Erkenntnisse sind wir echt dankbar, denn dafür muss man Slawistik studiert haben.

Der Medien-Molina

Wahrnehmung ist in der Politik alles. Wenn es nicht um Wirkung, sondern um Selbstvermarktung geht.

Ihr freiwilliger Beitrag für ZACKBUM

Fabian Molina ist süchtig. Oder er leidet unter einem Aufmerksamkeitsdefizit. Aber er therapiert sich selbst. Fast 1000 Treffer in der Mediendatenbank SMD in den letzten sechs Monaten. Das soll ihm mal einer nachmachen.

Der Zürcher SP-Nationalrat hat sich zwecks medialer Wirkung angewöhnt, eigentlich zu (fast) allem eine Meinung zu haben. Die ist dann nicht sehr nachhaltig, aber zumindest zitierfähig.

Molina: ist sich für keinen Medienstunt zu schade.

Ein paar Highlights aus seinem jüngsten Medienschaffen. Da hätten wir mal Afghanistan: Er weiss genau, was dort geschehen muss: «Ziel muss sein, die Taliban mit Anreizen und Sanktionen dazu zu bringen, Menschenrechte zu respektieren.»

Natürlich müsse die Schweiz auch sofort mindestens 10’000 afghanische Flüchtlinge aufnehmen, fordert Molina. Etwas verkniffen reagiert er allerdings, wenn man ihn fragt, ob er da mit gutem Beispiel vorangehen und selbst so ein, zwei Afghanen bei sich beherbergen könnte:

«Sie werden sicher festgestellt haben, dass ich kein Staat bin. Entsprechend kann ich auch niemandem Asyl und Schutz gewähren.»

Wo er recht hat: niemals würden wir den Möchtegern mit einem Staat verwechseln. Aber er stellt Forderungen, als wäre er einer.

Molina kümmert sich auch ums Ganze

Steht gerade nichts Aktuelles an, kümmert er sich um die grossen und letzten Dinge auf der Welt. Zum Beispiel: «Die NATO gehört endlich aufgelöst.» Denn sie sei «ein gewalttätiger Sonderbund des Westens

Da stellt sich allerdings die Frage, ob Secondo Molina eine Aufnahmeprüfung in Staatskunde bestanden hätte, wenn er beantworten sollte, was denn der Sonderbund genau war.

Molinas Schreckensvorstellung.

Aber gut, auch die NATO hat diesen Angriff überlebt. War ja auch nur so eine Idee für flaue Tage.

Dagegen hat Molina eine weitere Geheimwaffe im Gepäck: er ist «Schweizer Meister im Einreichen von Vorstössen», wie sich CH Media schon über ihn mokierte. Ist da gerade nichts los, fordert er unermüdlich rasche Beitrittsverhandlungen mit Brüssel, denn selbstverständlich muss die Schweiz in der Mitte Europas nicht abseits stehen. Dass nur 13 Prozent der Schweizer diese Meinung teilen, was soll’s, die müssen ja auch nicht immer in den Medien präsent sein.

Molina liebt den grossen Auftritt so sehr, dass es auch ein kleiner tut. So reiste er zusammen mit Céderic Wermuth und Jon Pult, zwei weiteren Kämpfern für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und vorbildliches Leben, nach Berlin, um dort dem Wahlsieger Olaf Schulz zu gratulieren.

Per Flugzeug natürlich.

Wieso dreht sich die Welt eigentlich weiter?

Allerdings musste Molina einräumen: «Die Schweiz ist für Deutschland etwa so wichtig, wie für uns Liechtenstein.» Was nahm er sonst so an Erkenntnissen aus der deutschen Hauptstadt mit?

«Die Party war ausgelassen! Es gab Bier und Musik im Willy-Brandt-Haus.»

Was tut man nicht für so einen Quatsch (Foto in Originalqualität).

Leider ist es so, dass die Welt nicht wirklich zur Kenntnis nimmt, was Molina so alles verlangt, wenn der Tag lang ist und er noch keinen Auftritt in den Medien hatte. Dabei hätte er sogar das Rezept für die Heilung des ganzen Planeten: So forderte er im Mai 2020 «mit einer Erklärung alle Konfliktparteien rund um den Globus auf, sich unverzüglich an einem weltweiten Waffenstillstand zu beteiligen.» Denn nur so könne die Pandemie effizient bekämpft werden.

Wir ahnen es: niemand hörte mal wieder auf ihn, es gibt weder weltweiten Frieden, noch ist die Seuche besiegt. Aber immerhin, das Thema Corona ist inzwischen ein Selbstläufer für den eitlen Selbstdarsteller. Daraus presst er unablässig Medienauftritte, wofür ihm kein auch noch so absurder Vergleich zu schade ist.

Die Impfpflicht für alle, die er mehr oder minder verklausuliert fordert, das sei so etwa wie die Dienstpflicht für Männer.

Corona gibt immer etwas her

Inzwischen will Molina auch äusserlich seinem erfolgreichen Vorbild Céderic Wermuth gleichen und hat sich für einen – allerdings eher schütteren – Dreitagebart entschieden.

Den hält er natürlich auch jederzeit dorthin, wo eine Kamera läuft und ein Mikrophon angeschaltet ist. So meint der zum Seuchenexperten mutierte Luftikus, dass natürlich «die aktuelle Durchseuchungsstrategie bei Kindern keine Lösung» sei.

