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Wumms: Daniel Binswanger

Der HiC der «Republik».

Es gibt den Commander in Chief, den Oberkommandierenden. Berühmtestes Beispiel war Fidel Castro, der Comandante en Jefe. Das war ein Monument von Mann.

Bei der «Republik» ist alles eine Nummer kleiner. Einige Nummern kleiner. Klitzeklein. Hier gibt es einen HiC. Das steht für Heuchler in Chief. Denn nichts anderes ist der Chefredaktor Daniel Binswanger.

Er gehörte zum Team des «Magazin» von Tamedia. Eine rachsüchtige Ex-Mitarbeiterin zog, nachdem sie gefeuert worden war, über ihren ehemaligen Chef dort her. Der habe sie auch vor der versammelten Redaktion erniedrigt, sei verbal übergriffig geworden.

Endlich mal eine Anschuldigung, die man problemlos verifizieren oder falsifizieren könnte. Denn es gab ja angeblich genug Augen- und Ohrenzeugen. Nur: die feigen Gutmenschen des «Magazin» waren nicht in der Lage, so viel Zivilcourage aufzubringen, um sich öffentlich zu äussern. Stimmen die Vorwürfe, stimmen sie nicht? Der nachgerutschte Chefredaktor Bruno Ziauddin? Verweist schmallippig an die Medienstelle des Hauses. Mikael Krogerus, Lebensgefährte der Kampffeministin Franziska Schutzbach, die nie zögert, Sexismus anzuprangern, wo er ist und nicht ist? Tiefes Schweigen. Und Daniel Binswanger, der über Jahre eine Kolumne schrieb, in der er unermüdlich der Welt gute Ratschläge erteilte und alles Böse, Diskriminierende, Sexistische streng verurteilte? Kein Ton.

Er bleibt sich treu. Denn er wechselte zur «Republik», wo er jede Woche genau das Gleiche wie beim «Magazin» macht. Und sonst nicht viel. Aber da das Blatt für alles Gute auf der Welt einen ziemlichen Verschleiss an Chefredaktoren hat, übernahm er auch diesen Posten geschmeidig.

Nun hat die «Republik» ein paar Probleme. Geldprobleme, Steuerprobleme, Klimalabor-Probleme, Payroll-Probleme, Probleme mit dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung. Ach, und ein Problem mit ihrem Star-Reporter, der gerade menschenfreundlich fristlos gefeuert wurde. Ohne dass er wusste, wer ihn eigentlich beschuldigt. Ohne dass er die versprochene Gelegenheit bekam, sich zu den Vorwürfen zu äussern.

Selten schräg ist auch: alle Denunziantinnen (Männer dürften nicht darunter sein) verstecken sich feige in ihrer Anonymität. Den Namen des Beschuldigten kennt eigentlich jeder, aber auch er wird nicht genannt. ZACKBUM respektiert das, findet es aber inzwischen ziemlich kindisch.

Das wären doch so zwei, drei Gründe, dass der nie um einen Ratschlag für die Welt verlegene Binswanger das mal in seiner Kolumne thematisieren könnte. So als Chefredaktor und Verantwortungsträger.

Doch nicht die schreibende Schmachtlocke. Stattdessen labert sie im Podcast «Demokratie-Check» über das ausgeleierte Thema «Was macht Fremdenhass zu einer politischen Waffe der Rechten?» Stattdessen:

Die Hütte brennt, der Dachstock droht einzustürzen, der Keller steht unter Wasser, die «Republik» steckt in einer existenzbedrohenden Krise, die diesmal nicht durch Geldmangel verursacht ist. Das Blatt der guten Lebensart versemmelt geradezu dramatisch und tragisch die Handhabung einer keinen Sexismus-Affäre. Der neue Verwaltungsrat zeigt gleich zu Beginn, dass er die Lage nicht im Griff hat und dem Problem nicht gewachsen ist.

Screenshot «Republik».

Ungeschicktere Medienmitteilungen als diejenigen, die von 55 angeblichen Kommunikationsprofis gebastelt werden, hat man nicht mehr gesehen, seit Pietro Supino den Roshani-Skandal in den Sand setzte.

