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Kriminell

Welche Versagen aller Orten beim Skandal um die Uniherzklinik.

Am 30. Juni liess die «Welt am Sonntag» eine Bombe platzen. Unter dem Titel «Ein Gewinn fürs Herz» rollte sie nochmals den Skandal an der Herzklinik des Unispitals Zürich auf. Auf 35’000 A seziert das deutsche Blatt die unglaublichen Zustände in Zürich.

Es ist eine Anhäufung von Skandalen, wie sie die Schweiz bislang nicht gekannt hat. Im Zentrum des Skandals steht der Mediziner Francesco Maisano. Obwohl nicht mal im Besitz eines Doktortitels, wurde er zum Professor und zum Leiter der Zürcher Herzklinik am Unispital gemacht. Dort wandte er seine angeblich revolutionäre Erfindung, das sogenannte Cardioband, an.

Dabei spielte er mit dem Leben seiner Patienten, aus reiner Geldgier offensichtlich. Denn diese fatale Erfindung verkaufte er gewinnbringend an einen US-Multi. Der dann aber die zweite Tranche der vereinbarten Zahlung von insgesamt 690 Millionen Dollar nicht überwies: es hatte sich längst herausgestellt, dass diese Erfindung Pfusch war.

Dennoch konnte Maisano jahrelang unbehelligt wüten, geschützt von der Spitalleitung, während die politisch Oberverantwortliche von nichts wusste, nichts hörte, nichts sah. 150 ungeklärte Todesfälle müssten aufgearbeitet werden, eine ungeheuerliche Zahl.

Der zweite Skandal besteht darin, dass es einen Whistleblower gab, der die Führung des Unispitals «vertraulich, schriftlich und detailliert» über die kriminellen Machenschaften an der Klinik in Kenntnis setzte. Auf 43 Seiten «beschreibt Plass exemplarisch und in medizinisch-analytischer Präzision das Schicksal von Opfern Maisanos, von schwer Geschädigten, von Toten». Einzige Konsequenz: er wurde entlassen. Der Whistleblower, wohlgemerkt.

Cliquenwirtschaft, turmhohe Mortalität, der Chefarzt operiert ins Elend, es werden erfundene Posten verrechnet: «Ein Ermittlungsbericht hält fest, es seien „interdisziplinäre Arztgespräche im Wert von 2,5 Millionen Franken abgerechnet worden, die nie stattgefunden hatten“», schreibt die WamS.

Und dann zitiert sie aus einem bislang nicht veröffentlichten Bericht einer Arbeitsgruppe, die aus 24 Professoren und leitenden Ärzten besteht. Es ist ein Dokument des Grauens. Unter Maisano war die Sterberate massiv gestiegen, «zehn bis fünfzehn mal höher als in vergleichbaren Kliniken in der Schweiz oder in Deutschland».

Und: «Besonders schockierend die Bilanz der Herztransplantationen mit tödlichem Ausgang: von zwölf Prozent 2016 sei sie unter Maisano auf 50 Prozent im ersten Halbjahr 2020 gestiegen

Von einem ganz anderen Kaliber ist der Herzchirurg Paul Vogt, der sich 2020 breitschlagen liess, das Schlamassel aufzuräumen, das Maisano hinterlassen hatte. Gegen den erbitterten Widerstand der Reste seiner Seilschaft und gegen die Unileitung.

Vogt liess sich nicht einschüchtern, auch ihm wurde eine Intrige angehängt, sogar eine Strafanzeige. Sein Freispruch vor dem Bezirksgericht war nicht erster Klasse, er war ein vernichtendes Urteil gegen alle Vorgesetzten und Verantwortlichen. So sagte die Richterin: «„Herr Vogt, Sie haben unter sehr schwierigen Verhältnissen versucht, diese Herzklinik wieder dorthin zu führen, wo sie hingehört.“ Sie hoffe, der Freispruch wirke versöhnlich auf ihn.»

Vogt hatte schon bei seinem Stellenantritt Klartext gesprochen:

«Vogt trug den Klinikchefs vor, es bedrückten ihn all die „Toten und die schweren Komplikationen“. Und dass der Satz „Patienten sind keine zu Schaden gekommen“, mit dem die Leitung der Uniklinik zu Maisanos Zeiten versucht habe, die Öffentlichkeit zu beschwichtigen, „auf keine erdenkliche Art und Weise haltbar ist“. Dieses Statement des USZ sei „schlicht gelogen“. Dann ließ Vogt seinen neuen Arbeitgebern eine Kampfansage zukommen: „Ich werde nicht schweigen zu den Toten.“ »

Das tat er dann erst an diesem Prozess vor wenigen Wochen; dort sprach Vogt in aller Offenheit von rund 150 ungeklärten Todesfällen. Nachdem die Klinikleitung tapfer alles ausgesessen hatte, will sie nun nochmals eine «Taskforce» einsetzen, die im Herbst mit der Arbeit beginnen soll. Ein Hohn, der nächste Skandal.