Betroffener Blick, Meinung aus dem Stegreif: Molina.

Sollten also auch unsere Kleinen ein Zertifikat mit auf den Lebensweg bekommen? Denn das ist aktuell nur ab 16 Jahre nötig und möglich. Da wirft Molina alle Grundprinzipien der Logik über Bord: «Das Zertifikat ist eine Möglichkeit, mehr Freiheit zurückzubekommen.»

Welche Freiheit sollten Kinder «zurückbekommen»? Sie sind doch zertifikatsfrei. Ob das Zertifikat ein Schritt in die Unfreiheit wäre, sei dahingestellt. Aber auf jeden Fall bekommt jemand, der kontrollierbar geworden ist, dadurch kein Stück Freiheit geschenkt.

Aber um solche Finessen geht es Molina auch gar nicht. Denn er weiss genau: wen interessiert schon mein dummes Geschwätz von gestern. Heute ist ein neuer Tag, morgen auch, und immer wieder in den Medien aufzutauchen, das ist Knochenarbeit. Auch wenn längst schon kein Fleisch mehr an den vorhersehbaren Miniprovokationen des Dampfplauderers hängt.

Schliesslich gehört das zum Anforderungsprofil eines Berufspolitikers, der nichts anderes gelernt hat. So als Dauerstudent der Geschichte und Philosophie. Er wurde im zweiten Anlauf Juso-Präsident, ist ehemaliger Jugendsekretär der Gewerkschaft Unia, «wissenschaftlicher Mitarbeiter» bei «Swissaid» und in den Nationalrat nachgerückter SP-Genosse.

In Molinas Medienmaschinenraum.

Wir fordern, dass weniger gefordert wird

Umso bedeutungsloser die Medien werden, desto lauter krähen sie Forderungen heraus.

Die Taliban haben in Afghanistan die Macht ergriffen, der letzte US-Soldat ist in den letzten Flieger gestiegen, der den Flughafen von Kabul Richtung Rettung verliess. Das lässt der «Tages-Anzeiger» von München aus beobachten, weil man dort die grossen Fernrohre Richtung Kabul stehen hat.

Nun gibt es aber noch eine – eigentlich überflüssige – Auslandredaktion von Tamedia. Wenn’s der langweilig wird, die ß aus den Artikeln der «Süddeutschen Zeitung» zu entfernen und «parken» durch «parkieren» zu ersetzen, «grillen» durch «grillieren», dann schreibt man einen Kommentar.

Nicht man, der Auslandchef Christof Münger höchstpersönlich. Zunächst äussert er einen menschenfreundlichen Wunsch:

«Es wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn sich IS-Terroristen und die Taliban in einem abgelegenen Tal Afghanistans gegenseitig in die Luft sprengen

Aber, da ist Münger welterfahrener Realist: «Nur wird es nicht so laufen.» Schade auch, aber wie soll man dann mit dieser «islamistischen Brut» umgehen? Einfach ignorieren? Aber nein, meint Weltpolitiker Münger, denn «bereits erheben sich Stimmen, unter anderem der britische Premier Boris Johnson, die fordern, mit Verbrechern wie den Taliban zu verhandeln».

Sprengkommando aus dem Hause Tamedia.

Das geht gar nicht, donnert Münger von seinem Kommandopult an der Werdstrasse oder vielleicht aus dem Homeoffice: «Die Taliban sind und bleiben eine Terrororganisation. Mit ihnen zu verhandeln, ist keine Option, ausser es geht um humanitäre Hilfe für die leidgeprüfte Bevölkerung.»

Verhandlungen sind für den Arsch, meint Münger

Verhandeln ist nicht, meint Münger fundamentalistisch, er hat auch eine putzige Begründung dafür: «Wohin das führen kann, hat das Abkommen von Doha gezeigt, das die US-Regierung an der afghanischen Regierung vorbei mit den Taliban erzielt hat. Donald Trumps Deal hat es den selbst ernannten Gotteskriegern erst ermöglicht, Afghanistan handstreichartig zu erobern.»

Wenn ein Volonteur als Fingerübung so einen hanebüchenen Unsinn absondern würde, würde man ihn darauf aufmerksam machen, dass selbst in einem Kommentar die Vergewaltigung der Wirklichkeit ihre Grenzen hat. Weder der korrupten und weitgehend machtlosen afghanischen Marionettenregierung, noch der Militärmacht NATO war es in 20 Jahren gelungen, eine Art Zivilgesellschaft gegen die Stammeskrieger zu errichten.

Mangels funktionsfähiger Alternative war es nur konsequent, nach Zehntausenden von Toten die Besatzung zu beenden.

Schlimmer noch ist, dass Münger kategorisch jede Verhandlung mit den Herrschern des Landes ablehnt. Gilt das auch für Burma? Für alle gescheiterten Staaten in Afrika? Für Venezuela? Für Saudi-Arabien? Für den Iran? Dort herrschen doch auch entweder Terrororganisationen oder Regimes, die Terrororganisationen unterstützen.

Wenn Münger verhandeln würde …

Was heisst da «ausser es geht um humanitäre Hilfe»? Wie würde das Münger machen, sässe er nicht hinter einem Bildschirm, sondern vor den Taliban?