Und Binswanger? Er folgt dem Beispiel von Constantin Seibt. Der kümmert sich eigentlich nur noch um den Faschismus in den USA. So von Zeit zu Zeit, wenn er Sprachdurchfall bekommt. Co-Chefredaktorin Bettina Hamilton-Irvine? Preist im idealen Moment einen neuen NL an. Die «Stabsstelle Chefredaktion»? Sagt komischerweise nix. Dominik Cavalli, «Head Human Resources»? Sagt zu dieser humanen Katastrophe nix. Sonia Cirillo, «Senior Controllerin», kontrolliert nix. Amanda Strub und Katharina Hemmer, die Co-Geschäftsführerinnen? Dürfen nix mehr sagen. Der Golden-Ager VR? Eiert.

In einer solch desolaten Lage wäre es doch die vornehmste Aufgabe des Commander in Chief, von der Kommandobrücke der eigenen Mannschaft aufmunternde Durchhalteparolen zuzurufen. Der Öffentlichkeit mit markigen Worten klarzumachen, dass die «Republik» alle Probleme in den Griff bekommt, noch besser wird, noch guter, noch humaner, noch vorbildlicher, noch transparenter.

Da könnte sich Binswanger ein Beispiel an der Edelfeder Ullrich Fichtner beim «Spiegel» nehmen. Den kostete der Relotius-Skandal zwar die schon zugesagte Stelle als Chefredakteur. Aber in einem Gewaltakt schrieb der die Relotius-Affäre so hin, dass es eine intellektuelle und schriftstellerische Freude war, ein solch raffiniertes Schönschreiben zu lesen. Eine perfekte Mischung aus Schuldeingeständnis, Erklärung, Berufung auf das Gute beim «Spiegel», Selbstgeisselung und ein Spürchen Kritik an den Kritikern. Ein Sahnestück.

Statt schwabbeln endlich mal schreiben. Statt die Welt, die Schweiz und alles Rechte und vor allem die SVP zu kritisieren, was ja wohlfeil ist, endlich mal ein intellektuell anspruchsvoller Versuch, die Kacke, in der die «Republik» steckt, golden anzumalen und zu parfümieren. Wäre eine echte Herausforderung. Aber davor versagen die Republikaner regelmässig.

Sie bleiben lieber im Mief der Selbstgerechtigkeit unter Luftabschluss unter sich. Kein schöner Anblick.

Ringiers Liebling Berset

Das nennt man einen Spagat.

Im Nachgang zur ausser Kontrolle geratenen Liebesaffäre von Bundesrat Alain Berset haben die beiden Geschäftsprüfungskommissionen des Parlaments das Ergebnis der Untersuchungen veröffentlicht:

Gelegenheit für den «Blick», hörbar aufzuatmen und Walders Liebling mal wieder wie einen Blues Brother zu zeigen:

Kein Wunder, stehen die Damen auf den feschen Herrn.

Nun gibt es da allerdings so ein klitzekleines, heikles Problem in der ganzen Affäre. Der «Blick» ist nun allerdings nicht so blöd wie der Tagi und liesse das unter den Tisch fallen. Keineswegs, wenn man weit, weit hinunterscrollt, kommt man doch zu diesem feschen Bild des BB, also des BR:

Hier merkt man allerdings der Titelgebung deutlich an, dass sich der Redaktor bewusst war, welche engen Bande zwischen Ringier-CEO Walder und dem Bundesrat existieren, der sich ja auch schon mal als Dressman und Interviewer in einem Ringier-Organ blamierte. Denn von «soll» kann keine Rede sein; die Mails wurden eingestandenermassen gelöscht. Sie hätten nämlich den Vorwurf belegen können, dass Berset Kräfte seines Departements dafür einsetzte, sein privates Schlamassel aufzuräumen.

Aber was kann er auch dafür, dass er mit oder ohne Hut so attraktiv ist …

Affäre Lachappelle: das Ende

Verfahren eingestellt, alle Vorwürfe haltlos. Das ist das Ende eines Medienskandals.

Den VR-Präsidenten von Raiffeisen kostete er den Job, Guy Lachappelle wurde persönlich schwer beschädigt. Die Journalistenmeute zieht weiter.