Denn hier geht es eindeutig um strafbare Handlungen schwerster Art, die Staatsanwaltschaft hätte schon längst tätig werden müssen. Die oberste Verantwortliche für diesen Skandal, die Zürcher Regierungsrätin und Vorsteherin der Gesundheitsdirektion, Natalie Rickli, muss zurücktreten.

Es gibt noch einen letzten Skandal. Obwohl der «Tages-Anzeiger» ein wenig und vor allem der Finanzblog «Inside Paradeplatz» immer wieder über diesen Skandal berichtet hat, muss eine deutsche Zeitung vorführen, was eine sorgfältige Recherche ist, eine deutsche Zeitung gräbt diesen bislang unter Verschluss gehaltenen Bericht aus, der nochmals bestätigt, dass am Unispital unhaltbare Zustände herrschten.

Was hier auf Kosten von Patienten getrieben wurde, ist kriminell. Das Versagen aller Aufsichtsbehörden, die Maisano sogar noch mit Lobliedern verabschiedeten, ist abstossend. Die Verantwortung der zuständigen Politikerin ist evident.

Ob etwas passieren wird? Bei dem hier immer noch existierenden Zürcher Filz, bei der quallenartigen Geschmeidigkeit der Führungspersonen, bei der ärztlichen Kumpanei, ja nichts Böses über einen Kollegen zu sagen, ist das zu bezweifeln.

Die Reaktion Ricklis, sie verlangte von der WamS «Richtigstellungen», die sie nicht bekam, lässt Übles ahnen.

In all diesem Elend ist besonders beelendend, dass keines der Leitmedien der Schweiz richtig recherchierte, dass all die Angeber in den Recherchedesks und all die «investigativen» Journalisten – auch und gerade bei SRF – sich von deutschen Journalisten vorführen lassen, während sie selbst wohl bedauern, dass seit den «Pandora Papers» keine Hehlerware mehr ausgeschlachtet werden kann.

Hier wäre die sogenannte vierte Gewalt wirklich mal gefordert gewesen. Sie hat genauso kläglich versagt wie die Spitalleitung bis hinauf zu Regierungsrätin Rickli.

Gibt es in Zürich denn auch in der Staatsanwaltschaft niemanden mehr, der angesichts dieser hochkriminellen Machenschaften Handlungsbedarf sieht? Sind inzwischen 150 ungeklärte Todesfälle höchstens ein Antragsdelikt? Ein Kavaliersdelikt?

Das wollen wir nicht hoffen …

 

«Republik» zusperren, Part I

Der Skandal um die Maisano-Reportage ist der letzte Zwick an der Geissel.

Als der Herzchirurg Paul Vogt vor ZACKBUM-Redaktor René Zeyer sass und in ruhigem Ton Ungeheuerliches über das Unispital Zürich erzählte – aber um Vertraulichkeit bat –, blieb selbst dem abgebrühten Journalisten die Spucke weg.

Vogt war gerade notfallmässig als Chef an die Herzchirurgie berufen worden und fand dort skandalöse Zustände vor. Rund 150 Patienten waren unter fragwürdigen Umständen ums Leben gekommen, sein Vorgänger Francesco Maisano – der aber nicht einmal einen richtigen Doktortitel besitzt – habe an Patienten eine eigene Erfindung, ein Cardioband ausprobiert. Das funktionierte nicht, aber er brauchte Erfolgsmeldungen, um den Hersteller, an dem er beteiligt war, profitabel an ein US-Unternehmen zu verkaufen.

Das gelang und sollte 340 Millionen Franken in die Taschen spülen. Intern beklagte Vogt «kriminelle Taten» und drohte damit, an die Öffentlichkeit zu gehen. Maisano wurde entsorgt – offiziell mit Dank verabschiedet –, und der wohl grösste Skandal des an Skandalen nicht armen Unispitals nahm seinen Lauf.

Denn Maisano hatte Seilschaften und Unterstützer höheren Orts, die mit ihm einig waren, dass man diesen Skandal unbedingt unter dem Deckel halten sollte. Es begann ein Intrigen- und Drecksspiel; der Whistleblower, der die unglaublichen Zustände der Spielleitung gemeldet hatte, wurde gefeuert, gegen ihn und Vogt wurden falsche Anschuldigungen erhoben und in die Medien gestreut.