«Hört mal, ihr islamistische Brut, ich will jetzt über humanitäre Hilfe verhandeln. Könntet ihr euch währenddessen in einem abgelegenen Tal gegenseitig in die Luft sprengen? Danke.»

Aber die Welt kann aufatmen: die Meinung Müngers interessiert wirklich nicht. Ausser den armen Abonnenten eines Produkts von Tamedia, die sogar noch für diesen Stuss etwas bezahlen müssen.

Was Münger recht ist, kann Cavelty nicht unrecht sein

Nur schon aus Gründen der Ausgewogenheit fügen wir ein Beispiel aus dem Hause Ringier hinzu. Dort will man ja den Lead bei der Bekämpfung von sogenannten Impfgegnern nicht aus der Hand geben. Dafür ist die indirekte Bewirtschaftung des Themas geeignet:

So sieht ausgewogene Berichterstattung aus.

Aber auch vor direkten Forderungen, Ratschlägen und Urteilen schreckt man nicht zurück. Der Chefredaktor des «SonntagsBlick» muss sowieso eine Scharte auswetzen, die er sich mit dem Versuch der Berichterstattung über den ehemaligen VR-Präsidenten von Raiffeisen eingehandelt hatte.

Der donnerte doch in einem Editorial:

«Die Impfgegner machen mit dem Virus gemeinsame Sache».

So interpretiert Gieri Cavelty kühn die Aussagen eines Immunforschers: «Die Impfgegner identifizieren sich nicht bloss sprachlich mit dem Virus, sie machen gemeinsame Sache mit ihm und sichern seinen Fortbestand

Unangenehme Unwahrheiten: Editorial von Cavelty.

Impfen als Allheilmittel? Das durchgeimpfte Israel wandelt sich vom Musterknaben zum neuen Brutherd der Pandemie. Wirksamkeit der Impfung? Fehlen eines Impfzwangs? Was kränkeln Cavelty solche Probleme an, für die zusätzlich beschlossenen Staatssubventionen macht er doch gerne das Sprachrohr der Landesregierung.

Wer hört schon noch auf Journalisten?

Aber auch er trompetet so kräftig, weil er eigentlich weiss: die Meinungsmacht «Blick» ist längst ins Grab gesunken, auch ohne Virus. Die Zeiten, als nicht nur in Bern ängstlich darauf geschaut wurde, ob der «Blick» eine Kampagne für oder gegen etwas führt, sind längst vorbei.

Zu beobachten ist eine allgemeine Verzwergung der Medienhäuser. Den Zusammenschluss von ein paar Mücken jubeln sie zu einem «Digital-Riesen» hoch. Dabei spüren das die wirklichen Riesen nicht einmal. Mangels Möglichkeiten zur Recherche oder fundierter Analyse werden weiterhin ungeniert Forderungen aufgestellt, Behauptungen, unqualifizierte Meinungen geäussert.

Fröstelnd in der Abenddämmerung ihres Bedeutungsverlusts wollen sie sich wie in alten Zeiten an den Flammen der feurigen Meinungsäusserung wärmen. Es den Taliban, dem Virus, den Impfgegnern mal so richtig zeigen. Dabei braucht man schon die Ohren eines Elefanten, um das Gesumme dieser Fliegengewichte überhaupt noch zu hören.

11. September 2001

Afghanistan ist das vorläufige Ende einer fatalen Entwicklung.

Es fehlen noch 11 Tage, dann jährt sich einer der brutalsten Terroraktionen der jüngeren Geschichte zum 20. Mal.

Es sind Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis der Welt eingegraben haben. Jeder weiss noch, wo er war, als er das erste Mal die einstürzenden Zwillingstürme in New York am TV gesehen hat.

Wenn es – innerhalb der perversen Logik dieser religiösen Fanatiker – einen erfolgreichen Anschlag gegeben hat, dann war es dieser. Er führte zwar dazu, dass in Afghanistan die Steinzeit-Taliban von der Macht verjagt wurden, weil sie Osama Bin Laden und vielen anderen Terrororganisationen Unterschlupf gewährt hatten. 

Aber derselbe Bin Laden konnte dann unbehelligt viele Jahre in Pakistan leben. Nicht zuletzt deswegen, weil sich die USA nicht so leicht an ein Land herantrauen, das die Atombombe besitzt. Also wurde die logistische und sonstige Unterstützung islamistischer Terrororganisationen durch das pakistanische Militär und den Geheimdienst toleriert.

Der irakische Diktator Saddam Hussein hingegen konnte sich zu Recht darüber beschweren, dass er mit falschen Anschuldigungen («the guy who tried to kill my daddy», George W. Bush Junior) von der Macht vertrieben wurde.

Er hatte – unterstützt durch die USA – jahrelang einen mörderischen Angriffskrieg gegen den Iran führen dürfen. Er durfte Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzen. Ungestraft. Er hatte aber weder Osama Bin Laden, noch andere Terrororganisationen unterstützt, geschweige denn Massenvernichtungswaffen in seinem Besitz. Aber mit dieser Begründung wurde er gestürzt.