Weder Tamedia noch CH Media noch Ringier konnten widerstehen. Eine aussereheliche Beziehung, die ausser Kontrolle geraten war. Eine rachsüchtige Ex-Geliebte, die den Banker mit Strafverfahren überzog und die Medien kräftig anfütterte.

Es erschienen Dutzende von Artikeln über diesen Fall. Herausragend wie meist Arthur Rutishauser, der Oberchefredaktor von Tamedia, und Pascal Hollenstein, die publizistische Leiter nach unten von CH Media.

Jetzt vermeldet das «Tagblatt»:

««Sämtliche Anschuldigungen haben sich als haltlos erwiesen», teilte Lachappelles Anwalt am Dienstag mit. Der Staat übernehme die Kosten des Verfahrens

Auf dem Höhepunkt der Affäre, als Lachappelle seinen Rücktritt bekannt gab, feuerte Rutishauser eine ganze Tamedia-Seite ab. Dabei wird ein höchst privater E-Mail-Verkehr im Faksimile der Öffentlichkeit präsentiert. Damit wurde Tamedia angefüttert, diese Mail schickte das Medienhaus an Lachappelle mit der inquistorischen Forderung um Stellungnahme.

Rutishauser gnadenlos: «bleiben Fragen offen».

Lachappelle sah keinen anderen Ausweg mehr als Rücktritt. Dennoch trat Rutishauser in einem Kommentar nach, mit der üblichen Nummer: «Trotz Rücktritt bleiben Fragen offen». Die Frage, ob es wirklich Berichterstatterpflicht sei, mit einem privaten Mailaustausch, der einem zugesteckt wurde – von wem wohl? – hausieren zu gehen, beantwortete er nicht. Wäre auch unstatthaft für einen Konzern, der regelmässig gestohlene Geschäftsunterlagen ausschlachtet und die Hehlerware als Leaks oder Papers verkauft.

Man kann Journalismus noch mehr tieferlegen

Ein paar Stufen nach unten ging es mit der Berichterstattung von Hollenstein. Zusammen mit Florence Vuichard meldete er sich im Qualitätsmedium «watson» nach dem Rücktritt zu Wort: «Doch hat Lachappelle am Donnerstag wirklich die ganze Wahrheit gesagt? Zum Buch und zu seiner Ex-Partnerin? Dieser Zeitung liegt sowohl die Klage Lachappelles vor als auch die Klageantwort seiner Ex-Partnerin. Das letzte Dokumente datiert vom April 2021. Beides sind Parteischriften. Doch der Grad der Widersprüchlichkeit ist bemerkenswert.»

Wer hat denn wohl dran gedreht?

Dann zitiert Hollenstein, der ehrenamtliche Lautsprecher von Jolanda Spiess-Hegglin, den «renommierten Medienanwalt Rudolf Mayr von Baldegg», tätig für die Ex-Geliebte, also parteiisch bis zum Abwinken: «Es sei Lachappelle selber gewesen, «der quasi die Figur des Joe für sich annektiert hatte und sich völlig unmotiviert gegenüber mehreren Personen in seinem Umfeld dahingehend geäussert» habe, heisst es in der Klageantwort der Ex-Partnerin. Es sei davon auszugehen, dass es Lachappelle darum gegangen sei, seine Ex-Partnerin «insbesondere an ihrem Arbeitsplatz in Misskredit zu bringen und beruflich und privat zu verunglimpfen und finanziell zu schädigen».»

Audiatur et altera pars? Wer kann denn noch Latein …

Unterste Schublade des Journalismus; «she said, he said», nennt man das, wenn sich ein getrenntes Paar schriftlich fetzt: «Trennung von der Ehefrau, Zusammenzug, öffentliche Auftritte als Paar. Was stimmt? Die Fragen sind persönlich und gehen die Öffentlichkeit im Grunde nichts an. Doch Lachappelle selber war es, der am Donnerstag Intimes an die Öffentlichkeit trug. Zudem sind die Fragen zentral, um den Rechtsstreit um das verbotene Buch der Ex-Partnerin zu beurteilen.»

Das Feigenblatt, um ungehemmt in der Öffentlichkeit schmutzige Wäsche waschen zu können. Um zu den inquisitorischen Fragen zu gelangen: «Was ist wahr an dieser Beziehungsgeschichte, die Guy Lachappelle vor den nationalen Medien am Donnerstag ausgebreitet hat? Was ist unwahr? Und was lässt sich überhaupt beweisen?»

