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Der Coninx-Clan

Die Schweiz hat schon Pech mit ihren Verlegerfamilien. Ehemals Herausgeber, jetzt mehr Herausnehmer.

Im Vergleich mit dem Wanner– und dem Ringier-Clan ist die Besitzerfamilie des Unternehmens Tx (oder TX oder «Tages-Anzeiger» AG, inkl. Tamedia AG) speziell.

Ihr Gesamtvermögen wird auf rund 1,5 Milliarden Franken geschätzt. Nach dem Börsengang des Joint-Venture Swiss Marketplace Group (SMG) dürfte es nochmals kräftig angeschwollen sein.

Der deutsche Bergbauingenieur Otto Coninx-Girardet legte den Grundstein, indem er seit 1918 den «Tages-Anzeiger» herausgab. Otto Coninx-Wettstein führte weiter und baute aus, dann kam Hans-Heinrich Coninx und ab 2007 schliesslich sein Neffe Pietro Supino.

Die TX Group, wie die Holding inzwischen heisst, verfügt über einige Grossaktionäre. Darunter Pietro Supino ~ 13,6 %, Dr. Severin Coninx ~ 13.20%,  Rena Maya Coninx Supino ~ 12.95 %, Dr. Hans Heinrich Coninx ~ 11.93 %, Fabia Schulthess~ 5.53 %, Andreas Schulthess~ 5.53 %, Regula Hauser-Coninx~ 4.63 %, etc.

Schätzungsweise hält die Familie – inklusive Verwandten und Beteiligten – zusammen knapp 74 % der Aktien von TX Group, wobei eine Gruppe von 19 Kleinaktionären der Familie sich bloss 2.14 % des Kapitals teilen.

Der Umsatz der TX Group liegt etwas unter einer Milliarde Franken im Jahr. Das Sorgenkind der Holding ist Tamedia, der Medienteil. Weder dem Big Boss Supino, noch seinen wohlbezahlten Medienmanagern fällt eine Strategie ein, wie man das profitabel machen könnte. Ausser, indem man das Angebot und die Woke Force (Pardon, Work Force) runterholzt und das als «Synergie» und «Qualitätssteigerung» verkaufen will.

Die Zukäufe eines ganzen Kopfblattsalats haben zudem viel gekostet und wenig gebracht.

Auf der anderen Seite besteht die ganze Coninx-Sippe, wenn man auch Angeheiratete und Lebenspartner dazuzählt, aus ungefähr 70 bis 90 Personen, reine Blutsverwandte gibt es etwa 50 bis 65.

Die wollen alle durchgefüttert werden und ihren teils kostspieligen Hobbys frönen.

Sie verstehen sich auch nicht mehr unbedingt als Herausgeber von Medienprodukten im klassischen Sinn.

Sondern vielmehr als Herausnehmer von Dividenden, Sonderdividenden und Profiteure von teuren Aktienrückkaufprogrammen.

Die zentralen Segmente der Tamedia AG, Pardon, der TX Group AG, sind Tamedia (Medien), «20 Minuten», Goldbach Group und TX Markets.

TX Markets machen dabei Margen im zweistelligen Bereich von bis zu 40 Prozent, Goldbach liegt bei 10 bis 20 Prozent, 20 Minuten bei 7, Tendenz stark abnehmend, und Tamedia bei 0 bis 1 Prozent.

Also ist völlig klar, wenn man keine Herausgeber-, sondern vielmehr eine Herausnehmer-Perspektive hat, wo die Zukunft der Firma liegt – und wo die Vergangenheit ohne Zukunft.

Das haben nur noch nicht alle 1800 Mitarbeiter (wobei die Zahl ständig schrumpft) von Tamedia mitgekriegt. Aber in naher Zukunft werden sie ihre Lieblingsbeschäftigungen – Bauchnabelbetrachtung, Befehle und Ratschläge an die Welt – aufgeben müssen.

Wenn die Stellensuche erste Priorität bekommt. Denn zu Herausgeben und Herausnehmen gehört eben auch Herausschmeissen.

Kalte Dusche

Es regnet und ist eher frisch. Blöd gelaufen für die Medien.

Wenn man in der Datenbank SMD unter dem Stichwort «Hitze» sucht, bekommt man im letzten Monat 5372 Treffer. «Hitzesommer» ergibt 214 Resultate, «Klimawandel» wurde in 2220 Werken beklagt und beschrieben.

«Gerade schwappt eine weitere Hitzewelle über ganz Europa. Prognostiziert ist ein extremer Hitzesommer – vielleicht erwartet uns sogar der heisseste seit Messbeginn. Das sind die spürbaren Auswirkungen des Klimawandels», prognostiziert der «Blick».

«Während der Hitzetage verwandeln sich einige Drämmli in eine Sauna», schwitzt die «Basler Zeitung». «Die Kerntemperatur des Körpers wird entscheidend», diagnostiziert CH Media. «Was steigende Wassertemperaturen für unsere Seen bedeuten», sorgt sich der «Zürcher Oberländer».