Chaos durch den Kampf gegen den Terrorismus

Und der Irak ins Chaos gestürzt, kurz darauf die halbe arabische Welt. Libyen, Syrien, eine Blutspur der Verwüstung, Zerstörung, begleitet von der wöchentlich durch den Friedensnobelpreisträger Präsident Obama abgenickten «Kill List», seine Autorisierung für die Liquidation angeblicher Terroristen, meistens mit Drohnenangriffen. Dass dabei Kollateralschäden wie die Bombardierung von Hochzeitsgesellschaften und gar anschliessender Trauerfeierlichkeiten hingenommen wurden, trieben den religiösen Fanatikern scharenweise Anhänger zu.

Die wichtigsten Unterstützer des islamistischen Terrors, die Staaten der arabischen Halbinsel, in erster Linie Saudi-Arabien und Katar, kamen aber immer ungeschoren davon. Verbündete des Westens, wichtige Öllieferanten, Verbündete im Kampf gegen den Iran.

Das Kalifat, der Islamische Staat, das Wiedererstarken einer mittelalterlichen Verliererreligion, all das hatte seinen Anfang im Terroranschlag von 9/11.

Ein Anschlag in dieser Dimension hat sich in den letzten 20 Jahren nicht mehr wiederholt. Das mag an den hochgerüsteten Sicherheitsmassnahmen liegen. Das mag an der Unfähigkeit der Terroristen liegen, eine vergleichbare logistische Leistung nochmal hinzukriegen. Aber vor allem in Europa wurden viele Staaten, darunter Grossbritannien, Spanien, Frankreich, Deutschland, mit brutalen terroristischen Kleinaktionen gequält.

Autos, Bomben, ja Messer kamen dabei zum Einsatz, plus ein Fanatismus entwurzelter Gläubiger einer Verliererreligion. Befeuert durch ihre Wiederauferstehung als vermeintlicher Halt in zerfallenden Staatswesen. Während die Kolonialisten im 19. Jahrhundert wenigstens noch Nation Building betreiben wollten, sorgte der Westen diesmal nur für den Zerfall jeglicher staatlicher Ordnungsmacht.

Nicht mal mehr der Schein …

Nirgends zeigte sich das brutaler als in Afghanistan. Es sollte der Schein gewahrt werden, dass eine Zentralregierung in Kabul das Fortschreiten in eine moderne Gesellschaft leite. In Wirklich beherrschte diese Marionette, korrupt und durch und durch morsch, kaum die nähere Umgebung der Hauptstadt.

Wie selten in der Militärgeschichte erwies sich die afghanische Armee als reiner Popanz, als Showveranstaltung. Teuer ausgerüstet, aber schlecht bezahlt, gut ausgebildet, aber schlecht motiviert. Die Kämpfer der Taliban mussten kaum Waffengewalt anwenden, um diese Karikatur einer Armee in Staub zu verwandeln.

Eine Billion Dollar (das sind 1000 Milliarden) und viele Tausend Tote später wiederholt sich in Afghanistan die Geschichte. Nicht einmal einen anständigen Abzug kriegen die westlichen Alliierten hin. Gedemütigt haben sie Tausende ihrer Unterstützer verraten, die im Vertrauen darauf, am Aufbau einer modernen Gesellschaft mithelfen zu können, unter dem militärischen Schutzschirm der NATO, sich engagierten und nun erkennen müssen, dass der Westen einen Scheiss auf ihr Schicksal gibt.

Strahlende Sieger auf allen Kampfplätzen sind bislang die Taliban. Mit kaum mehr Aufwand, als aufs Gaspedal von ihnen in die Hände gefallenen Militärfahrzeugen der aufgelösten Armee drücken zu müssen, haben sie die Macht in der Hauptstadt übernommen.

Dem kläglichen Rest der Invasionsarmee überlassen sie den Flughafen. Die Elendsbilder von verzweifelten Massen entschädigen die Taliban für den Verlust von ein paar tausend gutqualifizierten Afghanen. Ausserdem ist nun Schluss mit der Scharade,  ein blutiger Anschlag sorgte noch für den letzten Tritt in den Hintern, damit keiner auf die Idee kommt, das Ende der Evakuierung heute noch hinausschieben zu wollen.

Im Elendstal der modernen Medien

Während verzweifelte lokale Helfer zurückgelassen werden, laden die USA gegen deren Willen Journalisten in die letzten Flieger – als wollten sie Hand in Hand mit den Taliban eine weitere Berichterstattung nach Möglichkeit verhindern. Darunter eine Reporterin des «Guardian» und einer des «Spiegel».

Die Elendsgestalten zum Skelett heruntergesparter deutschsprachiger Medien versuchen, die Lage in Afghanistan mit dem Fernrohr oder dem Teleskop zu beobachten. Aus Unkenntnis oder Unfähigkeit geben sie Lautsprechern der Taliban Gelegenheit, von einer neuen Regierung mit menschlichem Antlitz zu schwafeln. Aus Unkenntnis oder Unfähigkeit bieten sie alle Zukunftsperspektiven von «könnte was werden» bis zu «wird grauenhaft».

Über die eigentlich entscheidenden Entwicklungen und Kräfte, also die Atommächte China, Pakistan und Indien und deren Absichten, wird kaum ein Wort verloren.