In solchen Fällen wäre es vielleicht zweckdienlich gewesen, ein Grundprinzip des anständigen Journalismus zu beherzigen: der anderen Seite Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Aber doch nicht Hollenstein, das hat eine journalistische Leiter nach unten nicht nötig.

Hätte er das getan, wäre ihm vielleicht auch die Antwort von Lachappelles Anwalt zuteil geworden, wieso an der Rücktrittspressekonferenz auf diese Anschuldigungen der Ex-Geliebten nicht eingegangen wurde:

««Uns liegt die Strafanzeige nicht vor», begründet dies Lachappelles Anwalt, Jascha Schneider-Marfels. Darum habe sein Mandant am Donnerstag nichts dazu sagen können.»»

Tamedia, auch nicht zimperlich im Umgang mit Lachappelle, hatte immerhin den Anstand, nachzufragen.

Aber damit wollte sich Hollenstein sein Schmierenstück natürlich nicht kaputtmachen lassen. Nun haben sich also alle Vorwürfe in Luft aufgelöst, es bleiben keine Fragen mehr offen. Medienbilanz: ein Desaster.

Sogenannten Qualitätsmedien, die gerne eine zusätzliche Steuermilliarde für ihre wertvolle Tätigkeit hätten, unwürdig.

Ein Feigenblatt macht sich toll. An einem Feigenbaum.

Einer geht noch: dafür gibt es den «Blick»

Den Vogel schoss allerdings der «Blick» ab. Zuerst versemmelte er einen Hintergrundartikel, munitioniert von der rachsüchtigen Ex-Geliebten. Dann beschwerte sich der «SonntagsBlick» über das juristische Vorgehen von Lachappelle. Um am Montag im «Blick» eine Entschuldigung des Verlags für diesen Artikel in die Fresse gehauen zu kriegen; der Jammer-Beitrag wurde umgehend gelöscht.

Zuerst gejammert, dann gelöscht.

Und entschuldigt: «Es war nie die Absicht von Ringier, die Persönlichkeitsrechte von Herrn Guy Lachappelle zu verletzen. Sollte in der Öffentlichkeit ein anderer Eindruck entstanden sein, bedauert dies Ringier in aller Form, weshalb auch die bisherige Berichterstattung zu diesem Thema im Medienarchiv nicht mehr abrufbar ist

Die Ex-Geliebte hat weitgehend ihr Ziel erreicht. Rache via Medien. Lachappelle muss sich fragen, ob sein Rücktritt nicht zu voreilig erfolgte. Aber nach der Affäre Vincenz sah er wohl keine andere Möglichkeit.

Raiffeisen gibt weiter Gutzi

Passend zur Einstellung des Verfahrens hat Raiffeisen nach länglichem Zögern bekannt gegeben, wer denn nun der Nachfolger von Lachappelle werden, den interimistischen VR-Präsidenten ablösen soll. Das VR-Mitglied Thomas A. Müller. Der war früher Finanzchef bei der Basler Privatbank J. Safra Sarasin, dorthin von der Swiss Life geeilt. Angesichts der jüngeren Geschichte dieser Bank kann man sich auf möglichen Spass gefasst machen …

Werfen wir mal die Stichworte US-Steuerstreit, Versicherungswrapper und Cum/Ex in die Runde. Man darf gespannt sein, was Grabungen in der Vergangenheit von Müller ans Tageslicht fördern werden.

Lukas Hässig nimmt auf seinem Finanzblog «Inside Paradeplatz» schon mal Anlauf:

«Are they nuts», sind die bescheuert, so beginnt er vielversprechend seinen Artikel.

«Bersets jahrelange Affäre»

Eva Wannenmacher sprach im Podcasts «Wahrheit, Wein und Eisenring» aus, was sonst tabu ist.