«AKW Beznau stellt wegen der Hitze einen seiner Reaktoren ab», alarmieren diverse Medien. Und srf.ch resümiert:
«Lokal wärmster und sonnigster Juni seit Messbeginn».
Dazu gab es natürlich Unmengen von Tips und Ratschlägen, wie man diese brütende Hitze überleben kann. Welche Wassermengen sollte man zu sich nehmen, nützt Glacé oder schadet sie, welche Kleidung braucht’s, sollte man sich noch sportlich betätigen, welchen Einfluss hat die Hitze aufs Hirn, kann man arbeitsfrei oder hitzefrei verlangen? Ist schwitzen gesund, und wenn nein, warum nicht? Kann man heisse Luft unbeschadet einatmen?
So haben es auch Fische nicht leicht: «35 Grad im Anmarsch – in Gewässern beginnt der Überlebenskampf», berichtet «20 Minuten» von der Kriegszone Gewässer. srf.ch geht dem weiter auf den Grund: «Geht Äschen und Forellen bald der Sauerstoff aus?« Und eifrig warnt auch der Bund vor Gesundheitsrisiken wegen Wärme. Von Hautkrebs und anderen schweren Schäden durch Sonneneinstrahlung ganz zu schweigen.
Immerhin, Zol-Online hat wenigstens einen originellen Ratschlag auf Lager: «Jammern hilft gegen Hitze». Tamedia hingegen überrascht mit: «Städtische Hitze: Überraschung im Hitzesommer: Bäume kühlen mehr als gedacht». Das dürfte bei der Fraktion der Klimawandel-Beklager für heisse und rote Köpfe gesorgt haben.
Und dann das. Es regnet, Temperatursturz, blöd aber auch. «Das Wetter war ein richtiges Arschloch», sagte Steven Spielberg über die Dreharbeiten zum «Weissen Hai».
Gerade, wo sich die Medien in Sachen Hitzesommer so richtig warm gelaufen hatten, mit Angstschweiss auf der Stirne eine unerträgliche und kontinuierliche Hitze über Europa, über der Schweiz verkündeten, kommt eine kalte Dusche.
Es ist halt für die Journaille ein zunehmend ernster werdendes Problem, dass sich die Wirklichkeit nicht so verhalten will, wie ihr unablässig angeraten wird. Trump, Putin, Teheran, Israel, niemand und nichts tut ihnen den Gefallen, innezuhalten, in sich zu gehen, ein Einsehen zu haben und endlich mal Besserung zu geloben.
Auf nichts ist mehr Verlass, nicht mal aufs Wetter.

 

 

«20min» – Tamedia: 7:0

Der Nahvergleich einer Gratis-Postille mit einem Bezahlblatt.

Das «Classic Plus»-Abo des «Tages-Anzeiger» kostet (inkl. «SonntagsZeitung», E-Paper und digitalem Zugang) 838 Franken im Jahr.

«20 Minuten» kostet (inkl. Papier bis Ende Jahr) 0 Franken.

Der Tagi bietet dafür hinter der Bezahlschranke Artikel wie «So stark nehmen Hitze­tage in Schweizer Städten zu – und das ist erst der Anfang», ««Es soll unmöglich aussehen», sagt der Mann, der am Zürichsee Steine balanciert», «Was bringt ein Social-Media-Verbot für Kinder wirklich?», copy/paste von der SZ, «Sie steht für Sex und Subversion», Debbie Harry zum 80., übernommen aus der SZ, oder «Frau Wiederkehr (94) aus Zürich trainiert täglich für die Seeüberquerung», Eigenleistung.

«20 Minuten» bietet «Trinkgeld-«Nötigung»: US-Verhältnisse an Schweizer Theken?», «300 Entlassungen drohen: Wird Impfstofffabrik dichtgemacht?», «Hickhack um UKW: Nationalräte wollen Radio doch nicht abschalten», «Das sind die sechs umstrittensten Punkte in den EU-Verträgen», dazu Sondergefässe wie «Faktenchecks», «AI» oder «Donald Trump». Ergänzt durch eine breite lokale Berichterstattung.

Was völlig fehlt ist das, was bei Tamedia Unmengen von Platz beansprucht: Meinung, Kommentar, gute oder weniger gute Ratschläge an alle Führer der Welt, per copy/paste übernommene Inhalte aus einer Münchner Zeitung, die hinter Bezahlschranke dem Leser verkauft werden.

Formal ist das Layout von «20 Minuten» dicht, der Platz wird konsequent ausgenützt, die Headlines sind optimiert für Clicks des modernen Lesers.

Nach dem letzten, verunglückten Redesign (der Schuldige machte sich anschliessend schnell vom Acker) lähmt bei Tamedia links grosser Weissraum, angefüllt mit ellenlangen Titeln, rechts jeweils ein herbeigeprügeltes Symbolbild, dazu Rubriken wie «Beliebteste Artikel», «Podcast», natürlich «Meinungen» oder, für eifrige Scroller, weit unten «Neuste Artikel».

Eine Lachnummer ist das, was von «Kultur» übrigblieb.

Tamedia beschäftigt (inklusive Westschweiz) rund 1400 Mitarbeiter. Noch. «20 Minuten» hat rund 300 Nasen auf der Payroll. Noch.

Frage: wenn es 300 Werktätigen gelingt, ein besseres Blatt zu machen, das zudem gratis angeboten wird, wieso braucht es dann 1400 Angestellte (ja, generisches Maskulin), die Minderwertiges herstellen,  und dafür wird erst noch ein exorbitanter Preis verlangt?

Zweite Frage: wie viele überbezahlte Verlagsmanager braucht es, um daraus nahelegende Schlussfolgerungen zu ziehen?

Bei beiden Blättern geht die Printauflage fast senkrecht das Loch runter. «20 Minuten» hat die Konsequenz gezogen und stellt per Ende Jahr auf rein digital um. Von Tamedia ist nichts Vergleichbares zu hören. «20 Minuten» lebt ausschliesslich von Werbeeinnahmen, Tamedia weitgehend, knöpft seinen Lesern aber kräftig Geld ab, um sie mit mageren Eigenleistungen und vielem aus Fremdquellen (SZ, SDA, etc.) zu ärgern.