Kümmert sich jemand um die Frage, ob der Westen zum 20. Jahrestag von 9/11 mit einem neuerlichen grossen Terroranschlag rechnen muss? Nein, all das liegt ausserhalb der intellektuellen Reichweite und hat vor allem nichts mit der Bauchnabelschau zu tun, der sich in Schweizer Medien die meisten Journalisten vornehmlich widmen.

 

Ich, der Korrespondent

Das Anforderungsprofil ist niedrig. Kamera, Mikrophon, Screen, gerunzelte Stirn. Et voilà.

«Wir schalten zu unserem Laos-Korrespondenten. Wo steht Vientiane in der Bekämpfung der Pandemie?» Ich mache ein ernstes Gesicht und hebe an:

«Gerade ist eine Pressekonferenz des Gesundheitsministeriums zu Ende gegangen. Kurz vorher konnte ich noch mit dem stellvertretenden Vizeminister sprechen. Der bestätigte mir, dass die Lage völlig unter Kontrolle ist.»

Bin gerade mal in Vientiane.

Ich hole mir schnell ein Gipfeli in der Migros bei mir um die Ecke im Zürcher Kreis vier, gönne mir einen Schluck Kaffee und bin bereit für den nächsten Einsatz.

Irgendwo im Nirgendwo in Mali.

«Wir haben das unseren Mali-Korrespondenten René Zeyer gefragt», ist diesmal die Einleitung. Ich mache ein sehr ernstes Gesicht und sage: «Die Lage in den von Islamisten beherrschten Gebieten ist nach wie vor unübersichtlich. Die wenigen Nachrichten, die uns von dort erreichen, lassen das Schlimmste für die Zivilbevölkerung befürchten

Oldtimer, Kapitol, alles klar: Havanna.

Ich lockere die Krawatte, als ich meine nächste Korrespondentenstelle antrete. «Für die kubanische Regierung ist es der perfekte Sturm», intoniere ich geübt, «ausbleibende Touristen, kaum Exporte, immer grössere Probleme mit Geldüberweisungen von Exilkubanern, die Lage ist ernst.» Hier war nur ein Soundbite von 15 Sekunden gefragt, das wird dann wohl noch um die Hälfte gekürzt werden.

Burma, Myanmar, ist doch egal.

Aus diesem Grund macht der Korrespondent immer wieder eine kurze Kunstpause, damit der Schnitt nicht zu auffällig wird. Ich schaue auf meinen Terminkalender. Aha, noch zwei TV-Stationen, eine möchte ein kurzes Update zu Burma, die andere interessiert sich doch tatsächlich für den Jemen.

Auch im Jemen regnet’s manchmal.

Dann ist Bild und Ton vorbei, es kommt eine Latte von Radiostationen, die ich ohne Krawatte, einfach mit Kopfhörer und Kondensermik bedienen kann. Ich mische dann noch über mein Programm etwas statisches Rauschen und gelegentliche Knackser rein, damit die Übertragung nicht zu geleckt daherkommt.

 

Fiktion und Wirklichkeit: Wer kann noch unterscheiden?

TV, Radio, Hauptsache authentisch mit O-Ton

Am Radio kann ich auch etwas mehr mit der Tonlage spielen; mal gelassen, aber seriös, mal etwas angespannt und gepresst. Denn am Radio bin ich selbstverständlich immer vor Ort. Meine letzte «Live»-Übertragung vom Flughafen Kabul brachte ganz schön Geld in die Kasse; Stationen standen Schlange, um mich exklusiv zu verpflichten.

Echter Afghane aus Kabul.

Das kann ich in solchen Situationen natürlich nicht zusagen, aber ich garantiere exklusive Zweitverwertung und mische verschiedene O-Töne drunter, die ich bei YouTube abgesaugt habe.

Ein richtiger Knaller war auch mein Interview mit Mohammad, ein ehemaliger Mitarbeiter der Schweizer, deutschen oder österreichischen Entwicklungshilfe, je nachdem. Er ist afghanischer Familienvater, hat zwei Töchter, 12 und 14, also im besten Alter für eine Zwangsverheiratung. Er selbst harrt am Flughafen aus, während sich seine Frau mit den Töchtern in einer klandestinen Wohnung in einem Vorort Kabuls versteckt.

Bin ich froh, dass es neben Tamilen und anderen Asylanten auch afghanisches Personal in Zürcher Restaurants gibt, das sich gerne ein Zubrot verdienen möchte. Burma und Mali, das ist etwas schwieriger, ich arbeite gerade an zwei Augenzeugenberichten, leider hapert es da etwas mit den Deutschkenntnissen, aber vielleicht lasse ich das auf Englisch und Französisch einsprechen und mache dann eine Übersetzung drüber.

Das ist doch kein Beschiss, einfach alternativer Journalismus

Das ist doch Beschiss, höre ich da? Das verbitte ich mir. Ich kenne schliesslich einen Schweizer in Vientiane, der brieft mich jeweils, und Kuba kenne ich, weil ich dort tatsächlich mal Korrespondent war. Burma ist doch gleich um die Ecke bei Laos, und Mali, nun ja, wie soll es denn in einem gescheiterten schwarzafrikanischen Staat schon zugehen, wo die ehemalige Kolonialmacht Frankreich wütet?

