Schlagwortarchiv für: Aeschlimann

Vergewaltigung der Wirklichkeit

Das Lieblingswort des Politikers: Skandal! Anlass, Begründung, Sinn: völlig egal.

Wir können hier der Verbreitung eines Virus live zuschauen. Während es bei Covid-19 noch nicht ganz entschieden ist, ob er einem Labor entsprang oder durch tierische Übertragung: hier ist die Brutstätte und die Infektionskette völlig klar.

Entstanden ist die Erkrankung im «Tages-Anzeiger». Patientin Nummer 0 ist die redaktionelle Kindersoldatin Lisa Aeschlimann. Sie durfte auf die Seite 1 mit dieser Schlagzeile:

«Vergewaltigung wird in Zürich so selten bestraft wie in keinem anderen Kanton».

Der «Beweis»: «Wer im Kanton einer Vergewaltigung beschuldigt wird, bleibt in 12 von 13 Fällen straffrei.»

Das bedeute, dass jede Menge «mutmassliche Vergewaltiger» unbestraft frei herumliefen. Eine monströse Vergewaltigung des Rechtsstaats und der Wirklichkeit. Der Gipfel ist die Behauptung, dass im Kanton Waadt «61 Prozent der Beschuldigten» verurteilt worden seien, im Kanton Zürich «nur» 7,4 Prozent.

Das folgt dem alten Nonsens-Prozentrechnen. Schlagzeile: «Verdoppelung der Anzahl Vergewaltigungen! Steigerung um 100 Prozent!» Zum Beispiel von eins auf zwei.

Prozentzahlen sind gut, wenn reale Zahlen schlecht sind

Wohlweislich werden von Aeschlimann die realen Zahlen nicht verwendet. Die sehen nämlich so aus: Im vergangenen Jahr wurden 713 Vergewaltigungen angezeigt. Schweizweit. Im Jahr 2010 waren es 543, dann sank die Zahl bis 2015 auf 532, seither nimmt sie zu.

Im Jahr 2019 wurden in der ganzen Schweiz 81 Personen wegen Vergewaltigung verurteilt, davon 72 Erwachsene. Das ergibt eine durchschnittliche Verurteilungsrate von – rund 10 Prozent. Schweizweit.

Zum Vergleich: 2019 wurden insgesamt 31’677 Personen wegen Verstössen gegen das Strafgesetzbuch (StGB) verurteilt. Im Kanton Zürich waren es 12’453 Verurteilungen wegen Vergehen oder Verbrechen; 7060 Urteile ergingen gegen Ausländer, aber das wäre ein anderes Thema.

Bei 81 Verurteilungen in der ganzen Schweiz ist jede statistische Auswertung nach Kantonen schlicht und einfach – Müll. Man könnte genauso gut auch würfeln. Natürlich gibt es eine Dunkelziffer, die deswegen so heisst, weil es keine gesicherten Angaben gibt. Und schliesslich:

«Die meisten Sexualdelikte werden nicht von Unbekannten verübt, sondern von Partnern, Ex-Partnern, Bekannten und Kollegen. Rund 80 Prozent der Frauen, die sich im Jahr 2019 bei der Frauenberatung sexuelle Gewalt gemeldet haben, kannten die Täter schon vor der Tat. Rund 30 Prozent der bekannten Täter waren Ehepartner oder Partner des Opfers», sagt die «Frauenberatung sexuelle Gewalt».

Also ist es auch nicht so, dass sich Frauen als Freiwild für sexuelle Attacken fühlen müssen, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegen.

Zusammenfassend ist das ein Stück Elendsjournalismus; eine an den Haaren herbeigezogene These, die Recherche besteht aus zustimmenden Zitaten interessierter Kreise, dann noch etwas Hokuspokus mit Prozentzahlen und das Fehlen rechtsstaatlicher Grundlagenkenntnisse: fertig ist der Skandal.

Politikerinnen sehen flugs «Verbesserungsbedarf»

Ist er fertig? Aber nein. Stolz kann Aeschlimann nachlegen: «Nun fordern Politikerinnen vom Regierungsrat Antworten». Denn auch sie haben den Tagi gelesen – und nichts verstanden. Also will «eine breite Allianz von AL- bis FDP-Politikerinnen» mit einer Anfrage im Kantonsrat wissen: «Es scheint, dass es im Kanton Zürich einen grossen Verbesserungsbedarf im Umgang mit Opfern von Sexualdelikten gibt.»

Was wurde unternommen, «um die Zahl der Anklagen zu erhöhen», wollen diese Scharfrichterinnen wissen.

Echt jetzt? Soll die Staatsanwaltschaft, wenn sie nach ihren Ermittlungen zum Schluss kommt, dass das Delikt nicht begangen wurde, lieber Anklage erheben, als dass ein «mutmasslicher Vergewaltiger» frei herumläuft? Muss man sogar Politikerinnen das Einmaleins erklären?

Bloss deshalb, weil eine Frau behauptet, sie sei vergewaltigt worden, liegt noch kein Delikt und kein Beweis dafür vor, sondern ist genauso nach belastenden und entlastenden Elementen zu suchen wie sonst. Nicht jede sexuelle Handlung ist zugleich eine Vergewaltigung, und das Strafrecht schützt auch den mutmasslichen Täter davor, leichtfertig eines Delikts bezichtigt zu werden.

Dummheit ist ansteckend, das war schon vorher bekannt. Aber im Zürcher Kantonsrat?