«20 Minuten» war und ist so erfolgreich, dass es vom geschickten Oberboss Pietro Supino in ein eigenes Profitcenter ausgelagert wurde, damit der Gewinn nicht im Kopfblattsalat der übrigen Blätter versickert.

Nachdem er den «Stellenanzeiger» und alle Anzeiger dem «Tages-Anzeiger» amputierte, der sie gross gemacht hatte und dem nun schmerzlich diese Einnahmen fehlen.

Letzte Frage: Wie kann man die Dummheit dieser Verlagsmanager messen, und wie kann man sie beschreiben, ohne in Rechtshändel verwickelt zu werden?

Kann man nicht, man kann nur den Totengräbern bei der Arbeit zuschauen.

Leise raschelt das Papier

Und sagt beim Abschied mit Druckerschwärze auf Nimmerwiedersehen.

«20 Minuten», das letzte grosse Schweizer Erfolgsmodell im Print, gibt per Ende Jahr auf. Und erscheint nur noch digital.

Kurt W. Zimmermann singt in der «Weltwoche» die Abschiedsarie auf die gedruckte Zeitung. Auf das weltweit erfolgreichste und profitabelste Modell einer Pendlerzeitung. 40 Millionen Gewinn pro Jahr schaufelte «20 Minuten» in seinen besten Zeiten in die Kassen von Tamedia.

Um sich «20 Minuten» einzuverleiben, griff Tamedia zu einem Kniff. Der Konzern kündigte mit grossem Trara an, dass am Montag, 23. März 2003, ein eigenes Konkurrenzprodukt namens «Express» auf den Markt geworfen werde, um den Eindringling aus Oslo zu killen. Alles parat, 40 Journalisten am Gerät, Kriegsgeschrei.

Am Freitag zuvor wurden die 40 armen Teufel darüber informiert: April, April, «Express» wird nicht erscheinen, Tamedia hat «20 Minuten» gekauft. Blöd gelaufen für euch.

Und später verschob Oberboss Pietro Supino «20 Minuten» in ein eigenes Profitcenter, damit seine Gewinne nicht in die übrigen Printtitel des Hauses flössen. Das ist modernes Management.

Aber nun heisst es Abschied nehmen von bedrucktem Papier für Tageszeitungen. Zwischen Deadline, Druck und Auslieferung vergeht zu viel Zeit; keine Chance gegen das Internet. Der Bombenangriff Trumps Samstagnacht gegen den Iran machte die Berichterstattung der Sonntagszeitungen zu Makulatur. So sad, würde der Amok im Weissen Haus sagen.

Die gedruckte Ausgabe wird es weiterhin geben. Aber nicht mehr als Massenmedium, sondern für die happy few, die es noch gerne rascheln lassen, während sie am Morgen ihr Gipfeli verspeisen. Die werden auch über 1000 oder gar 2000 Franken für diese Gewohnheit zahlen.

Allerdings sind sie, wie die TV-Zuschauer der Gebührensender, überaltert, von 60 aufwärts. Sie werden wegsterben, und es kommen wenige nachher.

Da die Massenmedien es bis heute (mit wenigen Ausnahmen) nicht geschafft haben, ihre Online-Auftritte profitabel zu machen, einen immer magereren Inhalt weitgehend hinter Bezahlschranken verstecken (der grösste Flop auf diesem Gebiet ist «Blick+»), sich von Google & Co. die Werbebutter vom Brot nehmen lassen, wird auch das kein gutes Ende nehmen.

Gemeine Meinung, dazu Artikel, die sich meistens jeder auch gratis im Internet holen kann, Analysen, die eine KI viel besser hinkriegt, kaum geldwerte Gegenleistung für ein Abo, luftdicht von der Wirklichkeit abgeschlossener Gesinnungsjournalismus, fehlende Sachkompetenz, löchrige Korrespondentennetze, in denen Rechthaber ihre persönliche Befindlichkeit zum Besten geben (grauenhaft die von der SZ übernommenen Artikel im Kopfblattsalat von Tamedia), eine einwöchige Recherche ist bereits ein Riesending, eine Reportage vor Ort bekommt Seltenheitswert – das ist der nächste angekündigte Tod.

Nur mühsam und langsam lernen die überbezahlten Verlagsmanager, meistens noch dem Printdenken verhaftet, dass heute Jugendliche ganz andere Informationskanäle benützen, die nur amateurhaft bespielt werden.

Zimmermanns Schlussanalyse ist kaum etwas hinzuzufügen:

«Gratisblätter waren der letzte Rausch der Zeitungsbranche. Sie feierte noch noch einmal. Sie feierte auf einem Sterbebett, von dem noch niemand wusste, dass es ein Sterbebett war.»

Stirbt alles weg? Keineswegs. Die Medien, die nicht nur von Qualität, Einordnung, Analyse quatschen, während sie ihre Redaktionen zu Tode sparen, die werden überleben. Ein «New Yorker», eine «Financial Times», ein «Economist», ein «Guardian», ein «Atlantic». Und einige mehr. Ach, auf Deutsch? Ähm. Hm. Räusper, kopfkratz, augenzwinker, hüstel. NZZ?

Aber es gibt ja tolle Übersetzungsprogramme.

«Blick»-Mitarbeiter, fürchtet Euch

CEO Marc Walder übt sich im Doublespeak nach Orwell.

Der Umsatz schrumpfte um 13 Prozent auf nur noch 800 Millionen. Der Digital-Anteil am Geschäft ging von zwar beeindruckenden 83 auf 82 Prozent zurück. Walder: «Der Online-Werbemarkt ist nicht mehr gewachsen.» Dabei wächst er weltweit mit zweistelligen Raten, letztes Jahr um über 15 Prozent.