Ich bereite mich schliesslich auf jeden Einsatz seriös vor. Das kann doch nicht falsch sein; das Schweizer Farbfernsehen befragt seinen Afghanistan-Korrespondenten doch auch beinahe täglich, und der sitzt in Amman mit dem grossen Fernrohr. Die deutsche «Tagesschau» und die NZZ lassen Kabul von Delhi in Indien beobachten, niemand hat einen Korrespondenten in Burma, Laos, Kuba oder Mali. Vom Jemen ganz zu schweigen.

Ich denke allerdings daran, mein Portefeuille noch etwas auszuweiten. Doha kommt immer mehr ins Gespräch, seitdem dort die Luxus-Taliban sitzen. Dubai ist allerdings eher auf dem absteigenden Ast; schade, ich hatte so ein schönes Video des Burj al Arab auf meinem Greenscreen als Hintergrund. Sogar im Morgen- und im Abendlicht, je nachdem.

Nicht mehr so gefragt: Dubai.

Oh, schon wieder Skype, der nächste Kunde wartet. Der möchte mit seinem Afrika-Korrespondenten über den Kongo sprechen, da muss ich nochmal das Zitat von Joseph Conrad nachschlagen, hier sprechen wir ein gebildetes Publikum an.

Vorbei, gestorben, nie wieder.

Weltmeisterschaft der Heuchler

Es sollte eine olympische Disziplin werden. Pflicht, Kür, Medaille im Heuchel-Wettkampf. Verliehen wird ein Tartuffe in Gold, Silber oder Bronze.

Ich sage Afghanistan. Was sagst du? Die Flüchtlingsorganisation der UNO sagt: «UNHCR ruft aufgrund der humanitären Krise in Afghanistan zu einem dauerhaften Waffenstillstand und einer Verhandlungslösung im Interesse des afghanischen Volkes auf.»

Was sagt die UNICEF, die Kinderhilfsorganisation der UNO? «Wir fordern die Taliban und andere Parteien auf, dafür zu sorgen, dass UNICEF und unsere humanitären Partner sicheren, rechtzeitigen und ungehinderten Zugang haben, um Kinder in Not zu erreichen, wo immer sie sind. Darüber hinaus müssen alle humanitären Akteure die Möglichkeit haben, nach den humanitären Grundsätzen der Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit zu handeln.»

Was sagt CH Media? «Deutscher Afghanistan-Veteran: «Die Menschen fürchten die Rache der Taliban – sie haben Todesängste»»

Was meldet der «Tages-Anzeiger»? «James Dobbins war der erste US-Botschafter in Afghanistan nach der Invasion von 2001 und Berater von Bush und Obama. Er sagt unter Tränen: Ich trage eine Verantwortung.»»

Was sagen die USA über das Schicksal der bereits Ausgeflogenen, die in Doha zwischengelagert werden? «Man sei sich der «schrecklichen hygienischen Zustände in Katar» bewusst, die dort geherrscht hätten, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby. Man habe bereits daran gearbeitet, sie zu verbessern», berichtet «20 Minuten».

Die St. Galler Stadträtin Sonja Lüthi:

«Ich bin persönlich – wie auch der gesamte Stadtrat – tief betroffen von den erschütternden Bildern, die uns aus Afghanistanerreichen.»

Auch Balthasar Glättli, Präsident der «Grünen», ist aufgewacht und will das Feld nicht Afghanistan-Kreische Fabian Molina und seiner SP überlassen: «Der Bundesrat zeigt sein kaltes Herz: 230 Personen aufzunehmen, während Millionen Menschen in Gefahr sind, ist ein Hohn. Wir GRÜNE fordern die Aufnahme von mindestens 10’000 Menschen, die besonders bedroht sind.»

Hauptsache gut im Bild: Balthasar Glättli.

Das sieht die Schweizerische Flüchtlingshilfe auch so:

«Afghanistan: Die Schweiz muss mehr leisten für den Schutz der Flüchtlinge»

Neben diesem Maulheldentum, was passiert denn konkret? In Deutschland versucht ein EU-Abgeordneter der Grünen, einen Charterflug nach Kabul zu organisieren und sammelt dafür Spenden ein. Leider hatte der gleiche Erik Marquardt schon rund 300’000 Euro für das Chartern eines Bootes zur Seenotrettung im Mittelmeer gesammelt. Zu einem Einsatz des Schiffes kam es nicht

Aber Marquardt unterscheidet sich von den fordernden Heuchlern immerhin dadurch, dass er etwas Konkretes auf die Beine stellen will. Er antwortet allerdings nicht auf journalistische Anfragen; man sei zu sehr mit der Organisation des Charterflugs beschäftigt. Mangels anderer Nachrichten ist es wohl eher ausgeschlossen, dass der vor dem 31. August noch stattfinden wird.

Reine Heuchelei, absurde Forderungen

Alles Betroffenheitsgesülze ist reine Heuchelei. Konkrete Hilfe ist gar nicht so einfach. Vielleicht sind da alle unter talibanartigen Zuständen bei Tamedia leidende Frauen konsequent, wenn sie zum Thema Afghanistan und Frauen einfach schweigen. Betrifft ja nicht ihren eigenen Bauchnabel, und der interessiert sie halt schon am meisten.