In den online-Ausgaben der Tamedia-Zeitungen preist Yvonne Eisenring (aufgeführt als Artikelautorin) die neuste Folge ihres Podcast gleich selber an. «Radikal ehrlich wird das Gespräch, zu dem Yvonne Eisenring die Moderatorin Eva Wannenmacher («Kulturplatz») eingeladen hat». Neben den üblichen Themen wie Masturbation und Sexualtrieb erzählt Wannenmacher über ihre Zeit mit 27, als sie mit Journalismus-Preisen überhäuft wurde. Die heutige Moderatorin der SRF-Sendung Kulturplatzes: «Man ist einsam. Als öffentliche Person meinte ich, ich müsse mich dauernd rechtfertigen. Heutzutage, wenn auskommt, dass Alain Berset jahrelang eine Affäre mit einer anderen Frau hatte, dann kann er das abblocken, indem er sagt, das ist privat. Das hätte mir damals auch in den Sinn kommen können. Mit 27 kann man das wohl nicht so gut.» Das seien Learnings, so Wannenmacher, die ihre TV-Karriere bei Tele Züri gestartet hat.

Wannenmacher sagt, sie habe damals Fehler gemacht, sie sei unreif gewesen und voll reingelaufen. «Ich habe meinen Preis bezahlt. Wenn man hinauf geschrieben wird, wird man auch hinunter geschrieben.»

Um einen Blick hinter die Mechanik des Medienbetriebs zu erhalten, lohnt sich das Hineinhören. Der Passus mit Bundesrat Alain Berset kommt ein wenig nach nach Minute 36. 

 

 

 

Berset: toujours l’amour?

Wer darf einen Blick auf den Unterleib eines Bundesrats werfen?

Wie sagte Karl Valentin so unsterblich richtig: Wenn’s einer kann, ist’s keine Kunst. Kann’s einer nicht, ist’s auch keine. Wie ist’s damit in den Schweizer Medien bestellt?

Der Gralshüter des moralisch hochstehenden Diskurses donnert im Blatt für die gehobenen Stände: «Keine Geschichte.» Man reibt sich etwas die Augen; das muss wohl ein Doppelgänger von Frank A. Meyer gewesen sein, der im gleichen Boulevard-Blatt SoBli den Lausch- und Fotoangriff auf den Unterleib des damaligen Botschafters in Berlin als gerechtfertigt bezeichnete, weil der ja durch eine angebliche Liebschaft erpressbar sei.

Das endete dann eher peinlich. Der Botschafter war weg, aber die Teutonentruppe bei der «Blick»-Familie auch, dazu gab es einen empfindlichen finanziellen Aderlass, der Verleger höchstpersönlich musste sich auf Seite eins entschuldigen, und Meyer wurde wegen übertriebener Härte kurzfristig auf die Strafbank gesetzt.

Die Bundespolizei zeigte für einmal, was sie kann

Ach ja, das waren noch Zeiten. Nun ist es einem Bundesrat widerfahren, dass er mit Erpressung bedroht wurde. Offenbar ziemlich konkret; die Erpresserin hatte schon extra zwei Konten für die Überweisung von 100’000 Franken eröffnet. Wenn nicht, würde sie mit verfänglichen Fotos und pikantem Geschreibsel des Bundesrat an die Öffentlichkeit gehen.

Das geschah schon im Dezember 2019, und nachdem der Bundesrat sie vergeblich via Anwalt von diesem Plan abbringen wollte, schaltete er die Bundespolizei ein. Die zeigte für einmal, was sie kann, wenn sie will. Die Übeltäterin wurde verhaftet, einem strengen Verhör unterzogen und willigte freiwillig ein, dass die möglicherweise belastenden süssen Erinnerungen von all ihren Datenträgern entfernt werden.

Da sie schon kurz zuvor einen Rückzieher von ihrer Absicht gemacht hatte, durch Erpressung 100’000 Franken einzunehmen, wurde die ganze Angelegenheit mit einem Strafbefehl erledigt. Und wäre überhaupt erledigt gewesen, wenn solche Strafbefehle nicht eine kurze Zeit öffentlich einsehbar sein müssten.

Wer ist wie und wann erpressbar?

Und schon wieder ging die Debatte los, ob der Bundesrat zwar in diesem Fall der Erpressung nicht nachgegeben habe, aber möglicherweise eben doch erpressbar sei. Das wurde natürlich von ihm selbst und von Meyer zurückgewiesen, und dann kann es ja auch nicht so sein.

Seine einzige Waffe?