2024 wurden 500 Mitarbeiter entsorgt. Walder verkündete nur den «operativen Gewinn», was davon als eigentlicher Profit übrigbleibt, ist Geschäftsgeheimnis. Auch das kann er knapp schönreden: das Ergebnis sei «gut und zufriedenstellend». Jubel hört sich anders an.

Es habe halt «Portfolio-Bereinigungen» gegeben, Doublespeak für die Schliessung der letzten Druckerei und den Abschied vom Flop «meindeal». Der Zusammenschluss mit Tx bei den Verkaufs- und Handelsplattformen spülte einen noch nicht realisierten Gewinn bei einem möglichen Börsengang in die Kasse. Ob und wann der stattfindet?

Sobald die Platzhirsche Google, Facebook und Amazon ernsthaft in der Schweiz in diesen Markt eindringen, wird das wie Eis an der Sonne schmelzen. Die kassieren bereits heute mehr als 80 Prozent vom Online-Werbekuchen. Dank eines jahrelangen Versagens der Verlagsmanager. Und wer sucht, geht immer auf die grösste Plattform, nicht auf die kleinen Brüder und Schwestern.

Apropos, wer meint, mit dem Trio Ladina Heimgartner, Marc Walder und einem «wie heisst er doch gleich»-«Blick»-Oberofficer für die Zukunft gut aufgestellt zu sein: viel Glück!

Knüppeldick kommt es aber mal wieder für die vermeintlich so glückliche «Blick»-Familie. Das Bezahlmodell «Blick+» plusst überhaupt nicht. Nach einer völlig verunglückten Werbekampagne, die immerhin für Heiterkeit sorgte. Rund 25’000 Abonnenten werden eingestanden, mehr als ein «Ok-Wert» fällt dazu selbst Walder nicht ein.

Dabei ist es nicht klar, wie viele Schnupper-, Gratis- und Kurzzeit-Abos mitgezählt werden.

Dann kommen wir zum Spassfaktor. «Über die vergangenen Jahre sind mehrere Hundert Millionen an klassischem Medienumsatz weggebrochen», jammert Walder, als sei ihm diese Erkenntnis erst neulich gekommen. Aber Ringier bekenne sich sich weiterhin zu einem «qualitativ hochwertigen Journalismus». Auch VR-Präsident Michael Ringier, der trotz fortgeschrittenen Alters (76) sich nicht traut, Walder als seinen Nachfolger zu inthronisieren, behauptet: «Wir sehen einen steigenden Bedarf an gutem Journalismus als Chance

Der Bedarf ist tatsächlich da. Die Ausnützung dieser Chance zeigt die «Blick»-Familie auf allen Kanälen täglich und wöchentlich. Ein enteierter Boulevard, der weiblicher und runder werden will. Was allerdings nur zu einem Regenrohr in den verunstalteten neuen Kasten-Logos geführt hat. Wie viel Schnauf Ringier da hat, zeigte sich auch im Flop «Blick TV».

Das regelmässige Feuern des «Chief Content Officer» und der Aufbau einer amüsanten Riege von Officers, Chiefs, Heads of und Heads off, bei denen niemand mehr weiss, wer wofür zuständig ist, trägt auch nicht zur qualitativen Verbesserung bei. Das Fehlen eines Chefredaktors wie Christian Dorer, der ganz übel entsorgt wurde (und seither gibt es seinen Titel nicht mehr), ein gravierender Fehler.

Nun soll ausgerechnet mit dem Einsatz von KI «mehr Tiefe im Journalismus» erreicht werden. Kleiner Denkfehler: chatgpt und Co. kann inzwischen fast jeder selbst bedienen. Der Unterschied zu dem, was ein Kindersoldat im Newsroom in seiner Verrichtungsbox daraus macht, ist nicht sichtbar.

Grosser Fehler: «Blick» & Co. haben keine USP mehr, kein übergreifendes Konzept, keine Richtung, keine erkennbare Position, keine Mission. Was sich nicht zuletzt in einem Niedergang der Zahl der online-User niederschlägt. Kam der «Blick» mal auf Augenhöhe mit «20 Minuten», ist er inzwischen wieder abgeschlagen.

Und die Print-Auflage beträgt laut letzten Zahlen kümmerliche 73’869 Exemplare. Wie viele davon tatsächlich verkauft werden, ist ebenfalls Betriebsgeheimnis.

Online 25’000 wie auch immer geartete Abos seit dem Start 2023. Bei 800’000 täglichen Nutzern sind das aufgerundet 3,13 Prozent. Darauf kann man eine solide Zukunft bauen. Ganz abgesehen davon, dass alle Leser sauer gemacht werden, die einen «Blick+»-Artikel mangels Abo nicht zu sehen kriegen.

Also in einem Satz: Blickler, fürchtet Euch. Oder eher: ihr 6000 übrig gebliebenen Ringier-Mitarbeiter, fürchtet Euch. Viele werden es nicht zur ersehnten Frühpensionierung schaffen. Und wohin dann?

Oder in Umformulierung des bescheuerten Slogans «Ich bin dabei»: «Ich war dabei.»

The Future

Im Vergleich zu den anderen Produkten aus dem Haus Tamedia gibt es einen King.

Gut, es ist unverdientes Schwein, dass «20 Minuten» nicht in die Hände einer publizistischen Leiter nach unten und einer Hobby-Verlegerin aus dem Lifestylebereich gefallen ist, die in ihrem unsäglichen Tun von einer inkompetenten Führungscrew unterstützt werden, bei deren Auswahl Geschlecht wichtiger als Eignung war.