Es ist schwierig, konkret etwas zu tun. Angesichts all dieser hohlen Forderungen, Solidaritätsadressen, dem mehr oder minder lyrischen Ausdruck der Erschütterung kann man nur festhalten: das ist alles so widerlich, dass es eine neue Wettkampfdisziplin geben sollte. Wir schlagen den Namen «Radfahrer-Dreisprung» vor. Gemessen werden die Sprungweite, die Haltung dabei und die Eleganz der Landung.

Dabei gibt es eine Pflicht- und ein Kürnote. Pflicht bewertet die obligatorischen Sprünge, Kür besondere Einlagen dabei.

Gehupft wie gesprungen: leiden und fordern.

Der erste Sprung besteht in der möglichst eindrücklichen Darstellung der eigenen Betroffenheit. Der zweite ist das Anprangern des allgemeinen Versagens, ausgenommen das eigene. Der dritte Sprung besteht schliesslich aus einem Forderungskatalog.

Kürnoten gibt es für Zusatzsaltos, Schrauben und besonders beeindruckende Luftblasen beim Springen. In der Schweiz sind zurzeit Cédric Wermuth, Fabian Molina und neu Balthasar Glättli in den Medaillenrängen. Aber eine endgültige Bewertung steht noch aus; alle Sprünge bis zum 31. August zählen für die Wertung.

Von links nach links: Wermuth und Molina sowie Molina.

Der Wettbewerb steht auch für Frauen, Transgender oder Non-Binäre offen, obwohl wir hier noch keine beeindruckenden Leistungen gesehen haben; vielleicht mit Ausnahme von Sibel Arslan oder Tamara Funiciello. Aber beide haben noch keinen gültigen Versuch hingelegt, nur unkoordinierte Kurzsprünge.

Wenn du für alle kämpfst, kämpfst du für niemanden …

Nur meckern und polemisieren?

Natürlich ist die Frage erlaubt: Was macht dann ZACKBUM eigentlich? Wir haben gespendet, obwohl wir nicht sehr optimistisch sind. Wir setzen uns zudem für den in die Schweiz geflüchteten ehemaligen BBC-Bürochef in Kabul ein, der verzweifelt versucht, seine Familie aus Afghanistan herauszukriegen. Es ist bekannt, dass die fundamentalistischen Irren hinter ihrer freundlichen Fassade für blöde westliche Medien schon längst dabei sind, Listen abzuarbeiten, auf denen auch kritische Journalisten oder deren Familienangehörige stehen.

Dafür halten wir uns mit Betroffenheitsgesülze zurück, stellen keine absurden Forderungen auf und schimpfen auch nicht über das Versagen des Westens in Afghanistan, nachdem wir jahrelang nichts zu diesem Thema sagten. Uns hält das, im Gegensatz zu den Berufsheuchlern, etwas von Verurteilungen ab.

 

 

 

 

 

Fragen eines denkenden Laien

Afghanistan, du fernes Land des Nixverstan. Wieso beantwortet niemand banalste Fragen?

Seit den vorhersehbaren Terroranschlägen am Flughafen von Kabul geht die Tragödie ihren Gang, als sei sie von Sophokles geschrieben.

Aber genauso wenig, wie die meisten Schweizer Journalisten Sophokles ohne zu googeln kennen, sind und bleiben sie völlig unbeleckt von Kenntnissen über das Land am Hindukusch. Das ist nicht weiter schlimm, denn

es zeichnet ja den Journalisten aus, dass er nichts über alles oder alles über nichts weiss.

Auf jeden Fall eine klare Meinung dazu hat und mit dem beleidigten Bedauern des Ungehörten in alle Richtungen Kritiken, Zensuren und Besserwissereien verteilt. Auch das ist zwar nervig, aber nicht schlimm.

Fachwissen kann man sich ausleihen

Fachwissen kann sich der Journalist ja hereinholen, am besten, indem er einen Fachmann interviewt. Früher durfte der Spezialist auch noch etwas schreiben, aber dafür musste man ja ein Honorar zahlen, also fällt das weg; Interviews sind immer noch gratis. Meistens.

Also interviewt im «Tages-Anzeiger» ein gewisser Ronen Steinke einen gewissen «Islamwissenschaftler Behnam Said». Nur so als Beispiel herausgegriffen. Man sollte vielleicht wissen, dass Steinke natürlich nicht für Tamedia, sondern die «Süddeutsche Zeitung» arbeitet. Steinke hatte noch nie etwas mit Afghanistan zu tun, aber auch das macht ja nichts.

Islamwissenschaftler Said wiederum arbeitet für die Justizbehörde Hamburg und ist Autor mehrerer Bücher über Salafismus, den Islamischen Staat und Al-Kaida. Auch er hat mit Afghanistan nicht wirklich was am Hut.

Greifen wir nur eine Aussage heraus:

«Die afghanischen Taliban haben in erster Linie nationale Ziele.»

Das ist blühender Unsinn. Um das zu erkennen, genügt bereits die Erkenntnis, dass rund die Hälfte der afghanischen Bevölkerung Paschtunen sind, rund 15 Millionen. In Pakistan hingegen leben 20 Millionen Paschtunen. Wie häufig in der Geschichte wurde dieses Volk durch eine willkürliche Grenzziehung, hier die sogenannte Durand-Linie, von den britischen Kolonialherren getrennt. Das war 1893, das Volk der Paschtunen existierte schon Jahrhunderte vorher.