In wohl jedem anderen Land der Welt wären ab Bekanntgabe der Affäre die Journalisten ausgeschwärmt, um die Hintergründe zu recherchieren, die Erpresserin ausfindig zu machen, mindestens ein Porträt über sie zu schreiben, wenn ihr schon nicht ein Quote zu entlocken wäre.

In der Schweiz wird bei solchen Sachen geeiert. Als der katholisch-christliche Parteipräsident einer die Ehe und christliche Werte hochhaltenden Partei sich bei einem Seitensprung fortpflanzte, machte er mit dem «Blick» ein Päckli; Exklusiv-Story mit reuigem Sünder, dafür keine blöden Nachfragen. So schaffte er es sogar, in die Walliser Regierung gewählt zu werden, der Heuchler. Dagegen hatte Meyer keine Einwände.

Berset hat Glück im Unglück

Nun hatte Bundesrat Alain Berset Glück im Unglück. Nicht etwa das eigentlich zuständige Boulevard-Blatt hatte die Story, die Sonntagszeitungen hatten sie zwar, rechneten aber nicht damit, dass sie die WeWo am Samstag im Internet mit dem Primeur abtrocknen würde. Statt selber eine saftige Aufmacherstory zu liefern, konnten sie nur missmutig nacherzählen.

Anschliessend wurde natürlich nicht nur von Meyer debattiert, ob das nicht wirklich eine Privatangelegenheit des Bundesrats sei, zudem erledigt, also könnten doch nur rechte Hetzer daraus einen Skandal hochzwirbeln wollen. Ausserdem wisse man ja gar nicht, worum es hier genau gegangen sei, worin das Material bestünde, mit dem erpresst werden sollte.

Nun ja. Wenn man sich die Hintergründe etwas genauer anschaut, kommt man doch auf ein paar merkwürdige Zufälle. Bei der gescheiterten Erpresserin handle es sich um eine Künstlerin, die im weiten Feld der Performance unterwegs ist. Obwohl sie ein überschaubares Oeuvre vorgelegt hat, bekam sie bereits den Schweizer Kunstpreis, immerhin mit 25’000 Franken dotiert. Ihre Ausstellungen, Aufenthalte, ihr Wohnsitz zeugen zumindest von einer gewissen Weltläufigkeit und Vernetzung.

Eigentlich könnte jeder den Namen der Künstlerin herausfinden

Inzwischen sind auf «Inside Paradeplatz» und anderswo dermassen viele Details über diese Künstlerin veröffentlicht worden, dass es keiner grossen Anstrengungen bedarf, ihren Namen herauszufinden und ihr ein Mail zu schicken, ob sie nicht mal ihre Sicht der Dinge darlegen wolle.

Sie will leider nicht, und Bersets Anwalt droht jedem mit Pech und Schwefel, der es wagen sollte, ihren Namen zu publizieren. Sie selbst ist zudem in einer Schweizer Kulturstätte im Ausland versorgt, bis Mitte nächsten Jahres. Ist auch ziemlich praktisch; bis dahin dürfte endgültig Gras über die Sache gewachsen sein.

Darf nun ein Bundesrat kein Privatleben haben, und wenn doch, ist das dann nicht seine Privatsache und geht niemanden etwas an? Ausser den Direktbeteiligten, darunter auch seine Frau und Kinder?

Bei politischen Exponenten ist die Privatsphäre anders gestaltet

Das mag so sein. Aber wenn der kleine Angestellte Müller, verheiratet, mit der Serviertochter des «Ochsen» ein Verhältnis hat, ist das keine Geschichte, selbst wenn sie ihn nach einem Streit über einen Schwangerschaftstest erpressen will. Nun ist das bei einem Bundesrat etwas anderes. So wie bei einem Botschafter oder Parteichef. Zumindest sollten alle Fakten auf den Tisch kommen.

Interessant ist dabei auch, dass sogar von Politikerinnen bestritten wird, dass es sich bei dieser Frau um ein Opfer handeln könnte. Trotz #metoo und der klassischen Ausgangslage, mächtiger Mann, ohnmächtige Geliebte – keinen scheint ihre Geschichte, ihre Sicht der Dinge zu interessieren. Eine Schweizer Besonderheit oder eine Schweizer Absonderlichkeit?