Aber auf der anderen Seite ist «20 Minuten» wohl die Zukunft des Journalismus im Hause Tamedia – wenn es die denn noch gibt.

Das Erfolgsrezept ist eigentlich ganz einfach und lässt sich an den Fingern zweier Hände aufzählen:

  1. Gratis. «20 Minuten» verlangt von seinen Konsumenten keinen Eintritt. Weil die bereits mit Attention und im Internet mit ihren persönlichen Daten bezahlen.
  2. Kein Kommentar. «20 Minuten» verzichtet konsequent auf die Lieblingsbeschäftigung ach so vieler frustrierter Gesinnungsjournalisten: es wird berichtet, nicht kommentiert. Auch nicht gefärbt, ideologisiert oder mit Spin. Soweit das halt möglich ist.
  3. Das Angebot wird stetig weiterentwickelt, dabei werden alle modernen Formen wie Video, Interaktivität, Rankings, Faktenchecks oder Rubriken wie #wirsinddiezukunft ausgenützt.
  4. Es wird sowohl Internationales, Nationales wie auch Lokales gepflegt. Es gibt keine Quatsch-Rubriken wie «Dry January und Veganuary», sondern «Community», «Nahostkonflikt», «Krypto» oder «Ukraine».
  5. Es wird konsequent nach Leserinteressen gewichtet; wenn gerade der Feuersturm über LA das Thema ist, dann stehen zuoberst Storys darüber. Und nicht etwa das Meinungsstück des Tages wie bei Tamedia.
  6. Das Online-Layout ist so aufgeräumt wie im Print. Keine blödsinnigen AD-Fürze wie beim verunglückten Redesign von Tamedia, nach dem sich der schuldige AD schleunigst nach Berlin abseilte. Sondern Form follows function, übersichtlich, gute Platzausnützung, die Navigation mit einer Menüleiste oben und links ist vorbildlich aufgeräumt.
  7. Leserführung. «Wichtigste News», «Meistgeschaute Videos»,«Unterhaltung», wenn die Redaktion etwas «empfiehlt», dann sind das keine Egofürze, sondern möglichst massentaugliche Vorschläge.
  8. Auch leichte Themen haben ihren Platz. «Body & Soul», «Eat & Drink», «Fashion», «Reisen», «Beauty». Und schliesslich Wettbewerbe und Gratis Online-Spiele.
  9. Was fehlt: der Leitartikel des Chefredaktors. Der erhobene Zeigefinger des besorgten Redaktors. Die überhebliche Belehrung des arroganten Weltverbesserers. Das Essay eines Flachdenkers. Die Ratschlage an die Welt. Die Gender-Debatte und die Bedeutung der Inklusion sowie des Kampfes gegen Rechtspopulismus, Rassismus und Faschismus in jeder Form.
  10. Schliesslich sind die Artikel mundgerecht. Das heisst, sie nehmen Rücksicht auf moderne Formen der Attention Span. Und natürlich nimmt die Darstellung im Internet darauf Rücksicht, dass immer mehr Konsumenten die Inhalte auf dem Mäusekino des Smartphones oder höchstens auf dem Tablett visionieren.

Kann doch eigentlich nicht so schwer sein, wird aber im Kopfblattsalat von Tamedia niemals stattfinden. Dort will sich der Dinosaurier einfach gesundschrumpfen. Als ob das etwas nützen würde, nachdem der Meteorit Internet schon vor mehr als 25 Jahren eingeschlagen ist.

«20 Minuten» als Newsplattform und der Verlag Konsumenteninfo (K-Tipp & Co.) beweisen, dass es Rezepte gegen den Untergang gibt. Es ist also kein Naturgesetz, dass Newsmedien zum Abserbeln verurteilt sind. Sie sind es nur dann, wenn sie – um im Bild zu bleiben – wie die Dinosaurier zu kleine Hirne haben.

Eine Meldung und ihre Geschichte

Aus den Niederungen des modernen Qualitätsjournalismus.

Tamedia, das Haus der Qualitätsmedien mit dem unbedingten Anspruch, dorthin die Weichen zu stellen, am liebsten mit Entlassungen, tickert in vollem Bewusstsein seiner staatsbürgerlichen Verantwortung eine kleine Meldung aus dem Nahen Osten:

UN-Hauptquartier im Libanon beschossen – zwei Verletzte
Israelische Truppen haben im Libanon nach Darstellung der Vereinten Nationen das Hauptquartier der UN-Mission Unifil beschossen und dabei mindestens zwei UN-Soldaten verletzt. Ein Panzer der israelischen Armee habe einen UN-Beobachtungsposten direkt getroffen.
Der Beschuss ereignete sich in Nakura im südlichen Grenzgebiet. An der Mittelmeerküste ist es der erste grössere Ort im Libanon nahe der Demarkationslinie mit Israel. Die Unifil-Mission hat hier ihr Hauptquartier. Dieses und die Umgebung seien «wiederholt getroffen» worden, erklärte der Unifil-Sprecher. Die beiden UN-Soldaten seien nicht schwer verletzt, nach dem Angriff aber im Krankenhaus. Ein weiterer israelischer Angriff habe auch den Eingang zu einem Bunker getroffen, in dem UN-Soldaten Schutz gesucht hatten. Dabei seien auch UN-Fahrzeuge und ein Kommunikationssystem beschädigt worden. (SDA)

An diesem schönen Beispiel kann man sich fragen, ob diese Art von Journalismus noch einen Rappen wert ist. Zunächst einmal handelt es sich um eine Tickermeldung der SDA, einer Newsagentur. Eigenleistung Tamedia: null.