Wer keine banalen Grundkenntnisse hat, versteht nichts

Wer das nicht versteht, versteht die Rolle Pakistans, immerhin eine Atommacht, nicht. Wer noch nie von Belutschistan gehört hat, versteht Pakistan nicht. Wer nicht weiss, dass für China Afghanistan und Pakistan nicht klar unterscheidbare Ländern sind, versteht das Handeln des wichtigsten Players in der afghanischen Tragödie nicht. Ach, und dann gibt es noch Indien und den schiitischen Iran, und eine Handvoll Ex-sowjetischer Staaten, die sich unter dem militärischen Schirm der UdSSR entschieden wohler fühlten als heute.

Nehmen wir noch Bodenschätze dazu, das Scheitern aller westlichen Interventionen, geographische Gegebenheiten wie der mögliche Zugang Chinas ans Meer, dann hätten wir doch einen interessanten Katalog von Fragen über die zukünftige Entwicklung Afghanistans.

Komplex genug: aus «Le Monde».

Dabei wollen wir sicherlich auch nicht den Steinzeit-Fundamentalismus, die Organisation als Stammesgesellschaft, radikal-religiöse Strömungen, offene oder versteckte Unterstützer jeder Form von internationalem Terrorismus und pragmatischere Machtmenschen innerhalb der Taliban vergessen.

Aber wie in jeder Herrschaftsform, bei der Staat und Religion aufs engste verwoben sind, ist kein zweckrationales und verlässliches Handeln zu erwarten. Hingegen ein absehbares Desaster. Die Schalmeienklänge aus Doha, mit denen sich viele westliche Medien einlullen lassen, zeugen nur von einer beeindruckenden Lernkurve der Taliban.

In nur 25 Jahren haben sie gelernt, dass das Foltern und Aufknüpfen des afghanischen Präsidenten und seine Zurschaustellung an einem Betonpfosten nach der Machtübernahme keine so gute Idee war. Sie haben aber auch gelernt, dass ihre radikale Auslegung der Scharia und die Behandlung von Frauen schlechter als ein Stück Vieh nur leise Proteste auslöste. Das Genick brach ihnen damals die Wahnsinnstat der Al-Kaida unter Bin Laden gegen die USA.

Bin Laden wurde in Pakistan zur Strecke gebracht

Dummerweise hatten die Taliban all diesen Terroristen im Namen Allahs bereitwillig Unterschlupf gewährt. Bin Laden wurde dann allerdings in Pakistan zur Strecke gebracht, wo er unter dem Schutz des pakistanischen Militärs und Geheimdienstes jahrelang friedlich leben konnte. Gegenüber der pakistanischen Militärjunta (die wahre Macht im Land) trauen sich die USA aber nicht so aufzutreten wie in Afghanistan; die Atombombe macht den ganzen Unterschied.

Wie jede Kampftruppe, die an die Macht gekommen ist, müssen die Taliban sich nun mit ganz banalen Themen herumschlagen, wozu der Finanzhaushalt des Landes gehört. Wie werden sie das managen, bekanntlich ist ihre Haupteinnahmequelle die Herstellung von und der Handel mit Opium. Bei den hier umgesetzten Milliardenbeträgen braucht es Finanzinstitute, die die Geldströme bewältigen und Drogengelder weisswaschen.

Das wäre nun ein kleiner Strauss von laienhaften, nur aus oberflächlicher Beschäftigung mit Afghanistan gewonnenen Themenfeldern.

Das führt zur banalen Frage eines Laien: Wieso bekommen wir dazu keine Antworten? Wieso kreisen wieder einmal 99 Prozent aller Beiträge um die Begriffe Terror, Burka, Steinzeit-Regime? Wieso werden die ewigen, wenigen, überschaubaren Fragen durch die Medienmühlen gedreht, bis sie zu Staub gemahlen sind und dem Publikum im Mund knirschen?

Zentralregierung? Lachhaft.

Banale Fragen eines Laien

Wieso werden diese Themenfelder nicht wenigstens skizziert, abgesteckt, untersucht? Vieles davon ist vom Schreibtisch in Zürich, in München, in Hamburg möglich. Statt arme Korrespondenten, die tausende Kilometer von Kabul entfernt sind, mit Fragen nach der Einschätzung der Lage am Flughafen zu belästigen.

China, Pakistan, Indien. Das sind die wichtigsten Player auf dem Spielfeld. Wird es den Paschtunen diesmal gelingen, den Traum eines eigenen Staates zu verwirklichen? Wird Pakistan implodieren (oder schlimmer noch: explodieren)? Geht Chinas Rechnung auf; Rohstoffe, Korridor ans Meer, Kontrolle?

Andere Seidenstrasse: der «Korridor». Gewusst?

Sind doch faszinierende Fragen. Könnte doch jeder drauf kommen, nicht nur der Laie von ZACKBUM. Letzte banale Frage: Wieso nicht? Ketzerische Überlegung: Könnte das vielleicht daran liegen, dass im Journalismus inzwischen an allem gespart wird – ausser an arroganter Dummheit, Selbstverliebtheit und aus Unsicherheit über die eigene Zukunft geborenem Desinteresse an der Welt?