Lest mal wieder
Längere Texte nennt man Buch. Tut nicht weh, bildet ungemein.
Bei trübem Herbstwetter hilft kaum etwas mehr als ein gutes Buch. Oder zwei.
Nur sehr bildungsferne Schichten erfreuten sich nicht mal in der Jugend an Gustav Schwabs «Sagen des klassischen Altertums». Sozusagen Homer light, plus alles Weitere.
Da ging es ziemlich blutig zu und her. Allerdings wurde ein Thema jugendfreundlich weitgehend ausgespart: Sex. Und die Sprache altertümelte dann schon auch. Kein Wunder, der Autor lebte von 1792 bis 1850, war Pfarrer, Gymnasiallehrer und Schriftsteller.
Eigentlich überfällig war eine entstaubte, modernisierte und genauere Darstellung. Et voilà:

Die klassische Philologin Sarah Johnston hat aus ihrem Hobby, der Erforschung antiker Mythen, ein Buch gemacht. Kenntnisreich und in moderner Sprache erzählt sie das nach, was ja eigentlich bei jedem, der etwas Bildung hat, auch im täglichen Sprachgebrauch herumschwirrt. Die Titanen, Zeus, Athene, Hepheistos, Hermes, Apollo und Aphrodite. Und natürlich die viel betrogene Gattin von Zeus, Hera.
Dann die Menschen und die Götter, die wunderschöne Geschichte von Philemon und Baukis. Wie die Götter mit den Menschen ihre üblen Spiele treiben, aber auch sich selbst betrügen, intrigieren, Pläne vereiteln und durchführen.
Und schliesslich die Heldensagen, Perseus, Iason und die Argonauten, Herakles, Orpheus, Theseus, der tragische Ödipus, natürlich der trojanische Krieg und die Irrfahrten des Odysseus.
Das Personal ist umfangreich, vieles kommt einem bekannt vor, anderes nicht. Auffällig ist gegenüber der altbackenen Version von Schwab, welch ungeheuerliche Rolle der Sex bei all diesen Sagen spielt. Alleine Zeus, aber nicht nur er, ist ständig spitz und lässt keine Gelegenheit aus, sich zu paaren und fortzupflanzen.
Wobei erstaunlich häufig Weiblein wie Männlein vergewaltigt werden, als sei es ein Vorrecht von Männern (und natürlich Göttern), sich das zu nehmen, wonach es ihnen gelüstet.
Eine überfällige Entstaubung vieler Mythen und Geschichten, die offenbar so unsterblich sind wie die griechischen Götter.
Ein ganz anderes Kaliber, überhaupt nicht mythisch, sondern beklemmend aktuell ist das neuste Werk des Politikwissenschaftlers Götz Aly:

Ein Trumm von Buch, 768 Seiten. Der 78-Jährige hat sich sein ganzes akademisches Leben lang mit der Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocausts beschäftigt.
Wie war es möglich, dass die Deutschen (diese Generalisierung ist leider zulässig) nicht nur so etwas wie Adolf Hitler zu ihrem Führer machten, sondern ihm willig bis in den Untergang folgten? Aly räumt mit der billigen Lüge auf, dass nur wenige fanatische Nazis schuld an diesem Zivilisationsbruch und Jahrhundertverbrechen waren, während die breite Masse entweder von nichts etwas wusste, oder im Befehlsnotstand mitmachen musste.
Gleichzeitig legt er überzeugend dar, dass die These, der deutsche Faschismus sei vom verängstigten Kleinbürgertum ausgegangen, das Pauperisierung und Verelendung befürchtete, während das Grosskapital sich ungehemmte Gewinne versprach, deutlich zu kurz greift.
Soziale Massnahmen, das neue «Wir»-Gefühl, mit neu erschlossenen Quellen und manchmal etwas ausufernden, aber doch interessanten Einzelstudien bietet Aly als sein abschliessendes Alterswerk eine Gesamtdeutung.
Beklemmend wird die Lektüre durch die auf der Hand liegenden Parallelitäten mit aktuellen Entwicklungen. In Trump oder der AfD einen Faschismus in modernem Gewand zu sehen, wäre natürlich viel zu platt und blöd.
Aber autokratische Tendenzen, die Entideologisierung der politischen Debatte, die Entkernung von Begriffen mit demagogisch geschickter Propaganda, die wirklichen oder behaupteten sozialen Fortschritte, die Kritik an überkommenen und nicht zu Lösungen fähigen Politstrukturen, da ergeben sich aus der Analyse der Vergangenheit durchaus Rückschlüsse auf die Gegenwart.
Wer beide Bücher parallel liest, findet ein gutes Gleichgewicht zwischen Unterhaltung, Bildung und Erkenntnis.
