Nun könnte man sich  – da ja dafür Geld verlangt wird – eine Eigenleistung von Tamedia vorstellen. Was behaupten die Qualitätsmedien immer? Einordnung, Interpretation, Analyse. Also ein Zusatznutzen, der es verständlich macht, wieso Tamedia für den Konsum seiner Leistung Geld verlangt.

Und zwar nicht zu wenig. Das Angebot «Classic Plus», täglicher Zugang Print und umlimitiert Internet, sieben Tage die Woche, kostet läppische 759 Franken im Jahr.

Das ist nun ein Zehntel eines monatlichen Durchschnittseinkommens eines Schweizers. Also nicht nichts. Oder der Gegenwert von 152 Kaffees, um die Einheit der «Republik» in Ansatz zu bringen.

Dafür kann man vielleicht ein Quentchen Leistung erwarten. Denn überraschenderweise ist es im Kapitalismus so, dass ein kostenpflichtiges Angebot so attraktiv sein muss, dass es eine entsprechende Nachfrage auslöst.

Tamedia, im Sinne Simon Bärtschis, hält es allerdings so, dass es weniger Angebot bei gleichbleibenden Preisen als ein zukunftsfähiges und nachhaltiges Geschäftsmodell präsentiert.

Nun wäre die von der SDA übernommene Meldung, dass Israel ein neuerliches Kriegsverbrechen begangen hat, durchaus der Analyse und Einordnung wert. Ist die Darstellung der UNO korrekt? Was sagt das israelische Militär dazu? Selbst Kindersoldaten im Newsroom, denen man noch nicht den Zugang zu Internet und Skype beschränkt hat, wären allenfalls in der Lage, dazu noch Mehrwert beizusteuern.

Aber diese kleine Tickermeldung illustriert perfekt: das ist dem Qualitätsorgan Tamedia schlichtweg wurst. Scheissegal. Seine verbleibenden Redaktoren kümmern sich lieber um die Betrachtung des eigenen Bauchnabels, um die genderkorrekte Verwendung der Sprachvergewaltigung, um den Kampf gegen rechts, gegen Rechtspopulismus, Ausgrenzung und Diskriminierung.

Statt um die eigentliche Aufgabe, für die man tatsächlich Geld verlangen könnte. Sind immer weniger Konsumenten verständlicherweise bereit, dafür das Portemonnaie zu öffnen, wird nicht etwa das eigene Versagen hinterfragt. Sondern die Arglist der Zeiten bejammert und direkt oder indirekt Staatssubvention eingefordert.

Es ist schon nassforsch, was der gierige Coninx-Clan hier aufführt. Innerhalb der Holdingstruktur von TX werden alle Geschäftsfelder in einzelne Profitcenter aufgesplittet. Der ursprünglichen Quelle allen Reichtums, den Newsmedien, werden alle mit ihnen gross gewordenen Einkommensgebiete wie Stellen-, Wohnungs- oder Verkaufsanzeiger weggenommen. Dennoch sollen sie weiterhin eine absurde Profitrate erwirtschaften. Ist ein Organ zu erfolgreich, wird «20 Minuten» aus der Medienholding herausgenommen und zu einem eigenen Profitcenter gemacht, damit ja keine Quersubventionen entstehen können. Die geforderte Profitrate kann von einem überforderten Management lediglich durch Skelettierung und unablässige Sparrunden auf Kosten der Qualität und des Inhalts erzielt werden.

Worauf der Coninx-Clan dann sagt: Achtung, Gefahr, die Vierte Gewalt im Staate ist existenzgefährdet, subventioniert sie, damit wir uns weiterhin Luxusvillen und Yachten leisten können.

Gibt es eine Steigerung von absurd?

Die Verfälscher

«20 Minuten» glorifiziert Migration — gerne auch mit falschen Zitaten.

Von Thomas Baumann
Die Pendlerzeitung «20 Minuten» berichtete kürzlich über einen Artikel in der «SonntagsZeitung», in welchem nach den Gründen gefragt wurde, warum in Schweden die Zahl der Auswanderer diejenige der Einwanderer erstmals seit fünfzig Jahren übersteigt.
Auswanderung ist natürlich nicht per se positiv. Schliesslich kommen die meisten Migranten hierzulande aus Auswanderungsländern — welche genau darum Auswanderungsländer sind, weil dort die Dinge nicht so laufen, wie sie sollten.
Der Fakt, dass Auswanderung nicht bloss positiv zu werten ist, wird auch in der «SonntagsZeitung» thematisiert. «20 Minuten» fasst die entsprechende Passage aus der «SonntagsZeitung» in seinem Artikel «Flüchtlinge bleiben fern: Schwedens Migrationskurs wirkt» so zusammen:
«Die negative Einwanderungszahl könnte sich langfristig aber als problematisch erweisen, insbesondere angesichts des Fachkräftemangels und der niedrigen Geburtenrate in Schweden, so die ‹SonntagsZeitung› weiter. Es gebe Bedenken, dass gut ausgebildete und ehrgeizige Migranten das Land verlassen, was die wirtschaftliche Zukunft Schwedens gefährden könne.»
Und jetzt die Passage im Original der «SonntagsZeitung»:
«Verlassen die Richtigen das Land? Die schwedische Regierung feiert die negative Einwanderungszahl als grossen Erfolg. Angesichts des Fachkräftemangels und der sinkenden Geburtenzahlen könnte sich eine Netto-Auswanderung allerdings auch als Eigentor erweisen – vor allem, wenn unter den Abgereisten viele gut Ausgebildete sind. «Das ist genau das Problem: Es gibt keine Daten darüber, wer genau das Land verlässt», sagt Parusel. «Aus der Forschung weiss man aber, dass oft jene Migranten weiterziehen, die auch andernorts gute Möglichkeiten haben, also die Fleissigen und Ambitionierten.»
(Anmerkung: Bernd Parusel ist ein deutsch-schwedischer Politologe, der im Artikel zitiert wird.)
Dass die wirtschaftliche Zukunft Schwedens durch die Auswanderung gefährdet sein könnte, steht in der «SonntagsZeitung» nirgends — noch viel weniger werden dort irgendwelche Bedenken in dieser Hinsicht wiedergegeben.
Oder anders gesagt (und um eine Phrase zu bemühen, welche im Zusammenhang mit Donald Trump von gewissen Medien bis zum Exzess bemüht wurde): Die Zeitung «20 Minuten» behauptet ohne Belege, dass Bedenken geäussert wurden, dass die Auswanderung «die wirtschaftliche Zukunft Schwedens gefährden könne».
Und das alles bloss weil man noch ein wenig politisch korrekt sein wollte. In diesem Fall führt politische Korrektheit direkt zu Fake News.