Auch die «Weltwoche» spielte dabei eine klägliche Rolle, aber am schlimmsten war die «Republik». Das Organ der arroganten, bösartigen Gutmenschen liess sich wie journalistische Kindergärtner einseifen und veröffentlichte unter voller Namensnennung einen Schmierenartikel gegen den Whistleblower, der für immer in den Schrein widerlicher journalistischer Fehlleistungen gehört.

«Zürcher Herzkrise»: Der Whistleblower war ein «massgeblicher Akteur des Konflikts»», so dröhnte das Organ der Besserwisser unter voller Namensnennung:

Das war aber nur ein «Update», zuvor hatte das Schmierenblatt eine ganze Trilogie auf die «Zürcher Herzkrise» gegossen; insgesamt über 134’000 A Halbgares und Halbwahres und Angefüttertes. Dafür wurde die «Republik» dann unter anderem vom Presserat gerügt und musste knirschend eine Gegendarstellung des «Tages-Anzeigers» abdrucken – eine der Keimzellen einer späteren Racheserie gegen Tamedia.

«Die Medien spielen dabei eine unrühmliche Rolle», behaupten die drei «Rechercheure» Philipp Albrecht, Dennis Bühler und Brigitte Hürlimann, meinen damit aber natürlich nicht sich selbst. Statt zu recherchieren, liessen sie sich von «besorgten USZ-Angestellten» aufs Glatteis führen und übernahmen deren anonyme Anschuldigungen gegen den Whistleblower. Dass der am Schluss von allen Vorwürfen freigesprochen wurde, was soll’s, damit lässt sich doch die «Republik» keine schöne Skandalstory kaputtmachen. Schliesslich zitieren sie eine ganze Latte von Vorwürfen genüsslich, um dem Whistleblower dann Gelegenheit zu geben, sie «als haltlos, absolut falsch, fakten­widrig und durch nichts belegt» zu bezeichnen. Das ist doch objektiver Journalismus.

In diesem Schwarzweissjournalismus muss es einen Guten geben, das ist der «Klinikdirektor Maisano»; ihm gegenüber habe sich das Unispital als «illoyale Arbeit­geberin» erwiesen. Das Gegenteil ist knapp richtig; die Spitalleitung tat alles, um möglichst den Deckel auf dem Skandal zu halten.

Der wirkliche Held in dieser Geschichte war und ist ein anderer. Man sollte zu Vogt vielleicht noch wissen, dass er als Gründer der Eurasia Heart Foundation seit vielen Jahren ehrenamtlich in Osteuropa, Asien und Afrika Herzoperationen durchführt. Dass er zu den kompetentesten und unerschrockenen Kritikern der  Pandemie-Bekämpfung in Europa gehört. Durch politisch-ideologisch begründetes Ignorieren medizinischer Fakten sei Europa zum weltweiten Pandemie-Zentrum geworden, kritisierte er schon 2020.

Nun hat der renommierte Herzchirurg Vogt den Prozess gegen sich selbst (Auswirkung einer weiteren haltlosen Anschuldigung in diesem Intrigensumpf zum Schutz Maisanos und seiner Vorgesetzten) benützt, um öffentlich schonungslos mit den damaligen Zuständen abzurechnen. Der Prozess endete letzten Freitag, wie der gegen den Whistleblower, mit Freispruch auf ganzer Linie. Mehr noch; die Richterin sagte in aller Klarheit, dass Vogt Unrecht zugefügt worden sei, « eine «politische Intrige» seiner Gegner könne nicht ausgeschlossen werden.

Das ist vornehmes Juristendeutsch für: die Staatsanwaltschaft musste zwar von Amts wegen eine Untersuchung aufnehmen, aber das Ganze stinkt zum Himmel und sollte einzig den tadellosen Ruf von Vogt beschmutzen.

Auf den mit Nachbeben über 150’000 A in der «Republik» steht kein Wort über die eigentlichen Hintergründe dieses Skandals, auch bis heute kein Wort zu diesem Urteil oder der Rede Vogts. Irrer berichtete nur Konservendosen-«Blick». Der vermeldete zwar den Freispruch für einen «Ex-Herzchirurgen», auf den eigentlichen Skandal und die Rede Vogts ging das Dünnblatt aber mit keinem Wort ein. Vielleicht ein neues Tätigkeitsgebiet für «Republik»-Journis.