Heiteres Kriegerlis-Raten

Da guckst du. Was macht denn die Ukraine in Russland?

Nun ist’s doch schon einige Tage her, dass ukrainische Truppen in Russland eingefallen sind. Das brachte vor allem die deutsche Regierung etwas in die Bredouille; weil schon wieder deutsche Panzer in der Nähe von Kursk, das erinnert halt fatal ans letzte Mal, als unter Adolf Nazi die deutsche Wehrmacht hier barbarisch hauste.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass sich die Indizien verdichten, dass die Sprengung der Nordsee-Pipeline von Selenskyj höchstpersönlich angeordnet und von ukrainischen Tauchern durchgeführt wurde. Das geht jedenfalls aus einem profunden Recherchierstück des «Wall Street Journal» hervor. Und das wäre dann nicht nett gegenüber Deutschland.

Aber fast noch schlimmer hat’s alle Kriegsgurgeln und Kommentatoren und Analysten und Besserwisser und Schreibtischgeneräle erwischt. Was soll man von diesem Einmarsch halten? Der Leser erwartet Einordnung und Analyse. Serviert bekommt er Gewäsch:

«Zurzeit sei sehr schwer abzuschätzen, ob diese Operation tatsächlich ein strategischer Erfolg wird, sagt der Militärexperte Georg Häsler in dieser Videoanalyse.» Wo ist nur der zackige Oberst Häsler in der NZZ, wenn man ihn mal braucht.

Auch der ETH-Militärexperte Marcus Keupp «ordnet ein». Unverdrossen, nachdem er schon mal den baldigen Sieg der Ukraine vorhergesagt hatte. Allerdings für den Herbst 2022. Dadurch gewitzt, ist er nun entschieden vorsichtiger geworden und äussert nur noch Brei:

«Die Ukraine führt diesen Krieg als eine Art Testoperation.» Ach was, was wird denn da getestet? «Es gibt kein klares Operationsziel, sondern man versucht eher, Lücken im Gelände ausfindig zu machen.» Und was macht der Russki? «Auch wenn die Russen im Moment ziemlich dilettantisch agieren, wird es ihnen irgendwann schon gelingen, diesen Raum abzusichern.» Raum absichern, das Gummiwort des Tages.

Wie immer völlig sicher in seiner Analyse ist sich der Kriegstreiber am heimischen Herd der «Süddeutschen Zeitung» in München. Der Tagi übernimmt brav, was Stefan Kornelius nicht wieder alles weiss: «Moskau soll sehen, dass es verwundbar ist». Inzwischen hat er auch den Kremlherrscher Putin völlig durchschaut: «Offensichtlich gehört es zu den Mustern des Krieges, dass Putin Muster nicht erkennt.»

Völlig gaga wie immer ist der «Nebelspalter». «Die Ukraine trägt den Krieg nach Russland. Gut so.» Na ja, wenn man einen Chef hat, der schon die Bombardierung Moskaus forderte …

Nur «watson» ist für einmal nachdenklich: «Ukrainer rücken in Russland vor – und haben sich damit womöglich komplett übernommen». Ein Hintertürchen gibt’s allerdings, sollte das nicht der Fall sein: das Zauberwort «womöglich». Und selbst die SDA buddelt etwas im Sandkasten: «Ukraine sieht Kursk als Faustpfand für Friedensverhandlungen

Eher fatalistisch gestimmt ist dagegen «20 Minuten»: «Ukraine erobert 1000 km2 Russland – und wartet auf Putins Rache». Und «Cash» schliesslich weiss: «Krisensitzung in Moskau: Putin will endlich Ruhe an neuer Front von Kursk».

Ruhe, wer will das nicht. Der Leser will vor allem seine Ruhe vor all diesen Kommentatoren, die doch Mal für Mal nichts anderes zeigen als: sie haben keine Ahnung. Sie können nichts vorhersehen. Ihre Analysen haben eine Halbwertzeit von einer Flasche Wodka bei einem russischen Umtrunk. Niemand von ihnen hat mit der Möglichkeit gerechnet, dass die Ukraine die Grenze zu Russland überschreitet.

Keiner ist in der Lage, die möglichen Folgen aufzuzählen. Ein Debakel nach dem anderen. Nach wie vor ist völlig unklar, wie sich diese Lage weiterentwickeln wird. Genauso unklar, wann es endlich zu Friedensverhandlungen kommen wird. Denn nur völlig verblendete Kriegsgurgeln rechnen ernsthaft damit, dass die Ukraine Russland zurückschlagen oder gar besiegen könnte.

Wer Sieger wird, steht in den Sternen. Nur die Verlierer sind längst bekannt. Die ukrainischen und russischen Soldaten. Die Zivilbevölkerung. Und der Leser, der sich solchen Quatsch und solches Gequassel anhören muss. Muss? Muss er eben nicht …

 

Trump for President

Am 13. Juli wurden die US-Präsidentschaftswahlen entschieden.

Nur haben das noch nicht wirklich alle Journalisten kapiert. Oder wenn sie’s kapiert haben, dann eiern sie anderweitig rum.

Christof Münger, der Auslandchef ohne Ausland und Verstand von Tamdia, rät gerade nicht mehr den Demokraten, Joe Biden gefälligst sofort aus dem Rennen zu nehmen und durch jemand anderen (egal wen) zu ersetzen. Dafür versucht er einen Salto mortale über dem Attentat:

«Um es klar und deutlich zu sagen: Donald Trump trägt keine Mitschuld daran, dass auf ihn geschossen wurde.» Wer meint, das klar und deutlich sagen zu müssen, will genau das Gegenteil insinuieren. Was Münger dann gleich im nächsten Satz tut:

«Mitverantwortlich ist er jedoch dafür, dass Amerika so ernsthaft krank ist. Er war es, der im Wahlkampf 2016 die Mauern des politischen Anstands einriss. Etwa als er forderte, Hillary Clinton ins Gefängnis zu stecken.»

Im Rahmen der Meinungsfreiheit ist es sowohl erlaubt, Gefängnis für Clinton wie für Trump zu fordern. Dann eiert Münger noch ins Unverständliche hinein: «Nun aber ist Donald Trump das Opfer eines Attentats geworden, offiziell und unwiderlegbar. Seit er die politische Bühne betreten hat, inszeniert er sich als Opfer. Nun ist der Beweis erbracht, dass er eines ist.» Hä?

Amerika ist ernsthaft krank? Aber Münger hat eine gesunde Meinung: «Die verbalen Angriffe auf Präsident Joe Biden im aktuellen Wahlkampf stehen jenen Unflätigkeiten in nichts nach. Von Trumps seriellen Lügen ganz zu schweigen.»

Damit trägt er ausserordentlich zur Versachlichung des US-Wahlkampfes bei. Oder auch nicht, denn Müngers Meinung im Tagi interessiert nun nicht einmal ausserhalb der Werdstrasse gross. Innerhalb noch weniger.

«20 Minuten online» hingegen stellt wenigstens eine wichtige Frage: «Gold, Dollar, Franken: Wie reagieren Börsen auf das Trump-Attentat?» Der «Blick» kümmert sich dagegen um Unwichtiges: «Diese Verschwörungstheorien kursieren zum Trump-Attentat». Eine  gelinde gesagt merkwürdige Meinung vertritt die »Weltwoche»:

«Der Anschlag auf Donald Trump ist ebenso furchtbar wie womöglich vorherzusehen. «Hass und Hetze» gegen ihn ist in den USA salonfähig. Und erst recht im deutschen politmedialen Milieu, wo er gern, als Wiedergänger Hitlers, zwecks «Rettung der Demokratie» zum, sorry, Abschuss freigegeben wird. Viele Medien spielten die Sache sofort herunter, da hiess es, es habe einen «Zwischenfall» gegeben oder auch, Trump sei gestürzt. So kann man einen Mordanschlag natürlich auch interpretieren.»

Im «politmedialen Milieu» sei Trump zum Abschuss freigegeben worden, viele Medien hätten das Attentat heruntergespielt? Die WeWo lebt immer häufiger in einer wunderlichen Parallelwelt. Etwas voreilig meldete hingegen Nau.ch: «Melania Trump schweigt zu Attentat auf Gatte Donald».

Völlig belanglos staatstragend gibt sich hingegen CH Media: «Die nächsten Tage und Wochen werden für Amerika prägend sein.» Das ist ein Satz von dermassen strahlender Einfalt, dass er unbedingt eingerahmt werden sollte.

Und welche getragenen Worte gönnt uns die NZZ? Nun, deren Auslandchef heisst Peter Rásonyi, und das lässt nichts Gutes ahnen. Zuerst kommt der unvermeidliche Rückblick: «Der Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021, zu dem Trump selbst eine wilde Meute von Anhängern angestachelt hatte, war bisher ein trauriger Höhepunkt. Er hinterliess mehrere Tote.» Jetzt das Attentat, dazu die rhetorische Frage: «Wo soll das alles enden

Da erwarten wir natürlich eine Antwort von der NZZ, denn die weiss: «Diese Frage treibt nun viele Menschen im Lande um.» Die Menschen draussen im Lande und auch drinnen, vielleicht gar auch auf dem Meer. Aber leider, leider: «Niemand weiss die Antwort, aber die Stimmung ist wenig hoffnungsvoll.» Wieso dann eine Frage stellen, auf die niemand eine Antwort weiss?

Dann hat Rásonyi noch einen Vorschlag zur Güte: «Rhetorische Abrüstung wäre auf beiden Seiten dringend nötig.» Aber: «Dass dies kaum passieren wird, hat in erster Linie strategische Gründe.» Diese zwei Sätze verdienen es, ebenfalls eingerahmt zu werden und als abschreckende Beispiel von inhaltleerem Geschwurbel an die Wand genagelt zu werden.

Alle Fachleute, Spezialisten, Korrespondenten, Kenner der Sachlage und USA-Analysten sind mal wieder völlig auf dem falschen Fuss erwischt worden.

Dabei ist die Analyse einfach und kinderleicht: am 13. Juli 2024 wurden die US-Präsidentschaftswahlen entschieden. Und die Demokraten brauchen sich nicht länger über eine Alternative zu Biden den Kopf zu zerbrechen.