Der Skandal reicht hinauf bis zur Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli. Involviert sind der mit goldenem Fallschirm abgesprungene  CEO des Unispitals Gregor Zünd, dazu der damalige Spitalratspräsident Martin Waser*, plus Marianne Moser. Der typisch Zürcher Filz halt. Zünd lag schon im September 2020 ein streng vertraulicher Untersuchungsbericht der Kanzlei Walder Wyss vor (das die Recherchiergenies der «Republik» nicht auftreiben konnten oder wollten).

Dort steht eine nur leicht verklausulierte Bombe: «… unvollständige Dokumentation des Operationsergebnisses» könne «... eine erhöhte Gefährdung (z.B. mit Blick auf einen etwaigen Folgeeingriff) bewirken».

Denn das wahre Problem, dass den Flaschen der «Republik» völlig entgangen war, bestand darin: dieses Cardioband funktionierte nicht richtig, es löst sich gelegentlich in seine Bestandteile auf, es gefährdete sogar Patienten. Aber das hätte die Verkaufsverhandlungen gefährdet, also mussten stattdessen Triumphmeldungen her.

So gelang es, die Herstellerfirma mit Maisanos Beteiligung für sagenhafte 350 Millionen Dollar an den US-Multi Edwards zu verkaufen. Die Verkäufer fantasierten von Jahresumsätzen von über 650 Millionen Dollar. Aber in Wirklichkeit, wie Gerichtsakten erweisen, lag der Umsatz bei höchstens knapp 5 Millionen, worauf sich Edwards weigerte, die zweite Zahlungstranche auszulösen. Das Gericht gab dem Multi recht, das Herzband ist ein Flop.

Vogt beklagt unwidersprochen, dass es vor seinem notfallmässigen Eingreifen am Unispital zu «kriminellen Handlungen» kam und 150 Patienten unter dubiosen Umständen verstarben. So schreibt «Inside Paradeplatz»: «Er machte klar: Patienten seien in der Herzchirurgie zu Schaden gekommen, alles andere sei „schlicht gelogen“.» Dass die Übersterblichkeit signifikant höher als in vergleichbaren Spitälern lag, ist unbestritten.

Aber ansonsten wollen alle Beteiligten am liebsten nur eins: Schwamm drüber, Ruhe, vorbei. Was sagt das Unispital zu «Inside Paradeplatz», der damals, gefolgt vom Tagi, den Skandal publik machte? «Wir haben die hinter dem genannten Urteil stehenden Sachverhalte analysiert und sehen von Seiten USZ keinen weiteren Handlungsbedarf.»

Was sagt der Sprecher von Rickli zum «Tages-Anzeiger»? «Wenn Sie den Artikel genau lesen, dann stellen Sie fest, dass es sich um alte Geschichten handelt, die der Tages-Anzeiger immer wieder aufwärmt und die allesamt erledigt sind.»

Aufgewärmte, alte Geschichten, dass an einem Zürcher Spital 150 Patienten unter dubiosen Umständen starben, dass an einigen von ihnen ein nicht erprobtes und fehlerhaft funktionierendes Cardioband ausprobiert wurde, dessen Schrauben rausflogen und das unzählige Notnachoperationen nötig machte?

Dass sich alle Verantwortlichen klammheimlich davonschleichen wollen und nicht mit dem Mut des Herzchirurgen Vogt rechnen, wohlan. Aber dass die «Republik» nicht einmal hier die Grösse hat, auf ihre damalige Fehlleistung hinzuweisen, das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht.

Wäre es der einzige «Republik»-Skandal, wäre er einfach peinlich. Aber er ist (nicht der letzte) Höhepunkt in einer ganzen Reihe von Skandalen, von angeblichen Primeurs, Aufdeckungsstorys, Anklagen, Behauptungsartikeln, die etwas von Anfang an gemein hatten: die kamen grosstönend und grossspurig daher, behaupteten Ungeheuerliches – sprangen als Löwen des kompetenten Recherchierjournalismus hoch – und landeten als räudige Bettvorleger.

ZACKBUM veröffentlicht im Folgeartikel einen unvollständigen Auszug aus dieser Liste der Schande.

Zusammen mit dem Maisano-Skandal der «Republik» reicht es nun zur Forderung: sperrt das Blatt endlich zu; finanziell pleite (also korrekter überschuldet und nur durch Forderungsverzicht vor dem Gang zum Konkursrichter bewahrt) ist es sowieso schon. Nun ist es auch noch moralisch-ethisch bankrott. Worauf also warten?

*Nach Leserhinweis korrigiert.